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Sonntag, 26. Februar 2017

Otto, mein Wellensittich
















Nachts im Bett, kurz vor dem Schlafengehen, denkt er an den Wellensittich, den er damals als Kind hatte. Der hieß Otto (ich weiß, ich weiß…) und war blau. Königsblau, mit einem weißen Köpfchen. Ein eleganter, stolzer, schöner Vogel.

Und irgendwann war er weg. Keine Ahnung, wie alt er damals war. Vierzehn? Dreizehn? Ich weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall hatte seine Mutter vergessen, ein Fenster zuzumachen, als sie ihn für seinem täglichen Ausflug durch den Wintergarten aus seinem Käfig ließ. Und Otto nutzte seine Chance auf ein Leben in Freiheit. Tiere denken da ja nicht groß drüber nach. Nicht wie Menschen. Nicht wie du.

Otto war weg und er hatte nachts geheult. Jede Nacht. War untröstlich. Wie schön es wäre, ich könnte sagen, das war, als er erst zwölf oder dreizehn war, aber ich bin mir da nicht sicher. Nachts im Bett heulte er sich die Augen aus und betete. Das ist wohl das, was die in den Büchern als "Vulnerabilität" beschreiben. Vulnerabilität in einem frühen Stadion. In diesen ganzen Büchern über Depressionen.

Jede Nacht betete er. Immer wieder. Immer wieder das Vaterunser, das einzige Gebet, das er kannte. Kennt. Bis heute. Betete dafür, dass Otto zurückkam. Durch irgendeinen Zufall. Betete, dass er einfach wieder von draußen hineinfliegen würde, zurück in seinen Käfig. Aber schon damals wusste er, obwohl er noch jung war, dass das nicht sehr wahrscheinlich war. Also heulte er noch mehr. Heulte und betete. Er war schon damals nicht sehr gut auf das Leben auf diesem Planeten vorbereitet. Wie soll man sich denn auch darauf vorbereiten?! Er wusste nur, dass sein Vogel, sein geliebtes Vögelchen, sein pájarito weg war. Für immer weg war. Er schluchzte und betete, während seine Mutter beim Schuster unten in der Straße einen Zettel ins Schaufenster hängte. Tat ihr der Abschied von Otto etwa auch weh?! Tat er ihr leid?! Ein Zettel, dass uns ein Wellensittich entflogen war. Mit Telefonnummer. Ein blauer Wellensittich. Namens Otto. Oder schrieb sie das da nicht rein...?

Und dann passierte das Wunder! Das Wunder von Bonn. Ein kleines, alltägliches Wunder. Kein großes. Denn es ging ja damals noch nicht um Leben und Tod. Dann passierte das Unerwartete. Denn da rief tatsächlich jemand an. Ein Nachbar. Der ein paar Häuser weiter unten wohnte. Ein alter Mann, glaub ich. Der auch einen Wellensittich hatte. Ein Weibchen. Ein Weibchen? Keine Ahnung. Oder er hatte sogar mehrere. Ich weiß es nicht mehr. Und Otto, der Schlawiner, war gar nicht so weit gekommen, auf seiner Flucht vor Käfig und Gefangenschaft. Auf seiner Flucht vor der Einsamkeit eines Junggesellen (heute weiß ich natürlich, dass man die nicht allein halten sollte, Wellensittiche, weil die sonst einsam werden...und verhaltensgestört...). Nein, Otto war geradewegs ein paar Fenster weiter schon wieder reingeflogen. Da, wo die anderen Wellensittiche waren. Vielleicht hatte er ja sogar die fremde Sittichdame schon mal gehört. So weit war das gar nicht. Keine zwanzig Meter Luftlinie. Hatte sich vielleicht mit ihr schon „unterhalten“, seine Flucht geplant. Auf jeden Fall war er da gelandet und der Mann hatte ihn zu sich genommen. Vielleicht hatte er ja sogar Spaß auf seiner Flucht. Mehr Spaß als alleine in dem immer leicht düsteren Wintergarten im Haus meiner Eltern. Vergnügte sich mit der Sittichin. Und als der Mann das dann las, beim Schuster im Schaufenster, musste er nur noch eins und eins zusammenzählen und ich hatte meinen Wellensittich wieder. Meinen Otto. Musste nicht mehr nachts heulen und nur noch einmal abends vor dem Schlafengehen beten. Wie vorher. Und war wieder glücklich

Otto war doch auch zurückgekommen. Und Conchita auch, am Ende. Als sie an meine Tür im Wohnheim klopfte und plötzlich da stand, ganz allein. Warum konnte dann nicht

