Urlaub: Ich bin dann mal wieder da...












 

"You can't repeat the past.

"



1. 

Deutschland 2008, kurz nach der verlorenen Europameisterschaft und lange vor dem deutschen WM-Titel…

 

 

„Komm, wir müssen, Mann! Wir müssen! Nadi! Mann!“

 

„Ne, wir haben doch noch fünf Minuten Zeit.“

 

Ich gehe noch mal alles durch: Der Kühlschrank ist abgetaut, die Sicherungen sind raus…. Bestimmt habe ich wieder irgendwas vergessen. Ich vergesse immer irgendwas. Mein Kopf ist wie ein Sieb. Ich werde alt.



 

„Oh, näh!“ Sie hält sich die Hand vor den Kopf. „Oh, näh!“

 

„Hast du den Reisepass?“

 

„Ja.“

 

„Hast du alles?“

 

„Ja.“

 

„Wirklich?“

 

„Jaaaa.“

 

Mann



 

„Boah, das ist nicht wahr!“


Deutschland! Das ist unglaublich.

„Was willst du die Regenschirme mitnehmen?? Nach Spanien, oder was?? Die María hat sowieso eine Regenjacke. Und ist nur hier die Haltestelle. Ja komm. Egal.“

Ich gucke nach oben zu der Wohnung im ersten Stock. Da ist noch Licht an. Der hat noch das Licht an. Der Doof. Hoffentlich sieht der uns jetzt nicht wie wir in Urlaub fahren. Dann weiß der, dass wir im Urlaub sind und bricht bei uns ein.

Zur Sicherheit gucke ich noch mal hoch zu dem hell erleuchteten Fenster. Steht aber keiner am Fenster. Obwohl, das kann man von hier unten sowieso nicht richtig sehen. Vielleicht steht der da hinten irgendwo. In sicherer Entfernung. Bestimmt hört der wieder irgendwelche komische Musik.

„Da ist unser Nachbar, guck mal da“, sage ich leise zu Nadine. „Der hat noch Licht an, siehst du das!?“

 

„Da is die Verrückte mit die Fenster auf. Mit Kerzen.“

„Echt? Hat der Kerzen an?“

 

 

Na und. Wen interessiert das? Wenn du geil auf den bist, dann klingle doch. Der macht dir bestimmt auf. Dann kannst du hier bleiben. Und ich fahre allein in Urlaub. Allein mit María. Oder ganz allein. Noch besser...

 

Das ist jetzt eh egal. Ab jetzt bin ich im Urlaub. Ab dieser Sekunde. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

 

Ich werde nass. Dieser Scheiß-Regen. Jetzt werde ich nachher noch krank vor Spanien. Und der Scheiß-Bus kommt schon wieder nicht. Wir stehen im Regen an der Haltestelle. Um zwei Uhr nachts. Stress! Schon wieder Stress. Vor dem neuen Herzzentrum. Wie schön. Ein Herzzentrum. Wie wohl mein Herz eine Erkältung vertragen würde? Scheiße. Damit will ich gar nichts zu tun haben, mit dem ganzen Scheiß. Ich fahre jetzt in Urlaub.

 

„Hast du wirklich alles, Nadi?“

 

„Jaaaa.“

 

Noch können wir zurück.

„Alles? Bist du dir sicher, ganz sicher?“ sage ich halb aus Verarschung.

 

„Ja!“

 

„Oh, Papa, du nervst!“

 

„Bis der Bus kommt bin ich eh tot.“



Endlich Urlaub. Ich bin aufgeregt. Muss ich nicht putzen gehen. Eine Woche. Ich muss alles essen aus Latinoamérica, latinoamerikanisches Essen. Ich muss alles kaufen. Filmes. Ich muss Sachens von Ecuador kaufen. Sachens von die Mari. Unbedingt. Is mir egal Andalusien. Ich hoffe, der Zug kommt pünktlich.



