Ich liege nur in Unterhose
im Bett. Das reicht heute locker. Und trotzdem schwitze ich. Wie ein Schwein,
die ganze Stirn ist nass. Das Handtuch für den Schweiß liegt neben mir, neben
dem Laptop, auf dem ich tipppe. Es ist so heiß, unglaublich. Ich gucke Fernsehen. Es läuft ein
weiterer Brennpunkt. Es geht um Ansbach, Reutlingen, München. Würzburg. So
viele Taten dieses Wochenende. In meiner größenwahnsinnigen, allmächtigen,
narzisstischen Denke entspricht das Chaos in meiner Umwelt dem Chaos in mir.
Aber ich weiß, dass das nicht stimmt… Und trotzdem…
...nirgendwo mehr wirklich sicher ist…, sagt der Moderator.
Das ist man nie. Das habe ich
immer schon so gesagt. Das Leben ist am Ende immer tödlich. Nur der Tod ist umsonst, hat dein Vater
immer gesagt, früher. Und dann mit einem Lächeln (war es ein bitteres oder ein
resigniertes und macht das überhaupt einen Unterschied?) hinzugefügt: …und der kostet das Leben…
Andere
Erfahrungen. Verluste,
dass
die Menschen einen Weg finden, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten,
sagt eine Expertin, eine Therapeutin. Selbst
ein Mensch, der ein KZ überlebt hat, kann ein glücklicher, ein zufriedener
Mensch werden…
Du suchst auch noch nach
einem Sinn. Herrn, Badens Frage schwirrt dir immer noch durch den Kopf: Wofür
lebst du? So direkt, ohne Vorwarnung. Und so schwer zu beantworten. Ja, wofür
denn…?
Für meine Tochter habe ich
gesagt, damals. Das stimmt auch.
„Ok…“, hat er gesagt,“…die
ist aber in zwei Jahren weg…“
„Ich weiß…“, hast du
geantwortet. Ich weiß.
Aber dadurch ist sie ja im
Moment nicht weniger meine Tochter. Ich leb ja auch nicht komplett für meine
Tochter. Das tut ja kein Vater. Keine Mutter. Man hat ja auch seine eigenen
Sachen.
„Die da wären?“
„Die Literatur, das
Schreiben, die Musik…“
Vagisan
spricht offen über Scheidentrockenheit.
Knausgaard im Moment. Alle
Bücher von ihm, obwohl es die noch gar nicht in der deutschen Übersetzung gibt.
Melendi in der Musik. Der
ist so geil, diese spanischen Flamenco-Gitarren, so geil. Da bin ich fast
glücklich, da will ich fast die Flasche Wein aufmachen, die schon mehr als ein
halbes Jahr auf meinem Schreibtisch steht und die ein Geschenk meiner Chefin
war. Und sie mit mir selbst trinken. Zur Feier des Tages. Und dann rausgehen
und irgendjemand bumsen, irgendjemand schlagen, irgendjemand die Ohren vollheulen.
Nein, diese Welt ist nicht
sicher. Das war sie noch nie
Aber heute ist mir das
irgendwie egal. Heute muss ich nicht daran denken, dass ich sterben werde, dass
ich getrennt bin, dass ich (fast) alles verloren habe (und indem ich nicht
daran denke, tue ich es ja doch!). Heute habe ich Wein und Eis, denn ich war
gerade bei Aldi einkaufen. Ohne meine Tochter. Sonst gehe ich immer mit ihr.
Aber sie ist ja mit ihrer Mutter im Urlaub. Tiramisu-Eis und irgendeinen Wein. Auf
dem die Marionette ist, die Maus-Marionette, die María gemacht hat, als sie wie
alt war? Drei, vier oder doch ein bisschen älter. Die ich aufgehoben habe. Die ich
vor dem Untergang gerettet habe. Die mir etwas bedeutet. Obwohl sie nur noch
ein Auge hat.
