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Sonntag, 23. Juli 2017

Atemmaske











Nach dem Telefonat mit seinem Vater denkt er: Ich dachte immer das läg an mir, das läg nur an mir. Weil ich so eine bekloppte Mutter hätte, die in allem irgendwas Schlimmes sah…
…aber jetzt weiß ich, dass das nicht nur an mir liegt, dass hinter all diesem Schweigen wirklich etwas steckt, dass das nicht nur wegen meiner Beklopptheit ist, sondern dass sie, alle, wirklich etwas zu verbergen haben, dass sie, alle, mich wirklich hinter meinem Rücken verarschen, verarscht haben. Das ist wie Gisela gestern gesagt hat: "Wenn mir schon das verschwiegen wird, was wird mir dann noch alles verschwiegen, was ist dann noch alles da?"

Die Frage ist nur: Lohnt es sich überhaupt, das noch herauszufinden, lohnt es sich überhaupt noch, diesen Sumpf trockenzulegen, in dem ganz Bonn zu versinken droht? Oder soll ich die alle machen lassen, lass sie doch machen, du kannst doch eh nichts dran
Der Einzige, um den du dir Sorgen machst, Papa, der Einzige, um den du dir Sorgen machst bist du. Und deine schäbige Frau, meine Mutter. Um was macht er sich Sorgen? Und schon bin ich wieder dran. Ach, lass sie doch alle ihre schmutzigen kleinen Geheimnisse haben, lass sie doch glücklich werden damit, lass sie doch. Das ist irgendwann nicht mehr dein Problem. Du kannst die Welt nicht vor sich selbst retten, du musst dich erst mal selbst retten. Du musst dich erst mal selbst vor ihr retten. Vor "ihr", vor ihnen. Die werden sich nie ändern, du musst dich ändern! Jetztverstehst du das, was in den Büchern steht: Du musst dich erst um dich kümmern. Sollen sie doch alle… Das ist wie im Flugzeug: Da setzt du dir selbst auch zuerst die Maske auf, wenn es hart auf hart kommt. Im Notfall. Und das ist jetzt so ein Notfall... Oder willst du, dass es dir irgendwann so geht wie Chester Bennington. Von Linkin Park. Du bist jetzt 40. Irgendwann musst du mal damit aufhören, eine Welt zu retten, die sich nicht retten lassen will. Vor allen Dingen nicht von dir. Musst dich selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen. Dem Sumpf aus Lügen und Schweigen (und glauben Sie mir, Schweigen ist nicht Gold, in Wahrheit ist es viel schlimmer als Lügen, in Wahrheit ist Schweigen die schlimmste aller Lügen).

Die denken auch nicht an dich...

Nicht eine Sekunde lang...


Irgendwann kannst du auch nicht mehr. Irgendwann willst du auch nicht mehr. Irgendwann ist auch mal Schluss. Sollen sie doch machen, was sie glücklich macht. Sie sind ja alle erwachsen...


So wie du damals erwachsen warst, als deine Eltern dich aufgegeben haben...


Wir müssen alle unsere Fehler machen...aus denen wir hoffentlich lernen...

Jetzt ist es Zeit für dich zu lernen. Ich kann dir auch nicht mehr helfen, wenn es das ist, was du willst...













Samstag, 17. Juni 2017

Grüne Lämpchen am Ende des Tunnels













In M. steigt er extra ganz hinten aus der Bahn aus. Dann brauch er nicht so weit zu laufen. Nur diesen langen Weg an den Gleisen entlang und dann über die Schranke. Die um diese Zeit sowieso nicht mehr zu geht. Neben ihm, hinter ihm steigen auch diese zwei Typen aus der Bahn. Ausländer, Araber glaub ich, keine Ahnung, ob das Flüchtlinge sind. So zwei junge Typen Anfang zwanzig, wenn überhaupt, mit Muskelshirts, aber ohne die dazugehörigen Muskeln. Aber das ist ja egal, in diesem Alter. Am Anfang will er sogar extra hinten rum gehen, durch die Unterführung, nur um denen aus dem Weg zu gehen, weil die ihm komisch vorkommen. Aber dann entscheidet er sich doch dafür, an ihnen vorbeizugehen. Die Faulheit siegt also am Ende. Oder die Dummheit?

