06.12.15
Als er den letzten Kunden
rausgeschmissen, die Tür zur „Halle“ zugeschlossen und endlich Feierabend hat,
denkt er: Das geht so nicht mehr weiter! Ich bin es so leid! So dermaßen leid!
Diese Scheiße! So kann ich nicht mehr leben. So will ich nicht mehr leben. Ich will hier nicht leben, in diesem
kalten, langweiligen Land. Ich muss auch an mich denken. Irgendwann muss ich ja
damit mal anfangen. Anstatt immer an andere, die mich dann ja eh früher oder
später wieder verlassen. Wenn sie die Nase voll haben. Das ist wie der Franzose das in
Barcelona gesagt hat: „Du musst auch an dich denken!“ Mit einer
Selbstverständlichkeit, die mich erschreckt hat.
Aber ich habe eine Tochter…
„Warte erst mal ab…später,
wenn deine Tochter älter ist und studiert, wirst du dich vor ihr kaum retten
können, wenn du in Barcelona wohnst…“
„Ich selbst schlafe lieber
hier in Barcelona auf der Straße als in Paris eine Wohnung zu haben!“
Und der musste es wissen,
der kam nämlich aus Paris, der Stadt der Liebe. Siehst du Nadine! Da wolltest
du immer hin?! In die Stadt der Liebe, die du sowieso nicht für mich empfunden
hast. Denn sonst wärst du ja nicht gegangen…oder zumindest wiedergekommen…
Aber dieser Satz des
Franzosen, der ist irgendwie hängengeblieben. Wie er das so selbstverständlich
gesagt hat: „Du musst auch an dich denken!“ (Aber der ist ja auch Franzose und
kennt das deutsche Unterhaltsrecht nicht!)
Du musst auch an dich
denken…
Du musst auch an dich
denken…
Du musst auch an dich
denken…
Du musst auch an dich
denken.
Er gibt den Schlüssel in der
anderen Spielhalle, den berühmten „Stadtspielchen Tannenbusch“, ab, redet
kurz mit seinem Kollegen und geht dann in die U-Bahn runter. Auf dem Weg guckt
er in alle Mülleimer, von denen es hier unten viele gibt. Eigentlich ist das
peinlich, aber das hat er sich so angewöhnt. Als zwei Typen aus der U-Bahn
hochkommen unterbricht er kurz seine Suche, nur um diese, nachdem sie endlich
weg sind, fortzuführen. Wie ein Penner. Und das ist kein Witz: Denn es gibt
echt viele Männer die durch eine Trennung am Ende auf der Straße gelandet sind.
Und damit ihm das nicht passiert, sucht er hier nach Flaschen. Am besten die
aus Plastik. Die sid 25 Cent wert, während Bierflaschen immer siffig sind und
auch nur 8 Cent einbringen. Ungefähr ein Millionstel seiner bald anfallenden
Anwaltsrechnungen. Heute hat er schon 16 Cent gefunden! Immerhin… Obwohl er
eine weitere 8-Cent-Flasche im Gras am Waldrand hat liegen gelassen, weil
gerade jemand guckte. Es ist all so auch so eine Art Mutprobe. Lachen Sie
nicht! Das muss man sich erst mal trauen. Halbsiffige 8-Cent-Flaschen aus
Mülleimern hervorzubefördern und dann diskret im Rucksack verschwinden zu
lassen. So, dass es keiner sieht. Was sollen denn die Leute denken?! Er ist
bestimmt der Einzige, der das mit einem Laptop in der anderen Hand tut. Keine
Ahnung, warum? Weil er das Geld braucht? Weil ihm langweilig ist? Weil er nicht
einsieht, dass das einfach so liegenbleiben soll? Weil es eine Mutprobe ist und
er sich seinen Ängsten stellen soll? Keine Ahnung. Auf jeden Fall nicht nur
wegen dem Geld. Ersatzbefriedigungen eben. Irgendwas muss man ja machen, wenn
man keine Frau mehr hat.
Aber auch, und besonders,
einfach so, weil er nichts Besseres zu tun hat.
