Sonntag, 26. Juni 2016

Unsere Liebe zum Fussball











In unseren Fußballspielen spiegelte sich auch immer der Stand unserer Beziehung wieder.

Beim 7:1 gegen Brasilien waren wir Zuhause. Nicht so sehr, weil wir Angst gehabt hätten, gegen Brasilien zu verlieren und dann draußen beim Public Viewing vor den wenigen Brasilianern und Brasilianerinnen Baden zu gehen.
Nein: Wir blieben Zuhause, weil wir uns kurz vor dem Spiel gestritten hatten. Keine Ahnung warum. Es waren immer dieselben Themen: Ihre Familie, ihre Familie und ihre Familie. Genauer gesagt: Ihr Schwager Rafael und ihre Schwester Slainté und Mandy. Meine Eifersucht auf ihren Schwager und ihre Familie und überhaupt jedes männliche Wesen von hier bis Köln und ihre ständig wachsende Gleichgültigkeit mir gegenüber. Ich klammerte und sie entzog sich. Ich schrie und tobte und sie schwieg und schmollte. 

Wir haben uns eben immer gut ergänzt, auch im Streit. Beide Experten in Formen des emotionalen Missbrauchs, der emotionalen Erpressung, sie immer von oben herab, ich immer von unten den Berg hinauf kämpfend. Keine Chance. Keiner einen Deut besser.

Ergebnis 7:1. Die deutschen hatten über die Südamerikaner gesiegt, aber trotz des hohen Ergebnisses kam es zwischen Lateinamerika und Deutschland zu keinem Burgfrieden. Eher zu einem kalten Krieg, den ich immer versuchte durch gezielte Provokationen zu durchbrechen, auf die sie mit der äußerst kalten Schulter ihres ansonsten sehr warmen Körpers reagierte. So wog ihr Schweigen mein ständiges „Theater“ mindestens auf, wenn es dieses nicht sogar übertraf. Wenn ich so drüber nachdenke: Ja, es übertraf mein Theater jedes Mal. So, wie ich mit meinem Theater damals gegen meine Mutter untergegangen war, gegen Windmühlen gekämpft hatte, so erging es mir jetzt wieder. Ich saß 10 Zentimeter vor dem Fernseher und konnte nicht laut jubeln, weil es sie eingeschlossen hatte und sie lag trotz des guten Ergebnisses halb schlafend im Bett und starrte auf den Bildschirm, der später bei einem Streit dann sogar noch draufgegangen ist. Gute Zeiten. Schlechte Zeiten. Ein Leben, das neu beginnt.

Und war da noch die Pizza. Die sie für mich gekauft hatte, die sie mir mitbrachte, wo ich auf sie gewartet hatte, in unserer – oder war es nur meine – Fußballstammkneipe. Im Nachhinein war das die beste Pizza meines Lebens. Das erzähl ich heute noch Yasir, wenn er mir sagt, ich solle eine Pizza bestellen. Sie brachte sie mit und ich liebte sie. Die Pizza und sie. Die hatte so dick Käse. Eine perfekte Schicht dicker Käse. Die Pizza, nicht sie. Sie auch, unter den Füßen und zwischen den Beinen, haha, aber ich stand ihr beim Thema Körperkäse in nichts nach. Knobcheese.

Das war damals nur eine ganz normale Champions-League-Partie. Vorrunde. Gruppenphase. Nicht mal ein besonderer Gegner. Irgendeine kleinere Mannschaft. Und ich war direkt nach der Arbeit in die Altstadt gefahren und hatte ihr einen Platz freigehalten. Einen Platz an der Sonne, direkt vor dem Bildschirm, vor der Leinwand, die die da hatten (denn ich war und bin blind wie ein Maulwurf und das war der einzige Platz von dem ich überhaupt etwas sah). Wir aßen die Pizza zusammen, hielten Händchen und redeten Spanisch. Die anderen wunderten sich, dass ich als Deutscher so gut Spanisch konnte und der Abend verlief gut, obwohl die Bayern nicht gewannen. Was würde ich heute geben, nur eine Sekunde diese Pizza noch mal mit Nadine essen zu können…Das war mein letztes gemeinsames Fußballspiel mit ihr.

Ich mag keinen Fußball mehr. Das heißt, ich mag ihn noch, aber es ist nicht mehr das Gleiche. Heute hat Deutschland 3:0 gegen die Slowakei gewonnen und ich habe das Spiel nur abgehakt. Durchgewunken. Schön, dass Gomez ein Tor geschossen hat. Das war früher immer mein Lieblingsspieler. Wie ich noch mit ihr Fußball geguckt habe. Zum Glück bin ich in Tannenbusch, auf der Arbeit, in Klein-Arabien, und es fahren kaum Autos vorbei. Dieses Jahr ist das auch irgendwie weniger, was meiner Laune entspricht. In meinem Größenwahn und Narzissmus denke ich, dass das was mit mir zu tun hat, aber natürlich ist das Quatsch. Vielleicht vermisst sie mich ja auch gerade. Ich heule hier fast. Aber sie hat mich verlassen, wollte mich nicht mehr, will mich nicht mehr, keine Ahnung warum

Und ich würde am liebsten auf den Mars geschossen werden. Allein in einer Raumkapsel, aber bitte mit Internet.

