Donnerstag, 29. Oktober 2015

Abkacken, aber wenigstens glücklich

 
29.10.15





Es ist Donnerstag-Morgen 10:24 und er, unser natürlich rein fiktiver Mensch, der natürlich überhaupt nichts mit unserer alltäglichen Realität zu tun hat (der sowieso nicht!), der natürlich nicht auf einer wahren Begebenheit basiert, sitzt auf dem Klo und kackt. Er hat kein Klopapier (sehen Sie, die Realität ist ihm viel zu profan), aber was soll’s. Er hätte es ohnehin nicht mehr bis zum Rossmann ausgehalten. Und was soll er auch, die Arschbacken zusammenkneifend, sich bis zum Rossmann vorkämpfen, nur um dann so vor der Kassiererin zu stehen, die Beine verdreht, den Körper windend, mit einem 8ter-Pack Klopapier in der Hand (Was hat das schon mit der Realität zu tun?). 
Also bleibt er einfach sitzen. Das dickste Ergebnis ist es eh nicht, denkt er, das war wohl eher sowas wie die Nachhut seines großen Geschäfts von vorhin, wo er den letzten Rest Klopapier, den ihm seine Tochter übriggelassen hat (seit wann verbraucht sie so viel?), den Klo runtergespült hat. Da hilft nichts. Aber plötzlich denkt er: Was soll’s?! Scheiß doch drauf! Es ist doch egal. Kack in die Disko.

Und er wird ganz ruhig. Sein Blutdruck geht von üblichen 160/1000 auf null runter und er denkt: Ich bin glücklich. Keine Ahnung, warum. Gleich muss ich mir eine Arschdusche verpassen, aber im Moment, hier auf der Schüssel sitzend, bin ich tatsächlich glücklich. Können Sie sich das vorstellen?! Wahrscheinlich nicht, aber das wäre ihm im Moment auch egal. Er muss noch soviel machen, aber was soll’s. Scheiß doch drauf. Dünne, rötlich-braune Kacke.

Er muss noch bügeln, er muss zur Arbeit gehen, er muss dummen Schülern dumme Sachen beibringen, er muss noch gucken, ob seine Exe angerufen hat, er muss mit ihr noch über ihre gemeinsame Tochter reden, er muss noch spülen (seine/ihre Tochter war nämlich zu faul dafür), er muss noch seinen Unterricht vorbereiten, er muss noch einkaufen er muss bügeln er muss spülen er muss sich anziehen er muss sich nicht mehr die Zähne putzen er muss sich um so viel kümmern, aber…

…im Moment muss er gar nichts.

Er muss nur sein Glück genießen.

Monday morning a job that you despise a boss that you despise a life that you despise…

Und trotzdem ist er glücklich. Nicht zufrieden, aber glücklich. Ausgeglichen. Mit sich und der Welt im Reinen.

Ach, sterben muss er auch noch, aber selbst das kann warten. Auf der mobilen Box läuft Pulp…

…und er muss absolut gar nichts.

Ach, leckt mich doch alle am Arsch!

Er hat die Ruhe weg.

Dabei müsste er so viel Scheiße...

(in 50 Jahren interessiert das eh keinen mehr, was er heute machen musste)


Donnerstag, 22. Oktober 2015

Ein bisschen Hoffnung und unendlich viel Wut


22.10.15





 



An der Haltestelle packt er in seine Hosentasche und spürt den Rosenkranz, den Nadine ihm aus Ecuador mitgebracht hat. Heute Morgen hat er ihn wieder eingesteckt. Wie früher, als er noch dauernd gesagt hat: "Wenn es dich gibt, Gott, dann mach, dass wir wieder zusammenkommen." Heute tut er das nicht mehr, obwohl er die Hoffnung immer noch nicht ganz aufgegeben hat.

