Freitag, 7. Juli 2017

Schwarzer Blog (Kaffee, bitte!)













Eines Abends, alleine auf der Arbeit, fasst er einen unglaublichen Plan... Vielleicht ist es ja die späte Stunde oder seine in letzter Zeit fast schon chronische Übermüdung, die in dazu bringen. Vielleicht ist es aber auch seine Einsamkeit, abends alleine hier in der “Halle“, draußen ist es schon dunkel und im Fernsehen läuft die Berichterstattung über die linken Ausschreitungen des „schwarzen Blocks“ in Hamburg.“Welcome to hell“ lautet das Motto der teilweise vermummten Demonstranten und „Krawallmacher“, wie der Reporter sie nennt. Und anders als die meisten Kommentare auf Twitter steht er den Aktionen dieser „Chaoten“, „Zecken“ und „Autonomen“ nicht ganz s feindselig gegenüber. Extra twittert er selbst nichts: Denn so würde er sich nur den Zorn der rechtschaffenen, selbstgerechten und natürlich völlig gewaltfreien Gutmenschen zuziehen, die mal wieder auf den Gutmenschen-Zug aufspringen, obwohl dies ja eigentlich im Widerspruch zu ihrer linken Ideologie stehen sollte. Das ist schon komisch: Er selbst, der politisch eher nicht so weit links zu verorten ist, hat Verständnis für die Proteste. Man muss was gegen die Ungerechtigkeiten auf der Welt und in Deutschland tun… Und wer hat sich jemals von friedlichen Protesten umstimmen lassen…? Wir befinden uns hier alle viel zu sehr in einer riesigen nationalen Komfortzone. Endlich mal jemand, der zeigt, dass das deutsche Feuer noch nicht erloschen ist, dass wir nicht alle Teil dieses heuchlerischen Weltgewissens sind, zu dem Deutschland ideologisch verkommen zu sein scheint.

Es gibt noch Protest!

Es gibt wieder Protest…

…und das ist gut so!

Wir sind noch nicht alle eingeschläfert worden.

Wenn er jetzt in Hamburg wäre…
(…er würde sich irgendwo verkriechen, wo er sicher vor Polizei und Bekloppten ist…)
Protest gegen diese reichen Arschlöcher, die anderen alles wegnehmen…


Dann fällt ihm plötzlich etwas auf. Heute sitzt Yasir nicht dort, wo er sonst immer den ganzen Abend sitzt. An der kleinen Sitzgruppe am Eingang. Der geht ihm so auf die Eier, der Typ. Den ganzen Abend sitzt der da, spielt nicht (oder nur auf seinem Handy, was laut eigener Aussage 1000€ gekostet haben soll – ich bin begeistert!), starrt auf sein Handy, telefoniert auf Arabisch und setzt bei manchen Gesprächen ein so schmieriges, so ekelhaftes (das ist sein Lieblingswort auf Deutsch, „ekelhaft“) Lächeln auf, dass man gar nicht wissen will, was er da gerade sagt. Nein, nicht die Automaten beziehungsweise die Tatsache, dass sie dir nicht genug „geben“ sind „ekelhaft“, wie du es immer so falsch sagst, nein, DU bist es! Das geht mir so auf die Eier, dass ich jetzt jedes Mal, wenn der wieder in diesem unnachahmlichen harten und lauten arabischen Tonfall einen KAFFEE haben will, bis 30 zähle, bevor ich überhaupt aufstehe, um ihm einen zu machen. Was für ein Schmierer! Als Gott – oder in dem seinen Fall Allah – die Schmierigkeit, die Aalglattheit verteilt hat, hat Yasir bestimmt laut hier gerufen und Gott (oder Allah) war so erschrocken, dass er ihm gleichen den ganzen Kübel gegeben hat. Aber das reicht noch nicht: Diese kleinen passiv-aggressiven Boykott-Aktionen (ihn mit dem Kaffee warten lassen, ihm nicht Hallo oder Tschüss zu sagen, in seiner Anwesenheit fast permanent die Augen zu rollen) reichen ihm noch lange nicht. Besonders nach dem, was der letztens wieder vom Stapel gelassen hat, als er ihn gefragt hat, ob er Slainté kennt. Und dann denkt er daran, dass vielleicht genau dieser Kaffee, den Yasir so gerne so gebieterisch bei ihm ordert die Lösung seines Problems sein könnte. Denn die Leute hinter der Bar haben auch Macht, auch wenn die für den der letzte Dreck sein mögen. Die kann man auch nicht einfach so verarschen. Ungestraft.

