Donnerstag, 29. September 2016

Garrucha, Andalusien










Ich weiß noch, als wir im Urlaub waren, das letzte Mal zusammen im Urlaub. Bei ihren Verwandten in Andalusien. In der Nähe von Almería. In…wie hieß das noch mal…keine Ahnung...ich weiß es nicht mehr…doch: Garrucha. Jetzt fällt's mir wieder ein. Das war’s, Garrucha! Muss man nicht kennen. Nicht unbedingt. Kein Highlight. Die wohnten da in einem Hochhaus in der Nähe des Strandes und waren sehr „nett“. Fast schon zu „nett“. Scheißfreundlich fast schon. Der Typ war Mechaniker und erinnerte mich irgendwie, so von seiner ganzen Art her, an ihren Schwager. Anders als ihr Schwager war der aber glaub ich nicht mir ihr "Fahrrad fahren". Schließlich war sie ja in Garrucha die ganze Zeit bei mir…

Wie wir da abends rausgegangen sind, kurz vor Sonnenuntergang, kurz bevor es selbst hier, im Süden Spaniens dunkel wurde. Wie wir am Meer spazieren waren, da wo die ganzen Hotels waren, diese ganzen teuren Hotels…

…ich hätte nie gedacht, dass sie mich irgendwann verlassen würde. Nie im Leben hätte ich das gedacht. Dass sie irgendwann gehen würde. Und nie wiederkommen würde.

Streit, ja…okay…aber verlassen? Niemals. Wir waren so…close, so eng, so keine Ahnung. Wie verwachsen. Symbiotisch. Co-dependent. Vielleicht genau deswegen, genau, weil wir so waren, so wie wir waren. Weil wir uns so nah waren. Und doch so weit voneinander weg

Ich dachte immer, dass sei für immer. Für immer und ewig. Obwohl ich natürlich frustriert war. Fast schon chronisch frustriert. Natürlich frustriert. Aber ich hätte sie nie verlassen. Ich hätte sie nie verlassen. Im Leben nicht. Soviel ist sicher. Frustrationen hin oder her. Wir waren wie ein Team. Ich, sie und María. Sie, ich und María. María, sie und ich

So kann man sich täuschen

Ich spürte sie, berührte sie, fast schon ständig, packte ihr an den Arsch, María regte sich auf, wir machten Witze, scherzten und auf einmal ist sie weg. Nie wieder ein Wort, nie wieder ein Witz, ein Lachen             Kein Wort, kein gar nichts. Noch nicht mal durch Zufall habe ich sie seitdem gesehen. Noch nicht mal durch Zufall.

Und frage mich heute immer wieder: Wie viel von all dem war echt? Und denke: Das kann doch nicht alles falsch gewesen sein, pure Einbildung, eine Illusion, ein Schimäre

in der warmen, andalusischen Nacht. María glücklich, ich glücklich…sie glücklich?

Wie viel von dem war echt? Von dem Glück zu dritt? Oder war alles echt und es hat sich einfach so ergeben? Durch einen dummen Zufall

(es gibt keine Zufälle)

damals wollte ich sogar ein zweites Kind von ihr, hab ihr das gesagt. Einen Santiago oder eine Liv. Oder war das nur Spaß? In jeden Scherz steckt immer auch ein ernster Kern? Ich war glücklich mit ihr, ich war doch glücklich mit ihr? Oder verkläre ich die Vergangenheit? In meiner Einsamkeit? Es ist so schwer zu sagen, aber wenn sie heute zurück wollte, ich würde wieder nehmen. Bin ich etwa besessen? Krankhaft fixiert? Liebeswahnsinnig? Würde mit ihr und der dafür fast schon zu alten María in den andalusischen Sonnenuntergang gehen, direkt am Meer, am Wasser, an den Wellen

die alles wegwaschen

Ihre warmer, quirliger Körper neben mir, im Hintergrund die roten Lichter der spanischen Nacht, das Rauschen des Meeres, die sauber gemähten und gesprengten Wiesen, der trockene, staubige Weg, die Wärme

die Nacht

um uns herum

nur Nacht

Nie wieder. Jetzt herrscht nur noch eisige Kälte (trotz des schwülen, deutschen Sommers). Eisige Kälte und Geld. Geld hier und Geld da. Hier ein bisschen, da ein bisschen: Ausgaben, Forderungen, Anwaltskosten, Prozesskosten. Und María ist 3 ½ Tage hier, 3 ½ Tage da. Und uns beiden bricht es hoffentlich das Herz, ihr unter Woche und mir am Wochenende – aber keiner will das zugeben, will sich die Blöße geben, vor dem anderen, dem Antragsgegner.