„Wir fahren zu den Europameistern. Scheiße.“

 

„Schade, ne.“

 

„Stell dir mal vor, wenn wir Europameister geworden wären. Dann hätte ich mir ein Deutschland-Badetuch gekauft. Dann ich alles mit der Deutschlandflagge gekauft. Wär mit der Deutschlandfahne überall rumgelaufen. Umgebunden, als Rock. Das wär bestimmt sexy gewesen. Ohhoooo!“

„Echt! Ich hätte die direkt in Spanien auf dem Balkon aufgehängt. In jeder Stadt. Die verdienen das nicht, diese Wichser. Scheiße, Mann. Die Scheiß-Deutschen. Alles drittklassige Spieler. Ich glaub, wir werden nie einen deutschen Welt- oder Europameister sehen.“

Diese Spanier, die im Auto vorbeifuhren. Hupend. Die Einzigen. Die Arschlöcher. Ich war voll sauer und hab denen noch was richtig Schönes auf Spanisch nachgerufen.


Ich muss suchen. Sachens mitbringen. Essen aus Ecuador. Wenn ich in Sevilla bin. Ich muss denken, was ich kaufen muss.

 



Der Bus kommt. Jetzt sind wir weg. Egal, ob die schreiben.

 

 

Wir müssen. Komm. Komm, Nadi. Wir steigen in den Bus ein. Nadine setzt sich direkt vorne auf den Vierer. Ich gehe aus Spaß einfach weiter, so als wollte ich mich alleine hinten hinsetzen: „Ich sitze nicht bei euch. Ich kenne euch nicht. Ich bin jetzt im Urlaub.“ Dann komme ich doch wieder zurück und setze mich brav zu meiner Familie auf den Vierer. Meine Familie. Wenigstens auf einen Einzelplatz – gegen die Fahrtrichtung. So kann ich mich wenigstens schön breitmachen. Ich bin jetzt im Urlaub. María ist noch müde, sagt nichts, guckt mich nur mit diesen riesengroßen, schönen Augen an. Ich gucke zurück. Mit meinen Glubschaugen, wie sie immer sagt.

„Waaas?“, sagt sie genervt. „Was isss?“

 

„Niiichts.“ Ich streichle ihr über den Kopf. „Nichts, Schatzi.“ Ich gucke weg, nur um eine Minute später wieder zu ihr herübergucken zu müssen.

Nichts. Nichts ist.

 

 

 

 

Gute zwanzig Minuten später stehen wir in der Bahnhofsvorhalle in Bonn, warten auf die Bahn. Mit den ganzen Koffern. Fein säuberlich neben uns. Urlaub. Urlaub. Ich bin im Urlaub. Geil! Und in zwei Tagen bin ich dann auch am Meer. Am Strand. Warum eigentlich erst in zwei Tagen? Scheiße. Aber egal. Nichts verdirbt mir heute die gute Laune.

 

„Die hat geile Beine!“

 

„Die sind fett.“

 

„Nein, die sind genau richtig.“

 

„Fett.“

 

„Quatsch.“

  "Wenn ich jetzt da oben sitzen würde, hätte ich bestimmt voll die Angst. Würde voll die Panik schieben. Stell dir das mal vor. Vier Meter über dem Boden. Ich würde mich keinen Zentimeter bewegen können.



"Ich freue mich schon voll auf den Urlaub", sage ich voll aufgedreht zu Nadine. Mein MP3-Player ist rappelvoll mit Musik. Mit schwarzkopierter Musik. Kein Megabyte Platz mehr! Für den Urlaub. Alle meine Lieblingslieder. Im Moment laufen die Toten Hosen. Ich gebe María "Zehn kleine Jägermeister" zum Hören.

"Geil, ne?!", frage ich sie. Ich gucke in den Spiegel an der Decke der Eingangshalle.

"Von hier oben sehe ich gar nicht so dick aus..."





Eine Pennerin fragt mich, ob ich ein paar Cent für sie habe. Ich habe nichts. Kein Geld. Geh arbeiten, denke ich. Geh ich ja schließlich auch. Zumindest halbwegs. Mir schenkt auch niemand was!

