Heute Morgen hast du ein
Problem. Das dir keine Ruhe lässt. Du hast nur noch – lasst ihn nicht lügen –
67 Cent an Kleingeld in deinem Portemonnaie. Weil du gestern Abend auf der
Arbeit mal wieder zu oft am Automaten warst (schäm dich!). Am Snack- und
Getränkeautomaten auf deiner Arbeit. Weil du dir für sage und schreibe 2,40 € drei
„Wasa-Sandwiches“ Cheese & Paprika
geholt hast. Drei hintereinander. Wennschon dennschon. Aus Frust. Frust über
das verlorene Deutschland-Spiel. Oder aus Hunger? Wer weiß das schon so genau.
Und jetzt hast du nur noch
stolze 67 Cent an Kleingeld. Und ein paar Hunderter und Zweihunderter. Nein,
nur Spaß. Und einen Fünfziger (diesmal kein Spaß). Den willst du natürlich
nicht anbrechen. Damit du nicht schon wieder unkontrolliert Fressorgien
veranstaltest. Sobald du Kleingeld zur Hand hast. Also bleiben dir nur 67 Cent.
Das reicht gerade mal für ein Roggenbrötchen. Ein lausiges Roggenbrötchen! Ein pissiges Roggenbrötchen! Und dabei
hast du heute Morgen noch nicht mal so viel gegessen. Nur den restlichen
griechischen Käse aus dem Kühlschrank. Sehr salzig und sehr fettig und halbwegs
lecker, so pur wie du ihn gegessen hast, auf der Toilette sitzend. Und dann war
da noch die Brühe von gestern. Mit Möhrchen, Zwiebelchen, Knoblauchstückchen
und Kohlrabibrocken. Auch ein bisschen salzig, aber sehr gesund (auch noch nach
einer Nacht) und deinen Wasserhaushalt wieder ins Lot bringend. Die hast du
ganz ausgetrunken (direkt aus dem großen Edelstahltopf) und dann die übrig
gebliebenen Möhrchen und Zwiebelchen mit einem Löffel gegessen. Das war ok und
hoffentlich wenigstens gesund, obwohl du dir da auch nicht so sicher sein
kannst, nach einer ganzen Nacht draußen.
Und jetzt hast du ein
Problem.
Eigentlich willst du dir ja
eine fette, vor Fett förmlich triefende, mit Käse überbackene Geflügelrolle
holen. Bei Mr. Baker. Und dazu noch eine dieser fetten, türkischen
Blätterteigschnecken mit weißem Käse, Böreks oder wie auch immer die heißen. Aber
zusammen kostet das locker 3 Euro irgendwas. 3,70, 3,75 oder sogar 3,80. Keine
Ahnung. Und den Fünfziger willst du auch nicht anbrechen. Das hast du dir nach
deinen drei Wasa-Sandwiches gestern auf der Arbeit geschworen. Der wird nicht
angebrochen. Du hast ihn sogar extra in ein anderes Fach im Portemonnaie getan…
…aber leider nicht
vergessen, dass er überhaupt da ist. Neben all den Hunderten und Zweihunderten,
haha. Und außerdem: Wer weiß schon, ob die den überhaupt nehmen. Und dann
stehst du da. Dann stehst du am Ende da…und bist gefickt. Wie das
sprichwörtliche Eichhörnchen. Wenn die keine 50er nehmen, ganz zu schweigen von
Hunderten oder Zweihundertern. Außerdem wolltest du ja abnehmen, damit deine
Hosen mal wieder länger halten. Damit sich nicht immer dieses hässliche,
unansehnliche Loch an der Innenseite der Oberschenkel auftut. Bei Frauen mag
das ja schön sein, an dieser Stelle; aber bei Männern, in der Hose? Du weißt
noch wie deine Mutter kurz nach der Trennung, als du bei ihr im Wohnzimmer
saßt, gesagt hat: „Deine Hose ist kaputt!“ So als wär sie froh darüber, dass
sie etwas an dir kritisieren kann. Im Fehler anderer aufzeigen war sie schon
immer gut – Gott hab ihre Seele gnädig.
Und das sind dann viel zu
viele Kalorien. Eine Geflügelrolle, dazu noch überbacken mit Käse, und eine
Blätterteigschnecke. Aber andererseits sagt der Teufel auf seiner anderen
Schulter: Denk einfach nicht darüber nach, mach dich doch nicht bekloppt!
Scheiß drauf! Fuck it! Stars essen
auch, was sie wollen! Geh einfach zur Bank!
Und schon tut sich eine
Reihe von neuen Problemen auf:
1.
