Montag, 4. April 2016

Mistah Kurtz - he dead




Es ist 01:45. Er liegt im Bett und kann nicht schlafen, findet einfach keinen Schlaf. Die Gedanken kreisen ihm durch den Kopf. Er hat schlecht geträumt und schläft eh nicht mehr so gut, aber das ist nicht alles. Immer wieder denkt er: Ich will die Wahrheit. Ich will wenigstens die Wahrheit.

Jetzt werden alle davon erfahren

Er will die Wahrheit. Er hat ein Recht auf die Wahrheit. Oder auch nicht. Das ist ihm egal. Er will einfach wissen, was Sache ist. Nur die Wahrheit. Nicht seine. Ihre. Er hat lange genug in den Spiegel geschaut. Er kennt „seine“ Wahrheit. Er ist mit sich selbst im Reinen. Der Blick nach innen wird ihn nicht weiterbringen. Er hat viel zu lang nur über sich nachgedacht, nur über seine Gefühle. So lange in fact, dass er jetzt mit sich selbst im Reinen ist. Soweit man das überhaupt jemals sein kann. Nicht im Reinen vielleicht, aber fertig. Er ist fertig mit sich selbst. Er kennt seine Gefühle und Motive. Er kann nichts mehr daraus lernen. Er hat es ein Jahr lang probiert und jetzt ist er, wenn schon nicht mit sich selbst im Reinen, dann doch wenigstens mit sich selbst im Klaren. Er weiß, wer er ist. Man kann nicht ein ganzes Leben lang nach innen schauen. Dann sieht man nicht, was um einen herum passiert. Denn dann sieht man nicht, was um einen herum passiert. Und dreht sich immer wieder im Kreis. Weil man in sich selbst keine Antworten finden wird. Wie sollte man auch. Wie konnte er nur so dumm sein, das zu glauben. So naiv. Die Antworten sind da draußen in der Welt, in Bonn, in der Altstadt. Sich selbst kennt er mittlerweile gut genug. Er hatte ein Jahr, um in den Spiegel zu gucken.

Er hat geträumt, von einem Mann, der in seinem Bett liegt. In dem gleichen Bett, in dem er jetzt liegt. Das kann doch nicht sein, denkt er, aber im Traum sieht er ihn in dem Bett liegen und er weiß, dass es sein Bett ist. Er hat eine Glatze und im Traum verbiegt er ihm die Nase… Vielleicht wird er auch verrückt. Vielleicht hat er auch so lange den Blick auf sich gerichtet, so lange in sich hineingeguckt, dass er die Wahrheit gesehen hat. Die Wahrheit über sein Leben, über die Realität. Seine Realität. Er hat wie Mistah Kurtz den Horror, den Horror gesehen. Nicht im Dschungel, sondern in sich selbst. Er ist ein Jahr den Fluss hinabgefahren und anstatt die Wahrheit zu finden, hat er nur sich selbst verloren. Vielleicht hat er aber auch nur den Blick für die Welt um sich herum verloren. Mistah Kurtz war, glaub ich, auch Deutscher. Ein Deutscher, der in das Herz des Dschungels gefahren ist. Sein Vater  hat Recht, er kann es jetzt sehen: Es dreht sich nicht alles um ihn. Es gibt noch mehr da draußen. Und wenn er schon nicht sein Glück bei einer neuen Partnerin findet, finden will, dann will er wenigstens die Wahrheit über die alte wissen. Seine Alte, haha. Das wird ihm nichts bringen, das weiß er. Darüber ist er sich durchaus bewusst. Für sie wird das nichts bringen. Aber es wird ihm Klarheit bringen. Er muss den Fluss hinabfahren, den Fluss zurückfahren, nicht in sich selbst hinein, sondern in den Dschungel. Den Dschungel um ihn herum. Ein Jahr lang hat er sozusagen den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Obwohl er jeden Tag in ihm laufen geht. Stop spinning, start living. Oder wie Morrissey das sagt: I entered nothing and nothing entered me. Aber es gibt noch mehr als seinen eigenen fetten Arsch. Sein Vater hat Recht. Er muss aufhören, sich um sich selbst zu drehen, sich hin und her zu wälzen in seinem eigenen Bett. Er muss anderen den Schlaf nehmen. Ein ganzes Leben lang wurde er von allen nur darauf trainiert, die Schuld bei sich selbst zu suchen, über sich selbst und seine vermeintlichen „Probleme“ nachzudenken. Seine „Ausraster“, sein „Theater“, seine Unzulänglichkeiten. Aber er hat nie gesehen, dass das nur die halbe Wahrheit, dass der Weg zur Wahrheit auch über die anderen führt. Vielleicht sogar vornehmlich. Er hat den Blick auf die anderen verloren, sich viel zu sehr auf sich selbst konzentriert. Vielleicht wollten sie das, vielleicht war das sogar beabsichtigt. Ganz sicher, Damit er nicht zu viel sieht. Das big picture. Und er ist ihnen voll auf den Leim gegangen. Er war wirklich ein bisschen dumm, ein bisschen naiv, aber wenn man von klein auf lernt, die Fehler bei sich zu suchen…dann kennt man nichts anderes. Außer seine Gefühle. Seine Gedanken. Aber seine Gefühle und Gedanken sind klar. Er weiß, wer er ist. Soweit man das jemals wissen kann. So sehr, dass er sich mit sich selbst langweilt, mit seinem Selbst. Jetzt ist die Welt dran. Was denkt sie, was geht in ihr vor? Was sind ihre Motive. Er kann nicht nur den Horror in sich selbst suchen, er muss ihn in der Welt suchen. In ihr