22.04.16
Morgens geht er Wasser
kaufen. María ist auch schon auf, ist noch Duschen gegangen (besser so: Dann
muss sie nicht in der P***-WG ihrer Mutter duschen gehen).
Er tritt vor die Tür…und ist
schon jetzt…stinkwütend. So richtig wütend.
Er denkt darüber nach, was
ihn die Scheidung kosten wird. Ob das, was die Anwältin gesagt hat, auch für
die Beratung usw. vor der Scheidung gilt oder nur für den Scheidungsprozess. Wär
schon gut, wenn das für beides gelten würde…
Und wenn nicht…?
Immer bleiben Fragen offen.
Jedes Mal, wenn er zu seiner Anwältin läuft, ist er am Ende zwar für den Moment
schlauer, aber schon am nächsten Tag wirft sein Gehirn neue Fragen auf. Hört
das denn nie auf?!
Das geht doch so nicht, dass
ich am Ende noch für die blechen muss. Für die Scheidung, die ich nicht will.
Nie wollte
…die
ich nie gewollt…
Das geht nicht. Echt nicht.
Echt nicht. Und die lacht sich am Ende noch kaputt. Lacht sich ins Fäustchen,
wie du zu der Anwältin gesagt hast. Lacht sich ins gierige Fäustchen. In ihrem
neuen, freien Leben
NEIN, sagt er fast laut und
schiebt den Unterkiefer demonstrativ nach vorne. Fletscht fast die Zähne, als
er die Hauptstraße überquert.
Irgendjemand wird dafür bezahlen
Irgendjemand. So viel ist sicher.
Und wenn es ihre Schwester
ist…
…oder ihr Schwager…
…oder ihre andere Schwester…
Sie hat ja so eine große
Familie.
Irgendjemand muss bluten
dafür.
sangre
por sangre
Er macht sich Sorgen: Er
kriegt zwar Prozesskostenhilfe, aber wenn die ihr Haus angibt…
…in was ist er da bloß
reingeraten, mit dieser Frau. (Und so gut sah sie noch nicht mal aus. Und fünf
Jahre älter als er war sie auch!) Hätte er doch damals in Ecuador nicht Ja
gesagt. Jetzt bezahlt er dafür. Aber dann gäbe es María auch nicht…
…und wenn die das
rausfinden…
So schwer ist das ja auch
wieder nicht…
Die sind ja auch nicht doof.
Aber für Nadine sind die alle doof. Ihr passiert nie was. Bis sie in der Bahn
beim Schwarzfahren erwischt wird und in den Knast kommt, weil sie illegal in
Deutschland ist. Oder bis sie mit ihrem Schwager in der Post erwischt…wer weiß
was am machen…und zum zweiten Mal ausgewiesen wird. Aber die sind ja alle doof.
Man muss die nur lange genug verarschen…
Die Gedanken drehen einsam
ihre Kreise in seinem Kopf. Immer und immer wieder. Den ganzen Tag lang. Wahrscheinlich
selbst noch im Schlaf. Plötzlich denkt er: Ach ja, Zeckenmittel muss ich auch
noch kaufen. Bei Rossmann. Das gute Zeckenmittel von Rossmann. „Zeckito“. Und
Wasser im Edeka – ist das Leben nicht aufregend.
Heute gibt es Fischstäbchen zum
Frühstück. Klingt wie ein Film- oder Buchtitel. Viel besser als Schokolade zum
Frühstück.
Zuerst geht er zu Rossmann. Er
hat die Auswahl: „Zeckito sensitiv“ oder „Zeckito stinknormal“. Für jeweils
1,99. Das stinknormale hält 4 Stunden, das sensitive nur 2. Also das Normale.
Seine Zecke ist hartnäckig. Also Zeckito normal.
Heute gibt es Atom-Fischstäbchen,
Eier und Ciabatta-Brötchen (Gut und günstig) zum Frühstück. Wenigstens darauf
kann er sich freuen.
Zuhause sitzt seine Tochter
auf der Bettkante, guckt Fernsehen. Er geht schnurstracks in die Küche. Aber
nicht ohne vorher noch einen Kommentar losgeworden zu sein.
„Guck mal hier“, sagt er und
hält ihr die Zeckito Sprühflasche direkt vors Gesicht. Zeckito!“
Zeckito: Bestens geschützt
gegen die südamerikanische Zecke.