Die beiden bleiben an den Gleisen, unter dem Pfeiler der geschlossenen Fußgängerbrücke stehen. Als er an ihnen vorbeigeht, macht der eine so Affengeräusche. Wie ein Tier. Scheiße. Wenn die ihm jetzt nachgehen…

Bis zum Bahnübergang sind es ungefähr 200 Meter. Kein anderer nimmt diesen Weg. Nur er. Scheiße. Wenn die mir jetzt hinterherkommen. Hier hört dich keiner schreien. Wenn du überhaupt dazu kommst zu schreien. Mit deinem Laptop und deinem dicken Portemonnaie, dass du auch noch dummerweise in der Gesäßtasche deiner Hose hast. Dafür sterbe ich, für den Laptop… Hast du letztens auf der Arbeit gesagt. Zu Yasir. Ganz großspurig. Aber auf der Arbeit hast du auch einen Alarmknopf. Und ein funktionierendes Telefon. Bist du auf dem alten Telefon deiner Tochter (das du bis auf weiteres mit dir führen musst, weil du blank wie der Arsch von Kim Kardashian bist) die Nummer der Polizei gewählt hast, bist du schon lange tot – es sei denn, du kannst sie zum Warten überreden. Hold on a sec, mate… Hier nicht, hier in freier Wildbahn, wo diese beiden menschlichen Tiere deine Angst förmlich riechen können. Dann musst du eben kämpfen, dich verteidigen. Du guckst du der leeren Bierflasche in der Seitentasche deines Rucksacks. 8 Cent sind 8 Cent. Vielleicht könntest du dich ja damit verteidigen. Vielleicht hat Gott dich die ja extra mitnehmen lassen. Vielleicht hat Gott ja einen Plan mit dir. Oder ist alles nur Zufall, nur ein einziger, brutaler Zufall? Du gehst schnell, extra schneller, damit du einen Vorsprung hast, sollten sie doch noch hinter dir herkommen. Im Moment tut sich zwar nichts, aber du weißt, dass sie dich im Ernstfall einholen würden. Du bist nicht dünn und wendig wie sie, du bist ein Brecher; der am Ende seinen Mann stehen und sich verteidigen muss. Du bist jetzt fast an der Schranke, fast am Bahnübergang und traust dich gar nicht, dich umzudrehen, um nachzugucken, ob die noch immer da stehen, unter den Stahlpfeilern, in sicherer Distanz? Das Einzige, was du machen kannst, ist, in die Nacht hineinzuhorchen. Wie ein Hase, mit seinen langen Ohren. Du gehst über die Schranke, über die breite Landstraße und, auf der anderen Seite angekommen, denkst du: Wenn die jetzt kommen und Ärger wollen, dann kriegen sie den ganzen Frust der letzten zwei Jahre, was sag ich, der letzten zehn Jahre, ab. Aber es ist leichter, das auf der Arbeit zu sagen, wo du gut behütet bist, da ist es leichter zu sagen: „Der soll ruhig kommen. Dann kriegt er die ganze Wut, die ganze Frustration ab, die sich in mir aufgestaut hat. Soll er ruhig kommen!“ Wahrscheinlich denkst du das eh nur, weil du jetzt ziemlich sicher sein kannst, dass sie dir nicht gefolgt sind. Kannst du das? Du bist mittlerweile beim Penny-Markt angekommen, gehst an dem Parkplatz entlang, denkst: Hier sind überall Häuser. Wenn die dir jetzt doch noch hinterherkommen, dann schreist du einfach wie bekloppt. Darin hast du ja Übung: Das hast du schließlich deine gesamte Jugend Zuhause gemacht. (Was sollen denn die Nachbarn denken – mir doch scheißegal! Ahhhhhhhh…) Dann gehst du irgendwo rein, in einen dieser Hauseingänge und klingelst an allen Klingen Sturm – solange, bis dir jemand aufmacht. Oder schreist mitten auf der Straße wie am Spieß. Aber meinst du, dass dir wirklich jemand aufmachen würde, hier, in dieser Seitenstraße, mitten in der Nacht in M.? Vielleicht würdest du gar nicht dazu kommen, hier Sturm zu klingeln… Du gehst an einer Toreinfahrt vorbei und denkst: Scheiße, hier könnte ich gar nicht klingeln. Wenn die jetzt kommen würden müsste ich erst mal zum nächsten Haus laufen. Mitsamt Laptop und Rucksack. Oder eben…kämpfen… Komm schon, du könntest das, nachdem du eben diesen feurigen Hähnchen-Döner vom Türken. Den Griechen gibt es ja nicht mehr. Der hatte richtig Feuer dahinter. Da fingst du an zu schwitzen wie ein Tier, in der Bahn. Das war dir schon peinlich, obwohl keiner bei dir auf/im Sechser saß. Wie ein Tier! Sollen sie doch kommen! Trotzdem gehst du zügig über die Hauptstraße unterhalb des Kreisels. Guckst dich noch ein letztes Mal um, siehst aber niemanden. Selbst im Schein der Straßenlaterne auf der Ecke nicht. Puh, das wäre geschafft!, denkst du, als du am Netto vorbeikommst. Die Jugendlichen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Hier in M. Keine KKM! KK-Mafia, mein fetter Arsch!

