Im Fernsehen reden sie über
den Nizza-Attentäter.
„…dass er ein
Kleinkrimineller war, vorbestraft, aber dass die Terrorüberwachung ihn nicht
auf dem Schirm hatte…“
Sie sagen, dass „es scheint,
dass sich der Mann sehr schnell radikalisiert hat…“
Sie reden von einem „psychisch
schwer gestörten Menschen“, der sich „vor kurzem von seiner Frau getrennt hat“,
mit ihr „drei Kinder hat“ (die bei ihr leben, nehme ich mal schwer an)…
…dass er „depressiv“ war, so
sagen es zumindest die Nachbarn, aber man muss da immer vorsichtig sein…
„…dass er immer komisch
geguckt hat und nie gegrüßt hat…“
„Wenn er cholerisch wurde,
schrie er und schlug um sich…“
„Vielleicht war der Täter
einfach ein ganz kaputter Mensch…“
Ein Freund soll kurz vor dem
Attentat zu ihm gesagt haben: „Aus dir wird nie was!“
Irgendwie ist ihm bei
solchen Aussagen immer ein bisschen mulmig zumute. Das kommt ihm schon
irgendwie bekannt vor… Vielleicht ist er ja auch ein bisschen depressiv,
cholerisch, guckt böse und nach der Trennung radikalisiert. Irgendwie, in
gewisser Weise, kann er das schon verstehen. Dass er sich von seiner Frau getrennt hat und
dann sozusagen eine Mordswut auf diese Gesellschaft hatte. Dass er seine Kinder
vielleicht nicht mehr sieht, nicht mehr sehen darf, weil sie bei seiner Frau
leben und er ausfällig, cholerisch und gewalttätig war. Natürlich ganz ohne
vorher provoziert worden zu sein. Das würde manchen Frauen ja nie in den Sinn
kommen. Steht ja auch nicht so im Internet.
Notieren
Sie sich jede Art von Ausfälligkeit. Rufen Sie die Polizei! Dann muss er
bestimmt Unterhalt zahlen und belästigt Sie auch nie wieder!
Dass er depressiv wird, nach
der Trennung von seiner Frau, seinen Kindern. Ich meine, mal ganz davon
abgesehen, dass es natürlich ein Verbrechen ist depressiv zu sein, heutzutage,
in der Spaßgesellschaft, man wird doch nicht depressiv, nur weil man alles
verliert, seine Frau und seine Kinder??!! Das wär ja noch schöner. Und das man
die nervigen, allzu bereitwillig der Polizei Auskunft erteilenden Nachbarn, mit
denen man sich vielleicht vorher schon wegen dem Waschkeller, wegen der Katzen
oder wegen oder wegen dem Leben an sich schon angelegt hat, mit dem Arsch nicht
mehr anguckt, weil man sich vielleicht nach der Trennung schämt, weil die
blöden Kühe und Arschlöcher schon vorher sich bei jedem Scheiß beschwert haben
(viele Grüße an dieser Stelle!), das ist auch schwer zu verstehen. In
Frankreich wahrscheinlich echt mehr als in Deutschland, aber trotzdem… Dass er
komisch geguckt hat (das tut er auch, oh Gott)…und was ist, wenn er mit einem
„komischen“ Blick geboren wurde, den er selbst gar nicht als so komisch
empfindet beziehungsweise empfand, bis ihn die Nachbarn, die Frau im
Supermarkt, „liebe“ Familienmitglieder, die eigene Frau, die eigenen Kinder
vielleicht einmal darauf hingewiesen haben…was ist dann? Ist das dann immer
noch ein komischer Blick.