Warum kann dann nicht

Wenn du schon mal Glück gehabt hast

Schon zweimal Glück gehabt hast

Warum kann dann nicht

wieder ein Wunder geschehen. Ein kleines, alltägliches Wunder. Mehr will ich in meinem kleinen, alltäglichen Leben ja gar nicht

Aber es braucht schon ein Wunder, denkt er. An dem Tag, an dem Hamburg von den Bayern brutalst vermöbelt wurde, woran man sieht, dass Wunder eher selten passieren


„Bitte Gott, bitte, gib mir Nadine zurück!“, sagt er halblaut, bevor er sich hinlegt. „Bitte.“

„Bitte Gott, bitte!“

„Otto ist doch auch zurückgekommen. Und Conchita.“

„Bitte…“


Dann hat er plötzlich eine neue Idee: Vielleicht kommt sie ja zurück, wenn er genug gelitten hat. Lange genug gelitten hat, um die Fehler in seiner Ehe ausgeglichen zu haben. Den Kosmos wieder ins Gleichgewicht gebracht hat. Vielleicht












Mittwoch, 22. Februar 2017

Eier












Ich gehe ins Bad, will eigentlich pissen, entscheide mich dann aber (unbewusst) anders. Gehe wieder zurück ins Schlafzimmer, stelle mich vor das Fenster und streife mir die rote Blümchenshorts samt Unterhose runter und kratze mich am Penis. An dieser Schnittstelle zwischen Eichel und Schaft. Wo das Kratzen doppelt so viel Spaß macht wie an allen anderen Stellen des Körpers. Mindestens. Einen Moment lang gucke ich mich schuldig um, so als könnte mich jemand sehen, dabei ist die untere Hälfte des Fensters abgeklebt. Wer soll dich schon sehen wollen…? Ich kratze immer weiter, kratze und rieche abwechselnd an meinem Finger. Da ist er wieder, mein alter Geruch! Den ich schon verloren geglaubt hatte, inmitten all dieser neuen Gerüche. Dieser Geruch nach drei Tage nicht geduscht. Wie geil ist das denn?! Kratze zwischen den Beinen, unter den Eiern. Da, wo die Haut immer ein bisschen feucht ist, zwischen Arsch und Eiern. Dann wieder am Penis. Der ist noch ein bisschen wund. Egal. Genau an der Stelle, wo ich kratze. Was das Gefühl noch intensiviert, dieses Gefühl zwischen Schmerz und Erregung, Kribbeln

Ich kratze mich vor dem Fenster an den Eiern und sage laut Nadine. Fast schon verzweifelt: 

„Nadine!“


„Nadine

Im Fernsehen läuft Fußball: Champions League. Unten ohne lege ich mich ins Bett und überlege, ob ich mir noch einen Porno reinziehen soll. Dann hab ich aber irgendwie keinen Bock mehr. Das würde den Moment zerstören. Das würde den Augenblick nur unnötig in den Schmutz ziehen

„Nadine



Am Ende muss ich doch noch pissen












Mittwoch, 8. Februar 2017

Roma 2012













Wir wohnten damals in so einer „Pension“. Keine Ahnung, wie die genaue Bezeichnung war. Aber ein Hotel war das auf gar keinen Fall. Die hatten wir schon von Deutschland angerufen. Wie wir das immer gemacht haben. Jedes Jahr. Jedes Jahr das Gleiche. Wir suchten uns einen günstigen Flug im Internet (meistens Ryan Air), bezahlten den mit der Kreditkarte von Marías ehemaliger bester Freundin, zu der sie eigentlich schon lange keinen Kontakt mehr hatte, die wir aber immer noch anriefen (immer wenn wir in Urlaub wollten und mit der Kreditkarte bezahlen mussten). Und erst dann, nachdem all das erledigt war, fingen wir an, nach einem günstigen Hotel zu suchen. Nach dem günstigsten, um genau zu sein. Das ging auch immer relativ gut (vorbei waren die Zeiten, wo wir mit María im Kinderwagen in Alicante gelandet waren und erst dann, nach der Ankunft am Flughafen, nach einem Hotel für die Nacht suchten (ich kann mich immer noch an das Gesicht des Taxifahrers erinnern, der wirklich nicht amused war!).