Dann war da noch das WM-Finale. Streit hatten wir da auch. Wir hatten immer Streit, aber ich glaube bis heute nicht, dass es besser war, mich zu trennen. Aber vielleicht doch. Es ist auf jeden Fall so. Beim Deutschland-Argentinien-Spiel ging es noch. Das war im Sommer. Das Finale der WM. Wir hatten gerade wie erwähnt die Brasilianer geputzt und uns zum Finale wieder zusammengerafft. Der erhöhte Alkoholpegel war schon lange mein ständiger Begleiter während dieser Public-Viewing-Exkursionen gewesen. Ich trank wie ein Loch. Trinken und mit meiner Frau ausgehen gehörte schon lange zusammen. Exzessiv trinken, was bei mir nicht viel heißt. Schon bei zwei Weizen werde ich fröhlich. Und laut. Und mit Nadine als Backup. Dabei hat sie das nie richtig verstanden. In echt trank ich nicht gegen sie, sondern für sie. Um sie irgendwie verzweifelt zu beeindrucken. Ich trank um lustiger zu sein. Und wie alles, was ich tat, um sie zu beeindrucken, ging das voll in die Hose. Immer mitten in die Fresse rein. Aber vielleicht trank ich auch, weil ich frustriert war. Keine Ahnung. Oder aus beiden Gründen gleichzeitig. Um sie zu beeindrucken und vor den Kopf zu stoßen. Weil ich frustriert war und ihre Aufmerksamkeit brauchte, wie die Luft zum Atmen. Frustriert, weil auch ich mehr wollte: Mehr Spaß, mehr Sex, mehr Leben. Hier eine Warnung an alle Kinder und kleingebliebenen Erwachsenen: Macht das nicht, wenn ihre eine Frau beeindrucken wollte. Es gibt viel bessere Methoden: Ein Haus bauen, ein Schiff kaufen, befördert werden, sie zu beschenken, alles Mögliche. Aber wenn ihr anfangt zu saufen, weil ihr denkt, das sei cool, dann seid ihr schon auf dem absteigenden Ast. Auf dem Abstellgleis. Wie ich damals. Beim Argentinien-Spiel war die Stimmung schon irgendwie angesäuert. Ich trank und schimpfte und beleidigte arme unschuldige Argentinierinnen und als Deutschland Weltmeister war sang ich aus vollem, betrunkenem Hals die ganze Zeit FC Bayern.

FC Bayyyern
FC Bayyyern
FC Bayyyern
FC Bayyyern


Was natürlich irgendwie nicht passte, weil das Deutschland war und nicht der FC Bayern. Obwohl, andererseits bestand Deutschland zu einem hohen Prozentsatz aus dem FC Bayern. Aber es ging mir um was ganz anderes: Ich wollte Anerkennung, wollte nicht geächtet sein als Bayern-Fan, von ihr, von der Welt. Kriegte ich natürlich nicht. Wie immer.

Am Ende zog sie mich lediglich ein bisschen mitleidig da raus, obwohl mir diesmal keiner ans Leder wollte. Denn alle waren glücklich, weil Deutschland Weltmeister geworden war. Aber es war nicht mehr das Gleiche. Schon lange nicht mehr. Vielleicht seit 2013 schon nicht mehr. Seit dem Champions-League-Finale.

