Wir wohnten damals in so
einer „Pension“. Keine Ahnung, wie die genaue Bezeichnung war. Aber ein Hotel
war das auf gar keinen Fall. Die
hatten wir schon von Deutschland angerufen. Wie wir das immer gemacht haben.
Jedes Jahr. Jedes Jahr das Gleiche. Wir suchten uns einen günstigen Flug im
Internet (meistens Ryan Air), bezahlten den mit der Kreditkarte von Marías
ehemaliger bester Freundin, zu der sie eigentlich schon lange keinen Kontakt
mehr hatte, die wir aber immer noch anriefen (immer wenn wir in Urlaub wollten
und mit der Kreditkarte bezahlen mussten). Und erst dann, nachdem all das
erledigt war, fingen wir an, nach einem günstigen Hotel zu suchen. Nach dem
günstigsten, um genau zu sein. Das ging auch immer relativ gut (vorbei waren
die Zeiten, wo wir mit María im Kinderwagen in Alicante gelandet waren und erst dann, nach der Ankunft am
Flughafen, nach einem Hotel für die Nacht suchten (ich kann mich immer noch an
das Gesicht des Taxifahrers erinnern, der wirklich nicht amused war!).
Das war auch in Rom damals
so. Das war schon unser zweites Jahr in Rom. Das zweite Jahr hintereinander und
ich kann immer noch Nadines Stimme hören, wie sie sagte:
„Immer dasselbe.“
…
„Können wir nicht mal
woanders hin fahren?!“
…
„Immer Spanien“ (ich weiß,
Rom liegt nicht in Spanien, aber davor waren wir schon ein paar Jahre lang
immer nur nach Spanien gefahren, immer an einen anderen Ort natürlich, aber ich
glaube, das hing ihr trotzdem zum Hals raus).
…
„Da [und diesmal meinte sie
Rom] waren wir doch schon letztes Jahr, in Rom. Können wir nicht mal woanders
hinfahren…?!“
„Ok, wohin denn? Wohin
willst du denn?“
„Nach Portugal zum
Beispiel…“
ach, du Scheiße
Und dann laut: „Ach, du
Scheiße! Da, wo die Maddie entführt wurde??!! Portugal ist die europäische
Hauptstadt der Perversen. Das ham die damals gesagt, als die entführt wurde…“
nachher entführen die noch
María
„…außerdem reden die so
komisch. Ich versteh die gar nicht. Zum Beispiel der Freund von der Loreta.
Oder Mann. Oder was der auch immer ist. Der ist Portugiese. Und den verstehst
du überhaupt nicht…“
alle Portugiesen, die ich
bisher kennengelernt hab, waren Arschlöcher, restlos alle
„Oder den Mario damals, auf
der Schule. Der war ein Wichser…“
„Du und deine Perversen…"
„Wo willst du denn sonst
noch hin?“
„Nach Griechenland.“
ach, du Scheiße, es wird ja
immer schlimmer
„Zu den Griechen?! Ne, da
fahr ich nicht hin. Nicht als Deutscher. Für dich ist das ja einfach (du bist
ja keine Deutsche). Aber für mich. Nicht, dass die mich aufessen…“
„Nur, was du willst. Nur
Spanien. Immer nur Spanien.“
„Ne, nach Rom, war doch schön
da, oder nicht!? Ich will ja nicht von einem aufgebrachten griechischen Mob
gelyncht werden, nur weil ich ein Bayern-Trikot trage. Oder beraubt oder
beklaut…“
oder vergewaltigt
aufgegessen
„Näh, Griechenland kannst du
vergessen. Und Portugal sowieso.“
„Aber warum wieder Rom?!
Warum nicht nach woanders in Italien?!“
„Wohin denn?“
„Nach Neapel.“
oh Gott, das ist ja noch
schlimmer
„Nach Neapel?“
haben dir das die
Mafia-Ehemänner deiner lateinamerikanischen Freundinnen eingeflüstert, oder
was?!
„Da ist ja überall Mafia…und
Müll…“
„Du willst aber auch
nirgendswo hin, wo ich hin will.“
wenn du nach Neapel willst
„Näh, ich will zur Mafia.
Und auch nicht zu den armen Griechen…oder den perversen Portugiesen…außer
Spanien gibt es ja auch kein vernünftiges Land in Europa.“
„Da willst du ja nur hin,
weil…“
Ich wusste, was jetzt kommen
würde. Das war immer das Gleiche. Immer das gleiche Skript. Jedes Jahr, wenn
wir in Urlaub fuhren.
Aber am Ende einigten wir
uns irgendwie immer auf ein Ziel, mit dem ich auch zufrieden sein konnte. Also
weder Portugal, noch Griechenland noch Neapel.
Ich weiß, ich war irgendwie
auch nicht besser als sie. Keinen Deut besser, ich weiß.
