Der Typ setzt sich neben
mich auf die Holzbank in der U-Bahn-Haltestelle. Obwohl er einiges getankt hat,
fragt er sogar noch höflich, ob das okay sei. Natürlich, denke ich. Aber
hoffentlich gehst du mir jetzt nicht auf die Eier. Hoffentlich…
Er fängt an zu reden, sagt: „Ich
hätt ihm die gegeben, die 300 Euro Trinkgeld. Wenn ich 600 gewonnen hätte. Aber
ich hab ja nicht gewonnen.“
Auch in der U-Bahn nach Bonn
setzt er sich neben mich. Das heißt, genau genommen, setzt er sich gegenüber
von mir hin.
„Ich geh ja nicht in die
Spielhalle, um was zu gewinnen. Nur einfach um sozialen Kontakt zu haben…ich
komm ursprünglich aus Bonn.“
„Sind Sie hier geboren?“
„Ja. Du auch, ne?!“
„Ja.“
„In Berlin war ich Dozent.
Ich bin hierhin zurückgekommen, um meine Mutter zu pflegen. Geld ist kein
Problem, aber ich mache nichts hier.“
Du Glücklicher, denke ich
einen Moment lang. Dass für dich Geld kein Problem. Ich wünschte, ich hätte
deine Probleme.
„Aber ich kenn hier keinen. Mit
den Leuten von damals hab ich nicht mehr viel zu tun. Ich war 19 Jahre in
Berlin. Da kennt man keinen mehr. Ich will einfach nur nette Leute kennen-
lernen.“ Er strauchelt einen Moment lang, dann sagt er: „Den sozialen Kontakt.
Der fehlt mir hier. In Berlin ist das anders. Deswegen gehe ich in die
Spielhalle.“
Scheiße. So gerne hätte ich
deine Probleme doch nicht…wenn ich genau darüber nachdenke, dann habe ich mehr
von deinen Problemen als mir lieb ist. Aber das sage ich dir doch hier nicht,
nachts in der Bahn, umgeben von fremden Leuten. Aber lass dir eins gesagt sein:
Du weißt gar nicht, wie sehr ich dich verstehe.
Aber sagen tue ich nichts.
Das wär dann doch zu viel des Guten. Aber noch lange nachdem er vier oder fünf
Haltstellen weiter aussteigt, denke ich über das nach, was er gesagt hat. Recht
hat er. Mir fehlt auch der soziale Kontakt in Bonn. Seit meine Frau gegangen
ist (das hört sich an wie im Film). Eigentlich schon immer. Vielleicht kann man
den hier auch gar nicht finden. Vielleicht muss ich echt nach Spanien.
Ich möchte ihn wiedersehen. Mich überkommt der Wunsch,
ihn in die Arme zu nehmen, mich mit ihm auszuheulen. Deswegen war der immer so
komisch, als der zu uns gekommen ist. Weil das Spiel den echt nicht
interessiert. Nicht, weil er besoffen war. Wenn ich dir aus meinem Leben
erzählen würde... Dann würdest du mich bedauern. Oder auch nicht. Insgeheim
hoffe ich sogar darauf, dass er morgen – wenn ich Frühdienst habe – kommt. Als
ich in mein müffelndes Zimmer komme, fantasiere ich sogar darüber, dass ich mit
ihm einen Klub gründe. Den Klub der Einsamen, der Außenseiter.