Montag, 25. Juli 2016

Terror-Brennpunkt, Selbstfindung und saubere Wäsche










Ich liege nur in Unterhose im Bett. Das reicht heute locker. Und trotzdem schwitze ich. Wie ein Schwein, die ganze Stirn ist nass. Das Handtuch für den Schweiß liegt neben mir, neben dem Laptop, auf dem ich tipppe. Es ist so heiß, unglaublich. Ich gucke Fernsehen. Es läuft ein weiterer Brennpunkt. Es geht um Ansbach, Reutlingen, München. Würzburg. So viele Taten dieses Wochenende. In meiner größenwahnsinnigen, allmächtigen, narzisstischen Denke entspricht das Chaos in meiner Umwelt dem Chaos in mir. Aber ich weiß, dass das nicht stimmt… Und trotzdem…

...nirgendwo mehr wirklich sicher ist…, sagt der Moderator.

Das ist man nie. Das habe ich immer schon so gesagt. Das Leben ist am Ende immer tödlich. Nur der Tod ist umsonst, hat dein Vater immer gesagt, früher. Und dann mit einem Lächeln (war es ein bitteres oder ein resigniertes und macht das überhaupt einen Unterschied?) hinzugefügt: …und der kostet das Leben…

Andere Erfahrungen. Verluste,

dass die Menschen einen Weg finden, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten, sagt eine Expertin, eine Therapeutin. Selbst ein Mensch, der ein KZ überlebt hat, kann ein glücklicher, ein zufriedener Mensch werden…

Du suchst auch noch nach einem Sinn. Herrn, Badens Frage schwirrt dir immer noch durch den Kopf: Wofür lebst du? So direkt, ohne Vorwarnung. Und so schwer zu beantworten. Ja, wofür denn…?

Für meine Tochter habe ich gesagt, damals. Das stimmt auch.

„Ok…“, hat er gesagt,“…die ist aber in zwei Jahren weg…“

„Ich weiß…“, hast du geantwortet. Ich weiß.

Aber dadurch ist sie ja im Moment nicht weniger meine Tochter. Ich leb ja auch nicht komplett für meine Tochter. Das tut ja kein Vater. Keine Mutter. Man hat ja auch seine eigenen Sachen.

„Die da wären?“

„Die Literatur, das Schreiben, die Musik…“

Vagisan spricht offen über Scheidentrockenheit.

Knausgaard im Moment. Alle Bücher von ihm, obwohl es die noch gar nicht in der deutschen Übersetzung gibt.

Melendi in der Musik. Der ist so geil, diese spanischen Flamenco-Gitarren, so geil. Da bin ich fast glücklich, da will ich fast die Flasche Wein aufmachen, die schon mehr als ein halbes Jahr auf meinem Schreibtisch steht und die ein Geschenk meiner Chefin war. Und sie mit mir selbst trinken. Zur Feier des Tages. Und dann rausgehen und irgendjemand bumsen, irgendjemand schlagen, irgendjemand die Ohren vollheulen.


Nein, diese Welt ist nicht sicher. Das war sie noch nie


Aber heute ist mir das irgendwie egal. Heute muss ich nicht daran denken, dass ich sterben werde, dass ich getrennt bin, dass ich (fast) alles verloren habe (und indem ich nicht daran denke, tue ich es ja doch!). Heute habe ich Wein und Eis, denn ich war gerade bei Aldi einkaufen. Ohne meine Tochter. Sonst gehe ich immer mit ihr. Aber sie ist ja mit ihrer Mutter im Urlaub. Tiramisu-Eis und irgendeinen Wein. Auf dem die Marionette ist, die Maus-Marionette, die María gemacht hat, als sie wie alt war? Drei, vier oder doch ein bisschen älter. Die ich aufgehoben habe. Die ich vor dem Untergang gerettet habe. Die mir etwas bedeutet. Obwohl sie nur noch ein Auge hat.

