Sonntag, 8. Mai 2016

Fuck Forever










Er weiß noch, wie er letztes Jahr mit ihr zum Karnevalszug gegangen ist. In Endenich. Obwohl er eigentlich nicht viel für diese ganze Scheiße übrig hatte. Vielleicht für irgendwo schön feiern gehen schon, aber ganz bestimmt nicht für in der Kälte herumstehen und nach Kamellen schnappen, die eh nur dick machen und sowieso nichts Besonderes sind. Und dabei wie ein Bekloppter "Kamelle"zu rufen. So was erträgt man echt nur besoffen, aber er konnte ja schlecht schon am Sonntagmorgen besoffen sein...

Aber an diesem Tag, da wollte er mit. Keine Ahnung warum. Hat sich fast aufgedrängt, weil er eh frei hatte und nicht einsah, warum er alleine zu Hause sitzen sollte, während sie mit ihrer Freundin Loreta zum Zug geht. Und wegen Loreta war das auch nicht, so viel ist sicher. Bei jeder anderen von Nadines Freundinnen vielleicht, aber nicht bei Loreta: Die war wirklich eine der wenigen Freundinnen von Nadine, die er nicht reizvoll fand.

Bis natürlich auf das eine Mal, damals, vor gut und gerne zehn oder vielleicht sogar schon fünfzehn Jahren. Da wo er alleine bei ihr zu Hause war, morgens, damals, wo die noch alleine lebte, obwohl sie da, glaube ich, schon mit ihrem Freund Juan zusammen war. Und bis vielleicht auf die kleine Wichsfantasie, die er sich um Loreta zusammengesponnen hatte und die sogar knapp einen Monat gehalten hatte – aber dazu ein anderes Mal mehr.

Auf jeden Fall war er damals alleine bei Loreta, nachdem er dort übernachtet hatte, weil seine Eltern – Gott sei ihre Seele gnädig – ihn rausgeschmissen hatten (dafür sind ja Eltern schließlich auch da!). Und wie immer, wenn er alleine bei irgendeiner Freundin von Nadine war, wühlte er ein bisschen in ihren Sachen rum. Natürlich nicht, um was zu klauen, sondern nur um zu sehen…das ist mir jetzt aber peinlich…um zu sehen…wie sage ich das jetzt am besten…um zu sehen…was die für Unterwäsche hatte. So, jetzt ist es raus! Die Wahrheit ist eben manchmal nicht ganz leicht, ganz pflegeleicht. Genauso wenig pflegeleicht wie die Unterwäsche von Loreta. Denn es dauerte nicht lange und er wurde fündig. Das dauerte nie lange. Bei keinem. Nicht bei der Schwester von Nadine (Tangas vom Feinsten, wer hätte das erwartet?!), nicht bei Marina von nebenan, die ihre Wäsche dummerweise in ihrem gemeinsamen Keller aufhängte, und natürlich auch nicht bei Loreta. Damals schockte ihn das asoziale Verhalten seiner Eltern noch nicht lange, wie Sie sehen – wenn er schon am nächsten wieder auf die Jag nach Unterhosen ging. Auf die Pirsch. Und Unterhosen, obwohl es weniger aufreizend klingt als Slips, ist hier echt passender, denn Loreta war nicht eine dieser zierlichen Ecuadorianerinnen wie sie in Nadines Familie so gehäuft vorkommen. Nein, in der Tat nicht. Anders als diese dünnen, fiesen flacas in Nadines Familie, war Loreta eher eine kräftige, fiese gorda und damit meine ich nicht den spanischen Weihnachtsjackpot (der heißt ja auch „el gordo“ und nicht „la gorda“!). Und so war auch das, was er über der kleinen Heizung im kleinen Flur ihrer kleinen Wohnung in Endenich fand alles andere als ein kleiner Slip, den er hätte übersehen können. Nein, das war schon fast ein Zweimannzelt.