Auf einmal kommen die beiden Mädchen noch mal an mir vorbei. Buena Vista Teil 2. Ich trau mich noch nicht mal hinzugucken. Als sie vorbei sind und mich nicht mehr sehen können, gucke ich dann aber voll, starre auf ihre nackten Beine, ihre kleinen Ärsche. Booaah, ich sterbe.

Drei Schwarze, ein Mann und zwei Frauen, laufen mit Koffern an uns vorbei zum Bahnsteig.

   "Guck mal da, Nadine. Bei denen sind die Frauen dick und die Männer ganz dünn. Woran das wohl liegt?", sage ich mit einem Lächeln auf Spanisch.

   "Die Schwarzen sind

   "

Sie sagt nichts, hört mir eh nur halb zu. 

   Mit "eher arschlastig", oder was?!"

Ich bin heute irgendwie voll aufgedreht. Auf meinem MP3-Player läuft Coldplay. Ich dreh ihn voll auf. Das ist so geil, dieses Lied. So schnell, das ist der Wahnsinn.

Wir sind noch nicht tot.

Ja!

Manchmal kann das Leben auch geil sein. Man muss es eben nur lassen. Man muss es eben nur zulassen. You gotta let go, you bastard. Wie zum Beispiel heute. Ich tanze sogar leicht um die Koffer herum. Der Tanzbär ist los.
Jetzt ist sogar der Tanzbär los.


But that was when I ruled the world



Diese Tempowechsel. Wahnsinn! Das Lied explodiert förmlich in meinen Ohren. Immer wieder wird es schneller und dann wieder langsamer.


People couldn't believe what I'd become

 

Was ist aus mir geworden? Nichts. Egal, jetzt bin ich im Urlaub. Im Urlaub von mir selbst.


For some reason I can't explain 

I know Saint Peter won't call my name 


Wer ist eigentlich Saint Peter? Ich bin bisher zu faul gewesen, es nachzugucken. Wie immer. Typisch Larson.

Egal, der rettet mich auch nicht. Auch ich war nicht ehrlich zu mir selbst, warte immer noch auf dieses doofe Schreiben von der Uni

obwohl ich ganz genau weiß, dass das nicht sehr realistisch ist


Never an honest word

 

"Im Urlaub sind wir alle Schweine. Deutsches Sprichwort, Nadine, hörst du?! Die sehen wir eh nie wieder..." Das beste deutsche Sprichwort aller Zeiten...

Trotzdem werde ich mich auch diesmal ganz ordentlich benehmen und keinen Spaß haben. Deutsches Sprichwort, Nadine: Von nix kommt nix! Du kannst noch nicht mal Alkohol trinken. Wegen der Tabletten. So'n Scheiß.

   "Boah, Nadine. Wenn ich Alkohol trinken dürfte, würde ich mir jeden Tag die Birne zukippen. Dann würdest du mich nicht einen Tag nüchtern sehen. Nur Wodka und spanisches Bier. Kein Alkohol ist auch keine Lösung! Aber das geht ja jetzt nicht. Du musst vernünftig sein. Junge. Dann hast du noch weniger Spaß als sonst. Das tendiert schon fast gegen Null. Wenn die Spaßlinie deines Lebens gegen Null geht. Wie war das noch mal im Fight Club...?

...näh, das war die Lebenslinie. Die wird auch bald gegen Null gehen. Keine Angst. Buhuuuuuuuuu! Eine Runde Mitleid. Aber die Spaßlinie wird ja nicht gegen Null gehen. Zumindest nicht ganz. Du bist ja jetzt im Urlaub. Der wird bestimmt voll spannend. Wir können zwar nicht abends rausgehen, aber trotzdem...

...wir können zwar nicht in die Disko gehen, aber trotzdem...

...wir können zwar keinen Sex mit Unbekannten haben, aber egal...

...außerdem gibt es gar keine Spaßlinien. So ein Quatsch. Im wahren Leben gibt es gar keine Spaßlinien. Das ist alles nur Fiktion. Hollywood...




Um 00:32 kommt der Zug nach Köln. Pünktlich, fast pünktlich. Eine Minute zu spät, aber egal. Fängt ja gut an. Nachts werden die ja wohl kaum zu spät kommen, aber trotzdem.