Bei Aldi, während ich einkaufen war, habe ich gedacht: Ich muss erst mal bei mir selbst anfangen. Ich muss mich selbst lieben lernen. So wie ich bin. Inklusive übermäßiger Schweiß, Löcher in den Hosen, Übergewicht, beginnender grauer Haare im Bart. Aber auch unglaublich zäh, voller Gefühle und kann halbwegs gut mit Geld umgehen. Ich muss erst mal an mich selbst denken. Mich verwöhnen. Auf mich achtgeben. Nicht immer an die anderen denken. Und an das, was sie denken. Muss mit mir selbst ins Reine kommen. Muss mich mit mir selbst anfreunden. Mich lieben lernen. Mich so akzeptieren, wie ich bin. Aber damit ist es genau wie mit der Frage, wofür man lebt. Das ist so unglaublich schwerer, viel schwerer, als es sich auf den ersten Blick anhört. Wenn man nie Bestätigung von anderen erfahren hat… Aber das ist wie Melendi das sagt, in einem seiner Lieder: Mi primer amor fui yo. Meine erste Liebe war ich selbst. Das stimmt schon.

leichter gesagt als getan


Später, um kurz nach acht ist die Maschine fertig und ich hänge die Wäsche draußen auf. Im Fernsehen läuft ein weiterer Brennpunkt. Ich stelle den Fernseher ein bisschen lauter, damit ich auch draußen hören kann, was die sagen. Aber irgendwie interessiert mich das nicht mehr so richtig. Die sagen auch alle nichts Neues. Eiern rum. War es jetzt Amok oder Terror, reden davon, dass der Typ depressiv war… Und dass er trotzdem unauffällig war. Normal, ne, was soll er denn machen, fröhlich rumspringen und jedem erzählen, dass er keinen Bock mehr hat, dass er zu viel gesehen hat, dass er (nicht) sterben will. Das bindet man doch keinem auf die Nase. Besonders nicht in diesem Kulturkreis. Aber eins kommt mir komisch vor. Diese Expertin, diese Therapeutin, die sich um die Flüchtlinge, in dem seinem Heim gekümmert hat, hat nichts gemerkt, obwohl aktenkundig war, dass der Typ zweimal versucht hat, sich umzubringen…?! Das ist schon komisch, irgendwie… Aber Deutschland bleibt auch nach dem Terror das gleiche, langweilige Land, in dem alle so tun, als ob sie Spaß hätten, als ob sie frei wären, obwohl sie das natürlich nicht sind. Und Spaß haben die auch nicht übermäßig. Oder?!

Außerdem muss ich ja meine Klamotten. Die von María und mir. Die, die noch übrig geblieben waren, von vor ihrem Urlaub. Die ich aus Frackigkeit nicht gewaschen habe. Und sie wahrscheinlich auch nicht gebraucht hat. Sonst hätte sie sie ja gesucht und mitgenommen. Mir die Hölle heiß gemacht, dass ich sie noch wasche, unbedingt noch waschen muss, bevor sie fliegt. Das macht mich irgendwie glücklich. Die Wäsche aufzuhängen. So komisch das klingt. Das macht mich zufrieden. Dass ich jetzt alles gewaschen habe. Alles, bis auf zwei Tisch-Sets, bei denen ich Angst habe, dass sie abfärben. Okay, all diese Söckchen, diese kleinen Teile nicht, die sind voll nervig, weil man die alle einzeln aufhängen muss, aber die anderen Teile, die dicken Pullover von María (jetzt weiß ich auch, warum sie die nicht mitnehmen wollte, nach Griechenland), die befriedigen einen schon. Weil das dann schneller geht, der Korb leerer wird.

Plötzlich denke ich daran, wie ich das früher immer gemacht habe, die Wäsche aufhängen, auf unserem Balkon. Wo das noch mehr Wäsche war, weil ihre dabei war, ihre Putzlappen, die machten auch Spaß, weil die schnell gingen und einfach aufzuhängen waren (man musste nicht ellenlang Ärmel irgendwo rauskramen), ihre Oberteile, ihre Hosen und ihre Unterwäsche (wichs, wichs). Sie lag dann immer im Bett, im Schlafzimmer, das man vom Balkon sehen konnte. Ich sah sie, wie sie im Bett lag und hängte draußen ihre, meine und die Wäsche von María auf. Was mich glücklich machte, zufrieden, was sogar Spaß machte (hey, die Deutschen haben ja doch Spaß, können ja doch Spaß haben!).

leichter gesagt als getan