Wir sind Tiere, die sich Illusionen machen können bis sie platzen


Die Lichter sind aus, die Wärme ist weg (oder so schwül-deutsch, dass sie unerträglich wird), die Sonne scheint bald hoffentlich auch nicht mehr

Dieses satte Rot Andalusiens, das sich sogar in der spanischen Flagge wiederfindet, das Feuer von 35 Grad am Tag und 25 in der Nacht, die roten und weißen Lichter, die uns den Weg ausleuchten, den Weg zum Licht

Die deutsche Flagge ist zwar auch rot, aber dieses Rot steht nicht für das Feuer, die Leidenschaft, sonder für das verflossene Blut. Wofür das Schwarz steht ist ja wohl klar…Und das Gold steht für das Geld. Der Deutschen liebe zum Geld, das sie horten, das sie verstecken, tief unten im Keller, wie ihre Gefühle, fast schon verschüttet, um zu sehen wie es langsam anwächst

Obwohl sie wissen, sie ganz genau wissen

dass nichts bleibt, dass nichts bleibt, dass nichts bleibt


wie es war






wie ich versucht habe, sie in diesem Zimmer, dem Zimmer, das der große Sohn der Familie für uns geräumt hatte, in den Arsch zu ficken

und sie nicht wollte

in der heißen, südspanischen Nacht










Donnerstag, 22. September 2016

Brangelina






Er liest das von "Brangelina", dass bei Brad Pitt die Polizei vorgefahren ist, und freut sich innerlich. Lächelt äußerlich. Es ist kein Wunder, dass Schadenfreude eins der wenigen deutschen Wörter ist, die sogar ihren Weg in die englische Sprache gefunden haben.

Wenigstens geht es nicht nur ihm nach der Scheidung beschissen…

Warte mal ab, Brad. Da ist der Fight Club gar nichts gegen. Gegen so eine richtige Schlammschlacht-Trennung. Einen richtigen Rosenkrieg. Da reicht es bei weitem nicht aus, den Nullpunkt zu erreichen, sich die Hand mit Säure zu verbrennen oder Forrest laufen zu lassen.

Gegen eine erboste, verbitterte Ehefrau, die obendrein noch selbst gegangen ist, reicht kein Fight Club. Die spielen in einer ganz anderen Liga!

Besonders, wenn sie Widder sind.

Da kannst du kiffen und trinken und ausflippen so viel du willst. Das lässt die kalt. Vollkommen kalt.

Da hast selbst du als Multimillionär und Schauspieler keine Chance! Da steht der Möbeltransporter schon vor der Tür! Und der zwanzig Jahre jüngere Student ist schon für den Umzug gemietet. Wenigstens musst du nicht keine Angst um deine finanzielle Zukunft haben…

…oder doch…?

Bei sechs Kindern…

Aber keine Angst. Das kann uns allen passieren…

Das passiert den Besten.

Und den Schlechtesten auch.

Wutausbrüche, Haschisch, Alkohol und eine Affäre…

Wenigstens hattest du vorher noch deinen Spaß. Bevor der Spaß endgültig aufhört.

Sei froh, dass Angelina kein Widder ist.

Aber – wie gesagt – keine Angst: Dieser durch und durch fi(c)ktive verlassene Ehemann bietet dir immer Unterschlupf in seiner Zwei-Zimmer-Wohnung in Bonn an. Natürlich nur am Wochenende, wenn seine Tochter nicht da ist…








Nichts ist unmöglich - Deutschland









Wenn ich einmal sterbe, möchte ich eingeäschert werden, hörst du. Du bist jetzt für mich verantwortlich. Ich habe niemanden außer dir. Keine Ahnung, ob deine schmalen Schultern das tragen können, die Verantwortung, diese schwere Last, mein Gewicht, aber so ist es eben…



Ich möchte im Höllenfeuer schmoren. Für immer und ewig. Amen. Er lächelt.



