Mittwoch, 8. Juni 2016

Das Unbehagen in der Beziehung









Das ist schon komisch, irgendwie, wenn man drüber nachdenkt. Fast schon unheimlich. Sie hatte immer dieses eigenartige Gespür für Leute, die komisch waren. Kriminelle und so. Kleinkriminelle. Wie zum Beispiel in Rom damals, wo sie direkt gemerkt hat, dass sich da jemand von hinten an meinem Rucksack zu schaffen machte. Ich hätte das im Leben nicht gemerkt. Der hätte mir alles klauen können, dieser Typ. Einer von diesen Schwarzen, die da immer rumhingen, in der Nähe vom Bahnhof. Die da wahrscheinlich auf leichte Beute warteten. Deutsche Touristen mit Rucksäcken wie er zum Beispiel. Die sich nicht auskennen und sowieso permanent abgelenkt sind. Die hatten da sogar fast ein ganzes Gebäude besetzt, diese Afrikaner. Das hatte so eine Balustrade, wo die immer standen.

Schon komisch.

Und dann damals in Tarragona, in Spanien. Das war genau das Gleiche. Wieder am Bahnhof, wo wir gerade auf den Bahnsteig hochgegangen waren, wo der Zug kam, der uns zurück nach Barcelona bringen sollte. Ich merkte wie immer nichts, während sie auf einmal auf in dieser heimlichen Art und Weise, die sie hatte, zu mir sagte: Der Typ hat eine Pistole. Der hatte sie angeblich angeguckt, das war auch ein Schwarzer oder ein Araber, keine Ahnung. Und dabei hatte sie angeblich gesehen, dass er eine Pistole in seiner Hose hatte. Eine Shorts hatte der glaub ich an. Ich konnte keine Pistole sehen, wollte aber auch nicht so direkt da hingucken. Das waren mehrerer Typen. Ein Afrikaner und ein Araber, der an der Treppe stand. Keine Ahnung, ob der auch bewaffnet war. Aber der Schwarze war laut Nadine ganz sicher bewaffnet. Zuerst machte ich mich noch über sie lustig, sagte leise: “Keine Ahnung, was du wieder für Pistolen bei dem Schwarzen gesehen hast, aber…“.

Aber ihr war das ernst und wir gingen von den beiden Typen weg, was schwierig war, denn die Bahnsteig war voll bis oben hin mit Touristen und Spaniern, die einen Tag am Strand verbracht hatten.

Sie hatte so ein Gespür dafür, so eine Antenne, keine Ahnung, wo das herkam. Wahrscheinlich aus Ecuador. Weil sie da viel gesehen hatte? Oder hatte sie in Deutschland viel gesehen, erlebt? Ich hatte ihr das nie richtig geglaubt, das mit Olav, ihrem Freund, der sie angeblich entjungfert hatte. Denn immer, wenn ich sie danach fragte, nach ihm fragte, wich sie mir aus. Sagte nichts. Bis ich irgendwann aufhörte, sie zu fragen. Bis ich irgendwann damit aufhörte, weil ich merkte, dass sie nicht darüber reden wollte. Was meine Neugier nicht stillte, aber wenn sie eh nichts sagte. Damals dachte  ich, das wär aus einem Schamgefühl heraus. Oder um mich nicht mit ihm vergleichen zu müssen.

Einmal fragte ich sie sogar ganz direkt, wie der so im Bett war, ihr Erster. Ob er einen langen hatte, einen längeren als ich, was er für Praktiken bevorzugte, keine Ahnung. Aber sie sagte nichts

Wie jetzt

Sie wird wohl ihre Gründe gehabt haben, haben

Und da war noch eine dritte Sache, in Ecuador. Als ich mit ihr an die Küste zu ihrer Schwester fuhr. Nach Manta. Das war glaub ich vor unserer Hochzeit. Das war auch komisch. Es gibt in Ecuador, diese Tierchen, diese Souvenirs aus diesem weißen Material, das dem Marmor ähnelt, aber viel leichter ist und glaub ich von irgendeinem Baum kommt. Da machen die so Tierchen draus. Die es in Ecuador gibt. Vögel, Schildkröten, was weiß ich. Die sind schön, die gibt es da überall zu kaufen. Auf jeden Fall waren wir an einem Strand und da gab es ein Geschäft, wo die nur Sachen aus diesem Material hatten. Alles Mögliche. Tiere, Bäume, Busse, Schmuck, alles. Und wir haben glaub ich sogar was gekauft. Oder uns das nur angeguckt. Ich weiß es nicht mehr. Auf jeden Fall, als wir späte am Strand waren und ins Meer gingen, zeigte mir Nadine diese Ringe. Sie hat an jedem Finger ihrer Hände einen Ring aus diesem Material aus dem Geschäft, in dem wir vorher gewesen waren. Und zeigte sie mir stolz. Und jetzt fiel es mir auch wieder ein. Sie hatte nichts gekauft, da war ich mir ganz sicher. Damals war sie schon so an die 26 Jahre alt. Und sie hatte die Ringe einfach mitgenommen. Bewusst. Das muss ja bewusst passiert sein. Oder nicht? Ich bin auch schon mal aus der Stadtbibliothek herausgegangen, mit Büchern, die ich eigentlich hätte verbuchen müssen. Aber nicht bewusst

Aber das war noch nicht das, was am Komischsten war. Das Komischste war, dass sie, nachdem wir wieder aus dem Wasser kamen, oder später, keine Ahnung, keinen der Ringe mehr hatte. Ich hatte sie komisch angeguckt, als sie mir die Ringe gezeigt hatte. Das war ja auch komisch. Dass sie die einfach so mitgenommen hat. Mitgehen hat lassen. Das passte so nicht zu dem Bild, was ich von ihr hatte. Aber ich hatte nichts weiter gesagt. Ich war glücklich wieder mit ihr vereint zu sein, war am Strand, im Wasser, das zwar nicht so toll war, aber im Pazifik baden zu gehen, das war schon was Besonderes.

Trotzdem muss mir irgendwas komisch vorgekommen sein, irgendwas muss mir damals über aufgestoßen sein, denn als ich sie fragte, wo denn die Ringe wären (die Ringe, die sie…) sagte sie, sie hätte sie im Meer verloren.

Alle?

Ich meine, sie war ja keine Jugendliche mehr. Sie war ja schon Mitte 20.

Irgendwas muss auch ihr komisch vorgekommen sein an meiner Reaktion, dass sie die Ringe verloren hat. Wie kann man denn fünf Ringe durch Zufall verlieren? Genauso wie man durch Zufall vergessen kann, dass man sich die fünf Ringe anprobiert hat und sie an der Hand vergessen hat. Genauso wenig.


Ich weiß, es bringt ja nichts, sich darüber Gedanken zu machen, jetzt, wo sie weg ist, aber komisch ist das trotzdem

Ich will mich hier auch nicht zum Richter über sie erheben, ich hab bestimmt auch so meine Leichen im Keller, wir sind alle keine Engel, aber