Es ist 01:45. Er liegt im
Bett und kann nicht schlafen, findet einfach keinen Schlaf. Die Gedanken
kreisen ihm durch den Kopf. Er hat schlecht geträumt und schläft eh nicht mehr
so gut, aber das ist nicht alles. Immer wieder denkt er: Ich will die Wahrheit.
Ich will wenigstens die Wahrheit.
Jetzt
werden alle davon erfahren
Er will die Wahrheit. Er hat
ein Recht auf die Wahrheit. Oder auch nicht. Das ist ihm egal. Er will einfach
wissen, was Sache ist. Nur die Wahrheit. Nicht seine. Ihre. Er hat lange genug
in den Spiegel geschaut. Er kennt „seine“ Wahrheit. Er ist mit sich selbst im
Reinen. Der Blick nach innen wird ihn nicht weiterbringen. Er hat viel zu lang
nur über sich nachgedacht, nur über seine Gefühle. So lange, in fact, dass er jetzt mit sich selbst
im Reinen ist. Soweit man das überhaupt jemals sein kann. Nicht im Reinen
vielleicht, aber fertig. Er ist fertig mit sich selbst. Er kennt seine Gefühle und Motive. Er kann nichts
mehr daraus lernen. Er hat es ein Jahr lang probiert und jetzt ist er, wenn
schon nicht mit sich selbst im Reinen, dann doch wenigstens mit sich selbst im
Klaren. Er weiß, wer er ist. Man kann nicht ein ganzes Leben lang nach innen
schauen. Dann sieht man nicht, was um einen herum passiert. Denn dann sieht man
nicht, was um einen herum passiert. Und dreht sich immer wieder im Kreis. Weil
man in sich selbst keine Antworten finden wird. Wie sollte man auch. Wie konnte
er nur so dumm sein, das zu glauben. So naiv. Die Antworten sind da draußen in
der Welt, in Bonn, in der Altstadt. Sich selbst kennt er mittlerweile gut
genug. Er hatte ein Jahr, um in den Spiegel zu gucken.
Er hat geträumt, von einem
Mann, der in seinem Bett liegt. In dem gleichen Bett, in dem er jetzt liegt.
Das kann doch nicht sein, denkt er, aber im Traum sieht er ihn in dem Bett
liegen und er weiß, dass es sein Bett ist. Er hat eine Glatze und im Traum
verbiegt er ihm die Nase… Vielleicht wird er auch verrückt. Vielleicht hat er
auch so lange den Blick auf sich gerichtet, so lange in sich hineingeguckt,
dass er die Wahrheit gesehen hat. Die Wahrheit über sein Leben, über die Realität.
Seine Realität. Er hat wie Mistah Kurtz den Horror, den Horror gesehen. Nicht
im Dschungel, sondern in sich selbst. Er ist ein Jahr den Fluss hinabgefahren
und anstatt die Wahrheit zu finden, hat er nur sich selbst verloren. Vielleicht
hat er aber auch nur den Blick für die Welt um sich herum verloren. Mistah
Kurtz war, glaub ich, auch Deutscher. Ein Deutscher, der in das Herz des
Dschungels gefahren ist. Sein Vater hat Recht, er kann es jetzt sehen: Es dreht
sich nicht alles um ihn. Es gibt noch mehr da draußen. Und wenn er schon nicht
sein Glück bei einer neuen Partnerin findet, finden will, dann will er
wenigstens die Wahrheit über die alte wissen. Seine Alte, haha. Das wird ihm
nichts bringen, das weiß er. Darüber ist er sich durchaus bewusst. Für sie wird
das nichts bringen. Aber es wird ihm Klarheit bringen. Er muss den Fluss
hinabfahren, den Fluss zurückfahren, nicht in sich selbst hinein, sondern in
den Dschungel. Den Dschungel um ihn herum. Ein Jahr lang hat er sozusagen den
Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Obwohl er jeden Tag in ihm laufen geht. Stop spinning, start living. Oder wie Morrissey das sagt: I entered nothing and nothing entered me. Aber
es gibt noch mehr als seinen eigenen fetten Arsch. Sein Vater hat Recht. Er
muss aufhören, sich um sich selbst zu drehen, sich hin und her zu wälzen in
seinem eigenen Bett. Er muss anderen den Schlaf nehmen. Ein ganzes Leben lang
wurde er von allen nur darauf trainiert, die Schuld bei sich selbst zu suchen,
über sich selbst und seine vermeintlichen „Probleme“ nachzudenken. Seine
„Ausraster“, sein „Theater“, seine Unzulänglichkeiten. Aber er hat nie gesehen,
dass das nur die halbe Wahrheit, dass der Weg zur Wahrheit auch über die
anderen führt. Vielleicht sogar vornehmlich. Er hat den Blick auf die anderen
verloren, sich viel zu sehr auf sich selbst konzentriert. Vielleicht wollten
sie das, vielleicht war das sogar beabsichtigt. Damit er nicht zu viel sieht.
Das big picture. Und er ist ihnen
voll auf den Leim gegangen. Er war wirklich ein bisschen dumm, ein bisschen
naiv, aber wenn man von klein auf lernt, die Fehler bei sich zu suchen…dann
kennt man nichts anderes. Außer seine Gefühle. Seine Gedanken. Aber seine
Gefühle und Gedanken sind klar. Er weiß, wer er ist. Soweit man das jemals
wissen kann. So sehr, dass er sich mit sich selbst langweilt, mit seinem
Selbst. Jetzt ist die Welt dran. Was denkt sie, was geht in ihr vor? Was sind
ihre Motive. Er kann nicht nur den Horror in sich selbst suchen, er muss ihn in
der Welt suchen. In ihr