05.04.16
Heute geht er ins Finanzamt.
Er kann es nicht mehr aufschieben, so gern er das auch tun würde. So gern er
weiter unter der Steuerklasse 3.1 besteuert werden wollte. Das ist gesetzlich
so geregelt. Obwohl er gleichzeitig immer weiter für ihr Haus in Ecuador
erhöhte Krankenkassenbeiträge zahlen muss, da sie Vermögen hat. Bis zur
Scheidung. Aber die Steuer muss ab dem 1. Januar des auf die Trennung folgenden
Jahres geändert werden. Wusste er bis vor ein paar Tagen nicht. Hat er aus
einem Buch zum Thema „Männer und Scheidung“ erfahren. Eins von den mittlerweile
locker 15 Büchern, die wild verstreut überall in seinem Schlaf- und Wohnzimmer
rumliegen. Er muss das beantragen, sonst winken Nachzahlungen. Und mit dem
Finanzamt legt man sich besser nicht an – egal wie viele Bilder mit schönen,
beruhigenden Strandlandschaften da im Wartezimmer rumhängen.
Er tritt in eben dieses
Wartezimmer und da ist…niemand. Komisch. Er zieht eine Nummer. 818. Auf der
Anzeigentafel steht 817 und genau in diesem Moment tritt ein junger, genau so
eingeschüchtert wie er wirkender Mann aus einer der Türen in dem langen Flur,
der gerade renoviert wird (aber das Finanzamt arbeitet einfach weiter). Und
schon ist er dran.
Er ist dran. Jetzt ist er
dran. Scheiße. Er atmet tief durch, aber es hilft ja alles nichts. Er muss da
jetzt durch. Er muss da jetzt rein. In Zimmer 13 (Scheiße, die 13), das es in
manchen Ländern gar nicht gibt. Er muss gestehen, dass er erst jetzt gemerkt
hat, dass er die Steuernummer zum Anfang des Jahres hätte ändern müssen und
jetzt schon geschlagene 3 ½ Monate zu spät ist.
Aber warum hat ihm das auch
keiner gesagt. Das sagt ihm keiner. Auch seine Anwältin nicht. Toll, wofür hab
ich dann eine?!
Aber alles Jammern hilf da
nicht. Das ist das Finanzamt, da geht es nur um harte Zahlen und Fakten. Nicht
um seine Befindlichkeiten. Wenigstens hat Nadine es auch vergessen, denn er
wurde noch nicht von denen benachrichtigt, wie das unten, am Rand des
Formulars für den Dienstgebrauch
vermerkt ist. Gut zu wissen.
Vielleicht fällt sie ja noch
schlimmer aus den Wolken als er. Ab heute 11:32 wird zurückgeschossen. Ab heute
bist du steuerrechtlich keine verheiratete Frau mehr, sondern ein Single – wie
du es auf deinen ganzen einschlägigen Seiten schon lange bist. Aber so angenehm
wie auf den Dating-Portalen ist das nicht, wenn das Finanzamt involviert ist.
Frag mal Hoeneß. Oder Messi. Oder Mascherano. Oder Neymar. Warum muss
eigentlich die gesamte Sturmreihe des FC Barcelona nicht in den Knast, wenn ein
alter Mann wie Hoeneß ohne Gnade einfährt. Ich liebe Deutschland, habe ich das
schon mal gesagt…
Und alleinerziehend bist du
auch nicht, also ist es nüs mit Klasse 2. Vielleicht kriegst du ja so deine
heiß ersehnte Rache. Vielleicht hat es ja auch was Gutes. Vielleicht kannst du
ihr ja so durch die Hintertür einen reinwürgen, wenn sie von denen
benachrichtigt wird, denn sie muss ja auch ihre Steuerklasse ändern. Du hast ja
keine Wahl, siehst du dich Nadine ins Gesicht sagen. Was soll ich denn machen?
Das ist gesetzlich so geregelt, da kann ich nix dran ändern…
Aber zuerst einmal musst du
da rein. Musst die Pforte zur Hölle selbsttätig öffnen und auf die Gnade der
Mitarbeiterin hoffen – hoffentlich (nicht) die mit dem tiefen Ausschnitt von
letztens. Die, die die Nordsee an der Wand hängen hatte. Oder die Ostsee. Zur
Beruhigung. Der „Kunden“ oder ihrer selbst? Bestimmt der Kunden, wenn sie die
schlechten Nachrichten hören. Das ist hier wie bei einem Krebsarzt. Und das
obwohl du das alles gar nicht
wolltest. Bis an dein Lebensende bei Nadine geblieben wärst. Bis dass ihr Tod
euch geschieden hätte. Oder deiner? In schlechten und noch schlechteren Tagen,
In Trauer und Depression…ja, ist ja gut…
Es hilft ja alles nichts. Du
gehst in das Büro und siehst gleich, dass das nicht die mittelaltrige mit dem
tiefen Ausschnitt ist, sondern eine noch ältere mit Brille. Ist das jetzt gut
oder schlecht? Egal
Du sagst hallo und erklärst
ihr die Situation: „Ich habe mich letztes Jahr im März von meiner Frau
getrennt…“
(Buhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu)
„…und wollte jetzt die
Änderung der Steuerklasse beantragen.“
„Ja“, sagt die Dame
bedächtig und steht auf, geht zu einem kleinen Regal in deiner unmittelbaren
Nähe und entnimmt ein Formular. „Da brauchen Sie dieses Formular. Da müssen Sie
hier Ihren Namen und ihre Daten eintragen…und hier unten die ihrer Frau. Und
hier das Trennungsdatum. Das ist wichtig! Und dann unterschreiben.“
„Ok.“ Kleinlauter geht wohl
kaum.
