08.04.16
Es ist Freitag,
normalerweise mein Lieblingstag in der Woche. Weil ich da frei habe und
ausschlafen kann. Bis um vier Uhr zocken kann. Und dann lang schlafen. Schön Laufen
gehen, im Wald. Aber heute ist das anders. Heute muss ich arbeiten. Schlafen
konnte ich nachts trotzdem nicht. Hab wieder irgendeinen Scheiß geträumt. So
von Atomraketen. Dass ich die wegfliegen sehe, Richtung Russland. Eine schwarze
Rakete. So wie die in echt auch aussehen. Die flog über meinem Haus hinweg und
war klar zu erkennen am Himmel.
María ist auch schon im Bad,
kommt zu mir ins Wohn-/Schlafzimmer.
„Wann musst du gehen? Jetzt,
ne?!“ frage ich sie.
„Ne, jetzt doch noch nicht…ich
bin doch noch nicht mal angezogen…“
…
„Um 40.“
Ihr Handy klingelt mehrfach.
„Ein SMS-Shower! Geil!“
kommentiere ich das mehrfache Geklingel vom Bett aus.
„Meine Freundinnen lassen
mich alleine in Kunst.“
Ich lache. „Beim
Pädo-Lehrer.“ So nennt sie ihren Kunst-Lehrer, der sie und ihre Freundinnen
regelmäßig schneidet. Einfach ignoriert. Einfach an ihnen vorbeigeht.
„Boah, ich hasse Kunst. Da kann doch nicht sein,
dass die mich da alleine lassen…“
...
„Wirklich. Wir betrachten da
Äpfel, müssen irgendwas dabei denken.“
...
„Meine Freundin geht nur für
eine Stunde in die Schule. Dann hat die Fahrschule.“
„Macht die blau oder was?!“
„Ne, die hat Fahrschule.“
„Also macht die blau!“
„Würde ich aber auch machen.
Die hat drei Freistunden.“
„Der hasst uns irgendwie.“
„Hass ist eine starke
Emotion, da würde ich mir Sorgen machen.“
„Weißt du, wie der aussieht?!“
...
„Und der ignoriert uns immer.“
Ich lache.
„Jetzt kennt der unseren
Namen. Jetzt macht der immer Anwesenheit. Hab mich am Mittwoch voll gewundert,
dass der meinen Namen kennt.“
Sie guckt auf das Display,
sagt: „So ne Hauptschülerin, die sowieso fliegt, hat ne 3 geschrieben. Die
hat die ganze Zeit nur abgeschrieben und ne 3 geschrieben...“
„Boah, wenn Soraya nicht
geht. Die geht bestimmt auch nicht.“
„Wie nennt der dich denn dann,
Donata oder María?“
Das ist wichtig: María war
der Name, den ich für sich gewählt hatte. Wir hatten uns geeinigt, dass ich den
Namen bestimmen darf, wenn unser Kind ein Mädchen wird und sie, wenn es ein
Junge geworden wäre. Trotzdem hat sie sich am Ende dann doch wieder eingemischt
und ihr den Namen Donata geben. Und weil María Donata sich nicht so gut anhörte,
wurde das am Ende sogar ihr erster Name. Zuhause nennen „wir“ (eigentlich gibt
es „uns“ ja gar nicht mehr!), sie María und in der Schule nennt sie sich selbst
Donata. Sie ist also praktisch eine gespaltene Persönlichkeit.
Und jetzt hat sie sogar ein
gespaltenes Elternhaus. Geil, ne?!
„Donata. Alle nennen mich
Donata.“
„Fast niemand geht Freitag.
Und heute sowieso. Weil heute kein Englisch ist.“
…
„Gleich erstmal zehnmal in
der Schule Partnerarbeit, da hab ich auch keinen Bock drauf.“
Ich lache. „Boah, ich hab
Partnerarbeit gehasst.“
Sie kommt aus dem Bad.