...früher, als er noch Kerzen angezündet hat und in der Kathedrale von Barcelona dafür gebetet hat, dass sie wieder zusammenkommen. Bei der Schutzheiligen aller Eheleute in der Krise, aller Getrennten, aller Idioten, die immer noch an den Weihnachtsmann und das Christkind glauben (ja, die gibt's wirklich, nicht den Weihnachtsmann und das Christkind, sondern die Schutzheilige, aber er hat ihren Namen vergessen). Ihren Namen hat er natürlich noch nicht vergessen, Gott und die Schutzheilige bewahre! Wie sollte er denn auch?! Denn es fehlt immer was. Wenn er vor dem Computer sitzt und María neben ihm (auf Nadines Seite des Bettes) ans Kopfende gelehnt Fernsehen guckt. Sie fehlt. Marías kleines Gesichtchen, wie sie friedlich schläft. Du willst sie nicht wecken, willst sie nicht so abrupt wecken, rausschmeißen, in ihr neues Zimmer schicken. Sie ist immer noch sein kleines, süßes Kindchen. Das wird sie auch immer bleiben. Sein goldenes Kind. Aber der Platz an ihrer Seite ist leer. Es ist niemand da, der sie abends wärmt und die beschissene Heizung in seiner neuen Wohnung, in ihrem neuen alten Zimmer fällt auch immer wieder aus. Er beobachtet seine friedlich schlafende Tochter einen Augenblick lang und denkt daran, wie unfair das ist, dass ihre Mutter fehlt. "Du machst das Beste in deiner momentanen Situation", hörst du deine Schwester sagen, aber trotzdem bleibt da dieses Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt, dass das alles nicht gerecht ist. Das ist die Welt auch nicht und du bist ja kein Kind mehr, aber trotzdem.
   Warum vermisst sie Ihre Tochter nicht, wenn sie die ganze Woche über bei mir ist? Jede Woche. Eigentlich ist sie bei uns beiden der Wochenend-Daddy.


***

Er verliert sich im langsam dunkel werdenden Wald und in der fast vollkommenen Dunkelheit seiner Seele. Seine Gedanken kreisen immer wieder um das Gleiche. Er muss sich jetzt erst einmal abreagieren. Das ist jetzt genau das Richtige. Wenn er jetzt nach Hause geht, dann gibt es Tote.
   "Das ist gut, wenn wir uns abends treffen. Wenn ich davor schon gelaufen bin. Dann bin ich auch ruhiger."
   "Ok?"
   Es sind immer wieder die gleichen Fragen.
   Wie konnte sie nur zum Anwalt gehen, wenn sie es ist, die die ganzen Jahre schwarz gearbeitet hat und er derjenige, der sie all die Jahre gedeckt hat - finanziell und sexuell.
   Zählt das denn gar nicht?!
   Wie konnte sie nur zu denen gehen? Ausgerechnet zu ihrer Schwester und diesem Wichser. Kaum ist der wieder hier, ist sie weg. Siehst du. Dann war meine Angst all die Jahre also doch berechtigt? Aber die kriegen es. Die denken er macht nichts, er hat nur ein großes Maul, nur weil er bisher noch nicht zugeschlagen hat, weil er noch auf den richtigen Moment wartet, immer auf die Wut in seinem Bauch hörend. Der Rafael, dem gibt er es irgendwann. Dem und seiner Familie. Der hat seine Familie und seine eigenen kleine Familie ist zerstört. Das hast du deiner Schwester gar nicht gesagt. Wie wütend du darauf bist, dass dem seine Familie gar nichts davon mitbekommen hat, damals, dass der noch eine vernünftige Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern hat, obwohl deine Tochter all die Jahre den ganzen Ärger, den ganzen Streit mitbekommen musste. Nur weil die blöde Kuh von seiner Frau in ständig belogen oder angeschwiegen hat. Und er musste das alles mit anhören. Dem seine Familie hat nie darunter gelitten.