Nein, so schlimm war es auch nicht. Er beliebt zu übertreiben oder wie das heißt. Besagtes Stück Stoff, das auch als Tischdecke hätte herhalten können (natürlich nur auf einem kleinen Beistelltisch), war schon groß, aber dafür war wenigstens etwas dran. Was zum Anpacken, zum Zupacken. Genau wie bei Loreta. Denn das war eine Unterhose, die sein Vater mit Fug und Recht „Sloggi Long Long“ genannt hätte. Woher sein Vater, der sonst eher wenig bis gar kein Englisch sprach, diesen Begriff kannte, weiß er auch nicht. Die Unterhose von Loreta bestand also aus feinstem Feinripp, wenn sie wissen, was ich meine. Natürlich in der Damenversion. Loreta trug ja keine Herrenunterwäsche! Was vielleicht besser gewesen wäre: Denn das hätte ihn vielleicht (einen Moment lang) von dem abgehalten, was als Nächstes passiert. Nämlich, dass er (und hier erinnere ich gerne noch mal daran, dass alle Personen in diesem fiktiven Klage…äh…Tagebuch meiner kranken Fantasie entspringen und nichts, aber auch gar nichts mit echten Personen in Bonn zu tun haben) sich umblickte, sich nochmals umblickte und dann ganz vorsichtig, mit den Fingerspitzen, das Ding, das Artefakt von der Heizung nahm, es an den sensiblen Stellen berührte und feststellen musste, dass Loreta anders als Nadines Schwester wirklich sauber war, daran roch und dann…

…der Rest ist Geschichte.

Alles ganz harmlos. In Wahrheit hatte Loreta Glück, denn wenn das heute passieren würde, hätte er hundertprozentig ein Selfie mit Zelt (Pardon: Unterhose, meine ich natürlich) gemacht und das Ganze keine fünf Sekunden später ins Internet gestellt. Auf Instagram!).

Und so holte er sich mit diesem Ersatzzelt einen runter – natürlich alles ohne Flecken zu hinterlassen, da hat er immer aufgepasst! Das wär ja noch schöner, wenn er auch noch Souvenirs hinterlassen hätte! Diesbezüglich hat er sich wirklich nichts vorzuwerfen.

…dachte an ihre sanften und prallen Rundungen (boah, die Loreta hatte echt Atomtitten), an ihren Venusberg…

Und vor besagten Karneval waren er, Nadine und María sogar an Neujahr mit Juan Essen gewesen. Deswegen konnte er dem seine ablehnende Haltung an Karneval so gar nicht verstehen. Der Typ war zwar irgendwie Alkoholiker (Loreta redete immer davon, dass er eigentlich gar nichts mehr trinken soll, wegen seiner Leber, aber erzählen Sie das mal einem Portugiesen, der mit dem Porto schon in der Muttermilch aufgewachsen ist). Aber trotz seines kleinen Alkoholproblems (das ist doch kein Problem, so ein Gläschen in Ehren…) war der Typ sterbenslangweilig und er hatte sogar nach Silvester zu Nadine gesagt, dass er sich sowas nicht noch mal antut. Und auch noch dafür bezahlt, denn dieses peruanische Restaurant hatte für die Qual, die sterbenslangweiligen Gespräche, das fade Essen und das ebenso farblose Ambiente auch noch Geld genommen (Knöpfe wollten die nicht und spülen wollte er nicht, denn dann hätte er ja das Feuerwerk mit Loreta verpasst – bei dem sie ja vielleicht durch einen Zufall von der Rheinbrücke gefallen wäre und ihr Mann gleich in seinem Dauerrausch hinterhergesprungen wäre und sie nie mehr gefunden worden wären). Aber er war damals wie heute einfach viel zu nett, um einfach zu sagen: Geh mir nicht auf die Eier, du langweiliger portugiesischer Wichser, mit deiner komischen Sprache, die nicht klingt wie Spanisch ohne Knochen, sondern eher wie unzusammenhängendes, romanisches Lallen ohne Knochen. Ich will nichts von deinen alltäglichen Abenteuern auf der Autobahn und in der Wurstfabrik wissen. Eigentlich bin ich nur aus Liebe zu Nadine hier. Und weil ich eifersüchtig bin, wenn sie Silvester allein mit euch Spacken verbringt. Und nicht um mir dieses übelriechende Gesülze anzuhören, dass ich eh nicht verstehe und auch gar nicht verstehen will, ehrlich gesagt! Du verstehst?!  ¿!Entiendes?! Am Ende wollte ihn Loreta sogar noch vor seiner Tochter abzocken, indem sie sich andauernd bewusst unbewusst bei der Rechnung verzählt hat und dann von meiner Tochter (!) eines besseren belehrt wurde. Mit mir und meiner gepflegten 5- bis zum bitteren Ende kann man es ja machen!