Fast bist du sogar ein bisschen enttäuscht, haha. Dass du keine Chance hattest, deine angeschlagene Männlichkeit in dieser lauen Sommernacht endlich mal unter Beweis zu stellen. Ihnen den Kopf abzureißen und in ihren Hals zu pissen, diesen…

Um etwa zehn nach zwei schließt er endlich die Wohnungstüre auf und ist Zuhause. Endlich! Doch kaum ist er zur Tür rein, da fängt es in seinem Körper auch schon heftig an zu drücken. Das hat er öfters. Kaum ist er da, muss er auch schon auf Klo. Aber vorher noch schnell die Computertasche in Reichweite bringen, den Stuhl vor der Kloschüssel in Stellung bringen und…das Internet einstöpseln – und das alles mit zusammengekniffenen Arschbacken. Schließlich muss er ja noch nach seinem Blog gucken. Doch dann sieht er plötzlich, dass das mit dem Internet gar nicht mehr nötig ist. Denn alle grünen Lämpchen am Router leuchten bereits. Komisch…ich könnte schwören…

…dass ich das heute Nachmittag, als ich gegangen bin, ausgemacht hab. Um Strom zu sparen. Definitiv. Da hab ich sogar noch daran gedacht, dass sich die Uhr am Herd nicht ausstellen lässt und dadurch Tag und Nacht Strom frisst. Zwar nur kleine Mengen, aber das läppert sich. Er ist sich fast 100%ig sicher, dass er den Internet-Stecker rausgezogen hat. Oder war jemand hier? In seiner Abwesenheit? Werde ich langsam etwa bekloppt? Er guckt sich um, bemerkt aber nichts Auffälliges. Außer das Internet. Das hat er doch ausgemacht. Aber María hat doch gar keinen Schlüssel – zumindest nicht für die Wohnungstür. Oder? Und wenn sie ihn nachgemacht hat? Nein, das ist doch ein Sicherheitsschlüssel, den kann man doch gar nicht so einfach, gar nicht so ohne Weiteres nachmachen lassen. Dazu brauch man doch die Erlaubnis des Eigentümers. Oder nicht? Keine Ahnung.

…und wenn ihre Mutter den nachgemacht hat. Und hier extra das Internet angelassen hat, um ihn in den Wahnsinn zu treiben… Wie nennt man das noch mal in der Psychologie…? Gaslighting. Ja, Gaslighting, das ist es! Das kommt von irgendeinem Film, in dem ein Verbrecher tatsächlich seine Ehefrau in den Wahnsinn treiben will oder treibt, indem er permanent an ihrer Wahrnehmung zweifelt, Dinge verstellt beziehungsweise absichtlich verlegt, ein ausgeschaltetes Router in der Abwesenheit des Ex-Mannes wieder einschaltet etc… Oder eben die Existenz des Gaslichtes, das Bella (was für ein schöner Name!) in dem Theaterstück sieht, bezweifelt. Gaslighting eben. So nennt man das in der Psychologie. Indem man dem Opfer, das wie er eh schon ein bisschen labil ist, langsam den Glauben an die Dinge, so wie sie sind, an die Realität selbst, nimmt.

Oder ist das doch nur ParanoiaParanoia hervorgerufen durch die Realität seiner Trennung, die sich nicht mit seinem Wunschdenken, seinen Sehnsüchten in Einklang bringen lässt Es kann ja auch sein, dass er tatsächlich vergessen hat, das Router auszuschalten, obwohl er sich felsenfest sicher war, es ausgeschaltet zu haben. Um Strom zu sparen. Weil er Strom sparen will. Weil er Strom sparen muss. Vergisst man dann so etwas? So etwas Wichtiges? Wenn man die ganze Zeit daran denkt? Wenn man sogar noch an die ständig tickende Uhr im Herd denkt?

Ich werd bekloppt, ich werd langsam echt bekloppt, denkt er als er die grünen Lämpchen des Routers im Dunkeln leuchten sieht.