Nachdem er sich in der
U-Bahn-Unterführung von Abfalleimer zu Abfalleimer gehangelt hat (immer über
Kreuz, von links nach rechts), setzt er sich auf eine dieser Holzbänke am Gleis.
Wirft vorher noch einen Blick in den Abfalleimer neben dem Fahrkartenautomat
und setzt sich dann hin. Knallt seine hoffentlich noch unter 100 Kilo auf die
Bank. Die Beine nicht zu weit geöffnet, denn dann wird das Loch in seiner Hose
sichtbar. Das Loch zwischen seinen Beinen. Egal, welche Hose er sich kauft, er
kriegt sie alle durchgescheuert. Und das immer genau an dieser delikaten Stelle
am inneren Oberschenkel. Zwischen den Beinen eben. Er hat zwar eine graue
Shorts unter der Jeans an (dann fällt das nicht so auf!), aber das sieht man
trotzdem. Wenn er das mit seinen schlechten Augen schon sieht…
Wenn man so drüber
nachdenkt, ist essen das letzte Vergnügen, was dir noch geblieben ist seit der
Trennung, denkt er an der U-Bahn-Haltestelle.
- Sex
hast du keinen mehr (und wenn du mitlesen solltest, liebste Nadine, dann hatte
ich natürlich doch wilden Sex – und zwar jeden Tag – immer mit einer anderen,
nie mit der Gleichen!, ungeschützt anal und oral und bondage…und…ach, leck mich doch… Hörst du, ich habe mehr Sex als
vorher mit dir und schreibe das nur für meinen Blog so)
- Alkohol
trinkt er nicht (zumindest nicht Zuhause und rausgehen tut er eh nicht. Ergo:
keinen Alk, obwohl das auch keine Lösung ist)
- Drogen
nimmt er auch nicht, hat er (leider) noch nie (nur einmal, einen Joint, mit
Jaru, seinem Kollegen, aber das ist Jahre her…reicht also nicht für einen
Entzug des Sorgerechts, falls du mitliest, du Galápagos-EXe, du!)
- Freunde
hat er auch nicht (die wenigen, die er hatte, hat er alle erfolgreich vergrault)
Drüben, also gegenüber von
ihm auf dem anderen Gleis, kommt eine Bahn an.
"Scheiß auf Tannenbusch",
ruft einer der ausgestiegenen Fahrgäste. Scheiß auf Tannenbusch!
Geil, denkt er. Jetzt werde
ich auch noch das Opfer von Jugendgewalt. Das fehlte mir noch. Oder der, wenn
er rüberkommt. Auf sowas warte ich nur, schon mein ganzes Leben lang. Nie ist
einer rübergekommen. Eigentlich schade. So wie ich derzeit drauf bin wäre das
auch echt nicht so gut. So eine kleine Anklage wegen Todschlags oder schwerer
Körperverletzung, je nachdem wie viel Wut er um diese Uhrzeit noch von dem
scheinbar unerschöpflichen Potential in seinem Inneren abrufen kann. Nur die
Hälfte würde für zwei Morde reichen.
Können Scheidungsanwältinnen
einen eigentlich auch vertreten, wenn man in der Trennungszeit so einen kleinen
Totschlag begeht? Ist das dann Totschlag im Affekt? Oder ab dem wievielten
Monat gilt das nur noch Totschlag? Ist das individuell unterschiedlich? Gibt es
Samstagnacht behindertere Fragen?
Aber der Typ auf der anderen
Seite, vom anderen Ufer sozusagen, unterbricht jegliche weiteren Überlegungen
in diese Richtung jäh. Indem er brüllt:
„WER SCHLECHT ÜBER MICH
REDET, FICKE ICH SEINE MUTTER. UND WER NICHT SCHLECHT REDET, FICKE ICH SEINE
MUTTER AUCH.
Das nenne ich Konsequenz!
denkt er. Die arme Mutter. Warum sind es eigentlich immer die armen Mütter, die
so behandelt werden? Die haben das gar nicht verdient, dieses ganze Rumgef*****.