Wie diese schottische Kellnerin aus Trainspotting, von Irvine Welsh, seinem Lieblingsschriftsteller. Die den zudringlichen englischen Jungs aus gutem Hause, die sie plump anmachen und sich an ihrer vermeintlichen Ohnmacht ergötzen, am Ende mehr von ihrem Körper zuführt als sie jemals zu hoffen gewagt hätten. Nämlich indem sie auf Toilette geht und ihren Tampon in die Suppe tunkt, die sie bestellt haben. Ihren Wein mit Pipi versetzt. Ganz zu schweigen von der brown sauce… Lecker, ne?! Ja, Leute wie du, die den ganzen Tag irgendwelche Arschlöcher bedienen, die ihnen nicht mal genug Trinkgeld dafür geben, haben auch Macht. Man muss sie sich nur nehmen. Macht kommt von machen. Wenn der das nächste Mal „Einen Kaffee, bitte…“ sagt, in einem Ton, der das „bitte“ komplett unnötig macht, dann…Ja dann…

Was dann? Was könntest du ihm denn da rein tun? Was könntest du denn da Schönes rein tun? Keine Ahnung…

…aber es ist ja noch eine halbe Woche, bis zu deinem nächsten Dienst…

…viel Zeit zum Nachdenken…

…der Fantasie freien Lauf zu lassen…

…damit es nicht nur bei Körperflüssigkeiten oder -ausscheidungen bleibt…

Immerhin ist das hier nicht Trainspotting…

sondern die REALITÄT, die harte deutsche Realität










Mittwoch, 5. Juli 2017

Dé­jà-vu












Vielleicht wär genau jetzt – jetzt, wo Nadine bei den Irländern auf Abschlussfahrt ist –, vielleicht wär genau jetzt der richtige Moment für Nadine, mich zu besuchen. Einfach hier vorbeizukommen. Mit mir zu reden. Mit mir zu schlafen. Eine Nacht bei mir zu verbringen, von der María nichts mitkriegen würde. Die sie nicht wieder in das Gefühlschaos unserer Trennung/Scheidung stürzen würde, denkt er, als er im Bett wie immer vor dem Laptop liegt und schreibt und denkt und rummacht…

Dienstag, 4. Juli 2017

Bei den Irländern













Abends – es ist schon kurz nach zehn und ich bin gerade aus der Dusche gekommen, nachdem ich mich beim Basketball voll ausgepowert habe, fast bis zum Umfallen – klingelt das Telefon. María!, denke ich sofort. Besser spät als nie. Wenn ich das verdammte Telefon jetzt auch noch finden würde, wäre das noch besser. Wie ein kopfloses Huhn renne ich hin und her durch die gar nicht mehr ganz so chaotische Wohnung. Vom Esstisch in der Küche zum Bett, bei dem ich stehen bleibe. Das muss doch hier irgendwo sein, verdammte Scheiße! Am Ende, nachdem es schon etliche Male geklingelt hat, finde ich es dann doch, auf der Bettdecke. Kaum habe ich es in der Hand, drücke ich auch schon den Knopf, um den Anruf anzunehmen.

Montag, 3. Juli 2017

Anruf aus dem Nichts












Auf einmal klingelt das Telefon. Ich habe gerade keine Schüler, also kann ich drangehen. Eigentlich kann das ja nur einer sein. Eine. Ich krame das Handy aus der engen Hosentasche und gucke auf das Display. Da steht es: Mari. Mari! Ja! Result! 

Sonntag, 2. Juli 2017

Another Sunday Morning...




  










Vom Klo aufstehend ziehe ich mir die schwarze Unterhose, die im Flur auf dem Boden liegt (wie ein Vergewaltigungsopfer) wieder an, stelle den Stuhl mit dem Laptop in Flur, öffne das Fenster an der Wohnungstür, das ich vorher auf Rücksicht auf die Empfindlichkeiten meiner Nachbarn (die haben da, wo sich meine Klogerüche verflüchtigen würden, genau ihre Küche) geschlossen habe, gehe am Herd vorbei, trinke etwas Hühnerbrühe mit Knoblauchscheibchen direkt aus dem Topf, nehme diesen mit, stelle ihn mit einer Flasche Mineralwasser (als Ausgleich zur salzigen Knoblauchbrühe) neben meinem Bett ab, schließe den Computer wieder an und lege mich mit nacktem Oberkörper davor. (Wo ist denn mein Trikot geblieben? Ach, egal!)