„Kannst du mir einen
Gefallen tun?“
„Ja, jeden!“
„Kannst du meine Brotdose,
diese Joghurt-Brotdose waschen?“
„Fast jeden.“
„Bitte.“
Ich raffe mich auf, gehe in
die Küche, suche die Brotdose, dann den
Schwamm, dann den Deckel. Gehe wieder ins Bad und spüle die Brotdose.
„Vielleicht sollte ich mal
mit dem reden… Vielleicht schneidet der dich dann nicht mehr.“
„Doch.“
„Ich hab ja Ahnung von
Kunst. Vielleicht ist der dann netter.“
„Bestimmt. Ich hätte
Literatur nehmen sollen…“
„Hab ich ja von Anfang an
gesagt. Literatur ist sowieso besser.
…warum
die sich so über das Wort Fotze aufregen…, schallt es plötzlich aus ihrem Handy. Ich bin entsetzt
Die Stimme, die das sagt,
klingt komisch. Keine Ahnung, ob das ein Junge oder ein Mädchen ist.
Wahrscheinlich ein Junge…oder
Plötzlich steht sie voll
angezogen vor mir. Scheiße
„Glaubst du, man kann die
Jacke waschen?“
„Ja, bestimmt. Ich weiß nur
nicht, ob die Metallteile rosten…“
…
„Ist die dreckig oder was?!“
„Ne, die stinkt. Nach
Schweiß.“
„Keine Ahnung. Bestimmt, da
ist doch ein Schild drin oder nicht?! Kannst du doch gucken…“
„Boah, ich gehe gleich in
den Edeka und hole mir eine Cola. Ich hab so Bock auf Cola...“
„Letztens hab ich in REWE
ein Magnum mit Erdnussbutter gesehen. Voll geil.“
Ich lache.
„Voll Geil.
Sie geht ins Bad.
„Boah, Mars-Eis ist voll
lecker. Die schmecken Hammer. Im Riegel.
Im Fernsehen sagt der Moderator: …über
die Köpfe des Brautpaares gehalten. Das ist ein Zeichen der Verbundenheit
„Gestern sah mein Haar voll
Hammer aus. Mit…“
„Mit Gel?“
„Ne, mit dem Haarspray, was
ich gekauft habe. Das sah voll geil aus. Voll Hammer.“
„Mit dem Strandhaarspray?“
„Mmh.“
Strandhaarspray. Kein Urlaub
dieses Jahr. Stattdessen Trennung. Scheidung. Trennung ist ja schon durch. Ist
doch auch was. Statt Urlaub Scheidung. Ist auch teurer als Urlaub.
„Wann fangen die Ferien an,
dieses Jahr?“
„Haarspray ist voll Scheiße.
Das macht die Haare voll fettig.“
„Du hast Probleme.“
„Mann, ich hab keine Lust
vor Kunst.“
Sie kommt zurück ins
Schlaf-Wohnzimmer. Zurück zu mir.
„Ich muss mich gleich
erstmal aufs Klo setzen.“
Du
arbeitest dich tot.
Solange
du mich so süß versorgst, da habe…
Ach, leckt mich doch!
„War der ok gespült, der
Becher?“
„Jo.“
Der roch noch, als ich
fertig war…
Wobei
es noch andere Aspekte der Taufe gibt. Dass sie ein wichtiges Symbol für
Zusammenhalt, Familie und…ist.
Das letzte krieg ich nicht
mit…
Sie steht bei der Box, sagt
schon lange nichts mehr.
„Gehst du jetzt gleich?“
„Ja.“
Hat sie etwa auch Trennungsschmerz.
Weggehschmerz. Nicht in dem Alter. Da will man doch von den Eltern getrennt
sein. Oder auch nicht.
„Viel Spaß in Kunst!“
„Ich geh jetzt, ja. Tschüss.“
„Tschö. Bis Montag.“
Die Tür quietscht und geht
zu. Dann das Tor vorne. Dann ist sie weg.
Und Punkt.