Das war auch in Rom damals so. Das war schon unser zweites Jahr in Rom. Das zweite Jahr hintereinander und ich kann immer noch Nadines Stimme hören, wie sie sagte:

„Immer dasselbe.“


„Können wir nicht mal woanders hin fahren?!“


„Immer Spanien“ (ich weiß, Rom liegt nicht in Spanien, aber davor waren wir schon ein paar Jahre lang immer nur nach Spanien gefahren, immer an einen anderen Ort natürlich, aber ich glaube, das hing ihr trotzdem zum Hals raus).


„Da [und diesmal meinte sie Rom] waren wir doch schon letztes Jahr, in Rom. Können wir nicht mal woanders hinfahren…?!“

„Ok, wohin denn? Wohin willst du denn?“

„Nach Portugal zum Beispiel…“

ach, du Scheiße

Und dann laut: „Ach, du Scheiße! Da, wo die Maddie entführt wurde??!! Portugal ist die europäische Hauptstadt der Perversen. Das ham die damals gesagt, als die entführt wurde…“

nachher entführen die noch María

„…außerdem reden die so komisch. Ich versteh die gar nicht. Zum Beispiel der Freund von der Loreta. Oder Mann. Oder was der auch immer ist. Der ist Portugiese. Und den verstehst du überhaupt nicht…“

alle Portugiesen, die ich bisher kennengelernt hab, waren Arschlöcher, restlos alle

„Oder den Mario damals, auf der Schule. Der war ein Wichser…“

„Du und deine Perversen…"

„Wo willst du denn sonst noch hin?“

„Nach Griechenland.“

ach, du Scheiße, es wird ja immer schlimmer

„Zu den Griechen?! Ne, da fahr ich nicht hin. Nicht als Deutscher. Für dich ist das ja einfach (du bist ja keine Deutsche). Aber für mich. Nicht, dass die mich aufessen…“

„Nur, was du willst. Nur Spanien. Immer nur Spanien.“

„Ne, nach Rom, war doch schön da, oder nicht!? Ich will ja nicht von einem aufgebrachten griechischen Mob gelyncht werden, nur weil ich ein Bayern-Trikot trage. Oder beraubt oder beklaut…“

oder vergewaltigt

aufgegessen

„Näh, Griechenland kannst du vergessen. Und Portugal sowieso.“

„Aber warum wieder Rom?! Warum nicht nach woanders in Italien?!“

„Wohin denn?“

„Nach Neapel.“

oh Gott, das ist ja noch schlimmer

„Nach Neapel?“

haben dir das die Mafia-Ehemänner deiner lateinamerikanischen Freundinnen eingeflüstert, oder was?!
„Da ist ja überall Mafia…und Müll…“

„Du willst aber auch nirgendswo hin, wo ich hin will.“

wenn du nach Neapel willst

„Näh, ich will zur Mafia. Und auch nicht zu den armen Griechen…oder den perversen Portugiesen…außer Spanien gibt es ja auch kein vernünftiges Land in Europa.“

„Da willst du ja nur hin, weil…“

Ich wusste, was jetzt kommen würde. Das war immer das Gleiche. Immer das gleiche Skript. Jedes Jahr, wenn wir in Urlaub fuhren.

Aber am Ende einigten wir uns irgendwie immer auf ein Ziel, mit dem ich auch zufrieden sein konnte. Also weder Portugal, noch Griechenland noch Neapel.

Ich weiß, ich war irgendwie auch nicht besser als sie. Keinen Deut besser, ich weiß.
Aber auch nicht so viel schlimmer: Denn Rom war auch meinerseits ein Kompromiss, war auch nicht mein Traumziel gewesen. Obwohl es mir da gefallen hatte, im Jahr davor, zog es mich – wie jedes Jahr – eher weder nach Spanien. Es gab doch so viele Orte auf der iberischen Halbinsel, die wir noch nicht gesehen hatten. Oder nicht?! Aber das musste wohl warten. Denn dieses Jahr würden wir wieder nach Rom fahren. In die ewige Stadt, die Stadt unserer ewigen Liebe.

Die Pension „bel ami“ befand sich, anders als die letztjährige, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere, ein bisschen außerhalb. Das heißt, die war nicht irgendwo in der Vorstadt, im Ghetto, aber schon extra muris, also außerhalb der Stadtmauern. Aber nur knapp, denn bis zu selbigen waren es nur fünf Minuten zu Fuß. Die war in einem ganz normalen Wohnhaus, die Pension, aber die Eigentümerin machte uns gleich auf und gab uns einen Espresso zur Begrüßung. Natürlich erst nachdem sie uns gebeten hatte – in Vorkasse sozusagen – für unseren gesamten Aufenthalt in ihrem Etablissement zu bezahlen. Nachdem wir also bezahlt hatten, erklärte sie uns, dass sie gar keine Italienerin sei (ich hatte schon so was geahnt), sondern eine  Rumänin (daher die Vorkasse). Wir bezahlten und wurden brav auf unser Zimmer geführt. Ein Dreibettzimmer, wie immer, wenn wir verreisten. Mit einem großen Bett für mich und Nadine und einem kleinen, einer Pritsche für María. Was so viel hieß wie: Keinen Sex im Urlaub.