Ich will seinen Kopf, denkst du, als du am Ende des Feldes um die Kurve biegst. Auf einem Silbertablett. Der Himmel ist jetzt ganz genau und das leichte Tröpfeln ist zu einem ausgewachsenen Regenschauer geworden. Es ist fast so, als würde die Natur sein Inneres spiegeln. Es ist kaum noch jemand unterwegs. Nur du und deine Wut. Du ballst die Fäuste. Du bist so wütend; wenn der jetzt um die Ecke biegen würde, der würde das Tageslich nie wieder sehen. Es würde eh nicht funktionieren, weil sie genau weiß, dass du Rache willst, dass du Köpfe rollen sehen willst. Du siehst sie noch vor dir, in Ecuador. Du bist extra aus Deutschland gekommen, um sie zu heiraten und sie lächelt breit Rafaels Bruder an, diesen Ettore, diesen hässlichen Wichser. Bei dem baile, der Dorfdisko im Stadion. Tanzt ausgelassen mit ihm. Vor deiner Nase. Bestimmt wusste der da schon, dass sie heimlich was mit seinem Bruder hatte. Dieses Arschloch. Dein Knie tut mittlerweile weh, aber du musst sowieso nach Hause. Du kannst ja nicht hier im Wald einfach stehenbleiben und darauf warten, dass dich die Dunkelheit vollends verschlingt. Schön wär's. Du hast so die Schnauze voll.
   Du hast...
   Du hasst...
   Es ist auch so schon dunkel genug. Du guckst dich um. Du meinst noch etwas anderes zu hören, etwas anderes als die Tropfen, die der Wind von den Ästen haut. Aber du siehst nichts. Nur die ständig wachsende Dunkelheit hinter dir, fast schon wie ein Tunnel, der sich langsam aber stetig auf dich zubewegt. Die dunklen Tannen wie ein Schrein. Das ist nichts und vielleicht ist ja genau das, das was dich so zusammenzucken lässt.
   Und selbst wenn. Du würdest es eh nicht sehen, selbst wenn da jemand, etwas wär. Mit deinen schlechten Augen. Du meinst immer noch etwas zu hören,Geräusche, die nicht der üppigen , feucht-kühlen Natur entspringen, sondern menschlicher Natur sind. Schritte in deinem Rücken. Aber das würdest du doch sehen, wenn da jemand wär. Oder nicht? Bei deinen Augen. Und dem Dämmerlicht. Du wirfst einen Blick in den dichten Wald links des Weges. Die Baumreihen wirken undurchdringlich. Direkt jenseits des Weges fängt die Dunkelheit an.
   Wieder guckst du dich um. Nicht, dass Nadine jemand auf dich angesetzt hat. Oder das ist Raúl oder einer seiner Brüder persönlich. Oder noch schlimmer: Sie selbst. Würde sie selbst in der Dämmerung mitten im Wald hinter dir herlaufen? Hätte sie keine Angst, dass ihr selber etwas zustößt, bevor sie...
...dass sie vergewaltigt wird, zwischen den Bäumen, von einem Perversen, den ihre Schwester nicht kommt. Kaum wahrscheinlich.
   Du traust dich noch nicht mal stehenzubleiben. Die Dunkelheit oder was auch immer dach sonst nochso hinter dir herkreucht und fleucht könnte dich ja einholen. Insgeheim willst du auch gar nicht wissen, ob danoch was ist, irgendwo versteckt an der Seite des Weges, die immer stärker vor deinen Augen verschwimmt. Dein Knie tut weh. So weit kann die Weggabelung doch gar nicht sein. So lang kann das Feld doch gar nicht sein. Du bist doch jetzt hier schon eine gefühlte Ewigkeit unterwegs. Aber du siehst nichts. Kein Ende in Sicht. Du bist jetzt auch gar nicht mehr wütend, du willst nur noch nach Hause. Raus aus diesem nasskalten unheimlichen, deutschen Dschungel, diesem steinigen Weg, dieser vermeintlichen Menschenleere. Und am Ende kommst du tatsächlich wohlbehalten an der Kreuzung an, siehst zwei Lichter im Wald. Ein Auto. Scheiße. Wer fährt den hier mit dem Auto entlang. Um diese Uhrzeit. Ein Killer! Nadine in ihrem roten Polo, die es auf dich abgesehen hat! Mit Schaum vor dem Mund am Steuer sitzt.

Samstag, 17. Oktober 2015

Stuck in a moment that you can't get out of

 
17.10.15





Aber warum an Karneval denken? Das kann sie doch jetzt auch schon machen. Das macht sie doch jetzt auch schon.

Ok, ich weiß: Ich kann zocken, wichsen, essen so viel ich will. Aber es fehlt immer was. Es fehlt immer diese eigentümliche menschliche Wärme, diese Präsenz eines geliebten Menschen, die María nicht 100% ersetzen kann. Wie sollte sie auch?!

Aber was will man machen. Man kann die Liebe nicht erzwingen.
Ich stelle mir vor, wie sie zu mir auf die Arbeit kommt und was ich dann sagen würde („Was machst du denn hier?“

„Waren wir nicht getrennt?!“ (und sie geht wieder, ohne etwas zu sagen, gesagt zu haben)

„Ich komm ja auch nicht zu dir auf die Arbeit!“ (man muss doch nett sein, wenn man sich wieder trifft, wenn man wieder zusammenkommen will, wenn man das wirklich will“) aber im Grunde meines Herzens weiß ich, dass das nicht passieren wird, dass das nur Wunschdenken ist.

Und das bringt mich nicht weiter.

