Sonntag, 17. Juli 2016

Gut angekommen I








Abends, auf der Arbeit, öffnet er sein Google-Konto. Um zu gucken, ob seine Tochter ihm geschrieben hat. Keine Ahnung warum. Er hat nichts von einem Flugzeugabsturz gehört, also wird sie wohl gut angekommen sein. Keine Ahnung, warum er sich das antut. Er ist halt im Grunde seines Herzens ein Masochist. Manchmal auch ein Sado-Masochist, aber meistens eben nur Masochist. Was erwartet er eigentlich? Er ist natürlich nicht mitgefahren, nach Griechenland, weil er ja mittlerweile…lassen Sie mich nicht lügen…gute 16 Monate getrennt ist und heute endlich den Scheiß-Versorgungsausgleich in Angriff genommen hat. Also, was erwartet er. Details. Kann er haben:

Hallo
Ich bin gut angekommen hier. Hier ist es voll schön und sehr warm haha melde mich später nochmal.

Sie sagt ja nicht viel, aber das, was sie sagt, erfüllt seine Erwartungen voll und ganz. Ich meine, was hatte er auch erwartet?! Dass sie schreibt es ist hier voll Scheiße ohne dich und Trennungen/Scheidungen zerstören die Gesellschaft? Dann würde er sich erst recht Sorgen machen. so weiß er wenigstens, dass sie gut angekommen ist. Das ist doch schon mal was… Das wollte er ja auch nur wissen. Mehr nicht. Bitte keine Details. Aber gerade wenn man keine Details erwartet, kriegt man sie. Auf dem Butterbrot serviert. Immer mitten in die Fresse rein. Ich weiß auch, dass es da warm ist…, denkt er. Das ist ja kein Wunder, das ist ja auch Griechenland. Aber lustig finde ich das deswegen trotzdem noch lange nicht. Das Lachen ist ihm ohnehin schon lange im Hals steckengeblieben. Sein Vater würde jetzt mit der ihm eigenen Nonchalance sagen: „Ist doch schön! Soll sie doch einen schönen Urlaub haben…“ Genau: sein Vater! Soll er doch noch ein schönes Leben haben. Ist doch schön!

Er hat schon jetzt entscheiden, dass er nicht zurückschreiben wird. Kein Wort. Dann ist das eben passiv-aggressiv. Und auch keine Lösung. Aber was soll ich auch ernsthaft darauf antworten?! Toll, das freut mich, dass du gut angekommen bist und dass es so schön warm ist und überhaupt so schön…ist das Leben nicht wunderbar?! Ich glaube nicht, dass sie das jetzt braucht. Im Grunde genommen tut er ja genau das, was sein Vater sagt. Er lässt sie in Ruhe. Die Kinder trifft so eine Scheidung ja auch am härtesten. Die kommen direkt nach den von heute auf morgen verlassenen Vätern und Ehemännern. Aber die sind ja schließlich schon erwachsen. Bin ich das? denkt er. Irgendwie schon. Auf meinem Perso.

Toll, dass es dir so gut gefällt, im Urlaub. Das freut mich für dich. Dann fühle ich mich gleich…noch ein bisschen beschissener. Aber hätte nicht eine kurze Notiz gereicht. Meine Anwältin schreibt mir ja auch nicht direkt einen ganzen Roman, oder?!

Andererseits: Was regt er sich überhaupt auf?! Was regt er sich wieder mal künstlich auf. Er regt sich überhaupt viel zu viel auf. Immerhin sieht er sie ja bald wieder. An genau vier Tagen in der Woche. Ups, 3 ½ meine ich natürlich, wir wollen ja nicht, dass das zu einem unechten Wechselmodell wird.



Tage später denkt er immer noch über ihre Mail nach, die er immer noch nicht beantwortet hat.

…aber das „haha“ stört dich. Das stört dich. Echt.

Wäre es nicht genug gewesen, einfach nur zu schreiben, dass sie gut angekommen ist?! Denkt sie einfach nicht darüber nach, was ihre Worte in dir auslösen oder hat sie das extra eingefügt. Um dich zu ärgern, dich zu quälen. Das kommt schließlich in den besten Familien vor. Hat sie das etwa unbewusst-bewusst geschrieben? Oder ist das etwa sogar der Ausdruck eines tiefer liegenden Grolls dir gegenüber. Haha, ich zeig’s dir! Ich bin im Urlaub mit der Mama und du nicht! Du schmorst weiter depressiv in Bonn im eigenen Saft, während hier alles doch so „schön“ ist. Wie er dieses Wort hasst, „schön“. Genau wie dieser Typ aus The Beach das Wort „nice“ verabscheut. So hasst er „schön“ (das ist auch im Endeffekt ungefähr das Gleiche, „nice“ und „schön“, wenn man so drüber nachdenkt).

