Montag, 3. Oktober 2016

Breakfast Club auf Deutsch










Der Typ setzt sich neben mich auf die Holzbank in der U-Bahn-Haltestelle. Obwohl er einiges getankt hat, fragt er sogar noch höflich, ob das okay sei. Natürlich, denke ich. Aber hoffentlich gehst du mir jetzt nicht auf die Eier. Hoffentlich…

Er fängt an zu reden, sagt: „Ich hätt ihm die gegeben, die 300 Euro Trinkgeld. Wenn ich 600 gewonnen hätte. Aber ich hab ja nicht gewonnen.“

Auch in der U-Bahn nach Bonn setzt er sich neben mich. Das heißt, genau genommen, setzt er sich gegenüber von mir hin.

„Ich geh ja nicht in die Spielhalle, um was zu gewinnen. Nur einfach um sozialen Kontakt zu haben…ich komm ursprünglich aus Bonn.“

„Sind Sie hier geboren?“

„Ja. Du auch, ne?!“

„Ja.“

„In Berlin war ich Dozent. Ich bin hierhin zurückgekommen, um meine Mutter zu pflegen. Geld ist kein Problem, aber ich mache nichts hier.“

Du Glücklicher, denke ich einen Moment lang. Dass für dich Geld kein Problem. Ich wünschte, ich hätte deine Probleme.

„Aber ich kenn hier keinen. Mit den Leuten von damals hab ich nicht mehr viel zu tun. Ich war 19 Jahre in Berlin. Da kennt man keinen mehr. Ich will einfach nur nette Leute kennen- lernen.“ Er strauchelt einen Moment lang, dann sagt er: „Den sozialen Kontakt. Der fehlt mir hier. In Berlin ist das anders. Deswegen gehe ich in die Spielhalle.“

Scheiße. So gerne hätte ich deine Probleme doch nicht…wenn ich genau darüber nachdenke, dann habe ich mehr von deinen Problemen als mir lieb ist. Aber das sage ich dir doch hier nicht, nachts in der Bahn, umgeben von fremden Leuten. Aber lass dir eins gesagt sein: Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich verstehe.

Aber sagen tue ich nichts. Das wär dann doch zu viel des Guten. Aber noch lange nachdem er vier oder fünf Haltstellen weiter aussteigt, denke ich über das nach, was er gesagt hat. Recht hat er. Mir fehlt auch der soziale Kontakt in Bonn. Seit meine Frau gegangen ist (das hört sich an wie im Film). Eigentlich schon immer. Vielleicht kann man den hier auch gar nicht finden. Vielleicht muss ich echt nach Spanien.

Ich möchte ihn wiedersehen. Mich überkommt der Wunsch, ihn in die Arme zu nehmen, mich mit ihm auszuheulen. Deswegen war der immer so komisch, als der zu uns gekommen ist. Weil das Spiel den echt nicht interessiert. Nicht, weil er besoffen war. Wenn ich dir aus meinem Leben erzählen würde... Dann würdest du mich bedauern. Oder auch nicht. Insgeheim hoffe ich sogar darauf, dass er morgen – wenn ich Frühdienst habe – kommt. Als ich in mein müffelndes Zimmer komme, fantasiere ich sogar darüber, dass ich mit ihm einen Klub gründe. Den Klub der Einsamen, der Außenseiter.