Oder? Oder doch? Wenn ich so
darüber nachdenke: Die wissen schon, was die getan haben, die Mütter, was die
all die Jahre falschgemacht haben…
Wenn es jetzt Zeugen gibt,
die ihn das haben schreien hören, ist das dann Notwehr, wenn ich den erschlage?
Notwehr im Affekt, wegen der Trennung! 9 Monate Trennung sind doch keine Zeit!
Und als er einfach so geschwiegen hat, als er blutend am Boden lag, nachdem ich
ihm den Tritt gegeben hatte, da hat mich das so an meine Frau und ihr Schweigen
seit unserer Trennung erinnert. Ich hasse das, wenn ich das silent treatment bekomme…
Doch eigentlich denkt er:
Wenn der jetzt rüberkommt, dann habe ich ein Problem. Ich, mit meinem Laptop.
Und so sitzt er da, mit seiner kaputten Hose, nachts um eins, und denkt – neben
Nadine, die natürlich immer noch eine Dauerpräsenz in seinem Kopf ist – über
die Nudeln nach, die Zuhause auf ihn warten. Sehnsüchtig auf ihn erwarten. Wenn
schon keine warme, kleine Frau mehr da ist, dann will ich wenigstens Nudeln
haben, menno… Nudeln mit Bratwurstscheibchen und Sauce. Bratensauce aus der
Packung, aber immerhin…Und ein Ei hat er auch noch. Ein gekochtes. Das neben
der Spüle liegt.
Doch dann wird er schon
wieder und genauso jäh wie eben in seinen Gedanken unterbrochen, von einem
weiteren Jugendlichen, diesmal auf seiner Seite. Von diesem Ufer sozusagen.
„HALLO, HAST DEINEN ALKOHOL
VERGESSEN?! JETZT TRINK!“
…
„JETZT TRINK MAL!“
Boah, hier geht’s ja ab. Das ist ja fast schon Nötigung. Da
sag noch mal jemand, Bonn sei eine langweilige Verwaltungsstadt. Eine
langweilige Vergewaltigungsstadt. Der muss nur Samstagabend mal in die Tannenbuscher U-Bahn kommen. Party ohne Ende!
„BIN NOCH KEINE 18!“
Auch noch Verführung
Minderjähriger.
Ein Typ steht auf – ungefähr
da, wo die Typen sitzen, die sich gegenseitig zum Alkoholgenuss nötigen – und
kommt sicherheitshalber zum ihm rüber. Setzt sich neben ihm auf die Bank. Keine
zwei Meter von ihm entfernt. Ein junger Schwarzer. Ein Schwatzer, wie seine
Tante aus Hessen sagen würde. Ein Neger, wie sein sich schon vier Tage in Rente
befindender Vater sagen würde. Viel zu viele Neger hier in Kessenich, ist einer
seiner Lieblingssprüche.
„…Kondome mitgebracht…“ sagt
der Schwarze.
Und du bist überhaupt,
wirklich überhaupt nicht neidisch. Denn zum Wichsen braucht man keine Kondome.
Und so spart man Geld, haha. Wenn man dann noch ein paar Flaschen findet…Du
guckst runter zu dem Fässchen Bier, das neben deinen Füßen, halb versteckt
unter der Bank steht. Ob da Pfand drauf ist. Vor deinem inneren Auge siehst du
dich ein halbleeres Fässchen Bier in den Bus hieven, nur, weil du dafür 25 Cent
kriegst. Wie verzweifelt muss man sein…
…sehr!
Eigentlich könntest du dich
ja melden. Dem TRINK-MAL-Typen auf das Fässchen hinweisen. Aber ich glaube, es
ist besser, nicht die Aufmerksamkeit dieser Typen zu erregen.
„Hast du die Sache da mit
dem Geld noch mal geguckt?“ sagt der Schwarze.
Und wenn da eine Bombe
drinnen ist?
Wenn jemand einen Anschlag
auf die Samstagabend-Partygänger in der Tannenbuscher U-Bahn plant?
Geil, dann bin ich der
Erste, der draufgeht.
„Stimmt! So ist das. Es gibt
nix Neues.“
„Man lebt und das Leben ist
eh Scheiße.“
Scheiße
Sagt der das gerade echt.
