An einem Sonntagmorgen sitzt
er auf der Arbeit in seinem Kabuff und denkt: Ja genau, das ist dein Leben.
Das heißt, er denkt es
nicht, sondern es schallt aus dem Radio.
Ja
genau, das ist dein Leben…
…du
wirst es nie verstehen
Echt nicht. Deutsche sind so
langweilig.
Es liegt nicht am Text.
Nein, der Text ist gut, könnte von ihm sein. Es ist nicht der Text. Es ist
diese Stimme, diese Tonlage. Der – wer auch immer das ist – singt fast so als
könnte man trotz des Textes das Leben verstehen. Oder so als wär ihm das egal,
als würde er nicht daran glauben, das man das Leben nicht verstehen kann. Nicht
rationalisieren kann. Oder wäre von seinem eigenen Text gelangweilt. Würde doch an
die Objektivierbarkeit des Lebens glauben. Trotz dem, was er sagt. Ach, was
weiß ich denn. Auf jeden Fall ist was faul im Staate Deutschland.
wahrscheinlich
hast du genau die gleiche Tonlage, wenn du sprichst
Bestimmt.
Du brauchst etwas Neues. Du
wirst hier nicht mehr glücklich.
Ja,
das ist dein Leben
Er sitzt im Kassenhäuschen
und macht die Kasse. Es ist noch kein Kunde in der „Halle“, denn es ist noch
nicht neun. Es ist ein Sonntagmorgen und
das
ist dein Leben
Das läuft jetzt nicht mehr.
Zum Glück. Das ist ja nicht auszuhalten (fast so wie dein Leben). Nein, jetzt
läuft: Somewhere over the rainbow. Boah,
geil, ohne Worte, wirklich. Oder doch: Fucking hell.
Somewhere…over
the rainbow…
Das ist so typisch für
Deutschland. wir sind hier alle wahrscheinlich schon zu Lebzeiten ein bisschen over the rainbow. Wir waren mal Jenseits
von Gut und Böse und jetzt sind wir eben over
the rainbow. Schon lange. Immerhin hatten wir über 70 Jahre, um zu üben, um
dieses Gefühl zu kultivieren. Uns zu kultivieren.
Radio Bonn-Rhein-Sieg ist so
typisch für Deutschland.
Er geht auf die Seite des
„Schaufensters“, der kostenlosen Zeitung, die jede Woche einen Super-Zehner in
Bonn in Umlauf bringt. Diese Woche ist der immerhin 2525 € wert. Immerhin. Aber
r hat ihn nicht in der Kasse.
Auf dem Cover der anderen
kostenlosen Zeitung im Raum Bonn, der „Wochenende“, ist ein Tierschädel
abgebildet. Von einer Kuh oder einer Antilope, was weiß ich. Wie im Wilden
Westen. Zumindest der Westen stimmt ja, obwohl der weiße Schädel in Deutschland
eher nach Todestrieb als nach Wilder Westen aussieht.
Der natürlich total lockere,
total entspannte, total vernünftige Sprecher. Faselt irgendetwas von einem
Vivarium. In Dusiburg?
Familienkarte
für
leckt mich am Arsch!
Oder ist das nicht nur in
Deutschland so, sondern überall?
In der gesamten „Westlichen
Welt“?
Aber in Deutschland ist das
schon besonders ausgeprägt, das muss man schon sagen. Diese Objektivität, diese
Rationalität, diese Vernunft, diese Lockerheit und so weiter. Die man nur
schwer zu fassen kriegt. Wir hatten – wie gesagt – über 70 Jahre, um sie zu
perfektionieren. Um uns auf eine höhere Ebene menschlicher Existenz zu heben
…von der wir nun
herabgucken, auf all die anderen dort unten im Tal. Im Tal der Tränen.
Plötzlich kommt ihm dieser
Gedanke: Ich weiß jetzt, dass ich das überleben werde.[1]
Aber ist das genug?
Wenig später füllt sich die
„Halle“ langsam mit Menschen, die entweder versuchen ihre innere Leere – die
bestimmt nicht nur in Deutschland vorkommt, aber hier doch stärker ausgeprägt
ist – wegzuspielen oder wegzusurfen.
Ein Stammkunde kommt an die
Theke. Der Hamburg-Fan. Der ist nett. Er zeigt nach draußen zum Bahnhof auf der
anderen Straßenseite und sagt: „Den nehm ich gleich auch, den Zug, den Zug nach
Ahrbrück. Hier in Bonn ist ja nichts los. Ist ja total tot hier. In Ahrbrück…“
„Echt…? Das ist mehr los…?“
„Ja, viel mehr.“
Wenn selbst der mit seinen
60 Jahren sagt, dass in Bonn nichts los ist, was soll er dann sagen. Mit seinen
25 Jahren, haha.
Wenn selbst in Ahrbrück
(laut Wikipedia 1.218 Einwohner, Stand 03.04.16 – wir wollen ja korrekt sein)
mehr los ist als in Bonn (309.869 Einwohner – ibid. [Korrekt, ey, Bruder, immer korrekt, Bruder!]), dann… (bitte
vervollständigen!).
Diese Tante kommt rein.
Diese Deutsche. Die, die nie Trinkgeld gibt. Aber irgendwas hat. Die, die er
vielleicht auch „ficken“ würde.
Ach, lüg doch nicht!
Ok, ok: Die er im Moment
ganz sicher „ficken“ würde.
Ficken, bumsen, blasen…
Die, an die er gedacht hat,
als er sich letztens auf der Toilette einen runtergeholt hat.
Irgendwas muss die ja haben…
Keine Ahnung, was es ist.
Morgen gibt’s Frikadellen.
Fickadellen. Fikdellen in der Pfanne. Auf Toast. Vielleicht sogar mit Käse.
Butterkäse.
[1]
„Überleben“ bedeutet in diesem Kontext etwa soviel wie „Der würde
wahrscheinlich sogar den Atomkrieg überleben.“