Dienstag, 31. Januar 2017

Telefonieren nach Hause










Ich weiß noch, wie wir damals beim Bund immer miteinander telefoniert haben. Meistens hab ich sie angerufen, aber manchmal hat auch sie mich angerufen, in der Telefonzelle in der Kaserne. Da muss so ungefähr im September 1996 gewesen sein, wo ich in der Grundausbildung war und noch in Koblenz stationiert war. In der Gneisenau-Kaserne war das glaub ich. Bei den Panzergrenadieren. Ich weiß noch den Spruch, den die damals hatten: Du bist kein Mensch, du bist kein Tier, du bist ein Panzergrenadier. Manche meinten das natürlich ironisch oder als Witz, aber ich glaube manche von den Leuten da meinten das durchaus ernst. Waren stolz darauf. Da war so ein türkischer, das heißt ein deutsch-türkischer Feldwebel, der immer mit den Rekruten singend durch die Kaserne rannte. Wie in Amerika. Wie in diesen Filmen. Keine Ahnung, was der sang, aber das machte natürlich Eindruck.

Eigentlich hätte ich ja auch gar nicht dahin gemusst, denn ich war eigentlich für Hamburg vorgesehen gewesen. Für die Marine. Und zwar nicht nur für die Grundausbildung, sondern für meine gesamte Bundeswehrzeit. Womöglich noch auf einem Schiff, keine Ahnung. Aber mein Vater, der einen 2-Sterne-General kannte, dem er das Auto reparierte, hatte das so eingerichtet, dass ich in Bonn bleiben konnte. As heißt, zuerst musste ich, wie gesagt, nach Koblenz, denn in Bonn gab es keine Grundausbildung. Nur das Verteidigungsministerium und die machten keine Grundausbildung. Worin auch? Nur eine Wachausbildung. Und in Siegburg war das Wachbataillon. Was laut des Generals, der mich sogar in meinem Aushilfsjob bei Deichmann extra anrief, nicht zu empfehlen war, weil die Grundausbildung da um einiges härter wär als in Koblenz. Und man später noch ohne Ende Wache schieben musste, was im Verteidigungsministerium nicht der Fall war, denn – Sie ahnen es – da übernahm das Wachbataillon freundlicherweise die Wache für uns. Also war die nächstgelegenere Lösung Koblenz für die Grundausbildung und Bonn danach. Der wahre Grund, warum ich meinen Wehdienst in Bonn ableisten wollte, war nicht etwa, weil ich so nah wie möglich an meiner Heimatstadt oder an meinem Elternhaus sein wollte, sondern ein anderer: Denn ich wollte nicht von Nadine getrennt sein, die ich ja erst Anfang des Jahres kennengelernt hatte und mit der ich jede frei Minute verbrachte und mittlerweile auch schon Spanisch sprach wie ein Südamerikaner. Warum mein Vater dann trotzdem, obwohl er ganz genau gewusst haben muss warum, das so gedreht hat, dass ich nach der Grundausbildung nach Bonn komme, weiß ich nicht, denn eigentlich mochte er meine Freundin, meine erste Freundin nicht besonders (ich kann mich immer noch an den Whiskey erinnern, den er trank, nachdem ich sie ihm vorgestellt hatte – etwas, dass er sonst nie tat). Ich weiß nicht, was er in ihr sah, was ich nicht sah und selbst letztes Jahr, als wir uns schon getrennt hatten, drückte er sich nur sehr vage aus, als ich ihn einmal darauf ansprach, was ihn denn an Nadine so gestört hatte.

„Die war doch sowas von falsch…“

Bis heute weiß ich nicht, was er mit diesem „falsch“ gemeint hat, aber ich glaube immer noch, dass er damals schon mehr wusste oder ahnte als ich… Trotzdem ärgerte mich das irgendwie immer noch, denn ich habe bis heute nicht begriffen, wie jemand „echt“ sein kann, der in seinem ganzen Leben keine 10 Worte mit mir gewechselt hat und nicht einmal ein ernsthaftes Gespräch über irgendetwas mit mir geführt hat. Keine Ahnung, aber irgendwas war da – sonst hätte er den Whiskey nämlich im Schrank gelassen (bei den anderen 20-30 Flaschen Hochprozentiges, die ihm Kunden geschenkt hatten und die da schon seit Jahren vor sich hingammelten; meine Mutter war dem Alkohol zwar nicht ganz so abgeneigt, trank aber nur Bier, Wein und Sekt, den sie immer dezent hinter dem Sofa versteckte).