Oder ist das eine Fata Morgana. Eine Fata Morgana in der Wüste seines Lebens.
Und ichdachte, ich wäre der Einzige! Siehste mal!
„Ich bin nicht glücklich.
Weiß auch nicht, warum. Nicht, dass die Leute mich abfucken. Ich fucke mich
selbst ab!“
Das kann doch nicht wahr
sein…du sprichst mir so aus der Seele. Scheiße, Mann. Das ist ja fast
unheimlich. Kumpel, Bruder, mein Nigga, lass uns einen Verein gründen! Verein
der unwissenden Unglücklichen. Der unglücklichen Unwissenden.
You’re
not alone…
You’re
not alone…
Aber am Ende sagst du
nichts. Typisch. Jeder leidet für sich allein am besten. Außerdem kommt jetzt
die Bahn. Aber Bruder, du weißt gar nicht, wie sehr ich dich insgeheim verstehe…
Drei Mädchen laufen an ihm
vorbei. Sie sehen nicht schlecht aus, für Deutsche. Sind aber viel zu jung. Die
wollen eh nichts von dir.
Er steht auf. Vielleicht
findet er ja eine Flasche. Vielleicht sogar eine 25-Cent-Flasche. Er steigt in
die Bahn ein. Ganz vorne, direkt hinter dem Fahrer. Verstohlen guckt er unter
die Sitzbänke.
Ne, sieht nicht so aus…
Er setzt sich ganz vorne
hin. Da ist er geschützter. Denkt er zumindest. Und dann sieht er sie…
Da steht eine Dose. Er
überlegt einen Moment lang, guckt sich noch ein letztes Mal um und dann nimmt
er sie. Schnell. Guckt sich noch mal um. Hat keiner gesehen. Sie ist matt und
fühlt sich leicht rau in seiner Hand an. Angenehm rau. Auf ihr steht irgendeine
Biermarke, die er nicht kennt. Und das Wichtigste: Sie ist 25 Cent wert! Da ist
das Pfandzeichen! Geil!
„…der drogenabhängig ist…“
sagt das Mädchen das schräg hinter ihm sitzt. Gegenüber von ihrem Freund, der
eine rote Wintermütze trägt.
Jetzt kriegt er den
Wasserkasten bestimmt umsonst. Und kriegt noch was raus. Geil. Es sind die
kleinen Erfolge, die das Leben lebenswert machen. die kleinen Frauen wie
Nadine, die einen glücklich machen. Oder zufrieden. Glücklich wird er hier eh
nicht mehr. Woanders vielleicht, aber hier nicht mehr. Und bald ist
Weihnachten. Noch ein Grund, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Eine
silberne.
„…was soll ich da sagen…“
„…wenn du mich nicht liebst,
kann ich nachvollziehen…“
„…ich versteh auch, wenn die
Kinder noch klein sind…“
Hey, redet der über mich?! denkt
er. Nicht, dass der über mich redet. Kenn ich den? Ich trau mich gar nicht,
mich umzudrehen, um ihn mir ein bisschen genauer anzugucken. Aber nicht das ich
wüsste.
„…hatte ein Haus, ein Auto…“
sagt die Alte.
Ne, ich bin es nicht! Puh,
das war knapp.
„…hat den ja alles nicht…“
Oder doch?
Er traut sich gar nicht,
sich umzudrehen.
„…ich hab den gesehen…“
„…so’n Macher…“
Bundesrechnungshof/Auswärtiges
Amt
Am Bonner Hauptbahnhof
steigst du aus, gehst müde durch das „Bonner Loch“ nach oben, zur Haltestelle,
von wo dein Nachtbus um 1.31 Uhr abfährt. Früher bist du von woanders
abgefahren, früher, als du noch in Duisdorf gewohnt hast. Mit ihr. So viele
Jahre.
Du dachtest immer ihr würdet
ewig zusammenbleiben.
Du guckst dich nach
Pfandflaschen umdenkst darüber nach, warum du sie sammelst. Du sammelst
Pfandflaschen, weil du dich deiner Angst stellen musst. Weil du dich dem
aussetzen musst, was die Leute sagen könnten.