(Ich weiß immer noch, wie uns Nadine nur ein Jahr später fast dabei erwischt hatte, wie Nadine mir in diesem Bombenhotel in Barcelona einen blies, am Blasen war, als María unerwartet früh aus der Dusche kam. Das war vielleicht peinlich. Oder in Garrucha, wo ich so geilrucha auf meine Frau war, dass ich unbedingt mit ihr schlafen wollte, obwohl María im gleichen Zimmer schlief.)

Aber alles in allem war das zweite Jahr in Rom nicht mehr so spannend wie das erste. Keine Ahnung, woran das lag. Vielleicht hätten wir ja nach Neapel fahren sollen, haha. Uns für einen Tag von Mafia und Müllbergen faszinieren lassen sollen. Vielleicht wär der Urlaub ja dann spannender gewesen. Ich mein, er war jetzt auch nicht schlecht, aber der Brüller? Auch nicht. Wie immer fuhren wir zum Strand (das kann man in Rom für sage und schreibe 1 Euro!!! (daran sollten sich die Stadtwerke Bonn mal ein Beispiel nehmen), ich las auf dem Klo, am Strand und im Bett (kein Sex!) und wir gingen sogar wieder zu diesem Latino, wo wir ein Jahr vorher yuca gegessen hatten. Aber trotzdem…

Irgendwas störte mich. Irgendwas hatte mich all die Jahre gestört. Nadine war wie immer. Wir redeten und lachten viel wie immer. Und María genoss es auch, mit uns im Meer zu planschen. Wie immer.

Wie immer eben.

Aber vielleicht war es genau das. Das es eben wie immer war. Zwar Urlaub, der auf jeden Fall besser als Deutschland war, aber wie immer. Ich aß Pizza (die gibt es in Rom sogar frisch im Supermarkt), Nadine und María gingen shoppen, während ich brav vor jedem Geschäft stehenblieb und Rammstein hörte. War es Rammstein? Ich glaube schon. Diese harten Lieder, wie zum Beispiel Reise, Reise, die so herrlich in den Urlaub passen. Stand in diesen engen Gassen im Zentrum, unter der Sonne Italiens und hörte Rammstein. Und das passt besser zusammen als sie jetzt vielleicht denken mögen. Während Nadine und María von Geschäft zu Geschäft tingelten. Und ich überall diese Scheiß-Inter-Trikots sah. Ja, genau, das war das Jahr, wo Bayern das Champions-League-Finale gegen Inter verloren hatte. 2012. Das muss es gewesen sein. Unser letztes Jahr in Rom. Ein Jahr bevor wir wieder nach Spanien gefahren waren – diesmal zu Nadines Verwandten in Andalusien. Oder nach Pamplona (in dieses Bombenhotel…)? Ich glaube, nach Pamplona. Und Barcelona. Und Cádiz, in das ich mich auf den ersten Blick verliebte. Ja, ich glaube das war es. Die (buckligen) Verwandten kamen erst ein Jahr später. Oder zwei. Nachdem Bayern endlich wieder einmal das Champions-League-Finale gewonnen hatte und ich voller Stolz mein Trikot präsentieren konnte, wo ich mir zuvor nach Häme ohne Ende („ewiger Zweiter“) hatte anhören müssen.










Mittwoch, 19. Oktober 2016

Flüchtlinge









Ich sitze in der Kneipe, gucke Bayern – PSV und trinke ein Weizen. Ich hab jetzt seit Neujahr nichts mehr getrunken (seit ich aus dem Bus raus musste, weil ich die Fahrt nie geschafft hätte…und dann den ganzen Weg den Berg hochgelaufen bin, den ganzen Weg den Brechreiz und den Verdauungstrakt deines Körpers unter Kontrolle gehalten habe, nur um keine zwei Minuten zu kotzen und zu kacken, bis du nicht mehr konntest). Also lasse ich es heute langsam angehen, nippe nur leicht a meinem Bier, genieße das Spiel (nur ein fickiges 2:1 zur Halbzeit) und gucke mir die Nachrichten in der Halbzeitpause an (die haben noch nicht mal Sky hier und gucken das Spiel auf dem Zweiten!). Als dieser Typ, der neben mir sitzt und den einen oder anderen Bayern-Kommentar meinerseits gutgeheißen hat und mit mir angestoßen hat, plötzlich sagt:

