„Nimm es einfach so, wie sie
sagt und verschwende nicht weiter deine Zeit“, liest er in irgendeinem Forum,
auf der Suche nach der korrekten Schreibweise von „so wie“. Schreibt man das
mit oder ohne Komma? Davon hat er immer noch keine Ahnung, aber der Satz bleibt
irgendwie hängen. Besonders der zweite Teil, der
„verschwende-nicht-weiter-deine-Zeit-Teil“. Irgendwie kommt der dir bekannt
vor, dieser Ausspruch. Dieses carpe diem,
wie der Lateiner sagt. Und Robin Williams in dem Club der toten Dichter. Wo der
denen in der Eingangshalle der Schule all die Bilder mit den früheren Schülern
zeigt. Die, wie er betont, „jetzt alle tot sind“. Das soll dann angeblich den
Schülern eine Warnung sein, dass sie ihr Leben für etwas Sinnvolles nutzen
sollen und eben nicht ihre Zeit verschwenden sollen, weil sie ja nur einmal
leben. Man lebt nur einmal, sagt ja auch das Fast-Sprichwort, das man als
Ausrede benutzt, um allerlei Scheiß anzustellen. Also muss man seine Zeit
„sinnvoll“ nutzen. Und da fangen schon die Probleme an. Denn früher hat er das
auch versucht. Wo er noch jünger war, so etwa von 23 bis 31. Da dachte er noch
in diesen Begriffen. Davor noch nicht und danach nicht mehr. Da hat er auch
versucht, das Maximum aus dem Leben zu quetschen. Dem bisschen Leben, das er
hatte. Und ist kläglich gescheitert. Denn die Jahre vergingen und obwohl er
verzweifelt versucht hat, den „Tag zu nutzen“, das Beste aus seinem Leben zu
machen, sind die Jahre nur so an ihm vorbeigerauscht. Ohne, dass er von ihnen
beziehungsweise das Leben von ihm große Kenntnis genommen hat. Wie konnte das
passieren? Dabei wollte er doch immer alles aus dem Leben rausholen. War das
etwa schon alles? Oder liegt es an Bonn? An seiner Umgebung? An Nadine, die
schon diese komischen Feste auf dem Bonner Marktplatz als fiesta sah, während er sich zu Tode langweilte? All die Jahre.
Oder ist es genau das
Gegenteil: Liegt es etwa genau an diesem Wunsch, das Leben in vollen Zügen zu
genießen, dass es an einem vorbeirauscht? Kann man den Tag überhaupt richtig
nutzen? Seine Zeit nicht verschwenden? Seine Zeit nicht nicht verschwenden?
Oder ist die Zeitverschwendung vielleicht das einzige carpe diem, das in diesem Leben, in dieser Gesellschaft würde Freud
jetzt sagen, möglich ist? Oder verliert man genau den Funken, wenn man
versucht, seine Zeit „sinnvoll“ zu nutzen? Verliert man dann genau die
Spontanität, die man braucht, um seine Zeit voll auszuschöpfen?
Aber das Problem liegt glaub
ich ganz woanders. Denn sobald man sich mit den Jungs in der Welton Academy im Club der toten Dichter
darüber bewusst wird, dass man nur ein Leben hat, dass die Zeit eines jeden auf
Erden begrenzt ist, hat man da, genau ab diesem Moment, nicht etwa schon verloren?
In anderen Worten: Ist es vielleicht sogar besser, seine Zeit zu verschwenden,
indem man nicht daran denkt, dass man sterben wird, dass man in 10, 20, 50
Jahren nicht mehr da sein wird als den Tod immer vor Augen zu haben? Hilft es
einem wirklich zu wissen, dass Zeitkurve immer gen null tendiert? Oder ist es
genau das, was einen daran hindert, sein volles Potential zu entfalten. Denn:
Wenn man genau weiß, dass man eh sterben wird, in 10, 20 oder vielleicht erst
60 Jahren, was bringt es einem dann sich abzurackern, etwas zu erschaffen, dass
sowieso vom Wind weggeweht werden wird, wenn nicht in hundert Jahren, dann doch
irgendwann.
Das hat er sich schon immer
gefragt: Ob dieser Stress, den man sich macht, wenn man permanent daran denkt,
dass man irgendwann tot sein wird dem eigenen Wachstum überhaupt zuträglich
ist? Denn alles vergeht und selbst wenn nicht, selbst wenn mein Werk in tausend
Jahren noch da ist…
…ich bin schon in spätestens
sechzig Jahren nicht mehr da.
Also: Was hab ich dann
davon?! Steve Jobs, Darwin, Dickens, Shakespeare, Cäsar, Queen Elizabeth, sie
alle haben persönlich nichts mehr davon, dass sie irgendwann mal Großes
erschaffen haben. Denn sie selbst sind zu Staub geworden. Zu Asche. Zu Nichts.
Sehen ihr Werk nicht mehr, spüren es nicht mehr, keiner dankt es ihnen
persönlich, es sei denn man geht davon aus, dass sie aus dem Himmel auf ihre
Errungenschaften heruntergucken…
…und selbst das wird
irgendwann langweilig.
Der einzige Grund, der ihm
einfällt, seine Zeit nicht zu verschwenden, die wenigen Jahre „sinnvoll“ zu
verbringen, ist, dass wenn man es nicht tut, dass Leben irgendwann auf einen zu
kommt und einen so dermaßen in den Arsch fickt, dass einem Hören und Sehen
vergeht. Gorbatschow hat das mal so ausgedrückt: Wer zu spät kommt, den
bestraft das Leben… Aber passiert das nicht irgendwie auch denen, die pünktlich
kommen. Denn andererseits bestraft es einen auch, wenn man sich den Arsch
aufreißt, um etwas „Sinnvolles“ mit seiner Zeit anzufangen, wenn man wie Steve
Jobs „Großes“ erschafft, jeden Tag aussaugt, bis zur letzten Sekunde und dann
irgendwann an Krebs stirbt. Den Tod hat das kein bisschen gekratzt, dass er da
Steve Jobs vor sich hatte und das dieser Mann den Tag optimal „genutzt“ hat.
Also ist es am Ende doch eh
egal, was man macht, denn man macht es immer falsch, egal wie man‘s macht.
In diesem Sinne: Sie können
gar nichts falsch machen. Oder anders gesagt: Machen Sie’s falsch! Vielleicht
machen Sie es ja dann richtig. Bevor Sie sterben