Freitag, 30. Juni 2017

H wie Hoffnungslosigkeit, Heulen und...













Du liegst im Bett, willst traurig sein, es macht doch alles keinen Sinn mehr, willst heulen, nichts mehr sagen, nie wieder was sagen…

…aber dann kommt María an dir vorbei…

Und du fühlst dich wieder besser. Nur minimal, aber das reicht schon, um weiter zu leben, um wieder Hoffnung zu schöpfen. Dieses Leben ist so Scheiße. Es zieht dich ganz tief runter und gibt dir dann einen Funken Hoffnung.

Dienstag, 27. Juni 2017

Traumdeutung: Der Inder











Irgendwoher weiß er, dass das die Wohnung von Nadine ist. Aber das Zimmer ist irgendwie komisch. Denn da sind gar keine Möbel. Kein Bett, kein Schrank, nichts. Es ist einfach ein dunkles Zimmer, in dem María in der Ecke steht. Aber sie ist nicht allein. Das ist auch noch dieser Inder. Der ein bisschen so aussieht wie der Inder aus Emmerdale. Oder war es Coronation Street? Keine Ahnung. So ein Typ mit Glatze und Schnäuzer.

Sonntag, 25. Juni 2017

Nur ein feuchter Traum?


















Deine Tochter ist schon weg, schon auf dem Weg zur Schule, da kommt sie aus ihrem Zimmer. Gestern hast du sie nicht gesehen, weil du schon am Schlafen warst. Weil sie erst um ein Uhr nach Hause gekommen sind. Sie hat also hier übernachtet… Wie lange hast du sie nicht mehr gesehen? Seit drei, vier Jahren, glaub ich…wenn nicht sogar noch mehr. Wie alt ist sie jetzt…? Bestimmt schon um die 19, 20 (die war damals ein bisschen älter als deine Tochter, und die ist ja auch schon 18½).

Samstag, 17. Juni 2017

Grüne Lämpchen am Ende des Tunnels













In M. steigt er extra ganz hinten aus der Bahn aus. Dann brauch er nicht so weit zu laufen. Nur diesen langen Weg an den Gleisen entlang und dann über die Schranke. Die um diese Zeit sowieso nicht mehr zu geht. Neben ihm, hinter ihm steigen auch diese zwei Typen aus der Bahn. Ausländer, Araber glaub ich, keine Ahnung, ob das Flüchtlinge sind. So zwei junge Typen Anfang zwanzig, wenn überhaupt, mit Muskelshirts, aber ohne die dazugehörigen Muskeln. Aber das ist ja egal, in diesem Alter. Am Anfang will er sogar extra hinten rum gehen, durch die Unterführung, nur um denen aus dem Weg zu gehen, weil die ihm komisch vorkommen. Aber dann entscheidet er sich doch dafür, an ihnen vorbeizugehen. Die Faulheit siegt also am Ende. Oder die Dummheit?

Die beiden bleiben an den Gleisen, unter dem Pfeiler der geschlossenen Fußgängerbrücke stehen. Als er an ihnen vorbeigeht, macht der eine so Affengeräusche. Wie ein Tier. Scheiße. Wenn die ihm jetzt nachgehen…

