Mittwoch, 19. Oktober 2016

Flüchtlinge









Ich sitze in der Kneipe, gucke Bayern – PSV und trinke ein Weizen. Ich hab jetzt seit Neujahr nichts mehr getrunken (seit ich aus dem Bus raus musste, weil ich die Fahrt nie geschafft hätte…und dann den ganzen Weg den Berg hochgelaufen bin, den ganzen Weg den Brechreiz und den Verdauungstrakt deines Körpers unter Kontrolle gehalten habe, nur um keine zwei Minuten zu kotzen und zu kacken, bis du nicht mehr konntest). Also lasse ich es heute langsam angehen, nippe nur leicht a meinem Bier, genieße das Spiel (nur ein fickiges 2:1 zur Halbzeit) und gucke mir die Nachrichten in der Halbzeitpause an (die haben noch nicht mal Sky hier und gucken das Spiel auf dem Zweiten!). Als dieser Typ, der neben mir sitzt und den einen oder anderen Bayern-Kommentar meinerseits gutgeheißen hat und mit mir angestoßen hat, plötzlich sagt:

„Was ich nicht verstehe…
...warum die alle flüchten. Ich mein, das sind alles junge Männer…warum kämpfen die nicht, warum verteidigen die nicht ihr Land, ihre Heimat, ihre Familie? Stattdessen kommen die hier hin…“

Er guckt mich an. Soll ich jetzt auch noch was dazu sagen, oder was?! Ich bin hier um Fußball zu gucken, ein Bier zu trinken und hab jetzt echt keinen Bock auf den Scheiß…

Aber wie immer lasse ich mich zu einer Antwort hinreißen:

„Da sind aber auch Frauen und Kinder dabei…“

Das hat er nicht erwartet, das sieht man an seinem Gesichtsausdruck. Aber wie immer bei mir hält das ihn doch nicht davon ab, weiter zu reden:

„Ja, ok, du hast recht“, sagt er und nimmt noch einen Schluck von seinem Bier. „Aber hier gab es ja auch Kriege. Wir hatten zwei Weltkriege hier! Ist da irgendjemand abgehauen?! Nein, die Deutschen haben gekämpft. Für ihr Land, ihre Freiheit, ihre Familie.“

Ja, aber das waren auch andere Zeiten…

„Ja, aber das waren auch andere Zeiten. Heute leben wir in einer globalisierten Welt...“

„Ja, ok, das waren damals echt andere Zeiten. Damals sind wahrscheinlich eher die Reichen, die Intelektuellen geflüchtet. Heidegger ist geflüchtet. Und Einstein. Und Freud. Die sind alle nach Amerika gegangen…

…aber trotzdem. Die Deutschen sind ja auch nicht weggelaufen. Die sind 1914 in den Schützengräben gestorben, die sind in Russland gestorben, im Atlantik versenkt worden…“

„Siehste mal“, sage ich mit einem genervten Lächeln, „wie doof wir sind. Wir hätten ja auch einfach weglaufen können.“

Er lacht, trinkt einen Schluck und sagt dann:

„Aber echt, ey: Wenn alle Deutschen abgehauen wären, dann wär der Hitler hier alleine gewesen. Aber die ham gekämpft. Die sind nicht in ein anderes Land gegangen und haben da die Leute noch belästigt, die Frauen…“

Der Gedanke an Hitler, der alleine versucht, die Rote Armee aufzuhalten, lässt mich innerlich lächeln. Aber trotzdem: Der Typ geht mir auf die Eier. Ich dachte, der wär nett. Das passiert immer. Du gibst denen den kleinen Finger und die wollen die ganze Hand. Außerdem kriegt der so nur Ärger. Die gucken schon, die von da drüben. Ich hab heute keinen Bock auf Ärger. Ich will nur Fußball gucken. Ich bin ja auch selber schuld. Warum gucke ich das nicht Zuhause. Das läuft doch bei den Öffentlich-Rechtlichen. Bei der Lügenpresse, wie der Typ sagen würde…

Aber ich habe einfach keine Ruhe verdient. Nach meinem halbwegs langen Arbeitstag.

„Aber eins hab ich gelernt: Ich kann echt keinen Respekt vor Typen haben, die hier auf dicke Hose machen, aber keine Eier haben, um ihr eigenes Land zu verteidigen, um für ihr eigenes Land, ihre Familie zu kämpfen… Warum geben die denen nicht für das Geld, was die hier kosten, jedem ein Gewehr und Ausrüstung und schicken die wieder zurück. Kämpfen! Die Männer zumindest. Die Frauen tauen dann bestimmt auch auf hier, wenn die erst mal alleine sind. Aber nein: Wer kämpft für die an der Front? Für die Kurden? Frauen! Und die Männer tun hier so, als wären sie Gottes Geschenk an Deutschland und besonders an die deutschen Frauen. Echt.“

Was soll ich jetzt dazu sagen, denke ich, was willst du hören. Aber zum Glück für mich und für ihn hat die zweite Halbzeit schon angefangen und ich muss nur mein halbleeres (oder halbvolles?) Glas in Richtung der Leinwand tippen und schon sind wir wieder im Spiel.

„Komm, Mann, das Spiel hat schon wieder angefangen. Das ist jetzt wichtiger!“


„Los, Bayern!“ Come on, motherfuckers.