Sie stehen an der Haltestelle und warten auf den Bus. Ihren Bus. Er hat sie noch zum Bus gebracht. Weil er eh zur Bank muss…

…und weil er das früher, bei Nadine, auch immer so gemacht.

Merke: Die Tochter ist kein Partnerersatz.

Ich weiß, du Muthafucka!

Muthafucka ist in diesem Zusammenhang auch nicht gerade angebracht. Das ist viel zu eindeutig zweideutig.

Ok, ist gut. Ist ja gut.



Plötzlich sagt sie: Was soll ich machen, in Kunst?

Einen Gesichtsausdruck musst du machen, ne?!

Ja. Der will uns fotografieren. Wir sollen etwas einstudieren. Der Päd…

Keine Ahnung, sagt er müde. Schrei einfach. Ich würde einfach schreien…

wenn ich könnte

würde ich einfach schreien

Oder guck böse. Oder mach das. Er greift sich mit dem Zeigefinger an die Tränensäcke und zieht sie nach unten. Dann sieht das so schwarz aus, dadrunter. Das ist geil, das haben wir früher als Kinder immer gemacht.

Irgendwie sieht sie voll nicht begeistert aus. Von seinem Vorschlag.

Plötzlich hat sie eine Idee, sagt: Ich decke einfach die eine Hälfte ab. Sie tut sich die Hand über die eine Hälfte des Gesichts. So. Die mach ich schwarz. Das ist es. Und die andere lasse ich offen.

Hey, ja genau! Das ist geil! Das ist doch mal ne gute Idee! Das ist sogar tiefgründig. Geil

Das hat sie bestimmt aus dem Internet…

Wie bei einer gespaltenen Persönlichkeit. Eine Seite in Dunkelheit gehüllt, die andere im Licht. Welche ist seine, welche die ihrer Mutter? Die in der Dunkelheit oder die im Licht

Das ist gut. Echt!

Und schon kommen ihr Zweifel. Kaum hat er gesagt, dass er die Idee gut findet, da kommen ihr auch schon wieder Zweifel. Oder bildet er sich das nur (wieder) ein.



Wann musst du morgen in die Schule?

Normal.

Scheiße, dann sehe ich dich ja gar nicht…




In Deutschland kann man nicht leben. Die lassen dich nicht. Keine Chance. Die lassen dich nicht in Ruhe. Dabei wollte er doch immer nur eins: Dass sie ihn in Ruhe lassen. Das hat er jetzt davon. Wenn man in Ruhe gelassen werden will, wird man noch härter. Mit Eselpenis, wie sein kurdischer Kunde sagen würde. Sein Kollege

Sind wir nicht alle Kollegen in Deutschland

Ich sag dir das. Auch nicht in Berlin. Geh nach Valencia. Oder nach Cádiz. Oder nach Madrid. Oder irgendwohin. Aber bleib nicht in Deutschland. die lassen dich nicht


leben


Das ist ja schließlich deine Rolle als Vater, ihr etwas fürs Leben mitzugeben.



Und schon kommt ihr Bus und sie ist weg. Er auch. Ich bin wieder weg…





Er macht sich leicht schwankend und müde auf den Weg zur Bank. Die Sonne scheint und trotzdem ist die Luft frisch, klar, hier oben. Er war noch nie so nah daran, Alki zu werden, denkt er. Noch nie so nah dran, seine Sorgen im Alkohol zu ertränken wie jetzt. Er hat sogar noch eine Flasche Wein Zuhause… Die hat er schon über ein Jahr. Das letzte Mal hat er an Neujahr getrunken. Wie ein Loch. An ihrem Jahrestag. Dem zwanzigsten.

Manchmal ist es zu hart, das Leben so zu ertragen. Pur. Ohne alles

Ein Leben pur bitte… Nein, ohne Cola, nur pur.