   "2000 Jahre tragen die Männer schon die Koffer für die Frauen. Heute bist du dran!", sage ich zu Nadine und sie nimmt echt die beiden Rollkoffer. Geil! Es wird immer besser. Stimmt ja auch, das mit den Männern.

   "Komm, wir müssen. Urlaub, Urlaub!" Jetzt bin ich weg aus Bonn. Endlich. Diese ganze Scheiße hier. Nur die Talentlosen und Faulen bleiben in Bonn. Und die Rentner.

In der U-Bahn nach Köln mache ich mich voll breit. Noch mehr als im Bus. Da sieht einen nämlich keiner. Im Urlaub brauche ich Platz. Viel Platz. Luft zum Atmen. Sind eh fast keine Leute im Zug. Ich drehe den MP3-Player auf. Die Toten Hosen. So geil. Die sind geil für den Urlaub. Mehr davon. Gebt mir mehr... "Hör mal, Nadine! Das ist geil!" So hören die sich live an, sage ich auf Deutsch.

    "Im Urlaub redest du kein Spanisch mehr! Nur noch Deutsch! Üb schon mal!"

Sie lacht nur. Kein Kommentar.

   "Mehr davon", säusle ich ihr ins Ohr. Mehr davon. "Ich will mehr..."


Irgendwann ließ die Wirkung dann immer schneller nach. Ich war plötzlich. Tag und Nacht denke ich nur noch an dich, seitdem ich weiß, dass es dich gibt. Weil meine Welt sich nur noch um dich dreht.

Gebt mir mehr!! 


Ich gebe ihr die Kopfhörer. Hörst du das?

Ich will mehr...

   "Das ist das, was ich wil, Nadine!"

Sie sagt nur: "Du kannst es! Keiner hält dich auf."

Stimmt. Wer hindert mich eigentlich daran? Das Kind                   nein, tut sie natürlich nicht. Nicht mein Schatzi. Stimmt gar nicht. María doch nicht.
   
   "Ich versteh nicht", sagt sie nach kurzer Zeit. Die hat bestimmt noch nicht mal richtig hingehört. Wie immer.
   "Ne??? Ist doch ganz einfach: Ich will mehr. Gib mir mehr! Mehr Sex, mehr Geld, mehr Speed, mehr Ruhm, mehr Hass, mehr Macht... So einfach!"

  "Papa ist heute lustig..."

Ja, da siehst du mal! Kann ich auch - noch.


Ich starre meiner Frau lüstern in den Ausschnitt, so als wäre sie nicht meine Frau. Geile Titten. "Nadi", sage ich und ziehe die Augenbrauen mehrmals nach oben, während ich meinen Blick auf ihrem Dekolleté lasse. "Ooooh. Heiß..."

Ich drücke die Lieder auf dem MP3-Player weiter. Bei "Nichts bleibt für die Ewigkeit" bleibe ich stehen.

   "So hören die sich live an, Nadi!"


Jeden Tag stirbst du ein bisschen mehr. Jeden Tag. Jeden Tag stirbt ein Teil von dir.  Jeden Tag schwindet deine Zeit. Jeder Atemzug kostet dich Sekunden. Schmeißen Jahre von uns weg...


Ich habe so viele Jahre vergeudet. Vergeudet an sie. Und jetzt fahre ich auch noch da hin.

Das ist nichts für den Urlaub, das Lied. Zu düster. Obwohl das abgeht wie Sau, live. "Paradies" ist besser.  


Ich will nicht ins Paradies, 

wenn der Weg dorthin so schwierig ist

Wer Messer und Gabel richtig halten kann
Dessen Chancen stehen nicht schlecht...

Wer sich brav in eine Reihe stellt...


Ich war immer brav. Mein ganzes Leben lang. Und jetzt bin ich schon 31. 31 Jahre lang brav.


Ich will nicht ins Paradies

Ich will nicht ins Paradies.

 

Ein neues Lied fängt an. Kenn ich noch gar nicht. Komisch. Hat aber nen geilen Text.