„Was ich nicht verstehe…
...warum die alle flüchten. Ich mein, das sind alles junge Männer…warum kämpfen die nicht, warum verteidigen die nicht ihr Land, ihre Heimat, ihre Familie? Stattdessen kommen die hier hin…“

Er guckt mich an. Soll ich jetzt auch noch was dazu sagen, oder was?! Ich bin hier um Fußball zu gucken, ein Bier zu trinken und hab jetzt echt keinen Bock auf den Scheiß…

Aber wie immer lasse ich mich zu einer Antwort hinreißen:

„Da sind aber auch Frauen und Kinder dabei…“

Das hat er nicht erwartet, das sieht man an seinem Gesichtsausdruck. Aber wie immer bei mir hält das ihn doch nicht davon ab, weiter zu reden:

„Ja, ok, du hast recht“, sagt er und nimmt noch einen Schluck von seinem Bier. „Aber hier gab es ja auch Kriege. Wir hatten zwei Weltkriege hier! Ist da irgendjemand abgehauen?! Nein, die Deutschen haben gekämpft. Für ihr Land, ihre Freiheit, ihre Familie.“

Ja, aber das waren auch andere Zeiten…

„Ja, aber das waren auch andere Zeiten. Heute leben wir in einer globalisierten Welt...“

„Ja, ok, das waren damals echt andere Zeiten. Damals sind wahrscheinlich eher die Reichen, die Intelektuellen geflüchtet. Heidegger ist geflüchtet. Und Einstein. Und Freud. Die sind alle nach Amerika gegangen…

…aber trotzdem. Die Deutschen sind ja auch nicht weggelaufen. Die sind 1914 in den Schützengräben gestorben, die sind in Russland gestorben, im Atlantik versenkt worden…“

„Siehste mal“, sage ich mit einem genervten Lächeln, „wie doof wir sind. Wir hätten ja auch einfach weglaufen können.“

Er lacht, trinkt einen Schluck und sagt dann:

„Aber echt, ey: Wenn alle Deutschen abgehauen wären, dann wär der Hitler hier alleine gewesen. Aber die ham gekämpft. Die sind nicht in ein anderes Land gegangen und haben da die Leute noch belästigt, die Frauen…“

Der Gedanke an Hitler, der alleine versucht, die Rote Armee aufzuhalten, lässt mich innerlich lächeln. Aber trotzdem: Der Typ geht mir auf die Eier. Ich dachte, der wär nett. Das passiert immer. Du gibst denen den kleinen Finger und die wollen die ganze Hand. Außerdem kriegt der so nur Ärger. Die gucken schon, die von da drüben. Ich hab heute keinen Bock auf Ärger. Ich will nur Fußball gucken. Ich bin ja auch selber schuld. Warum gucke ich das nicht Zuhause. Das läuft doch bei den Öffentlich-Rechtlichen. Bei der Lügenpresse, wie der Typ sagen würde…

Aber ich habe einfach keine Ruhe verdient. Nach meinem halbwegs langen Arbeitstag.

„Aber eins hab ich gelernt: Ich kann echt keinen Respekt vor Typen haben, die hier auf dicke Hose machen, aber keine Eier haben, um ihr eigenes Land zu verteidigen, um für ihr eigenes Land, ihre Familie zu kämpfen… Warum geben die denen nicht für das Geld, was die hier kosten, jedem ein Gewehr und Ausrüstung und schicken die wieder zurück. Kämpfen! Die Männer zumindest. Die Frauen tauen dann bestimmt auch auf hier, wenn die erst mal alleine sind. Aber nein: Wer kämpft für die an der Front? Für die Kurden? Frauen! Und die Männer tun hier so, als wären sie Gottes Geschenk an Deutschland und besonders an die deutschen Frauen. Echt.“

Was soll ich jetzt dazu sagen, denke ich, was willst du hören. Aber zum Glück für mich und für ihn hat die zweite Halbzeit schon angefangen und ich muss nur mein halbleeres (oder halbvolles?) Glas in Richtung der Leinwand tippen und schon sind wir wieder im Spiel.

„Komm, Mann, das Spiel hat schon wieder angefangen. Das ist jetzt wichtiger!“


„Los, Bayern!“ Come on, motherfuckers.