Sonntag, 16. Oktober 2016

Depression oder Angststörung









Der Kunde steht neben ihm und sagt wie aus heiterem Himmel:

„Bist du sehr freundlich und netter Mann…“

Echt?

Das schockt mich jetzt aber wirklich, denkt er. Er weiß gar nicht, was er sagen soll.

Am Ende bringt er nur ein schüchternes „Danke“ hervor.

„Immer am Lachen. Das ist sehr selten in Deutschland. Echt! Ich freue mich immer bist du hier.“

„Danke.“

„Ich weiß. Das ist auch das, was mir an Deutschland nicht gefällt…“

Ich hasse Deutschland.

Als der Kunde wieder weg ist, denkt er nur: Sagt der das jetzt wirklich? Zu dir? So können sich die Perspektiven unterscheiden. Wirke ich echt so auf die Leute? Kann ich mir kaum vorstellen. Bei meinem derzeitigen inneren Zustand. Äußerster Verzweiflung. Ich dachte immer, ich wirke eher so, wie das dieser Typ aus Essen auf der Abschlussfahrt damals gesagt hat. Was hat der noch mal gesagt: „Du hast mich anguckt, da dachte ich, du wolltest mir was…“

Aber wenn der das sagt. Dann wird das wohl so sein. Ich bin ja hier auch auf der Arbeit. Da ist es leicht freundlich zu sein. Wenn der wüsste… Wie es in seinem Inneren aussieht. Was er für ein Leben, für ein Jahr hinter sich hat… Dann würde der das noch erstaunlicher finden…

Das Lachen eines traurigen, einsamen Clowns. Wie bei Dickens… Der am gleichen Tag geboren ist wie er.


Doch dann zweifelt er wieder: Oder der Typ hat irgendeine Wahrnehmungsstörung. Einen Knick in der Optik. Oder auch Depressionen. Aber du weißt ja selbst nicht, ob du wirklich Depressionen hast. Diese Psychologin, bei der du kurz nach der Trennung warst, hat gesagt, dass das keine Depressionen sind. Wenn man was fühlt, trauert, dann sind das keine Depressionen… Hat die zumindest gesagt. Was sind dann Depressionen?? hast er sich seitdem immer wieder gefragt. Wenn das keine sind…Aber vielleicht ist das ja auch eine Angst-Störung. Oder eine narzisstische… Ich weiß nicht, wie da die Abstufungen sind. Bei den „Profis“, den richtigen Psychologen, sind die bestimmt auch noch mal anders als bei Küchenpsychologen wie ihm. Man kann sich ja auch nicht selbst therapieren, geschweige denn verlässlich einordnen. Bei der Psychologin war er ja auch nie wieder. Trotz mehrfacher Aufforderungen. Das war teilweise richtig penetrant. Aber die hat damals gesagt, dass seine Stimme immer lauter würde, wenn sie ihm widerspreche. Mag sein, aber dafür geht er nicht zur Psychologin, damit die ihn kritisiert. Dass er damit ein Problem hätte…

Sehen Sie, Narzissmus! Eindeutig! Eindeutig zweideutig! Aber bestimmt auch eine Angst-Störung, so viel Angst wie er vor dem Tod hat. Vor dem Leben. Vor allem. Nur nicht vor Spinnen, wie sein Schüler. Davor nicht. Aber Höhenangst!

Seiner Meinung nach ist es auch kein Wunder, dass Angst ein urdeutsches Wort ist. Eins der wenigen deutschen Wörter, die ihren Weg in die englische Sprache gefunden haben. Neben „Schadenfreude“, „Bildungsroman“ und „Blitzktrieg“.


Wie dem auch sei, er fühlt sich geschmeichelt von dem Kunden. Und gleichzeitig muss er jetzt noch mehr darauf achten, nett zu dem zu sein. Ob er will oder nicht. Er will ihn ja nicht enttäuschen. Er will ja nett sein...

...immer nett zu den Leuten...

...immer den anderen gefallen...

...den Anderen...


...nie sich selbst...