Als ich wieder mal das Textbild seh
Fällt die Bude mit auf den Kopf.
Ich kämpfe mich durch den Müll,
renn aus dem Haus wie schon so oft.

Einen Haufen falscher Freunde
Eine Arbeit, die mir nicht passt
Und ich frage mich seit heute,
Wie ich's so lang ausgehalten hab.

Heute Nacht werde ich losziehn
Ich verlasse diese Stadt.
Alles, was ich hab, lass ich hier stehen,
fang woanders von vorne an. 


 

Am liebsten würde ich diesen Text so laut ich kann mitsingen. Aber ich bin ja brav. Außerdem bin ich noch in Deutschland.
 Obwohl, in Spanien werde ich mich wahrscheinlich auch nicht viel anders benehmen. Ich werde mich auch nicht besser benehmen.

Ich habe nur noch einen einzigen Wunsch,
nie wieder stillzustehen.

Niemals werde ich von dir gehen. Jetzt fahre ich in dein Land und habe all diese Jahre verloren. Buhuuuu. All die ganzen Jahre...


An uns rauscht das Niemandsland zwischen Bonn und Köln vorbei. Dort, wo hinter Tannenbusch und Hersel, Dörfer wie Uedorf und Urfeld auf Industriegebiete außerhalb der beiden Großstädte treffen. Bis das Ganze in Wesseling, mit seinen Chemieanlangen und Raffinerien, ein jähes Ende findet. Heute, wo ich in Urlaub fahre, ist das gerade so ertragbar. Aber an normalen Tagen. Das zieht sich so Hammer, diese Strecke, mit all diesen Dörfern. All das Leben. Nachts. Hinter den Fenstern und Türen (wo um diese Uhrzeit kaum noch Lichter an sind). Die Reihenhäuser, Autos, Garagen, Vorgärten, Hecken, Schaukeln. Alles geordnet. Dieses geordnete Leben. Diese Spießigkeit. Diese Leere. Ein Leben, das du so nie wolltest, für dich. Mit Familie, Frau...und genau.

Obwohl Wesseling ja nachts eine gewisse Magie nicht abzusprechen ist. Mit all den Lichtern zwischen diesen tausenden und tausenden von Leitungen, Röhren, Leitern, Schornsteinen, Türmen und Gängen. Zumindest, wenn man nicht aussteigt. Aber irgendwie hat das auch was Dreckiges, diese ganzen Chemieanlagen. Man erwartet bissigen Geruch, Schwaden von undefinierbarem, giftigem Zeugs.


Und genau in diesem Moment fängt Viva la vida! an. Was für eine Ironie. Mein Arsch. Me fuckin arse

Ich gucke zu meiner Frau rüber, die meine Tochter auf sich liegen hat und müde zu mir rüberguckt.


Walk on with hope in your heart and you never walk alone


So geil! Ich bin die letzten zehn Jahre nicht mehr alleine gelaufen. Es wird mal wieder Zeit.

Nadine guckt mich komisch an.

   "Wenn ich müde bin, dann quillt mein Gehirn über. Aber wenigstens bin ich dann lustig. Ne, Nadine?!" 

Ich drücke weiter.


Wir werden Weltmeister, Weltmeister sein

Die Deutschen sind depressiv, was ist bloß schiefgelaufen?

Die meisten Menschen sind nicht schön

Sie haben eine Scheiß-Figur

Schön sein und ein bisschen obszön sein,

sagt die Frau zu dem Mann:

"Hey Schatzi, was will man mehr?"

"Reich sein", denkt der Mann dann,

Weil er ist Prospekteverteiler

Und wär' gern Millionär

 

 

 

Kurz vor Köln wacht sie auf, hat die Kapuze noch immer über den Kopf gezogen, guckt mich an. Ich sehe ihre  Titten, ihre Gürtelschnalle, denke an ihre Muschi, 'tschuldigung, ihre Vagina, dieses schwarze Loch, das dich anguckt, das dich anzieht, bis sie es wieder wegzieht



gib es mir



¡Dámelo! ¡Dámelo! ¡Dámelo!