Am Ende kann er der
Versuchung nicht widerstehen, es doch noch laut zu sagen: „Zeckito: Bestens
geschützt gegen die südamerikanische Zecke.“
…
„Hey, lass mal ausprobieren,
ob das an dir wirkt. Du bist ja halbe Südamerikanerin.
Sie guckt mich böse an, mit
diesen großen Augen, die ich so liebe.
Auch gegen den ecuadorianischen
Zeckenbock. Den geilen, kleinen Zeckenbock mit dem großen Rüssel. Also komm
schon, Rafael, komm schon.
Hilft auch gegen
Dortmund-Fans und… Das sage ich jetzt besser nicht öffentlich, ohne meine
Anwältin – und die ist schon mit meiner Scheidung komplett unterbelastet.
Vielleicht hilft es ja sogar gegen Atlético Madrid. Der Trainer von denen hat
auch etwas sehr zeckiges, wenn man so darüber nachdenkt. Südamerikaner ist er
auch. Zwar nicht wie die gemeine Andenzecke, aber auch Latino…
Er geht in die Küche und knallt
die Fischstäbchen in die Pfanne. Fast die ganze Packung; hier werden keine
Gefangenen gemacht. Und als er sieht, dass tatsächlich nur ein Fischstäbchen in
der Packung verbleiben ist, quetscht er das auch noch irgendwie zwischen die
anderen, obwohl da eigentlich gar kein Platz mehr ist. Wie gierig! Das Leben
ist schließlich kurz. Die Liebe auch.
María kommt aus dem
Wohnzimmer in die Küche und kommentiert natürlich prompt die volle Pfanne:
„Boah, mehr ging auch nicht?!“ Oder nur „Boah!“
„Willst du auch ein paar“,
sagt er verlegen. Obwohl er ihr eigentlich gar keine abgeben will. Aber er muss
ja wenigstens so tun als ob…
Zum Glück lehnt sie ab und
er ist wieder allein, allein in der Küche, mit der vollen Pfanne Fischstäbchen.
Zu den Fischstäbchen gibt es
Eier. Vier Eier. Nein, nicht alle jetzt. Nur zwei.
Wenn die Eier nach oben
zurückkommen, sind sie schlecht.
Dann darf man die nicht mehr
essen.
Schlechte Eier. Deine
Nach einer Weile kommt er
zurück ins Wohn-/Schlafzimmer, überlässt die Fischstäbchen einen Moment lang
ihrem Schicksal. María sitzt immer noch
auf der Bettkante. Wie adrett sie wieder gekleidet ist…
Im Fernsehen läuft der
Wetterbericht. Der Moderator sagt:…kalt, regnerisch…typische April-Wetter eben…
Er ballt die Hände zur Faust
und sagt: „Ja! Am Wochenende wird das Wetter schlecht! Ja!“
María sagt nichts, schüttelt
glaub ich nur den Kopf.
Das hat er gestern auch
schon gesagt. Und vorgestern. Und vorvorgestern. „Bis zehn
Uhr…wann gehst du noch
mal?...bis zehn Uhr kann das Wetter gut sein…
…danach soll es regnen,
stürmen, Gewitter geben und vielleicht sogar schneien…ja, Schnee wär gut!“
Sie sagt nichts, sie kennt
das schon. Sie kennt all seine dummen Sprüche schon. Nur der Zeckito-Spruch war
neu. Deswegen hat sie den kommentiert.
Er guckt sich die Bücher an,
die auf dem Esstisch liegen. „Freitag ist Selbstverbesserungstag! Da lese ich
immer Selbsthilfebücher!“
Sie lächelt sanft. Aber sie
lächelt.
Er legt sich für einen
Moment ins Bett, vor den Computer.
María steht auf, nimmt ihre
Tasche, die auf dem Stuhl neben dem Bett steht. Da, wo sonst immer die saubere
Wäsche drauf liegt.
„Ich muss jetzt los.“
Wie immer wird er ihr sagen,
dass ich dich vermissen werde. Und wie immer wirst du es ihm nicht glauben…
Aber er sagt es trotzdem
O
O
O
„Scheiße. Ich verpass meinen
Bus…“
Dann nimm doch den nächsten.
Mir doch egal.