Bei Aldi, während ich einkaufen
war, habe ich gedacht: Ich muss erst mal bei mir selbst anfangen. Ich muss mich
selbst lieben lernen. So wie ich bin. Inklusive übermäßiger Schweiß, Löcher in
den Hosen, Übergewicht, beginnender grauer Haare im Bart. Aber auch unglaublich
zäh, voller Gefühle und kann halbwegs gut mit Geld umgehen. Ich muss erst mal
an mich selbst denken. Mich verwöhnen. Auf mich achtgeben. Nicht immer an die
anderen denken. Und an das, was sie denken. Muss mit mir selbst ins Reine
kommen. Muss mich mit mir selbst anfreunden. Mich lieben lernen. Mich so
akzeptieren, wie ich bin. Aber damit ist es genau wie mit der Frage, wofür man
lebt. Das ist so unglaublich schwerer, viel schwerer, als es sich auf den
ersten Blick anhört. Wenn man nie Bestätigung von anderen erfahren hat… Aber
das ist wie Melendi das sagt, in einem seiner Lieder: Mi primer amor fui yo. Meine erste Liebe war ich selbst. Das stimmt
schon.
leichter gesagt als getan
Später, um kurz nach acht
ist die Maschine fertig und ich hänge die Wäsche draußen auf. Im Fernsehen
läuft ein weiterer Brennpunkt. Ich stelle den Fernseher ein bisschen lauter,
damit ich auch draußen hören kann, was die sagen. Aber irgendwie interessiert
mich das nicht mehr so richtig. Die sagen auch alle nichts Neues. Eiern rum.
War es jetzt Amok oder Terror, reden davon, dass der Typ depressiv war… Und
dass er trotzdem unauffällig war. Normal, ne, was soll er denn machen, fröhlich
rumspringen und jedem erzählen, dass er keinen Bock mehr hat, dass er zu viel
gesehen hat, dass er (nicht) sterben will. Das bindet man doch keinem auf die
Nase. Besonders nicht in diesem Kulturkreis. Aber eins kommt mir komisch vor.
Diese Expertin, diese Therapeutin, die sich um die Flüchtlinge, in dem seinem
Heim gekümmert hat, hat nichts gemerkt, obwohl aktenkundig war, dass der Typ
zweimal versucht hat, sich umzubringen…?! Das ist schon komisch, irgendwie…
Aber Deutschland bleibt auch nach dem Terror das gleiche, langweilige Land, in
dem alle so tun, als ob sie Spaß hätten, als ob sie frei wären, obwohl sie das
natürlich nicht sind. Und Spaß haben die auch nicht übermäßig. Oder?!
Außerdem muss ich ja meine
Klamotten. Die von María und mir. Die, die noch übrig geblieben waren, von vor
ihrem Urlaub. Die ich aus Frackigkeit nicht gewaschen habe. Und sie
wahrscheinlich auch nicht gebraucht hat. Sonst hätte sie sie ja gesucht und
mitgenommen. Mir die Hölle heiß gemacht, dass ich sie noch wasche, unbedingt
noch waschen muss, bevor sie fliegt. Das macht mich irgendwie glücklich. Die
Wäsche aufzuhängen. So komisch das klingt. Das macht mich zufrieden. Dass ich
jetzt alles gewaschen habe. Alles, bis auf zwei Tisch-Sets, bei denen ich Angst
habe, dass sie abfärben. Okay, all diese Söckchen, diese kleinen Teile nicht,
die sind voll nervig, weil man die alle einzeln aufhängen muss, aber die
anderen Teile, die dicken Pullover von María (jetzt weiß ich auch, warum sie
die nicht mitnehmen wollte, nach Griechenland), die befriedigen einen schon.
Weil das dann schneller geht, der Korb leerer wird.
Plötzlich denke ich daran,
wie ich das früher immer gemacht habe, die Wäsche aufhängen, auf unserem
Balkon. Wo das noch mehr Wäsche war, weil ihre dabei war, ihre Putzlappen, die
machten auch Spaß, weil die schnell gingen und einfach aufzuhängen waren (man
musste nicht ellenlang Ärmel irgendwo rauskramen), ihre Oberteile, ihre Hosen
und ihre Unterwäsche (wichs, wichs). Sie lag dann immer im Bett, im
Schlafzimmer, das man vom Balkon sehen konnte. Ich sah sie, wie sie im Bett lag
und hängte draußen ihre, meine und die Wäsche von María auf. Was mich glücklich
machte, zufrieden, was sogar Spaß machte (hey, die Deutschen haben ja doch Spaß,
können ja doch Spaß haben!).
leichter gesagt als getan