Hast du überhaupt noch Zeit? Schaffst du das
noch? die Bank in der Innenstadt ist immer ziemlich voll. Du willst ja auch
nach am Dialog-Gerät die Kontobewegungen verfolgen. Wenn du da nicht
rechtzeitig drankommst… Wenn da eine Oma vor dir ist, die ihre Ersparnisse
immer und immer wieder checken muss. Sich an ihr Konto klammert wie an einen
Rettungsring.
2.
Angst vor dem Kontostand. Weder zu hoch noch
zu niedrig ist gut und die gesunde, goldene Mitte hast du noch nie zu treffen
vermocht, in deinem Leben. Oder zu lang? Viel zu viele Jahre in ihr gelebt? In
der goldenen Mitte, die nicht Fisch, nicht Fleisch war…
3.
Wie viel Geld soll er abheben? 200? Oder 300?
Oder gar 500? Er hat noch 50 im Portemonnaie. 500 sind zu viel, 150 oder 200 zu
wenig. Das muss er alles bedenken. Vorher. Er muss es nicht nur, er tut es
auch…
…und
außerdem weiß er nicht, ob er überhaupt noch genug Zeit hat, um noch
rechtzeitig Geld abzuheben. Er muss ja auch noch, wenn er in Bonn ankommt, zur
Bank gehen. Und wieder zurück zum Zug.
Und 4. Nicht, dass er, wenn
er seinen Laptop und seinen schweren Rucksack den ganzen Weg zur Bank schleppt,
nicht, dass er dann wieder total am Schwitzen ist. Und dann womöglich (wieder)
stinkt, wenn er nach Bad Neuenahr kommt. Und er hat heute zwar ans Deo gedacht,
aber in diesem Roll-on-Teil war nicht mehr so viel drin. Und überhaupt: Er will
ja auch nicht seine neuen Hemden versauen!
Sie sehen: Neben der
Tatsache, dass wir alle sterben werden, gibt es so unendlich viele, kleine, alltägliche
Dinge zu bedenken, die jeden Tag ihren Bahnen durch unsere Köpfe ziehen, unser
Gehirn durchfurchen, indem sie immer und immer wiederkehren, in gedanklichen
Endlosschleifen, Denkspiralen, den ganzen Tag lang, die in endloser Abfolge
aufeinanderfolgen wie die Wellen im Meer, während er Zuhause ist, auf den Bus
wartet, im Bus in die Stadt fährt, eigentlich ständig.
Und wenn er das mit der Bank
lässt? Und sich nur ein Roggenbrötchen für 65 Cent holt? Und wenn das aber 70
Cent kostet? Dann steht er da mit seinem Fünfziger…und will damit ein 70 Cent
teures Roggenbrötchen bezahlen…außerdem weiß er nicht, ob das auch reicht…bis
heute Nacht…ein Roggenbrötchen klingt wenig…arg wenig…aber er kauft sich heute
Nacht bestimmt wieder ein Gyros-Pita (besonders, wenn er Trinkgeld
bekommt!)…das muss er dann auch ausgleichen…also: wenn er den ganzen Tag nichts
mehr isst, dann müsste das gehen…dann müsste das vertretbar sein…
Aber wenn er zur Bank geht? Wenn
er 250 abhebt? (Das sind dann auch kleine Scheine dabei!) Und wenn er auf der
Arbeit noch etliche Latte Macchiato trinkt? Mit Kondensmilch mit einem
Fettanteil von 7,5%? Und wenn er nur ein Roggenbrötchen ist? Aber wenn das
keine 65 Cent kostet, sondern mehr…?
Und plötzlich, schon im Bus
in die Stadt, denkt er: All dieses Denken, all diese Gedanken sind doch total
überflüssig. Du musst deinen Geist entleeren, wie das in diesem Buch steht. Du
musst den Reset-Knopf drücken. Du musst (einfach) an nichts mehr denken. Nein:
Auch nicht mehr an das Nichts! Einfach an nichts mehr. Du musst deinen Kopf
entleeren. Du musst die Gedanken rausschmeißen. Die Sorgen, die dir zu viel
Kraft rauben, dich nur ganz kirre und dir das Leben zur Hölle machen. Wie der
Tiger. Der denkt auch nicht den ganzen Tag über allen möglichen Scheiß nach.
Wenn er auf der Jagd ist…
Das ist wie Tyler Durden das
im Fight Club sagt:
Fuck what you know. You need to forget about what you
know, that’s your problem. Forget about what you think you know about life…
Scheiß auf das, was du
weißt. Du musst vergessen, was du weißt, das ist dein Problem. Vergiss, was du
zu wissen glaubst über das Leben…
Amen.
Du hast ein Recht, glücklich
zu sein.