Freitag, 19. April 2024

pa

 


Ich sitze in der Bahn in diesem Fahrradabteil. Mir gegenüber sitzt ein älterer Mann. Furchen im Gesicht, kurze, graue Haare, graue Haut an den grauen Fingern. Neben ihm sitzt eine Frau. Zuerst denke ich, dass das seine Tochter ist. Aber wie sie da sitzt ... Man spürt die Verbundenheit.

"Sehe ich eigentlich dir ähnlicher oder Mama?"

Er rückt näher, guckt sie sich ganz genau an, aber antwortet nicht. sie hält ihm ein Foto hin, er guckt immer noch. 

"Auf der Beerdigung haben die gesagt, dass ich Mama wie aus dem Schnitt geschnitten bin ..." 

sie sitzen beide schräg auf diesen seitlichen Sitzen im Fahrradabteil und ich denke nur: Was für eine Verbundenheit. Man spürt das förmlich. Das macht mich traurig. Ich habe diese Verbundenheit nicht. Warum auch immer. Ja, ich weiß, das ist bestimmt meine Schuld. Ganz bestimmt. Aber was willst du machen? Da mähste nix. Wieso kann ich nicht so ein Verhältnis mit meiner Tochter haben? Ich bin regelrecht neidisch. Später werde ich zu meinem Kollegen, der mich fragt, warum das damals auseinander gegangen ist, sagen: "Wie sagt das Beckett?! Wir wollen ja nicht ins Detail gehen ..."

Es liegt immer an beiden.

Wir fahren am Rhein bei Remagen vorbei und sie gucken aus dem Fenster. Er schlägt sein Bein über das andere, berührt sie fast. Da ist so eine Verbundenheit, Wahnsinn. Vielleicht, weil er nicht viel redet. Die Schweiger nehmen sich immer alles mit. Schweiger gewinnen immer. du bist kein Schweiger, zumindest nicht bei deiner Tochter. Bei allen anderen kannst du das. Passiv-aggressiv bis ins Mark. Eisiges Schweigen bis zum Tod. Zu deinem Tod. Nur bei ihr kannst du das nicht, willst auf Teufel komm raus die unangenehmen Gesprächspausen überdecken, so als müsstest du sterben, wenn du nicht weiterredest

Jetzt erzählt sie ihm sogar von ihrem Traum    und ich sterbe hier, auf dieser kurzen Fahrt von Remagen nach Godesberg. Sterbe tausend Tode, tausend Träume

Er hört nur zu, sagt nichts. Und sie erzählt. DAS IST ES!!!! GENAU DESHALB, 

weil er nichts sagt

"Ich war da ... und ich wollte das nicht ... ich tat das nur für die anderen ... aber ich wollte mit denen zusammen sein ... und ich hab mich versteckt, weil ich nicht kochen wollte, weil ich nur bei dem Kochkurs war wegen denen

Sie erzählt es ihm in dieser sanften, zärtlichen Stimme, bei der ich nur denke:

So eine Frau brauchst du.

Verstohlen guckst du rüber. Ich weiß nicht, wie alt sie ist, sehe sie nur von der Seite und ihre schwarzen halbkurzen Haare verdecken ihr Gesicht von der Seite. Sie wirkt jünger als du, aber sie könnte auch genauso alt sein. Der Vater dürfte ungefähr so alt sein, wie dein Vater jetzt wäre. Wenn er noch leben würde          

oder etwas jünger

Aber du siehst nicht, wie alt sie ist, erkennst es einfach nicht. Aber diese Stimme. 



Und sie erzählt ihrem Vater ihren Traum, sagt "Papa", als er aufgestanden ist, um etwas zu gucken. 

"Papa..."


"Ich lösche jetzt die Fotos, die nichts geworden sind ..."


Das lässt ihn aufhorchen. Er setzt sich wieder, schlägt wieder das die Beine übereinander, guckt auf das Handy, das sie ihm hinhält. 

"Die sind ja dann noch eine Zeit im Papierkorb




Warum habe ich das nicht



Das erste Lied, was du hörst, als du auf der Arbeit angekommen bist, ist "pa" von Tini Stoessel, die deutsche Vorfahren hat



Du postest es in deinem WhatsApp-Status und denkst dabei