 

so dunkel

 

so dunkel an den Rändern, so faltig und so rosa im Inneren. Zartrosa. Aggressiv pink.

 

Als wir im Kölner Bahnhof aussteigen, wackel ich unbeholfen mit dem Hintern und sage nur: „Schön sein. Und ein bisschen obszön sein. Ich wär gern Millionär…“ Sie verstehen mich nicht, gucken mich nur komisch an.

„Im Urlaub bin ich nicht depressiv. Nur zu Hause. Ich bin jetzt im Urlaub.“

Wir gehen die Treppe runter, zum Ausgang.

 

Wir setzen uns in den McDonalds. Scheiße. An meinem schwarzen Hemd ist zum x-ten Mal einer der Knöpfe aufgeplatzt. Wie peinlich. Ich fühle mich wie eine Wurst. Eine Siedewurst. Wie bei María, der Freundin von Nadine, unserer Nachbarin, haha. Bei der platzt auch immer alles raus. An der Bluse. Unter der Bluse. Und ja, das war sehr sexy bei der, bei der Nacktbarin, all diese Haut, dieses Fleisch unter der Bluse, menschliches Fleisch, pralles, menschliches Fleisch. Der flüchtige Blick, den ich durch die Öffnung hindurch auf ihren BH erhaschen konnte. Spitze!

Aber bei dir ist das was ganz anderes...all die Haare, all das herausquellende Fleisch. Aber vielleicht ist das ja sogar sexy, ich meine für Frauen und so, das nach Freiheit strebende Brustfleisch. Aber vielleicht auch nicht, wer weiß das schon. Deshalb mache ich den Knopf lieber ganz schnell und ganz verstohlen wieder zu, bevor es jemand merkt. Das ist immer derselbe Knopf, der aufgeht. Da, wo der Bauch am meisten spannt. Aber ich glaube, keiner hat es gemerkt. Wie peinlich, trotzdem. Zur Sicherheit gucke ich noch mal, aber keiner guckt zurück. Eigentlich schade.

"Von hier bin ich nach Brüssel gefahren. Con la gorda. Mit der Dicken."

Wir lachen.

Danke. Die Dicke!


 

 



 

***




Beim Einchecken steht eine spanische Familie mit zwei Kindern vor mir. Die eine Tochter, die bestimmt schon 16, 17 ist, klammert sich voll stark an den Vater, der gar nichts von seiner faltigen Frau wissen will. Jesús, sagt sie zu ihm. Jesús. Sie sagt irgendwas, was ich nicht verstehe. Sie drängt sich richtig an ihn mit ihren kleinen Tittchen. Papi. Süß. Ich starre sie voll an. Hoffentlich merkt ihr Vater nichts. Oder ihre Mutter. Du musst dich konzentrieren. Larson. Die liebt ihren Vater voll, küsst ihn auf die Backe.

 

Im Flugzeug sind die Sitze nicht nummeriert, obwohl auf den Boarding Cards Nummern drauf sind. Also habe ich Reihe 51 komplett umsonst gesucht. Ich dachte auch schon, komisch, Reihe 51? Wo es doch hier nur bis 25 geht. Wir können uns irgendwo hinsetzen. Egal wo, sagt die Stewardess.

„Komm Nadine, schnell! Einen Dreier!“ Einen flotten Dreier, Nadine.

Wir finden drei Sitze ungefähr in der Mitte des Flugzeugs. Direkt an der Tragfläche. Die sieht so dünn aus, keine Ahnung, wie die das Flugzeug in der Luft hält. Egal. Ich setz mich eh nicht ans Fenster.

 

„María, du kannst dich gerne ans Fenster setzen.“

 

„Jaaaa!“

 

Nadine setzt sich in die Mitte. Sie lacht mich an, zeigt ihre Zähne, guckt nervös.

Ich sitze ganz außen, am Gang. Das sieht hier alles schon ziemlich dürftig aus, bei Ryan Air. Keine Zeitungen, keine Netze an der Rückseite der Sitze. Nichts. Und dieses komische Blau der Sitze macht die Dinge auch nicht besser.