Aber auch nicht so viel
schlimmer: Denn Rom war auch meinerseits ein Kompromiss, war auch nicht mein
Traumziel gewesen. Obwohl es mir da gefallen hatte, im Jahr davor, zog es mich
– wie jedes Jahr – eher weder nach Spanien. Es gab doch so viele Orte auf der
iberischen Halbinsel, die wir noch nicht gesehen hatten. Oder nicht?! Aber das
musste wohl warten. Denn dieses Jahr würden wir wieder nach Rom fahren. In die
ewige Stadt, die Stadt unserer ewigen Liebe.
Die Pension „bel ami“ befand sich, anders als die
letztjährige, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnere, ein bisschen
außerhalb. Das heißt, die war nicht irgendwo in der Vorstadt, im Ghetto, aber
schon extra muris, also außerhalb der
Stadtmauern. Aber nur knapp, denn bis zu selbigen waren es nur fünf Minuten zu
Fuß. Die war in einem ganz normalen Wohnhaus, die Pension, aber die
Eigentümerin machte uns gleich auf und gab uns einen Espresso zur Begrüßung.
Natürlich erst nachdem sie uns gebeten hatte – in Vorkasse sozusagen – für
unseren gesamten Aufenthalt in ihrem Etablissement zu bezahlen. Nachdem wir
also bezahlt hatten, erklärte sie uns, dass sie gar keine Italienerin sei (ich
hatte schon so was geahnt), sondern eine
Rumänin (daher die Vorkasse). Wir bezahlten und wurden brav auf unser
Zimmer geführt. Ein Dreibettzimmer, wie immer, wenn wir verreisten. Mit einem
großen Bett für mich und Nadine und einem kleinen, einer Pritsche für María. Was
so viel hieß wie: Keinen Sex im Urlaub.
(Ich weiß immer noch, wie
uns Nadine nur ein Jahr später fast dabei erwischt hatte, wie Nadine mir in
diesem Bombenhotel in Barcelona einen blies, am Blasen war, als María unerwartet
früh aus der Dusche kam. Das war vielleicht peinlich. Oder in Garrucha, wo ich so
geilrucha auf meine Frau war, dass ich unbedingt mit ihr schlafen wollte,
obwohl María im gleichen Zimmer schlief.)
Aber alles in allem war das
zweite Jahr in Rom nicht mehr so spannend wie das erste. Keine Ahnung, woran
das lag. Vielleicht hätten wir ja nach Neapel fahren sollen, haha. Uns für
einen Tag von Mafia und Müllbergen faszinieren lassen sollen. Vielleicht wär
der Urlaub ja dann spannender gewesen. Ich mein, er war jetzt auch nicht
schlecht, aber der Brüller? Auch nicht. Wie immer fuhren wir zum Strand (das
kann man in Rom für sage und schreibe 1 Euro!!! (daran sollten sich die
Stadtwerke Bonn mal ein Beispiel nehmen), ich las auf dem Klo, am Strand und im
Bett (kein Sex!) und wir gingen sogar wieder zu diesem Latino, wo wir ein Jahr
vorher yuca gegessen hatten. Aber
trotzdem…
Irgendwas störte mich.
Irgendwas hatte mich all die Jahre gestört. Nadine war wie immer. Wir redeten
und lachten viel wie immer. Und María genoss es auch, mit uns im Meer zu
planschen. Wie immer.
Wie immer eben.
Aber vielleicht war es genau
das. Das es eben wie immer war. Zwar Urlaub, der auf jeden Fall besser als
Deutschland war, aber wie immer. Ich aß Pizza (die gibt es in Rom sogar frisch
im Supermarkt), Nadine und María gingen shoppen, während ich brav vor jedem
Geschäft stehenblieb und Rammstein hörte. War es Rammstein? Ich glaube schon. Diese
harten Lieder, wie zum Beispiel Reise,
Reise, die so herrlich in den Urlaub passen. Stand in diesen engen Gassen
im Zentrum, unter der Sonne Italiens und hörte Rammstein. Und das passt besser
zusammen als sie jetzt vielleicht denken mögen. Während Nadine und María von
Geschäft zu Geschäft tingelten. Und ich überall diese Scheiß-Inter-Trikots sah.
Ja, genau, das war das Jahr, wo Bayern das Champions-League-Finale gegen Inter
verloren hatte. 2012. Das muss es gewesen
sein. Unser letztes Jahr in Rom. Ein Jahr bevor wir wieder nach Spanien gefahren waren – diesmal zu Nadines Verwandten
in Andalusien. Oder nach Pamplona (in dieses Bombenhotel…)? Ich glaube, nach
Pamplona. Und Barcelona. Und Cádiz, in das ich mich auf den ersten Blick
verliebte. Ja, ich glaube das war es. Die (buckligen) Verwandten kamen erst ein
Jahr später. Oder zwei. Nachdem Bayern endlich wieder einmal das
Champions-League-Finale gewonnen hatte und ich voller Stolz mein Trikot
präsentieren konnte, wo ich mir zuvor nach Häme ohne Ende („ewiger Zweiter“)
hatte anhören müssen.