Er sieht die Tweets zum Thema:
Wenn sich Donald Trump besorgt zeigt, ist das ja wohl der blankeste Hohn, den
es gibt. Heuchlerisch bis zum Gehtnichtmehr. Er will jetzt nicht den
islamischen Terrorismus verteidigen, aber…
Aber Moment mal… So einfach
ist das auch wieder nicht: Ist nicht er selbst auch besorgt, angesichts dieser
Entwicklungen, angesichts Köln an Silvester, angesichts immer mehr
Flüchtlingen, angesichts des Terrors in Paris und anderswo? Und gleichzeitig
wütend auf eine Gesellschaft, die seine christlichen oder ganz einfach
menschlichen Werte nicht mehr teilt, in der die Familie nichts mehr wert ist,
in der die Eltern nichts mehr mit ihren Kindern zu tun haben wollen und die
Kinder nichts mehr mit ihren Eltern. In der bei einer Trennung die Kinder
meistens noch immer vom Vater oder auch gelegentlich von der Mutter, aber auf
jeden Fall vom anderen Elternteil allzu leichtfertig entfremdet werden, nur
weil er nicht mehr in die allzu liberale, doch ach so schöne Patchwork-Realität
der Alt-68er passt. Obwohl er (meistens er) oder sie seine/ihre Kinder immer
noch liebt. Zum Wochenend-Daddy degradiert wird, weil die Frau (meistens immer
noch die Frau!) fröhlich Unterhalt kassieren will. In der irgendwelche
Patchwork-Flickschusterei (denn das heißt das Wort nun einmal im englischen
Original!) zum Idealbild erhoben wird, mit Stiefvätern, die neidisch auf nicht
eigene Kinder sind, die ihren richtigen Vater (oh Gott!) immer noch sehen
wollen…und sogar noch an Heiligabend, die einem das harmonische
Patchwork-Dasein versauen, mit ihrer chronischen Hin und Hergerissenheit, ihren
Schulproblemen, ihren depressiven Stimmungsschwankungen. Oder sie feiern das
Patchwork alle zusammen, so als hätten sie nie Freud gelesen, so als hätten sie
nicht alle ein Messer unter dem Stich, bereit sich gegenseitig an die Kehle zu
gehen.
Das ist doch alles schön!
Das ist doch alles wunderbar! Und er zahlt sogar Unterhalt für meine Kinder!
Ein Hoch auf das Rechtssystem!
Das kann ja echt alles
wunderbar, wunderschön und alles Mögliche sein, das kann ja auch
funktionieren…das sagt er ja auch nicht…und wo wären wir ohne die 68er… noch
bei den alten Deutschen (den alten deutschen Werten?)…aber…
…wenn…
…wenn es dann mal…
…nicht glatt läuft, nicht funktioniert, nicht
gepatcht werden kann…
… dann kommt es wieder hoch…
…dieses mulmige Gefühl…
…dieses Unbehagen in der
Kultur (ganz egal, ob der westlichen oder östlichen oder nördlichen oder südlichen)…
…dann ist das Geschrei groß!
Aber vielleicht bezieht er
das einfach alles viel zu sehr auf mich selbst.
Ja, genau: Das ist es! Das
ist die Lösung!
Und überhaupt: Warum
identifizierst du dich so mit dem? Das an sich ist ja fast schon pathologisch. Der
ist ein „Frauen-Schläger“, ein „Terrorist“, ein „Massenmörder“. Und tot. Du
nicht. Du würdest dir ja auch nie einen Laster leihen und 80 Leute plattfahren,
oder?! (Schon allein deswegen, weil du gar keinen Führerschein hast!) Also,
warum geht dir das so nahe? Du konntest noch nicht mal deine Frau schlagen,
haha. Und die hätte das manchmal… NEIN: Das ist ja auch richtig so. Das löst
man ganz ohne Gewalt, wenn man aus Europa kommt und 68er-Eltern hat. Und wenn,
dann nur psychische Gewalt. Darin sind Frauen schließlich mindestens genauso
gut!
Du bist nicht wie der! Da
musst du dir gar keine Sorgen machen… Du nimmst dir das viel zu sehr zu Herzen,
das, was die sagen. Das sagen die jedes Mal, die Medien.
Obwohl: Sagt nicht dieser
Ratgeber den du kürzlich gelesen hast, das wir alles in uns haben. Alles
verstehen können, weil wir es auch in uns haben…
Nach einer Trennung kann so
einiges passieren, das weißt du…
Aber nein: Du beziehst das
einfach immer alles zu sehr auf dich. Schon immer. Weil du zu sensibel bist.
Das ist dein einziges Problem: Das du alles immer auf dich selbst
zurückspiegelst. Immerhin hast du keinerlei Wunsch mit einem LKW durch eine
Menschenmenge zu fahren und selbst wenn die Menschenmenge aus Nadines Familie
bestehen würde, würdest du zweimal darüber nachdenken müssen. Ob es Nadines
Schwester oder Schwager oder anderer, älterer Schwester genauso ginge?
Obwohl: Auf Erschießen hätte
er schon Bock! Manchmal…