 

„Meinst du, das ist Leder?“ frage ich Nadine.

 

„Bestimmt.“

 

Bestimmt nicht.

 

Das Einzige, was da ist, sind die Sicherheitshinweise.

 

Safety information

 

Und die sind tatsächlich lesenswert, bei Ryan Air. Beziehungsweise die Bildchen sind sehenswert. Lustig sogar. Denn auf dem Bild mit der Notrutsche ist eine Frau zu sehen, die vom Flugzeug weglaufen soll, aber aussieht, als würde sie gerade Joggen gehen. Mit dieser typischen Armhaltung, die Jogger so haben, wenn sie die Ellbogen vor dem Körper anwinkeln und sich voll und ganz auf das Laufen konzentrieren. Die finde ich immer wieder lustig, diese Frau, wie sie so locker vom gerade abgestürzten oder gewasserten Flugzeug weg joggt. Das ist die richtige Einstellung! Immer cool bleiben. Das hat was.

 

„Guck mal raus, Papa“, sagt María plötzlich.

 

„Lieber nicht. Das sieht hoch aus. Und wacklig. Scheiße, die Tragfläche bewegt sich ja. Scheiße, die Tragfläche brennt ja. Scheiße, das Triebwerk ist gerade abgefallen.

 

„Ist das eigentlich Glas?“

 

„Bestimmt. Guck mal, das ist ja ne doppelte Scheibe. Das ist ja‘n Loch drin. Sonst würde ja auch der Druck in der Kabine abfallen…“ Dann würden die Masken runterkommen und ich müsste die mir zuerst aufsetzen. Und wenn ich das dann nicht mehr schaffen würde, würdest du keine bekommen. Bei Nadine würd das nix machen.

 

„Guck mal, hier spielen auch welche Gameboy!“

 

„Mmh. Sehe ich.“

 

 

In der Luft sage ich irgendwann leicht nervös zu ihr: „Absturz, María, Absturz! Hahaha.“

 

„Haha, Papa. Haha.“

 

 

 

***






Der Flug war gut. Ich fand cool, als der Mann das vorgemacht hat. Die Bewegungen. Nur das es kein zu essen gab war doof. Die haben die Sicherungen auf Englisch gesagt. Da musst ich da hingucken, mit der Jacke und so. In meinem Bauch hat es gekribbelt. Am Start. Der Flug war langweilig. Ich konnte nicht schlafen. Der Junge hat mich die ganze Zeit angeguckt. Der sah aus wie Oliver aus dem Kindergarten. Und die Mama auch angeguckt. Dann hat die auch gelacht. Ich hab Wolken gesehen. Ganz viele. Ich hab Landschaften gesehen, aber ich wusste nicht, was das ist. Nur das wir abstürzen hatte ich Angst. Absturz. Als wir fast angekommen waren, mussten wir uns anschnallen, bis das Zeichen ausgeht. Das hat lange gedauert. Ich hab kleine Autos gesehen, bevor wir gelandet sind. Am Ende hab ich gesehen, dass die Flügel aufgegangen sind.


000


Ich gucke Cuéntame cómo pasó und erinnere mich daran, wie ich mit ihr und unserer Tochter immer am Strand war, in Spanien. Natürlich waren wir keine typische, spanische Großfamilie, aber trotzdem war das immer schön. Die erste Begegnung mit dem Meer, nach dem Stress der Anreise. Das kalte Wasser, der Atlantik, sich einfach da hinsetzen, sich gegenseitig nassspritzen, sie im Badeanzug. in ihrem schwarzen Badeanzug. Ob sie den noch hat? Sie berühren, die Haut, ihren Körper unter dem Badeanzug spüren, sich gegenseitig eincremen. wie wir im Bus Super Mario gespielt haben, ich und meine Tochter, jeder ein Leben. 

"Nur ein Leben!"

"Hey, das sind zwei!"

"Nein, eins."




Fortsetzung folgt...jeden Tag ein neuer Satz!