…
„Äh, wie ist das mit der
Jahresfrist. Die hab ich ja jetzt verpasst. Muss ich da mit irgendwelchen
Konsequenzen rechnen?“
„Ne, da sind sie in guter
Gesellschaft.“
Was auch immer das heißen
soll, denkt er, ist aber erleichtert, dass er keinen Ärger kriegt. Außer einem
deutlich erhöhten Steuersatz, auf den ihn die nette Dame noch aufmerksam macht.
Na dann Dankeschön und Prost
Mahlzeit. Hat Nadine das alles bedacht, als sie einfach so gegangen ist? Nur,
weil sie ihren Schwager mehr liebt als mich. Ich glaube nicht. Aber der ist das
egal
Obwohl dein Vater damals
ominös gesagt hat: Die wird sich auch noch umgucken…
Vielleicht muss sie das ja
jetzt, ob sie will oder nicht. Du musst es schon seit einem Jahr.
Draußen, wieder an der
frischen Luft, denkst du: Und was meint die überhaupt mit „Da sind Sie in guter
Gesellschaft…“ Die ist gut! Der war gut. Aber vielleicht ist sie ja selbst
geschieden. Oder geschieden worden. Von ihrem Mann, diesem Arschloch. Diesem
rücksichtslosen Arschloch.
Ist doch wahr…
Oder was meint die? Was für
eine Gesellschaft. Heißt nicht die Mafia in Italien auch die „gute“
Gesellschaft? Oder war das die „ehrenwerte Gesellschaft“?
Will ich da dazugehören, in
der „guten“ Gesellschaft? NEIN. Aber wer fragt mich schon?! Niemand
Aber der Spruch mit der
guten Gesellschaft lässt ihn irgendwie nicht los. Das mag an seinem obsessiven
Charakter liegen, aber…
Auf dem Nachhauseweg stellt
er sich eine geheime Gesellschaft vor, in die die Getrennten laut Gesetz
eintreten müssen – ob sie nun wollen oder nicht. Einen Geheimbund, in dem man
sich von der Ex-Partnerin – oder dem Ex-Partner – löst, indem man Partys mit
Prostituierten und zu allem bereiten Strippern feiert, Pornos guckt und geheime
Rachepläne schmiedet. In der man ein Aufnahmeritual hinter sich bringen muss:
Sie werden erst vollwertiges
Mitglied in der „guten“ Gesellschaft der Getrennten, wenn Sie
-
mindestens mit fünf Frauen/Männern geschlafen
haben – und das jeweils nur einmal
-
an mindestens einem oder gleich mehreren Tagen
(oder für die ganz harten Fälle Monaten) wild schluchzend und der Vergangenheit
nachtrauernd mindestens 5 Liter Bier, 2 Liter Spirituosen, etliche Gramm harter
Drogen sowie Tonnen von Frikadellen, Eis, Cola, Gyros, Döner und Fritten in
sich hineingeschüttet und – gestopft haben.
-
Versucht haben, mindestens einem
Familienmitglied ihrer/ihres Ex eine schwere Körperverletzung, irreparablen
seelischen Schaden oder im besten Fall einen Mord zugefügt haben (die
Gesellschaft kümmert sich um die Entsorgung!)
-
eine Kontaktsperre eingerichtet haben (keine
Ausnahmen, auch nicht zum Geburtstag, zu Weihnachten oder zu Nikolaus!)
-
alle Fotos ihrer/ihres Ex bei Vollmond
verbrannt haben und dabei düstere Beschwörungsformeln und wilde Flüche und
Verwünschungen genuschelt haben
-
einen Anwalt/Anwältin mit ihrem Fall
beauftragt haben und diesem mindestens ein schmutziges Geheimnis ihrer Frau
anvertraut haben (Schwarzgeld, Vermögen, Liebhaber, etc.; ein „scharfer“ Anwalt
gibt Bonuspunkte!)
-
mit mindestens einem weiteren Mitglied der
„Gesellschaft“ gekämpft haben (auch Mehrfachkämpfe und Kämpfe mit mehreren
Mitgliedern auf einmal sind erlaubt, aber es gilt: Wer neu in der Gesellschaft ist,
der muss kämpfen.)
-
mindestens einmal zertifiziert komplett „abgestürzt“
sind (als „Absturz“ gilt sowohl der physische (Alkoholvergiftung, Drogenüberdosis,
Herzinfarkte oder -schwäche , Schlaganfälle) als auch der psychische (Klinikaufenthalt,
Suizidversuch, Nervenzusammenbruch, Selbstverletzung)
Eigentlich gar keine schlechte Idee. Ich gründe einfach
eine Gesellschaft! Was wohl die Tante vom Finanzamt dazu sagt?