Kann ich noch aggressiv sein? fragt er sich auf der Arbeit.
Hab ich noch diese Grundaggressivität, diese Uraggressivität, die meine Mutter
jahrelang in mühsamer Kleinstarbeit versucht hat, in mir auszurotten,
auszumerzen, bis zum letzten Wutausbruch? Weil sie damit nicht umgehen konnte.
Warum bloß nicht, Mutter?! Hat das was mit deinem Freund zu tun, den du vor
meinem Vater hattest, in deinem Dorf, wie ich jetzt erst erfahren habe, in
einem Moment der Unachtsamkeit meines Vaters, in einem freudschen Moment? Der,
der laut meines Vaters sogar im Knast war. War der zu aggressiv für deine
kleine, junge, naive Seele?
Kann ich das noch? Kann ich
noch aggressiv sein?
Hab ich noch die Kraft
zurückzuschießen?
Ab heute 22:38 wird zurückgeschossen…
Was für eine armselige
Person ich doch bin? Was für ein armseliges, fast 100 Kilo schweres, fast 1,80
großes, kleines Männchen ich doch bin.
Es
sind ja nur Worte
Ihre Schwester, die auf
diesem Facebook-Foto aussieht wie Gaddafi…
Kann ich noch nicht „nett“
sein?
Wir sind Männer, Männchen,
von unseren Müttern zur Nettigkeit erzogen. Harmlosigkeit. Damit wir unsere
Schwestern, unsere Mütter und später unsere Frauen und EXen nicht mehr
verletzen können. Weil sie damit nicht mehr umgehen können, mit männlicher
Aggressivität. Und dann wundern sie sich, dass wir noch immer keine Freundinnen
haben. Dass wir keine Freundinnen kriegen. Weil wir Angst vor Frauen haben
Vor Müttern, die komplett
nackt durch die Wohnung rennen. Das Schamhaar bis oben hin
Heute hat mich meine
Anwältin – eine weitere starke Frau, die nicht mit Aggressionen umgehen kann,
die immer „nett“ und „fair“ bleibt? – informiert, dass der Anwalt meiner Frau,
ein „echter“ (?) Mann wie ein zu klein geratener Preisboxer im Anzug, Gott habe
ihn selig, die Scheidung einreichen wird.
Heute schreibe ich zurück,
fast wie im Rausch. Ab heute, 22:48, wird zurückgeschrieben. Diese Welt wollte
mich nicht und jetzt will ich sie nicht mehr. Wer, die Welt oder sie? Beide
Ab heute wird zurückgepostet.
Gegen Gott selbst, wenn es nötig ist. Ich verklage selbst Gott da mit rein,
wenn das meinem Fall etwas bringt.
Wie die toten und noch
lebenden Zeichner von Charlie Hebdo habe ich nur meinen Stift, einen alten,
abgefuckten Kulli, der aber noch erstaunlich gut schreibt (no phallic symbolism intended!)
„Lass meine Schwester in
Ruhe! Sie ist eine alte Frau!“ hat sie kurz vor dem Ende zu mir gesagt. Recht
hatte sie. In ihrer fast rührenden Fürsorge für ihre Schwester, ihre Familie.
Eine Fürsorge, die sie für mich nie hatte. Die sie für mich nie übrighatte.
Weil sie sie schon ganz ihrer Familie gewidmet hatte und keine mehr für mich,
ihren schwierigen Mann übrig war. Recht hatte sie: Ein alter lybischer
Diktator-Verschnitt, verheiratet mit Rafael, dem Superpiiiiiiiiimmmeeeeeeeeeeeeeeeell.
Der so lang ist, dass er fast nicht mehr in diese Zeile passt. Sie zu sprengen
droht mit seinen Ausmaßen. (ich weiß, Penisneid ist Scheiße, aber das ist
dieses Leben auch). Ihr Schwager mit dem (symbolischen und sehr reellen) Loch
in der Brust. Da wo eigentlich das Herz sein sollte. Mit der Sozialbrille und
der krüppeligen Hand, die er bestimmt irgendwann wo reingesteckt hat, wo sie
definitiv nicht hingehört.
Ab heute wird
zurückgeschrieben. Du willst mich nicht (mehr), du liebst mich nicht (mehr),
also muss ich mich auch nicht mehr zurückhalten.
Dafür wird dir eh nicht
gedankt.
Warum sollte ich mich
zurückhalten?!
Das ist eine Fiktion. Dieser
ganze Blog ist eh nur eine Fiktion. Ich bin eine Fiktion. Keine Ficktion, sondern
eine Fiktion. Mein Erschaffer ist eine Fiktion und alle Personen hier sind rein
fiktiv. Produkt meiner kranken Fantasie. In Wahrheit bin ich noch
glücklich-unglücklich, unglücklich-glücklich verheiratet und wir haben dieses
Jahr unser zwanzigstes Jubiläum gefeiert. Mit einer großen Feier, zu der alle
ihre Freunde gekommen sind.
Ihre andere Schwester mit
ihren superschmalen Lippen (du wusstest es schon immer, traue nie einer
schmallippigen Frau!), ihrem „Spitze-Deutsch“ und ihren kein bisschen seltsamen
männlichen Freunden, äh, Bekannten.
Warum zog sie diese Art von
Mann fast schon magisch an. Diese bestimmte Art von, die sich ja eigentlich
nicht wirklich für sie interessierte.
Sondern…
Ich habe keine Angst mehr
(und doch ist meine Angst so groß), was soll schon passieren?!
Ich sterbe ja doch am Ende.
Am Ende sterben wir alle. Sind nicht mehr da. Nie wieder. Spüren nichts mehr.
Für immer
Amen
Gott habe seine Seele gnädig
Noch eine bittere Wahrheit,
die des Todes, die ich von frühester Kindheit habe schlucken müssen. Wie eine
bittere Pille. Ob ich will oder nicht. Geworfen in diese Welt, in diese
Familie, in diese Ehe wie ich war.
„Mach die Augen zu, dann
siehst du was du bist.“ Oder „hast“?
Wo waren wir? Ach ja, bei
ihrer Schwester, dem Facebook Gaddafi-Verschnitt. Mit weniger Bartwuchs, aber
einem fast so schön Schal.
Meine Tochter sagt immer,
dass ich „Aggressionen“ oder „aggressiv“ so komisch ausspreche. Ich glaube, es
ist das „g“ in aggressiv, dass ihr bei mir nicht gefällt.
Tochter, was viel wichtiger,
viel trauriger als die vermeintlich falsche Aussprache des Wortes ist, ist,
dass ich fast verlernt habe, wie man aggressiv ist. So richtig aggressiv. So richtig aggressiv sein.
Aber nur fast. Denn: Mis palabras son bombas.
Und das ist eh alles
Schwachsinn. Aber ist nicht eh alles Schwachsinn, das ganze Leben. Wenn wir
ehrlich sind. Wenn wir nur einmal, nur ein einziges Mal in unserem miserablen
Leben, unseren vidas míseras, ehrlich
sind.