Das ist ja hier fast schon wie im großen Gatsby, wie das grüne Licht, das Gatsby meint auf der anderen Seite des Sundes wahrzunehmen und das er mit seiner Geliebten, aber für immer verlorenen Daisy assoziiert. Genau wie mit den beiden Typen eben. War das etwa auch nur die Sehnsucht nach Gewalt, nach einem Befreiungsschlag – im wahrsten Sinne des Wortes –, der Licht in das Dunkel seines Leben bringt…


…Morgen laufen wir schneller, strecken die Arme weiter aus und einen schönen Tages, so kämpfen wir weiter, wie Boote gegen den Strom. Und unablässig treibt es uns zurück in die Vergangenheit…






Sie ist noch geblieben, während ‒‒‒‒‒‒‒ schon weg ist.












Freitag, 2. Juni 2017

Zufälle












Die Frage ist: Denken die, ich bin doof? Oder wollen die mich provozieren? Zum Handeln bringen? Zum Handeln zwingen? Gute Frage. Wollen die mich verarschen? Oder kommt das, was der sagt, aus einem Gefühl der Angst? Die er angeblich gar nicht hat. Wie war das letztens? Das, was er gelesen hat? Nur komplette Idioten haben keine Angst… Oder weiß er, dass du was weißt. Dass du es weißt oder zumindest ahnst? Will der nur mit ihm spielen, der Spieler? Was für ein Wichser. Was für ein Wichser. Und eben hat er noch gesagt: „Die Spieler, die sind ehrlich…“
Und der Typ hat geantwortet: „Nicht alle.“ Und er hat gesagt: „Die Richtigen aber schon.“

Donnerstag, 1. Juni 2017

Slainté!















Yasir kommt an die Theke.
„Wie geht’s dir?“, fragt er.
„Besser.“
Er lacht. Wir lachen.
Hahaha

Sonntag, 19. Februar 2017

Die Wahrheit, guapa
















Ich will jetzt die Wahrheit wissen, denkt er, als er das Buch von Nicholas Sparks liest. At First Sight. Ich muss sie einfach wissen, um weiterzumachen. Damit mein Leben weitergeht. Nicht das hier. Dieser Schwebe-Zustand. Ich muss endlich abschließen können. Mit allem. Mit all dem Scheiß. Mit Nadine, mit Bonn, mit Deutschland. Die ganze Scheiße hinter mich bringen.

Ich komme nach Hause, aber bleibe nicht lange. Das ist eh nicht mehr mein Zuhause. Nicht mehr so richtig. Zumindest fühlt es sich nicht mehr so an. Ich ziehe mir die Tarnjacke an, stecke die schwarze Wollmütze in die rechte Seitentasche. Wie gut, dass es Winter ist. Da fällt das nicht so auf, das mit der Mütze. Im Sommer ist das, was ich vorhabe wesentlich schwerer.

Es ist schon dunkel, als ich aus der Tür nach draußen trete. Leise das Tor hinter mir schließe. Draußen ist es am Pissen. Wie passend, denkt er, als er sich auf den Weg zur Bushaltestelle macht, die Mütze in der Jackentasche…

Er will jetzt endlich wissen, was los ist. Warum sie ihn wirklich verlassen hat. Nicht diesen Scheiß von wegen „wenn unsere Liebe einmal zerbrochen ist, wie ein Zweig, dann kann man die nicht mehr kitten“ hören. Fast mit einem Lächeln auf der Lippe. Genervt. Gleichgültig. Immer gleichgültig. Das ist niemals die ganze Geschichte. Aber es gibt nur einen Weg herauszufinden, was wirklich los ist. Los war.

Warum hat María auch ihren Schlüssel hier vergessen? Diesen Schlüssel, den er gefunden hat. Auf dem Glastisch. Auf ihrem alten Glastisch. Sie hat auch nicht mehr danach gefragt. Komisch... Von ihm war der Schlüssel auf jeden Fall nicht. Also muss er ja von ihr gewesen sein. Und warum will sie ihn dann nicht zurückhaben? Von wem denn sonst? Vielleicht passt er ja, der Schlüssel den er jetzt in der Hosentasche hat. Schon seit mehr als einer Woche mit sich rumträgt. Befingert, während er in der Dunkelheit auf den Bus wartet. Den Bus in die Stadt. Er will ja nur Klarheit, will endlich Klarheit.