Nichts bringt mich im Moment weiter. Außer vielleicht mein oder ihr Tod. Am nächsten Tag wäre ich mit María in Spanien. Am nächsten Tag wäre ich weg, ob sie will oder nicht.
Aber das bringt mich auch nicht weiter.

Weil mich nichts weiterbringt.

Und schon wieder läuft Supergirl im Radio.

She’s a Supergirl.

She’s a Supergirl.

She’s a Supergirl.

…and Supergirls don’t cry.

And you know why.

Because their (not so super men are crying
All the time)

Because they’re not quite such 
Supermen

And Supermen always cry

Cause they know they have to die.

Die Trauer dauert eben so lang wie die Trauer nun mal dauert.

Und wenn sie ein ganzes Leben lang dauert, dann dauert sie eben so lang.

Years are not minutes.

***




„Nadi, ich liebe dich“, sage ich zu mir selbst, als ich durch die Kälte zurück zur Spielhalle laufe, nur mit einem Hemd bekleidet.

Es ist kalt und der Himmel ist herbstlich trüb, so als wäre die ganze Welt in einen Nebelschleier gehüllt. Und ich gehe durch diese fast schon dunkle Gasse zur Spielhalle zurück, blicke auf die Mauer aus roten Backsteinen und bin traurig.

Wie war das heute in dem mexikanischen Buch? Pedro Páramo befindet sich in einer Welt zwischen Leben und Tod, an der Schwelle zum Totenreich.

Ich komme mit leeren Händen zurück, der eigentlich verbotene Ausflug von der Spielhalle zum Rewe war umsonst. Die Seife war einfach zu teuer, trotz der 10 Euro Trinkgeld. Die hatten nur die von CD und von Nivea und nicht die billige für 29 Cent. Das Shampoo war mit 1.99 sogar schon weit jenseits von Gut und Böse, sozusagen im Niemandsland zwischen Tod und Leben. Im Lidl bezahle ich niemals  1.99 dafür. Für 2 Packungen vielleicht, aber doch nicht für eine.

In der Passage kurz vor dem Park denke ich, dass ich María einfach liebe und dass es auch im Ausland nicht besser würde, da ich sie vermissen würde wie bekloppt. Außerdem kann ich sie wohl kaum ganz Nadine und ihrer verkorksten Familie überlassen. Also bringt das nichts. Also muss ich hier bleiben, im Niemandsland zwischen…Sie wissen schon.

„Ich liebe dich“, sage ich zu niemandem, in die kalte Abendluft hinein.

Als ich wieder sicher verstaut in der warmen Spielhalle sitze, kommt plötzlich eine kleine Ausländerin rein und sagt irgendetwas, dass ich nicht verstehe.

„Gut?“

„Häh…“

„Gut? Twenty-two.“

„Äh.“

Die sieht gut aus und lächelt und hat lockige Haare und will was sagen, das ich nicht verstehe.

Am Ende gibt sie auf:

„Forget it.“

Ok.

Sieht nicht schlecht aus. Ist aber eine Ausländerin. Die dich bestimmt nur ausnutzen würde wie 

Nadine.

Vielleicht ist es ja sogar gut, dass ich nichts verstanden habe.

Das kannst du sowieso vergessen, das mit der Liebe.

Dann kommt der Trinkgeldgeber wieder, will wieder spielen, obwohl er schon eben genug gewonnen hat. Diese Spieler sind genauso einsam wie du. Aber die ham wenigstens Spaß. Oder auch nicht? Wer weiß. Auf jeden Fall läuft im Radio Supergirl.

…cause she’s a Supergirl…

…and Supergirls don’t cry

…they just let their husbands…

…die.



***

Um elf Uhr, kurz vor meiner Putzphase, überkommt es mich dann doch wieder, dieses Gefühl der Traurigkeit, des Verlustes. Keine Ahnung warum.

…weil ich an Karneval denke. Und daran, was Nadine an Karneval so alles ohne mich anstellen wird. Alleine. Wenn sie alles bumsen wird, während ich – immer noch trauernd – alleine Zuhause sitze.
Muss diese Trennung wirklich sein? Ich liebe sie doch immer noch. Beim Schreiben dieser Zeilen zucke ich fast zusammen, fange fast an zu heulen. Das ist so eine Scheiße. Wir passten so gut zusammen

Haha

wenn wir wirklich gut zusammengepasst hätten, wären wir dies noch.

…nämlich zusammen.

Sind wir aber nicht.

…ist es aber nicht.

Nein: Wir sind für immer getrennt, entzweit.

…und das macht mich bekloppt.