Bei dem wir uns sage und schreibe durch die gesamte erste Halbzeit gestritten hatten. Inklusive Bayern-Tor und Dortmund-Ausgleich  Keine Ahnung, worum es ging. Aber wie schon oben gesagt: Die Themen waren austauschbar. Wie immer in Beziehungen. Es ging vielmehr um den Streit selbst. Die Friktion, die Reibung. Aber wenn der Streit das einzige und das letzte Mittel ist, um für Reibung zu Sorgen, dann ist es um die Beziehung nicht mehr sonderlich gut bestellt. Mehrmals drohte sie mir passiv-aggressive damit, zu gehen und ich konnte das gerade so abwenden. Denn was sollte ich denn alleine in diesem Scheiß-Irish-Pub in Endenich?! Ohne sie hätte das ja gar keinen Spaß mehr gemacht. Mit ihr zwar auch nicht so richtig, aber besser als ohne sie. Und das wusste sie. Das wusste sie ganz genau. Und blieb. Gerade so. Ich sah die Schriftzeichen auf der Wand natürlich nicht, blind und inzwischen von ihr abhängig, wie ich mittlerweile war. Abhängig wie von Kokain. Südamerikanischem Kokain. Ich kann das bis heute nicht verstehen. Sie sah noch nicht mal so gut aus und so gut war sie auch nicht im Bett (ich allerdings auch nicht). Auf jeden Fall waren wir uns am kloppen wie die Kesselflicker und wurden nur von dem Bayern-Tor unterbrochen. Und dann noch mal von dem Dortmund-Tor. 1:1. Unentschieden.  Aber in unserer hatte sie schon lange die Oberhand. Und was mache ich, wenn eine Frau die Oberhand hat. Ja, genau: Theater. Eine Sondervorstellung an diesem Abend. Denn damals war Lewandowski noch bei Dortmund und spielte auch nicht besser als bei den Bayern. Versagte sang- und klanglos in den wichtigen Spielen. Scheiterte so oft an Neuer, dass er es glaub ich irgendwann in der zweiten Hälfte aufgab. Was die Polen hinter mir nicht amuste. Und mich umso schadenfreudiger werden ließ. Ich hatte auch keinen Bock auf die Arschlöcher. Was vielleicht daran lag, dass ich selber ostpreußisches Blut in meinen Adern hatte. Oder vielleicht auch daran, dass der Typ, der alte Gockel, der mit Nadine und ihren Schwestern und María und der Tochter ihrer Schwester zum Nacktbaden gegangen war, ein Pole war. Was für ein Hurensohn. Wie konntest du da nur da mitgehen? Du warst doch damals legal in Deutschland? Wie konntest du dich da nur einfach so entblößen, vor denen, wenn du Zuhause so prüde bist? Das passt doch nicht zusammen. Und welcher Mann nimmt schon Kinder mit, wenn er auf die Mütter steht? Wer macht so was?

Lange Rede, kurzer Sinn: Mitte der zweiten Halbzeit hatte ich vier Polen an meinem Hals, die mich fast geschlagen hätten (taten sie natürlich nicht, die Feiglinge), hatte einen von ihnen damit bedroht, ihm eine Kugel zu verpassen (als ob ich eine Pistole hätte!) und wurde von Nadine da rausgezogen und von dem Kellner (diesem bloody son of a bitch) rausbegleitet. Während diese Arschlöcher dableiben konnten. Wo leben wir denn? Und wem gab Nadine die schuld? Klar, mir. Ok, ich hatte die Schuld, aber die etwa nicht. Mit vier Mann auf einen. Was für Wichser! Was für Feiglinge! Unter gegenseitigen Schuldzuweisungen suchten wir uns also die nächste Kneipe, Aus der ich dann auch fast wieder rausgeflogen bin, aber…

…am Ende rettete Robbens Tor den Abend. Robben, dieser Wichser hatte die Bayern zum Champions-League-Sieg geschossen. Mit einem Kullerball. Und alles schien wieder gut zu sein, als ich laut singend FC Bayern singend durch die Straßen Endenichs nach Hause ging, Nadine immer an meiner Seite.

Mannomann, so eine bisschen Rassismus, ein bisschen Opposition gehört schließlich zum Fußball. Ich muss ja auch irgendwo meinen Spaß haben, wenn du die ganze Zeit mit alten polnischen Gockeln und Kind und Kegel nackt baden gehst. Aber das war ein Riss in unserer Beziehung und unserer Liebe zum Fußball. Oder meiner Liebe zum Fußball, denn ich weiß bis heute nicht wirklich, was ihr das alles wirklich gab. Denn mehr als einmal schlief sie bei einem Bayern-Spiel einfach so vor dem Fernseher ein. Was mir nie passiert wär. Und einem echten Bayern-Fan auch nicht. Wie ihr Neuer. Der auch Bayern-Fan ist. Und sie wahrscheinlich genauso aufwecken muss, wenn sie während eines Halbfinales wieder einmal einnickt.

Und dabei hab ich das alles nur gemacht, um sie zu beeindrucken (ein herrlicher Plan!).

Oder weil ich frustriert war? Weil ich raus wollte aus dieser Beziehung? Weil ich Spaß haben wollte? Weil ich mein eigenes Leben leben wollte, ohne sie? Weil ich mehr Spaß, mehr Sex (und vor allen Dingen: mit anderen Frauen!) und mehr Leben wollte? Weil sie mich einengte?

Trotzdem ist und bleibt diese Pizza, die ich damals mit ihr in der Fußballkneipe (auch noch des 1. FC Kölns!) gegessen habe die Beste meines Lebens

Was würde ich nicht dafür geben

Morgen gehe ich zu Spanien-Italien

wenn das Wetter gut ist