Nicht diesen Scheiß von wegen „Kann dir doch egal sein“ (ob die einen Neuen hat). „Was macht das für einen Unterschied, jetzt noch?“

Für mich einen großen, denkt er, auf sein Handy schauend. An diesem kalten, dunklen Sonntagabend.

Ya no hay guapos, denkt er, kurz bevor der Bus endlich um die Ecke kommt. Ya no hay guapos…









Dienstag, 17. Januar 2017

Zwischen Himmel und Erde, Himmel und Hölle














Im Zug von Meckenheim nach Bonn, abends nach der Arbeit, hat er plötzlich die Sicherheit, dass sie jetzt, genau in diesem Moment, an ihn denkt. Er spürt wie ihm urplötzlich Tränen in die Augen steigen, wie sein Gesicht einen so verzweifelt-traurigen Ausdruck annimmt, dass er eigentlich jetzt und hier zu heulen anfangen könnte. Hier, auf diesem Vierer, ganz vorne in der Bahn, die durch die winterliche Dunkelheit rauscht. Der Gedanke daran, dass sie jetzt, genau jetzt, auch an ihn denken könnte, zerreißt ihm das Herz, die Seele, den Körper.

Innerlich wiederholt er es noch mal: Er hat die Sicherheit, dass sie jetzt, genau in diesem Moment auch an ihn denkt. Fragen Sie mich nicht, woher. Ich weiß es nicht, aber es gibt so Momente im Leben. Einzelne Momente. Aber trotzdem: Warum denn gerade die „Sicherheit“. Das scheint ihm das falsche Wort, der falsche Ausdruck zu sein. Sicherheit. Nein. Gewissheit. Das ist besser: Er hat die Gewissheit, dass sie genau jetzt, in diesem Moment, zwei Tage vor der Scheidung, auch an ihn denkt. Oder ist Sicherheit im Endeffekt doch besser als Gewissheit? Etwas verlieht einem Sicherheit, etwas verleiht einem Gewissheit oder gibt einem Gewissheit, das ist nicht dasselbe. Aber was ist der Unterschied zwischen den beiden Wörtern? Sind das nicht letzten Endes ohnehin nur leere Worte, die weder er noch sie mit Leben zu füllen vermag. Mit Liebe

Draußen ist es dunkel und der Zug fährt weiter durch die kalte Nacht. Er ist kaputt, total kaputt. Innerlich wie äußerlich. Körperlich wie seelisch. Den Tränen nah, die nicht kommen wollen, die den Abgrund nicht zu überwinden vermögen.

Und wenn das alles nur Quatsch ist? Und sie gar nicht an ihn denkt? Gar nicht mehr an ihn denkt. Gedacht hat, schon seit langem nicht mehr. Wenn er sich das nur wieder einbildet

und diese tiefe Traurigkeit, die ihn in solchen Momenten überkommt, sein ganzes Wesen förmlich überschwemmt mit ihren schwarzen Wellen…was ist, wenn das alles nur in seinen Gedanken so ist? In seinem Kopf?

Er liest gerade dieses Buch. Wo dieser 36-jährige Japaner, der in seiner Jugend unzertrennlich mit vier anderen Jugendlichen (zwei Jungen und zwei Mädchen) so eng befreundet war, dass er es nie überwunden hat, als sie auf einmal, wie aus heiterem Himmel nichts mehr von ihm wissen wollten. Sich in komplettes, eisernes Schweigen hüllten. Seitdem nie wieder mit ihm gesprochen haben

Haruki Murakami. Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki.

Eines Tages macht sich Tsukumu – so heißt der Mann aus dem Buch – mit der Hilfe seiner Freundin Sara auf, um herauszufinden, warum seine Freunde ihn damals so jäh haben fallengelassen, von einem Moment auf den anderen. Er findet heraus, dass ihn Shiro, eins der Mädchen der Clique, damals vor den anderen bezichtigt hat, sie während eines Aufenthaltes in seiner Wohnung vergewaltigt zu haben und dass sie deswegen den Kontakt zu ihm abgebrochen haben…

Der Vergewaltigung bezichtigt


Vielleicht liegt das ja an dem Buch, dass er denkt beziehungsweise eben noch gedacht hat, dass Nadine genau jetzt auch an ihn denkt. Vielleicht liegt das ja daran und er bildet sich das alles nur ein. Vielleicht bildet er sich ja sein ganzes Leben nur ein. Vielleicht ist das alles am Ende gar nicht real. Vielleicht gibt es da ja mehr, von dem er nichts weiß

Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde

Mehr Dinge zwischen Himmel und Hölle

als wir uns vorstellen können.