Flaschen am Hauptbahnhof
lässt er natürlich stehen, egal wie viele da an einem Samstagabend rumstehen.
Denn im „Bonner Loch“ weißt du nie, wer daraus getrunken haben könnte. Nicht,
dass das irgend so ein Drogenabhängiger war mit Hepatitis A, B und C. Da hab
ich echt keinen Bock drauf. Die nehm ich nicht mit. So verzweifelt bin ich dann
doch noch nicht.
Oben ist der Bus – wie immer
– noch nicht da. Nicht wie der N2-Bus nach Duisdorf. Den du früher immer
genommen hast. Sehnsüchtig guckst du zur Haltestelle, von wo dein alter Bus
immer abgefahren ist. Als Nadine noch da war. Der steht natürlich schon da.
„…weil das halt’n
Waschlappen ist…“, hörst du einen jungen Typen mit Käppi zu seinem Kumpel
sagen. So ein Dicker, der selber wie einer aussieht. Ein Waschlappen, mein ich.
„…dieses Mädchen, die vom
Rudern. Die ist fünf Jahre jünger als ich…“
„Das geht einfach nicht vom
Intellekt, von den Gesprächsthemen…“
Nadine war auch fünf Jahre
älter als du. Lag es daran?
Als der Bus kommt, fällt dir
ein Mädchen vor, das an dir vorbeitorkelt. Oder vielleicht nicht torkelt, aber
zumindest leicht schwankt. Die hat bestimmt einiges intus. Einiges getankt. Sie
ist ganz dünn, groß und blond und hat zerzauste Haare. Du guckst sie an, guckst
ihr für einen Moment in die Augen und siehst, dass sie am heulen ist.
Sie redet in ein Telefon,
mit einer Stimme, die eine Mischung aus zu viel Alkohol und Verzweiflung ist. Sie
spricht Englisch mit britischem Akzent, sagt: „…gonna ask if this is the right bus…“
„…I
don’t know if this is the right bus…“
„…are
you still there…?“
Besonders besoffen, denkt
er. Vielleicht kannst du die ja rumkriegen, haha. Die ist eh halbwegs
Engländerin.
Sie geht zum Busfahrer,
fragt ihn, ob er zum Poppelsdorfer Platz fährt. Er sagt ja – was ja auch stimmt
– aber sie traut dem Ganzen immer noch nicht. Die Arme. Die klingt eh leicht
verwirrt. Und dann noch nachts allein unterwegs sein. Als Ausländerin. Ok, Bonn
ist nicht Los Angeles, aber trotzdem. Du setzt dich ganz vorne hin. Auf den
einzelnen Platz rechts vom Fahrer. Sie sitzt ein paar Plätze hinter dir, aber
noch immer ziemlich weit vorne.
„I’m
not entirely sure. I asked the bus driver…“
Zuhause warten Nudeln mit
Bratwurst und Soße auf dich. Die Engländerin setzt sich
„Do
you reckon…?“
„Shall
I meet you outside…?“ Sie klingt total verzweifelt, die Arme.
„I’m
going to bed…“
„I’m
sure I need you…“
Dann ist das Gespräch zu
Ende.
Oder doch nicht?
„I
still want to meet you outside the door…“
„I’m
gonna wait outside for you. Is that ok…?“
crying
„I’m
not entirely sure…“
„What
did you say…?“
„Poppelsdorfer
Platz. We can meet up…“
Ich bin auf dem Weg nach
Hause. Ich bin nicht schwach geworden und zum Salsa gegangen. Ja! Noch ein
kleiner Erfolg.
Was hätte mir das auch
gebracht? Wenn sie nicht da gewesen wäre, wäre ich frustriert gewesen und wenn
ja, dann erst recht. Mit ihren Freunden. Da hättest du eh keine Chance gehabt.
Was stellst du dir eigentlich vor?! Dass sie dir um den Hals fällt, sobald sie
dich sieht?! Eher das Gegenteil. Nachdem sie es noch nicht mal für María für
nötig hält, mit dir zu reden. Neun Monate schon nicht.
