Mittwoch, 12. Oktober 2016

The Kardashians auf Deutsch










„The Kardashians läuft gleich…“


„Das ist echt geil! Hab ich gestern erst entdeckt...“

„Zeigen die da auch, wie die überfallen wird?“




„Und du fährst morgen ganz ohne mich?! Kannst du das wirklich mit deinem Gewissen vereinbaren?!“





Wir sind schwanger...

…meine Beziehung, die Wohnung und das Kind. Das ist perfekt!

…vorhin, ich wollt mich entschuldigen. Mir sind da ein paar Sicherungen durchgebrannt. Ich will dich nicht auch noch verlieren. Das Einzige, was ich hab, Baby…




„Jennifer Aniston ist Wassermann.“

„Schön.“




Wir gucken die Kardashians. Auf RTL2. Und er sagt nichts. Sie hat seine ironischen Kommentare immer gehasst. Die gingen ihr so sehr an die Nieren, oder auf die Nerven, oder beides, dass sie irgendwann bestimmte Sendungen gar nicht mehr mit ihm gucken wollte. Deshalb hält er jetzt die Klappe. Mit ihr das zu gucken ist immer noch besser als alleine seinen Depressionen zu frönen, an diesem kalten, regnerischen Oktober-Tag.

Eltern müssen auch mal die Klappe halten. Er sowieso. Und viel surrealer als das Flüchtlings-TV auf den Öffentlich-Rechtlichen sind die Kardashians auch nicht. Wie hat das heute jemand auf Twitter gesagt. „Wir leben in Absurdistan.“ So lange wird sie eh nicht mehr hier mit Papa sitzen und die Kardashians gucken. Bald ist damit eh Ende. Morgen Abend ist sie schon wieder weg. Mit ihrer Mutter. Er hat sich tierisch darüber geärgert. Aber warum eigentlich? Denkt er, er hat nach anderthalb Jahren Trennung und kurz vor der Scheidung noch immer ein Anrecht, den Kurzurlaub mit seiner Ex zu verbringen? Aber es tut trotzdem weh. Sie scheint ihr Leben ja zu genießen, fährt für ein paar Tage mit ihrer Tochter weg, denkt nicht mehr an damals, guckt nicht zurück, hat vielleicht sogar einen Neuen. Vielleicht ist er so sauer, weil er neidisch ist. Weil sie María etwas bieten kann, was er nicht kann. Im Moment zumindest nicht. Das ist auch viel komplizierter, selbst wenn er wollte. Als Mutter kann sie immer ein Zimmer mit ihrer Tochter gemeinsam nehmen. Er kann das nicht. Und wo soll er auch hinfahren. Irgendwo nach Deutschland hat sie gesagt. Was gibt es schon Interessantes in Deutschland zu sehen? Berlin, München, Hamburg. Eine große Stadt hat sie gesagt. Wir werden wohl kaum in ein Dorf fahren.

…doch wenn jemand so geheimnisvoll tut, dann steckt da irgendwas dahinter…

Also irgendeine Stadt. Wahrscheinlich wieder Berlin. Sie hat nur mit den Schultern gezuckt. Aus ihr kriegt er nichts raus. Aber was will sie schon wieder in Berlin. Eigentlich kann ihm das ja egal sein. Denn er ist ja nicht mehr mit ihr zusammen. Aber das macht ihn so wütend. Er fühlt sich so ausgeschlossen, nicht nur vom Leben anderer, sondern vom Leben selbst. Hat er jemals gelebt? Richtig gelebt? Schon als Kind war er immer nur zweite Wahl, wurde direkt oder indirekt von seinen Eltern ausgeschlossen. Spielte immer nur die zweite Geige hinter seiner Schwester, mit der er auch deswegen andauernd Streit hatte. Und jetzt macht seine Ex das Gleiche. Ich weiß, Sie werden sagen: Das ist deine Ex! Leb dein eigenes Leben, Mann! Mach dein eigenes Ding! Sie ist weg! Du musst lernen zu akzeptieren! Aber es tut weh…

Und der Neid nagt an ihm… Sie kann María mehr bieten als er, mit seiner lausigen Wohnung, seinem lausigen Leben…

Und dann tickt er immer aus. Wird richtig wütend. Traurig. Aber er hat gelernt. Die Trauer auf sich selbst zu richten, in selbstzerstörerische Depression umzuwandeln, Nägelkauen, endlose Gedankenspiralen, tagelange Traurigkeit… Sie kann ja auch wirklich nichts dafür. Sie hat die Familie schließlich all die Jahre zusammengehalten. Bis es nicht mehr ging.




Und obwohl sie in ihrem Zimmer ist, obwohl sie sich zurückgezogen hat…und ich in meinem Zimmer bin…der Flur zwischen uns…fühle ich mich gut. Allein, dass sie da ist, allein die Tatsache, dass sie da ist, keine fünf Meter Luftlinie entfernt, ist schon genug. Man muss auch gute Zeiten zu genießen wissen…

…denn schon Morgen ist sie wieder weg, wieder bei ihrer Mama, die ich immer noch liebe…