Bis zum Bahnübergang sind es ungefähr 200 Meter. Kein anderer nimmt diesen Weg. Nur er. Scheiße. Wenn die mir jetzt hinterherkommen. Hier hört dich keiner schreien. Wenn du überhaupt dazu kommst zu schreien. Mit deinem Laptop und deinem dicken Portemonnaie, dass du auch noch dummerweise in der Gesäßtasche deiner Hose hast. Dafür sterbe ich, für den Laptop… Hast du letztens auf der Arbeit gesagt. Zu Yasir. Ganz großspurig. Aber auf der Arbeit hast du auch einen Alarmknopf. Und ein funktionierendes Telefon. Bist du auf dem alten Telefon deiner Tochter (das du bis auf weiteres mit dir führen musst, weil du blank wie der Arsch von Kim Kardashian bist) die Nummer der Polizei gewählt hast, bist du schon lange tot – es sei denn, du kannst sie zum Warten überreden. Hold on a sec, mate… Hier nicht, hier in freier Wildbahn, wo diese beiden menschlichen Tiere deine Angst förmlich riechen können. Dann musst du eben kämpfen, dich verteidigen. Du guckst du der leeren Bierflasche in der Seitentasche deines Rucksacks. 8 Cent sind 8 Cent. Vielleicht könntest du dich ja damit verteidigen. Vielleicht hat Gott dich die ja extra mitnehmen lassen. Vielleicht hat Gott ja einen Plan mit dir. Oder ist alles nur Zufall, nur ein einziger, brutaler Zufall? Du gehst schnell, extra schneller, damit du einen Vorsprung hast, sollten sie doch noch hinter dir herkommen. Im Moment tut sich zwar nichts, aber du weißt, dass sie dich im Ernstfall einholen würden. Du bist nicht dünn und wendig wie sie, du bist ein Brecher; der am Ende seinen Mann stehen und sich verteidigen muss. Du bist jetzt fast an der Schranke, fast am Bahnübergang und traust dich gar nicht, dich umzudrehen, um nachzugucken, ob die noch immer da stehen, unter den Stahlpfeilern, in sicherer Distanz? Das Einzige, was du machen kannst, ist, in die Nacht hineinzuhorchen. Wie ein Hase, mit seinen langen Ohren. Du gehst über die Schranke, über die breite Landstraße und, auf der anderen Seite angekommen, denkst du: Wenn die jetzt kommen und Ärger wollen, dann kriegen sie den ganzen Frust der letzten zwei Jahre, was sag ich, der letzten zehn Jahre, ab. Aber es ist leichter, das auf der Arbeit zu sagen, wo du gut behütet bist, da ist es leichter zu sagen: „Der soll ruhig kommen. Dann kriegt er die ganze Wut, die ganze Frustration ab, die sich in mir aufgestaut hat. Soll er ruhig kommen!“ Wahrscheinlich denkst du das eh nur, weil du jetzt ziemlich sicher sein kannst, dass sie dir nicht gefolgt sind. Kannst du das? Du bist mittlerweile beim Penny-Markt angekommen, gehst an dem Parkplatz entlang, denkst: Hier sind überall Häuser. Wenn die dir jetzt doch noch hinterherkommen, dann schreist du einfach wie bekloppt. Darin hast du ja Übung: Das hast du schließlich deine gesamte Jugend Zuhause gemacht. (Was sollen denn die Nachbarn denken – mir doch scheißegal! Ahhhhhhhh…) Dann gehst du irgendwo rein, in einen dieser Hauseingänge und klingelst an allen Klingen Sturm – solange, bis dir jemand aufmacht. Oder schreist mitten auf der Straße wie am Spieß. Aber meinst du, dass dir wirklich jemand aufmachen würde, hier, in dieser Seitenstraße, mitten in der Nacht in M.? Vielleicht würdest du gar nicht dazu kommen, hier Sturm zu klingeln… Du gehst an einer Toreinfahrt vorbei und denkst: Scheiße, hier könnte ich gar nicht klingeln. Wenn die jetzt kommen würden müsste ich erst mal zum nächsten Haus laufen. Mitsamt Laptop und Rucksack. Oder eben…kämpfen… Komm schon, du könntest das, nachdem du eben diesen feurigen Hähnchen-Döner vom Türken. Den Griechen gibt es ja nicht mehr. Der hatte richtig Feuer dahinter. Da fingst du an zu schwitzen wie ein Tier, in der Bahn. Das war dir schon peinlich, obwohl keiner bei dir auf/im Sechser saß. Wie ein Tier! Sollen sie doch kommen! Trotzdem gehst du zügig über die Hauptstraße unterhalb des Kreisels. Guckst dich noch ein letztes Mal um, siehst aber niemanden. Selbst im Schein der Straßenlaterne auf der Ecke nicht. Puh, das wäre geschafft!, denkst du, als du am Netto vorbeikommst. Die Jugendlichen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Hier in M. Keine KKM! KK-Mafia, mein fetter Arsch!

