Freitag, 6. Mai 2016

Vater








Ich erinnere mich noch vage an die Jugoslawien-Urlaube. Wo mein Vater dauernd diese traurigen Lieder gehört hat, im Auto. Wie alt werde ich damals gewesen sein: dreizehn, zwölf, keine Ahnung. Ich weiß immer noch genau, von welcher Band die damals waren, die Lieder, die er auf den langen Fahrten in den Urlaub und auch auf den kürzeren Fahrten im Urlaub selbst immer gehört hat. Wir fuhren damals noch mit dem Auto in Urlaub und mein Vater rauchte glaub ich noch – dafür ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle! Ich glaube, es waren die Bee Gees. Die haben glaub ich so etwas Melancholisches – aber ich bin mir da nicht so sicher. Das war der einzige Zeitpunkt, wo mein Vater halbwegs zugänglich war: im Urlaub. Wo er halbwegs glücklich war. War er das wirklich?? Was weiß ich denn. Ich habe kein Tagebuch geschrieben, leider – aber bei meiner Mutter vielleicht verständlich. Ich hatte aber auch nicht den Drang zu schreiben, nicht wie heute, wo ich gar nicht mehr damit aufhören kann.

Aber damals war das noch anders und ich habe nur meine Erinnerungen. Die Erinnerungen eines Mannes, dem noch nicht mal die Namen der berühmtesten Schauspieler einfallen (außer vielleicht der von Leonardo DiCaprio, Julia Roberts und vielleicht auch noch Will Smith, aber bei dem Komiker aus Bruce Allmächtig wird es schon schwierig, da hört der Spaß schon auf).

Wir fuhren also immer nach Jugoslawien, vor dem Krieg – aber die Zeit, an die ich denke, wo mein Vater andauernd diese Lieder gehört hat, die so wunderschön melancholisch waren, war nicht die Jugoslawien-Zeit, sondern die in Ungarn. Vielleicht hatte er damals ja gerade keine Freundin am Laufen und war deswegen so melancholisch, aber über die wahren Gründe seiner Vorliebe für diese Lieder weiß ich nichts.

Er war nie der zugängliche Vater. Aber der bin ich jetzt bei meiner Tochter auch nicht. Nicht richtig. Vielleicht war ich das ja auch nie. Vielleicht hat mich meine Tochter auch jahrelang als distanzierten Über-Vater erlebt, als Tyrann – oder erlebt mich sogar heute immer noch als solchen.

Es ist schwer mit Steinen zu werfen, wenn man im Glashaus sitzt, das hat mir diese Trennung gezeigt…

Aber er war nie direkt zugänglich, mein Vater. Und später – wo ich anfing, mein „Theater“ zu machen, wie es meine Eltern ausdrückten – sowieso nicht mehr. Auch mit progressiver, liberaler 68er-Erziehung hatte er nicht viel zu tun. Obwohl, vielleicht doch: Denn anstatt auf die rohe, brutale Gewalt der vorangegangenen Kriegsgeneration zu setzen, setzte er lieber auf psychische und emotionale Gewalt: Nichtbeachtung, bissige Kommentare, Schweigen und die allmähliche psychische Zermürbung des Feindes, der in seinem Fall ich war. Der Feind seiner Freiheit eines Mannes in den besten Jahren.

Wie sich die Dinge doch ähneln! So sehr, dass es bei mir selbst oft nicht anders war. Während die Welt weiter indifferent ihre Runden dreht.

Aber trotzdem ist das keine hundertprozentige Projektion. Keine hundertprozentige Übertragung meiner eigenen, schlechten Eigenschaften, auf ihn meinen Vater, meinen Erzeuger. Meinen „Erzeugergroßmarkt“, wie er immer zu sagen pflegte. Wie ich war er bestimmt auch mal glücklich, mit dieser **** verheiratet zu sein. Bestimmt gab es Momente des Glücks. Garantiert.


Außerdem kannte er es ja nicht anders. Hatte es nie anders kennengelernt. Wer als Kind schon auf Verlierer geeicht…

…auf schwarzes Schaf, auf Buhmann, auf "an allem schuld", auf "hat nichts und ist nichts" und wird natürlich auch nie was sein…oder haben. Und Punkt.