James Bond 007 - Goldeneye

Abends läuft im Zweiten Goldeneye. Das ist doch…ist das nicht…?!, denke ich und checke das Erscheinungsjahr. Tatsächlich, da steht’s: 1995. Ja, genau, das ist der Film, den wir damals geguckt haben. Nach der Nacht in der Disko. Silvester 1995/96. Geguckt ist gut, denn ich weiß echt nicht, wie viele Minuten wir damals wirklich auf die Leinstand gestarrt haben und nicht übereinander hergefallen sind, im alten Metropol Bonn. 

Trotzdem oder gerade deswegen schaltest du pünktlich um Viertel nach zehn von Hart aber fair, wo sie wieder mal über Deutschlands politische Zukunft diskutieren (was für ein Scheiß!), aufs Zweite um, wo tatsächlich James Bond 007 – Goldeneye läuft. Vielleicht wird der Film ja im Internet geblockt (aus rechtlichen Gründen, blablabla…) und du kannst/musst ihn dir gar nicht angucken, denke ich, als die das heute-journal endet. Gleichzeitig verspürst du einen seltsamen Wunsch, ein seltsames Gefühl der Neugier, ihn dir nach all den Jahren endlich einmal anzugucken, zu sehen, was du damals verpasst hast, als du bei deinem ersten Date, deinem ersten richtigen Date überhaupt, im Kino über sie hergefallen bist wie ein ausgehungerter Löwe. Der schon viel zu lange „keine Freundin hatte“, der schon viel zu lange „noch Jungfrau“ war. Das ist doch die perfekte Gelegenheit. Und wenn der jetzt nicht kommt…, denkst du. Aber dann siehst du schon den Löwen, der früher noch immer vor Filmen kam, den brüllenden Löwen, den es heute irgendwie nicht mehr gibt. Und dann kommt, obwohl du jede Minute damit rechnest, dass das ZDF das Programm mit einem Hinweis auf die Rechtelage unterbricht, tatsächlich dieser typische Anfang der alten James-Bond-Filme. Den es jetzt auch nicht mehr gibt. Mit diesen Silhouetten, den Schattenspielen mit den Frauen und Pistolen und James Bond, die so ein bisschen an die 70er Jahren erinnern (sollen). Also läuft der tatsächlich, denke ich mit Erstaunen. Ist der etwa zu alt für rechtliche Gründe? Wahrscheinlich. Genau wie du: zu alt für rechtliche Gründe…

Und während du noch die Word-Datei öffnest, um diese Zeilen festzuhalten, während das Intro schon zu Ende ist und der Film schon angefangen hat, fragst du dich: Hatte ich da schon angefangen, sie zu küssen? Oder saßen wir noch brav und züchtig nebeneinander? Und denkst: Keine Ahnung, warum ich mir das antue? Mit diesem Film fing meine Ehe an. Was für ein Quatschfilm! Das hätte mir eine Warnung sein sollen… 1995: Wie lange ist das jetzt her? Zu lange! Viel zu lange! Viel zu viel Zeit ist seitdem vergangen. Das war sogar unser Abi-Motto. Irgendwas mit Goldeneye. Was genau weiß ich auch nicht mehr. Goldeneye heute mit: Du bist schon gestorben. Schon viel zu oft. Das ist doch symptomatisch, dass ich heute den Film gucke, während ich damals den Film verküsste. Dass das alles ist, was mir geblieben ist. Ach, was waren das noch für Zeiten…

„Die Hälfte von allem ist Glück, James.“

„Und die andere Hälfte?“

„Schicksal!“

Glück habe ich nicht, aber das Schicksal hört nicht auf, mich in den Arsch zu ficken.

Kein Wunder, dass ich bei diesem Film Besseres zu tun hatte, als ihn zu gucken…

Damals gab es noch richtige Schlange vor den Kinos. Bei guten Filmen. Wie zum Beispiel Titanic, Der mit dem Wolf tanzt (den wollten damals tatsächlich alle sehen, unglaublich irgendwie…), der englische Patient… Schlangen, die teilweise, wie bei Forrest Gump, quer über den Bonner Marktplatz vor dem Kino gingen. Gibt es heute nicht mehr…

Das Kino gibt es auch nicht mehr. Mitten in Bonn. Ich habe echt von dem Film nichts mitbekommen. Der Film, der meine Ehe einleitete. Ich erinnere mich an nichts.

„Sie können nicht gewinnen!“

Genau. Da hat er Recht.

Das weiß ich jetzt auch. Hätte ich es doch bloß schon damals gewusst!

Was für ein Quatsch! James Bond gegen den Rest der Welt… Als Kind mochtest du den. Als Jugendlicher eigentlich nie so richtig. Keine Ahnung warum.

Noch eine Warnung, ein Omen, dass du ausgeschlagen hast.

Hatte ich bei dieser leicht erotischen James-Bond-Melodie am Anfang des Films eigentlich schon meine Zunge in ihrem Hals? Noch immer high von der Nacht davor, wo ich sie fast geküsst hätte... Auf ihre Backe, in der Disko, ihre Wange… Das sollte ich einen halben Tag später nachholen…

Ich habe mich noch nie so gescheitert gefühlt wie heute…

Ob sie den auch guckt und sich erinnert?

Haha

HAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHA

Und James küsst nach dem Rennduell mit der rassigen Ferrari-Fahrerin diese biedere Rothaarige, die ihn psychologisch beurteilen soll: Total vereinsamt, psychopathisch veranlagt, paranoid und Borderline ja ohnehin schon lange…

…und natürlich depressiv (wie konnte ich das bloß vergessen), die Depression war meine ständige Begleiterin in all diesen Jahren, die Einzige, die mir wirklich treu war…

„Genießen sie es solange es geht!“

„Ich lebe genau nach diesem Motto...“

Ecuadorianerin, geschüttelt, nicht gerührt.

Die ist eine Georgierin, die Ferrari-Fahrerin, nicht Latina, wie du schon befürchtet hattest. Und wie immer kann Bond alles, macht alles und überlebt alles…

Genau das Gegenteil von mir!, denkst du bitter.

Bis auf das Überleben. Das kann ich immer noch. Irgendwie überlebe ich immer noch. Damals habe ich immer aus Spaß zu Nadine gesagt: Wir überleben sogar den Atomkrieg! Haben wir natürlich nicht, am Ende, zumindest unsere Ehe nicht…

Das waren meine ersten Küsse, mit Zunge zumindest, und das ging eigentlich relativ gut, dafür, dass ich es vorher nie getan hatte. Mit Zunge geküsst, meine ich. Gefickt auch nicht, aber das war eine andere Geschichte… Mit einer Frau geschlafen meine ich natürlich, einem Mädchen…

Ich kann mich an keine Szene mehr erinnern. Keine einzige Szene. Normal, ne, wenn du den Film verschlabberst…

Nadine, wenn du das jetzt guckst, was fühlst du dann?

„Soweit ich mich erinnern kann, James, haben wir es noch nie gemacht.“

Bei dem Film hätte ich ja mit jeder geküsst…

Und während du das noch denkst und dich gemütlich auf die Seite legst, schläfst du plötzlich ein... Einfach so, noch nicht mal bei der Hälfte des Films. Wachst erst um zwei Uhr nachts wieder auf…

Und denkst: Damals habe ich den Film verpasst, weil ich die ganze Zeit Nadine abgeschleckt habe und heute verpasse ich ihn, weil ich mitten drin einschlafe