Fast bist du sogar ein bisschen enttäuscht, haha. Dass du keine Chance hattest, deine angeschlagene Männlichkeit in dieser lauen Sommernacht endlich mal unter Beweis zu stellen. Ihnen den Kopf abzureißen und in ihren Hals zu pissen, diesen…

Um etwa zehn nach zwei schließt er endlich die Wohnungstüre auf und ist Zuhause. Endlich! Doch kaum ist er zur Tür rein, da fängt es in seinem Körper auch schon heftig an zu drücken. Das hat er öfters. Kaum ist er da, muss er auch schon auf Klo. Aber vorher noch schnell die Computertasche in Reichweite bringen, den Stuhl vor der Kloschüssel in Stellung bringen und…das Internet einstöpseln – und das alles mit zusammengekniffenen Arschbacken. Schließlich muss er ja noch nach seinem Blog gucken. Doch dann sieht er plötzlich, dass das mit dem Internet gar nicht mehr nötig ist. Denn alle grünen Lämpchen am Router leuchten bereits. Komisch…ich könnte schwören…

…dass ich das heute Nachmittag, als ich gegangen bin, ausgemacht hab. Um Strom zu sparen. Definitiv. Da hab ich sogar noch daran gedacht, dass sich die Uhr am Herd nicht ausstellen lässt und dadurch Tag und Nacht Strom frisst. Zwar nur kleine Mengen, aber das läppert sich. Er ist sich fast 100%ig sicher, dass er den Internet-Stecker rausgezogen hat. Oder war jemand hier? In seiner Abwesenheit? Werde ich langsam etwa bekloppt? Er guckt sich um, bemerkt aber nichts Auffälliges. Außer das Internet. Das hat er doch ausgemacht. Aber María hat doch gar keinen Schlüssel – zumindest nicht für die Wohnungstür. Oder? Und wenn sie ihn nachgemacht hat? Nein, das ist doch ein Sicherheitsschlüssel, den kann man doch gar nicht so einfach, gar nicht so ohne Weiteres nachmachen lassen. Dazu brauch man doch die Erlaubnis des Eigentümers. Oder nicht? Keine Ahnung.

…und wenn ihre Mutter den nachgemacht hat. Und hier extra das Internet angelassen hat, um ihn in den Wahnsinn zu treiben… Wie nennt man das noch mal in der Psychologie…? Gaslighting. Ja, Gaslighting, das ist es! Das kommt von irgendeinem Film, in dem ein Verbrecher tatsächlich seine Ehefrau in den Wahnsinn treiben will oder treibt, indem er permanent an ihrer Wahrnehmung zweifelt, Dinge verstellt beziehungsweise absichtlich verlegt, ein ausgeschaltetes Router in der Abwesenheit des Ex-Mannes wieder einschaltet etc… Oder eben die Existenz des Gaslichtes, das Bella (was für ein schöner Name!) in dem Theaterstück sieht, bezweifelt. Gaslighting eben. So nennt man das in der Psychologie. Indem man dem Opfer, das wie er eh schon ein bisschen labil ist, langsam den Glauben an die Dinge, so wie sie sind, an die Realität selbst, nimmt.

Oder ist das doch nur ParanoiaParanoia hervorgerufen durch die Realität seiner Trennung, die sich nicht mit seinem Wunschdenken, seinen Sehnsüchten in Einklang bringen lässt Es kann ja auch sein, dass er tatsächlich vergessen hat, das Router auszuschalten, obwohl er sich felsenfest sicher war, es ausgeschaltet zu haben. Um Strom zu sparen. Weil er Strom sparen will. Weil er Strom sparen muss. Vergisst man dann so etwas? So etwas Wichtiges? Wenn man die ganze Zeit daran denkt? Wenn man sogar noch an die ständig tickende Uhr im Herd denkt?

Ich werd bekloppt, ich werd langsam echt bekloppt, denkt er als er die grünen Lämpchen des Routers im Dunkeln leuchten sieht.

Das ist ja hier fast schon wie im großen Gatsby, wie das grüne Licht, das Gatsby meint auf der anderen Seite des Sundes wahrzunehmen und das er mit seiner Geliebten, aber für immer verlorenen Daisy assoziiert. Genau wie mit den beiden Typen eben. War das etwa auch nur die Sehnsucht nach Gewalt, nach einem Befreiungsschlag – im wahrsten Sinne des Wortes –, der Licht in das Dunkel seines Leben bringt…


…Morgen laufen wir schneller, strecken die Arme weiter aus und einen schönen Tages, so kämpfen wir weiter, wie Boote gegen den Strom. Und unablässig treibt es uns zurück in die Vergangenheit…






Sie ist noch geblieben, während ‒‒‒‒‒‒‒ schon weg ist.