Aber daran konnte das auch nicht liegen. Daran lag das bestimmt nicht…

…dass der mich so blöde anglotzt…

Denn als ich an Karneval mit Nadine als Mexikaner verkleidet Loreta und ihren feinen Ehemann in einer Bäckerei traf, war Letzterer gar nicht begeistert von meiner Anwesenheit. Aber was sollte ich denn machen? Mich in Luft auflösen? Für dich coschonuo pendescho? Das ist schließlich meine Frau, mit der ich hier bin. Kann ich doch nichts dafür, dass das die nicht gefällt.

Aber ich sagte nichts. Weil ich zu nett.

Das war er sein ganzes Leben lang. Viel zu nett. Das ist nämlich genau sein Problem: Dass er zu nett ist! Viel zu nett für diese Welt.

Darf ich etwa mit meiner Frau nicht zum Zug gehen. Gefällt dir das etwa nicht?! Weil du mit ihr allein sein willst, oder was?! Er übertreibt, aber das war an dem Tag richtig auffällig. Vielleicht wusste ja Loreta schon was von Nadines Plänen. Oder von ihrem anderen. Oder von ihr und ihrem Schwager Rafael. Und das machte denen ein schlechtes Gewissen. War das dann etwa mein Problem. Wie gesagt, an dem Tag kam das richtig raus. Dass die mich nicht dabeihaben wollten. Ich weiß nicht warum und ich werde es nie erfahren, aber da war irgendwas im Busch. Vielleicht hatte sie ja heimlich was mit dem. Wenn er gerade mal nicht betrunken. Oder gerade wenn er betrunken war. Denn Loreta reagierte nicht so auf meine Anwesenheit. Die war ganz cool.

Aber das sind Frauen ja immer, in diesen Dingen. Das ist ihnen sozusagen in die Wiege gelegt. Ich seilte mich ab, blieb auf dem Bürgersteig stehen, während Nadine mit denen weiter vorne stand. Wie immer. Ich war der Gefickte, der Außenseiter, der der von nichts was wusste, von nichts eine Ahnung hatte. Während die anderen sich amüsierten. Spaß hatten.

Ich verstehe immer noch nicht, warum Nadine, als sie merkte, dass ich keinen Bock mehr hatte, noch versuchte, mich zu beschwichtigen. Zu mir kam, mich umarmte, mich küsste…

…wo sie doch genau gewusst haben muss, dass sie mich verlassen würde. Für immer verlassen würde. In nicht mal mehr zwei Wochen…

Ich verstehe es nicht. Ich verstehe es einfach nicht. Es fehlt nicht nur ein Puzzleteil, sondern gleich die ganze Hälfte des Puzzles und der Karton. Bestimmt war der Samen des Verrats schon gesät, in den fruchtbaren Mutterboden eingebracht, vielleicht sogar von diesem Portugiesen persönlich.

Fuck forever!

Das tut so unglaublich weh, immer noch, selbst heute noch, gerade heute an einem dieser großen Tage im Kalender, an Rhein in Flammen besonders. Obwohl es natürlich müßig ist , sich jetzt noch über sowas Gedanken zu machen – jetzt, wo sie für immer weg ist –, aber in Ermangelung eines eigenen Lebens macht man sich über so einiges Gedanken.


…die Erinnerung an sie brennt fast ein Loch in meine Seele.