Auf jedem Fall war ich aus Liebe zu meiner Frau in Koblenz gelandet, von wo aus ich sie Tag für Tag von der einzigen in der Kaserne vorhandenen Telefonzelle aus anrief. Wo ich jeden Tag, direkt nach Dienstschluss, in einer langen Schlange von Soldaten wartete, um für ein paar Minuten mit ihr sprechen zu können. Ihre Stimmt hören zu können. Natürlich auf Spanisch, denn so verstand mich auch keiner. Nach einer Weile fingen die anderen sogar an, mich den Spanier zu nennen, weil ich am Telefon mit meiner Freundin immer nur Spanisch redete. Darauf war ich irgendwie stolz. Einer – ich glaube, es war der Rechte aus Düsseldorf – glaubte mir sogar noch nicht einmal, dass ich Deutscher bin und ich versuchte ihn mit einem Lächeln auf dem Gesicht davon zu überzeugen, dass ich kein Spanier bin. In Bonn geboren bin (leider) und da auch mein ganzes bisheriges Leben verbracht hatte (leider). Ich fand das cool, weil es mich anders machte. Besonders. Heute – wo ich sicher geschieden bin – und das Ganze mittlerweile über zwanzig Jahre her ist, kann ich mir kaum noch vorstellen, über was wir damals so alles geredet haben. Keine Ahnung. Haben wir uns etwa für Minuten nur te quiero oder te amo gesagt?! Oder te quiero mucho, mucho, mucho… Kann ja wohl kaum sein. Selbst wenn man noch ein paar te extraños dazu nimmt. Ich vermisse dich wirklich. Denn Männer sind treuer als Frauen und ich war nicht einmal in Koblenz abends allein weg (obwohl ich das wegen dem Zapfenstreich auch nicht gekonnt hätte). Über was haben wir so viel und so lang geredet? All die Jahre? Ich weiß es nicht. Es ist wie verflogen, wie weg, hat keine Spuren hinterlassen.

Te amo

Te quiero

Te extraño

¿Qué estás haciendo?

¿Estás pensando en mí?

El fin de semana vengo…

Ciao


Aber Inhalte? Wo sind die Inhalte hin? Ich finde sie nicht mehr in den Bruchstücken meines Lebens, meiner Vergangenheit

sie sind weg

wie sie



für immer verloren

in der Zeit






Montag, 30. Januar 2017

Antonio Orozco, Hoffnung und dieses Scheiß-Leben











Ich gucke dieses Video von Antonio Orozco. Wo der auf der Hochzeit singt. Keine Ahnung von wem. Kenne ich nicht, aber der Typ sieht gut aus. Die Alte auch, aber nicht ganz so. Er gewinnt, weil er gleichgültiger sein kann. Weil er besser aussieht. Oder doch sie? Traue nie einer Frau, die sich traut. Selbst wenn sie, wie im Video, heult. Aber egal. Lassen wir das. Ich gucke das Video und höre, wie der singt. Wie der leidet. Und denke: Du kannst leiden so viel du willst, sie wird nie zurückkommen. Du kannst bis ans Ende der Welt leiden. Sie würde nicht zurückkommen. Nie. Keine Chance, du Wichser. Die Realität ist halt anders als Antonio Orozco. Du kannst es 50mal hören, in der Original-Version, in der Flamenco-Version, in der Fick-mich-in-den Arsch-Version…sie wird nie zurückkommen. Und die Hoffnung stirbt auch nicht zuletzt, denn sie ist schon lange tot. Kannst es hören, bis die Nachbarn die Polizei rufen, bis die Kühe nach Hause kommen, bis eure Tochter sagt „Das nervt, mach das mal aus!“...sie wird nicht kommen. Egal wie viel du leidest oder besser gesagt: Je mehr du leidest, desto geringer werden deine Chancen, dass sie überhaupt jemals wieder ein Wort mit dir spricht. Außer das klare Nein bei der Scheidung. Ihr letztes Wort.

…de tu vo’, de tu andar, del sentir, del de’pertar…
…e‘toy hecho de pedacito’ de ti…
…e’a lu’…
…el saber de que sin ti no soy na‘a
..que la noche fue gri’

Und obwohl du das weißt, das ganz genau weißt, du Wichser, hörst du das Lied immer wieder. Wie eine Beschwörung. Aber die Nacht hört nicht auf dich. Die scheißt auf dich. Und die Sterne sind blind, tot, schon lange weg, egal wie oft du zu ihnen aufschaust

Aber das ist wie mit diesem Scheiß-Leben. Wir wissen, dass es zu nichts führt, klammern uns aber trotzdem an es als wär es unsere letzte Hoffnung

weil es genau das ist

wir werden geboren
wir lieben
wir sterben

Noch einmal, nur noch einmal Antonio Orozco auf dieser Hochzeit, wo du noch nicht mal weißt, ob die überhaupt noch zusammen sind












Samstag, 28. Januar 2017

Ich krieg die Krise











Ist das normal, dass man manchmal eine Krise kriegt…dass man sich manchmal fragt, wozu mach ich das alles?“

Ist das normal, dass der mich das jetzt fragt, in der U-Bahn, nachts um zehn nach eins? Aber er soll seine Antwort haben, direkt nachdem ich auch mal mit den Augen gerollt habe (habe ich von meiner Tochter gelernt, die ist darin Weltmeisterin): „Wie alt bist du? Ich dachte, du wärst 35, nicht zwanzig oder so? Bist du noch zwanzig? Da hab ich mich das auch noch nicht gefragt…“