Wie es ist













Auf dem Weg zur Arbeit liest er Kämpfen von Karl Ove Knausgard und denkt: Manchmal muss man das Leben einfach so beschreiben, wie es ist. So wie das auch Knausgard in seinen Romanen macht. In Min Kamp. Und obwohl das auf Deutsch „Mein Kampf“ heißt und der sechste und letzte Roman des Romanzyklus den Titel Kämpfen trägt, geht es Knausgard nicht so sehr um den großen politischen oder historischen Kampf, sondern mehr um den kleinen, alltäglichen „Überlebenskampf“.

Freitag, 9. Juni 2017

Mörderische Instinkte
















Dieser Typ kommt an die Bar. Der Ex-Soldat, der früher sogar in Afghanistan war und der jetzt Pathologie studiert. Oder Gerichtsmedizin? Oder ist das das Gleiche? Während ich ihm einen Cappuccino Choco mache, sehe ich ein Insekt oberhalb der Spüle, unter der Bar. Ich hole mit dem Spüllappen aus und treffe es. Der Ex-Soldat guckt mich erstaunt an und ich sage zur Erklärung: „Da war ein Tier…“

„Ach so…“, sagt er.

In diesem Moment fliegt das Tier wieder, über der Spüle an der Wand entlang.

„Scheiße, hab ich doch nicht erwischt…“, sage ich. „Ich dachte, ich hätte das erwischt…“

Er guckt dem Tier, eins dieser langbeinigen Insekten, hinterher, wie es wegfliegt.

„Dann muss ich meine mörderischen Instinkte doch woanders ausleben“, sage ich.

„Solange du sie nicht an mir auslebst…“, erwidert er, halb lachend.

„Ne, du könntest dich ja verteidigen…“

Ich gucke ihn an und meine für eine Sekunde lang ein Blitzen in seinen Augen zu sehen. Dann gucke ich in Richtung Yasir, der in der Nähe der Tür sitzt. Wieder nur den ganzen Abend hier rumsitzt. Als wär das ein Wartesaal. Als würde er auf Godot warten. Oder auf Allahot, in seinem Fall.

Ich gucke extra lang in seine Richtung und sage: „Aber ich hätte da vielleicht jemanden…“

Er lacht, sagt: „Den Yasir?!“

„Ja. Der wär bestimmt gut…“


„Wir müssen ja alle klein anfangen…“

„Irgendwann fangen wir alle mal an…“

„Aber der geht ja nicht auf Toilette…wenn der auf Toilette gehen würde…“

Meinst du echt, du würdest den schaffen, den Yasir? Immerhin war der früher Polizist, ins seiner Heimat, in Tunesien… Früher…

Jetzt nicht mehr.

Doch, ich glaube schon, dass ich den schaffen würde. Der ist nur eine Labertasche. Ein Windbeutel. Allein wie der letztens erzählt hat, dass er schon zweimal in seinem Leben eine Pistole am Kopf hatte. Was für ein Angeber!

Zum Üben ist der genau richtig. Aber du bist nicht so kampferfahren. Kampferprobt. Egal



Keine fünf Minuten bewegt sich Yasir doch noch, geht zu einem Automaten vor der Kabine. Der Führerkabine. Plötzlich stehe ich hinter ihm, gucke mir seinen dunkelblauen Anzug von hinten an. Starre auf seinen Anzug, auf sein Haar, von hinten, denke: „Echt…das wär gar nicht so abwegig… Jetzt ein Schlag, ein gezielter, harter Schlag in den Nacken. Und dann…“

Wie hast du das früher immer zu Nadine gesagt: „In einer Gesellschaft ohne Gesetze…


In einer Gesellschaft ohne Gesetze…




wär der tot



oder ich



ne, der                       ganz sicher



als ich zum Wechsler gehe, denke ich wieder an seinen Hinterkopf


du würdest ihn erlösen…du würdest ihn vielleicht sogar erlösen…



sein Hinterkopf        sein perfekt gestriegelter Anzug, das weiße Hemd, was oben rausguckt, seine halbwegs breiten Schultern, nicht so breit wie deine, aber


seine schwarz gefärbten Haare



so viel Aufmerksamkeit hat er schon seit Langem nicht mehr von einem Menschen bekommen


ob er das wohl weiß                       spürt               irgendwo tief drinnen