Wie in Schottland damals. Da hat er gelebt. Da ist er in Bars gegangen, hat gesoffen, geheult, gelebt. Warum macht er das hier eigentlich nicht? Weil das mehr als fünfzehn Jahre her ist und jetzt schon fast 40 ist. 40 sind keine 24 mehr. Im Kopf schon. Im Kopf bleibt man jung. Nur der Körper...

…wie er diesem Mädchen, dieser Schottin, einfach so den Whisky weggetrunken hat. Im Waterhole. Dem Wasserloch. So hieß die Studentenkneipe da. Die war immer voll, jeden Abend. Bis zwölf Uhr. Oder hat er den Whiskey Paulina weggetrunken? Oder beiden. Auf jeden Fall hat er diese blonde Schottin bequatscht, dass sie zu der Spanierin, ja, der mit den kurzen Haaren, rübergeht und der sagt, dass er sie liebt. Dass er sie immer noch liebt. Und die hat das echt gemacht. Die hat das für einen Witz gehalten. Diese Festlandeuropäer, und besonders diese Deutschen, die sind doch eh alle ein bisschen seltsam. Am Ende hat ihn Paulina dann weggezogen von der Schottin. Weil er peinlich war? Oder weil sie gemerkt hat, dass er ziemlich gut bei der ankam, mit seinem schwarzen, britischen Humor und seinem südländischen Aussehen. Vielleicht stand die ja auch insgeheim auf ihn…

Damals ist er auch einer Frau hinterhergelaufen. Wie heute. Aber wenigstens hatte er Spaß dabei. Wenn er nicht gerade die Wände hochgegangen ist…

Dieses eine Jahr in Schottland; das war vielleicht echt das einzige Jahr in seinem Leben, wo er gelebt hat, wo er richtig gelebt hat. 

Nur heute ist er gute 15 Jahre älter, nur ein paar Monate von40 entfernt.

Man ist nie zu alt.

Man ist so alt wie man sich fühlt.

Ach, fick dich doch!

150-160, aber rüstig.



Morgens lief das mit Brangelina im Fernsehen. Die haben sich getrennt, Brad Pitt und Angelina Jolie. Mit sechs Kindern! Wenn die sich schon trennen, diese Stars, die alles haben, scheinbar, was für eine Chance habe ich dann? Wenn sogar denen ihre Ehe nicht hält? Der Westen schafft sich ab und die Scheidungsanwälte bringen vorher noch ihr Vermögen in Sicherheit. Vor ihren Frauen. Oder Männern. Er hatte immer gedacht, die Ehe der beiden würde ewig dauern. Obwohl es Gerüchte gab…

Er hatte immer gedacht, seine Ehe würde ewig dauern, er könne ewig so weiterleben. Arm, aber glücklich. Pobre pero feliz. Wie die Indios das in Ecuador das auf die Autos schreiben.

Aber die Realität sieht anders aus. Die Realität sieht immer anders aus

So wie bei diesem Typen aus Bonn, von dem er heute gelesen hat. Dem „Tattoo-Killer“, der eher aussah wie ein tätowierter Freddie Mercury. Mit seinem Clone-Schnäuzer und der runden Sonnenbrille (bestimmt ein Foto aus besseren Zeiten).Der angeblich seine Ex und seinen Sohn ermordet haben soll. In einem ganz normalen Block in Duisdorf, wo er früher mit Nadine gewohnt hat. Den haben sie erwischt. In einem Puff in Duisdorf. 15,000 € hatte er mitgehen lassen. Angeblich soll er spielsüchtig sein und die Hälfte schon wieder verspielt haben. Ein „Familiendrama“ hieß es. Heißt es immer, in der Presse, wenn der Vater mordet. Fast nie die Mutter. Oder wenn, dann gibt sie nur ihr Einverständnis.

Nadine steht auf Familiendramen.




Später, vor dem Spiegel, als er sich rasiert, denkt er: Du musst das alles nicht immer so negativ sehen. Es gibt immer eine Lösung, im Leben. Es gibt immer eine Lösung. Solange man lebt

Nichts ist unmöglich