Ich weiß noch…
…wo wir damals beim Chinesen
waren. An meinem 19. Geburtstag. Im Februar. Ich bin Wassermann, wie Sie
bestimmt schon an der Kompliziertheit meines Lebens gemerkt haben. Aber das ist
unwichtig. An meinem Geburtstag, diesem kalten, dunklen Februarabend gingen wir
zum Chinesen. Ich glaube sogar sie zahlte! Ich weiß nicht, ob ich sie da schon
meinen Eltern vorgestellt hatte (ich glaube schon, das müsste eigentlich schon
gewesen sein, sonst hätte ich meiner neugierigen Mutter ja erklären müssen, wo
ich hingehe, an meinem Geburtstag. Auch weiß ich nicht mehr, ob ich noch
Jungfrau war. Auch hier glaube ich, dass ich es nicht mehr war, aber das ist
mir heute egaler als damals. Damals war das ein Meilenstein! Endlich nicht mehr
Jungfrau sein zu müssen. Diesem doofen, portugiesischen Arschloch von Mario
endlich etwas entgegenzusetzen zu haben, der mir immer erzählte, wie er mit
seiner indischen Freundin „rummachte“. In seinem Auto (der war schon 21, als er
endlich das Abitur schaffte!), dessen Scheiben praktischerweise immer
beschlugen, auf irgendeinem Parkplatz, wo er ihn nach eigener Aussage noch
nicht mal richtig reinkriegte, nur die Spitze, die Eichel (oder wollte er mir
damit durch die Blume sagen, dass er so einen Großen hatte, dass seine relativ
kleine, indische Freundin, ihn gar nicht reinbekam?? – schließlich war das
damals noch die Zeit vor YouPorn, vor PornHub, vor Internetpornos, wo zwei
Hengste mir Riesendingern einer Frau im gleichen Loch rumwühlen und stochern,
und noch nicht mal immer im „normalen“ Loch! Da wusste man solche Dinge als
jungfräulicher Jugendlicher noch nicht!). Endlich nicht mehr Jungfrau zu sein
und dann diesem portugiesischem Arschloch nichts von seinen eigenen, ersten
sexuellen Abenteuern nichts zu erzählen, einfach zu sagen „der Gentleman
schweigt und genießt!“, wo der einem damals, noch vor kurzem, jede Einzelheit
erzählt hatte und sich dabei doch ach so cool vorgekommen war.
Auf jeden Fall gingen wir Essen.
Beim Chinesen. Da, wo ich vorher immer mit meinen Eltern hingegangen war. Der
Chef kannte mich sogar. Der war eigentlich voll nett. Zurückhaltend, aber nett.
Sehr höflich und förmlich – wie alle Chinesen –, sehr korrekt in seiner
schwarzen Weste und seinem weißen Hemd. Der hatte so eine Spezialität, der
Chinese: Zu jedem Gericht gab es ein aus Möhren geschnitztes Tier
beziehungsweise irgendeine Figur: einen Drachen, eine Frau, einen Mann, eine
Schlange, einen Vogel und so weiter. Die waren zwar glaub ich nicht essbar,
diese Figuren (zumindest habe ich es nie probiert), aber doch sehr schön. Fast
schon künstlerisch.
Der Chinese grüße mich zwar,
als wir reinkamen, denn er kannte mich ja, wie gesagt, aber diskret, wie immer.
Nicht so wie der Jugoslawe oder Kroate, der sich gleich zu uns an den Tisch
setzte, als wir bei ihm im Restaurant waren, irgendwann in unserer Anfangszeit.
Als wir gerade frisch zusammen waren. Als ich gerade frisch meine
Jungfräulichkeit verloren hatte.
Was der wohl dachte, der
Chinese? Vorher war der immer mit seinen Eltern da, mit seiner Schwester,
seiner Mutter und seinem Vater und jetzt mit dieser Frau. Dieser älteren Frau,
zumindest im Vergleich zu ihm. Der war ja noch keine 20 damals. Wahrscheinlich
noch ein Schüler. Keine Deutsche, keine Ahnung, wahrscheinlich eine
Südamerikanerin.
Wir guckten uns die Karte an
und bestellten dann ein Menü. Keine Ahnung warum. Vielleicht fanden wir nichts
anderes, was uns interessierte. Vielleicht wollte Nadine von allem etwas
probieren, keine Ahnung. Meinen finanziellen Rahmen überstieg as auf jeden Fall
bei weitem. Ich war ja damals noch Schüler, Abiturient und hatte eigentlich
fast gar kein Geld. Also lud mich Nadine ein. Ich protestierte noch ein
bisschen, denn das Gericht kostete locker 70 Mark (damals gab es den Euro noch
nicht), aber Nadine sagte, dass sie das bezahlen würde. Als
Geburtstagsgeschenk.
„¡Yo
te invito!“
„Ok.“
Das war voll geil, viel
besser als mit meinen Eltern, denn das Menü kam auf so einem Drehteil, das aus
verschiedenen Lagen bestand. Unten waren die verschiedenen Speisen und oben die
Saucen. Der Reis wurde extra serviert. Wir fühlten uns wie Könige, probierten
von allem etwas, aber hätten es nie geschafft, alles aufzuessen. Das war
einfach viel zu viel. Selbst für einen Scheunendrescher wie mich. Außerdem
wollte ich vor Nadine ja auch nicht gerade den Fresssack raushängen lassen. Zwischendurch
küssten wir uns immer wieder – wenn gerade keiner guckte. Obwohl wir am Essen
waren. Selbst beim Essen konnten wir nicht voneinander lassen. Wir lachten
spielten mit der Sauce und fütterten uns glaub ich sogar gegenseitig. Bis wir
irgendwann – draußen war es schon lange dunkel – bis wir irgendwann nicht mehr
konnten. Und den Rest zurückgehen lassen mussten. Eigentlich schade, aber
Wir waren so jung, so
unschuldig…
Oder nicht mehr ganz so, was
mich anging.