Ich erinnere mich noch vage
an die Jugoslawien-Urlaube. Wo mein Vater dauernd diese traurigen Lieder gehört
hat, im Auto. Wie alt werde ich damals gewesen sein: dreizehn, zwölf, keine
Ahnung. Ich weiß immer noch genau, von welcher Band die damals waren, die
Lieder, die er auf den langen Fahrten in den Urlaub und auch auf den kürzeren
Fahrten im Urlaub selbst immer gehört hat. Wir fuhren damals noch mit dem Auto
in Urlaub und mein Vater rauchte glaub ich noch – dafür ein herzliches
Dankeschön an dieser Stelle! Ich glaube, es waren die Bee Gees. Die haben glaub
ich so etwas Melancholisches – aber ich bin mir da nicht so sicher. Das war der
einzige Zeitpunkt, wo mein Vater halbwegs zugänglich war: im Urlaub. Wo er
halbwegs glücklich war. War er das wirklich?? Was weiß ich denn. Ich habe kein
Tagebuch geschrieben, leider – aber bei meiner Mutter vielleicht verständlich. Ich
hatte aber auch nicht den Drang zu schreiben, nicht wie heute, wo ich gar nicht
mehr damit aufhören kann.
Aber damals war das noch
anders und ich habe nur meine Erinnerungen. Die Erinnerungen eines Mannes, dem
noch nicht mal die Namen der berühmtesten Schauspieler einfallen (außer
vielleicht der von Leonardo DiCaprio, Julia Roberts und vielleicht auch noch
Will Smith, aber bei dem Komiker aus Bruce Allmächtig wird es schon schwierig,
da hört der Spaß schon auf).
Wir fuhren also immer nach
Jugoslawien, vor dem Krieg – aber die Zeit, an die ich denke, wo mein Vater
andauernd diese Lieder gehört hat, die so wunderschön melancholisch waren, war
nicht die Jugoslawien-Zeit, sondern die in Ungarn. Vielleicht hatte er damals
ja gerade keine Freundin am Laufen und war deswegen so melancholisch, aber über
die wahren Gründe seiner Vorliebe für diese Lieder weiß ich nichts.
Er war nie der zugängliche
Vater. Aber der bin ich jetzt bei meiner Tochter auch nicht. Nicht richtig. Vielleicht
war ich das ja auch nie. Vielleicht hat mich meine Tochter auch jahrelang als distanzierten
Über-Vater erlebt, als Tyrann – oder erlebt mich sogar heute immer noch als
solchen.
Es ist schwer mit Steinen zu
werfen, wenn man im Glashaus sitzt, das hat mir diese Trennung gezeigt…
Aber er war nie direkt zugänglich, mein Vater. Und
später – wo ich anfing, mein „Theater“ zu machen, wie es meine Eltern
ausdrückten – sowieso nicht mehr. Auch mit progressiver, liberaler
68er-Erziehung hatte er nicht viel zu tun. Obwohl, vielleicht doch: Denn
anstatt auf die rohe, brutale Gewalt der vorangegangenen Kriegsgeneration zu
setzen, setzte er lieber auf psychische und emotionale Gewalt: Nichtbeachtung,
bissige Kommentare, Schweigen und die allmähliche psychische Zermürbung des
Feindes, der in seinem Fall ich war. Der Feind seiner Freiheit eines Mannes in
den besten Jahren.
Wie sich die Dinge doch
ähneln! So sehr, dass es bei mir selbst oft nicht anders war. Während die Welt
weiter indifferent ihre Runden dreht.
Aber trotzdem ist das keine
hundertprozentige Projektion. Keine hundertprozentige Übertragung meiner
eigenen, schlechten Eigenschaften, auf ihn meinen Vater, meinen Erzeuger.
Meinen „Erzeugergroßmarkt“, wie er immer zu sagen pflegte. Wie ich war er
bestimmt auch mal glücklich, mit dieser **** verheiratet zu sein. Bestimmt gab
es Momente des Glücks. Garantiert.
Außerdem kannte er es ja
nicht anders. Hatte es nie anders kennengelernt. Wer als Kind schon auf
Verlierer geeicht…
…auf schwarzes Schaf, auf
Buhmann, auf "an allem schuld", auf "hat nichts und ist nichts" und wird
natürlich auch nie was sein…oder haben. Und Punkt.