That’s nice!“ sagt er ironisch, in seinem fetten, schottischen Akzent, einen Abend, bevor er sich umbringt, in diesem Billig-Hotel in Thailand.

Haha, hörst du Tyler Durden dreckig lachen, im Keller des Gebäudes, das er in Kürze in die Luft sprengen wird. Es ist „schön“ hier, hahaha.

Oder zeigt sich in diesem „haha“ noch etwas ganz anderes?! Sowas wie: Siehst du Papa, ich kann auch ohne dich einen glücklichen Urlaub verbringen. Obwohl ich es nicht wirklich bin, glücklich nämlich. Sonst müsste ich dir ja schließlich nicht auf die Nase binden, ach wie toll es hier doch ist, in Griechenland. Sonst müsste sie dir ja nicht auf Teufel komm raus beweisen, dass es auch ohne dich das Gleiche ist, im Urlaub, weil es das ganz sicher nicht ist. Ist nicht gerade dieser Groll, diese offen zur Schau getragene Trotzigkeit ein Ausdruck ihrer Unfähigkeit mit der Situation umzugehen?! Klarzukommen. Einer Situation, die sie ganz sicher immer noch überfordert. Zu viel für sie, viel zu viel auf einmal. Sollte ich am Ende sogar Mitleid mit ihr haben, sie gar verstehen. Unbedingt! Sie ist ja auch erst 17. Noch nicht mal erwachsen. Das ist ja einer der Gründe, warum du das Wechselmodell willst. Weil sie auch deine Tochter ist und du das Beste für sie willst, ihr helfen willst, dass sei trotz allem ein gutes Abitur macht, glücklich wird


Vielleicht ist sie aber auch einfach noch jung, zu jung. Du warst doch auch mal jung, oder etwa nicht?! Jung und schön, haha. Da hast du auch nicht so über jedes Wort nachgedacht, was du sagst (denn geschrieben hast du ja damals noch nicht). Jedes Wort auf die Goldwaage gelegt – wie deine Mutter sagen würde. Nicht so wie heute. Da hast du bestimmt auch Leute verletzt, bist Leuten auf die Füße getreten, mit deinen Worten. Ohne es zu merken. Ohne darüber nachzudenken. Bestimmt auch Erwachsene. Und Leute haben dich verletzt, mit ihren Worten, haben dir wehgetan. Ohne darüber nachzudenken. Ist ja schon schön, dass sie dir überhaupt schreibt. Darüber solltest du froh sein. Du musst das nehmen, was du kriegst. Nach der Trennung und vor der Scheidung. Und das ist mehr als die meisten getrennten Väter kriegen. Genau halb halb. Sie von der Hüfte abwärts, ich aufwärts. Das ist sogar „fair“, obwohl du es natürlich nicht so empfindest (aber wer interessiert sich schon für deine Empfindungen, wer hat sich jemals für deine Empfindungen interessiert?!). Denn wie die meisten Männer willst du mehr…

Aber wahrscheinlich stimmt das auch nicht. Denn dich hätte das in dem Alter auch wenig interessiert, im Endeffekt. Da hattest du andere (zum Beispiel, wie und wann du endlich eine Freundin findest). Du hättest am Ende auch einfach deinen Urlaub genossen und fertig. Oder hättest du…? Immerhin sind ja deine Eltern nie getrennt gewesen.

Aber ist sie wirklich wie du damals? So ein bisschen schon…

Und überhaupt: Wie in alles interpretierst du da viel zu viel rein, denkst viel zu viel darüber nach. Wie über alles in deinem Leben. Wär ja schlimm, wenn sie so wär wie du…eine Grumpy Cat 24/7das wär dir dann auch wieder nicht recht. Oder?! Du willst eine Unmöglichkeit. Eine 17-Jährige, die dich versteht (und das, wo du das doch selbst nicht mal tust), sich aber gleichzeitig ihre jugendliche Vitalität, ihren Lebensmut, ihre joie de vivre bewahrt. Die eierlegende Wollmilchsau. Das kann sie ja gar nicht erfüllen! Selbst wenn sie wollte…