Als er schon fast ausgestiegen ist, probiere ich es noch mal. Bin ja schließlich fünf Jahre älter als der. Und scheinbar Lichtjahre von ihm entfernt, was persönliche Krisen angeht. Zuerst will ich fragen; Ist das normal, wenn man sich das nicht fragt? Aber dann lasse ich das, fahre weiter auf der passiv-aggressiven Schiene. Gebe ihm das Folgende mit: „Ne, eigentlich ist das nicht normal. Bei mir läuft das eigentlich immer alles ziemlich glatt…“ (…ich stehe morgens auf, mache mir Sorgen, gehe Einkaufen, mache mir Sorgen, geh eine Wohnung angucken, mache mir noch mehr Sorgen, laufe neun Kilometer durch den Wald zur Arbeit, esse Dosenfisch, kacke und kotze mir die Seele aus dem Leib [irgendwas stimmte mit dem Fisch nicht…oder war es die Kaffeesahne auf der Arbeit], überlebe es geradeso, kriege Trinkgeld, leere Aschenbecher, mache mir Sorgen, schmeiße den letzten Kunden hochkant raus, hetze zur Bahn und werde gefragt, ob das normal ist…ich glaube nicht normal ist es, wenn man sich das nicht jeden Tag ungefähr zehnmal fragt)…“dann machst du was falsch…vielleicht machst du das nicht richtig…“

Das war eine Retourkutsche von vorhin, wo er mir gesagt hat: „Wenn ich wollte, dann könnte ich Geld verdienen, richtig Geld zu machen ist ja nicht schwer …so 500-600€ am Tag…“

„Meinst du?“

„Ja, locker.“

Das hat er schon mal gesagt. Und du hast dich schon einmal gefragt: Warum machst du es dann nicht??

„Ja dann, wenn das so einfach ist…“ (ich denke an Drogen, Prostitution, Waffenhandel) „…dann hau doch mal rein, dann sag mir doch mal, wie das geht… Komm schon!“ (Ich krebse hier rum und werde von vorne und hinten und manchmal sogar von der Seite gefickt und du erzählst mir, du kannst 500-600€ am Tag machen…??“

Aber er guckt mich nur mysteriös – fast schon buddhistisch – an und lächelt. Sagt nichts. Und ich bin wieder der Dumme. Wie immer.

Schon ist er weg und ich denke: Mein Gott! Mein Gott








Freitag, 27. Januar 2017

I want to die









“And in that moment, he was finally able to accept it all. In the deepest recesses of his soul, Tsukuru Tazaki understood. One heart is not connected to another through harmony alone. They are, instead, linked deeply through their wounds. Pain linked to pain, fragility to fragility. There is no silence without a cry of grief, no forgiveness without bloodshed, no acceptance without a passage through acute loss. That is what lies at the root of true harmony.”(Haruki Murakami - Colorless Tsukuru Tazaki and His Years of Pilgrimage)








Freitagabend, nach der Arbeit, steigt er in I. aus dem Bus aus. Es ist schon dunkel. Stockdunkel. Wie sollte es auch anders sein?! Es ist ja erst Januar. Und scheißkalt. Kaum ist er aus dem Bus raus, denkt er: I want to die. Fast sagt er es sogar laut: I want to die. I want to die. Immer wieder. Und in diesem Moment, heute Abend, wo María nicht da ist, an diesem düsteren Freitag, meint er es sogar. I want to die. Er geht über die Straße, guckt sich um, um zu sehen, ob auch kein Auto kommt. I want to die. Das ist schon fast wie eine Beschwörung. Er hat keinen Bock mehr. Er hat echt keinen Bock mehr. Er betritt den Edeka-Markt auf der anderen Seite, schräg gegenüber von der Haltestelle, geht vorbei am Obst und Gemüse. I want to die. I can’t do it anymore. I can’t fucking do it anymore. Er holt sich Chips. Die Leckeren von Alnatura. Bio-Chips! Und Sauce. Bolognese-Sauce. I want to die. Er nimmt sich eine Tüte Chips, geht dann zur Sauce. Rein äußerlich ist ihm nichts anzusehen. Er ist geduscht, seine Klamotten sind sauber und seine Frisur ist, wie er gestern noch zu seiner Tochter (als sie noch da war) gesagt hat, die „genau die richtige Länge“. Die „beste Frisur aller Zeiten“, hat er mit einem gewissen Stolz gesagt, aus dem Bad kommend.
Nur innerlich sagt er sich immer wieder: I want to die. Und er sagt es nicht nur, er fühlt sich auch so, als er in der Dunkelheit in die kleine Straße abbiegt, in der er noch wohnt. I want to die. Das heißt jetzt nicht, dass er ernst machen wird, sich Zuhause in die Badewanne legen und die Klinge seines Rasierers den Rest  erledigen lässt. Das ist mehr so eine Feststellung. Eine präzise, aber gleichzeitig vage Feststellung seines derzeitigen Gemütszustandes. Eine objektive, sachlich-deutsche Feststellung. Noch nicht mal postfaktisch…

I want to die