Aber egal, jetzt bist du eh
im Bus. Jetzt kannst du eh nicht mehr zurück. Jetzt gibt es eh kein Zurück
mehr.
„…Poppelsdorfer Platz…“,
sagt die Engländerin fragend zum Busfahrer. Sie ist wieder aufgestanden, nach
vorne gekommen und steht jetzt leicht schwankend neben der Fahrerkabine.
„Wie viele Haltestellen?“
fragt sie auf Deutsch.
„Vier Haltestellen“,
antwortet der Fahrer ruhig.
„Ich bin jetzt ein bisschen
unsicher…“
Was der wohl passiert ist,
dass die so von der Rolle ist. Das kann ja nicht nur der Alkohol sein. Da muss
ja noch „irgendwas vorgefallen sein“, um deinen Vater zu zitieren, wie er deine
Trennung kommentiert.
Ist auch. Bei mir, nicht bei
ihr.
Die Arme. In einer fremden
Stadt. Keine Ahnung, Mann. Ich kann dich verstehen, wie du dich fühlst, aber
ich kann dir das nicht sagen. Ich werde dir das nicht sagen.
„Where
are you?“ fragt sie um sichtlich Ruhe bemüht ins Telefon hinein.
„Where?“
…Mädchen
…viele Menschen auch
eigentlich
…vielen Menschen geht es
eigentlich auch gar nicht so gut.
„Zwei Haltestellen?“
„Ja. Zwei.“
Sie versucht sich an
irgendetwas festzuhalten
„I’m feeling really insecure…“
Frag mich mal...!
„The
bus driver reckons that Poppelsdorfer Platz….“
Aber wie kann man denn so
aus der Bahn geworfen werden. Von ein bisschen Alkohol. Oder waren da Drogen im
Spiel. Scheiße. Du weißt es nicht. Man weiß es nicht. Obwohl: Wie du damals in Aberdeen warst, hattest du auch solche Tage. Oder vielleicht sogar noch
schlimmere. Ist lange her. Aus Liebeskummer. Wie dich damals Conchita verlassen
hat, da ist für dich eine Welt zusammengebrochen. Da warst du auch so richtig
am Arsch. Distressed, wie das die
Kirchentante von Jonas ausgedrückt hat. Du weißt immer noch nicht, was das
genau heißt. Und gleichzeitig weißt du es nur allzu gut. Und jetzt wiederholt
sich der ganze Scheiß mit Nadine. Nur du bist hundertmal älter und hundertmal
verheirateter und es ist noch hundertmal schlimmer als früher. Aber wie du
siehst, bist du nicht der Einzige, der sich beschissen fühlt. Ist das ein
Trost?
„Which should be already vor meiner Wohnung.“
„Dankeschön, dass Sie so
viel Geduld haben.“
„…ich kannte ihn das erste
Mal nur aus…hab ich halt…“
Sie sieht eigentlich richtig
gut aus, in ihrem kurzen Rock, mit ihren langen, dünnen Beinen und den langen,
leicht zerzausten, blonden Strähnen. Die Arme
Nächste
Haltestelle: Poppelsdorfer Platz.
Endlich. Jetzt kann sie
endlich nach Hause. Leicht unsicher auf ihren Beinen steigt sie vorne beim Fahrer
aus.
Im
Wingert
Nudeln mit Bratwurst und
Soße.
Nächste
Haltestelle: Marienhospital.
„…extreme Eifersucht…“, sagt
der Typ auf dem 2er links von mir, direkt hinter dem Fahrer.
Nächste
Haltestelle: Friedrichsruh.
Hoffentlich findet die
Engländerin ihre Wohnung. Hoffentlich passiert ihr nichts. Noch mehr als ihr
schon passiert ist.
Nächste
Haltestelle: Casselsruhe.
Der Bus bahnt sich seinen
Weg durch die Nacht. Links der Wald, rechts der Abhang.
Immer schneller.
Ich hab Hunger.
Nicht die Beine so weit
auseinander machen. Dann sehen die das Loch in deiner Hose. Zwischen deinen
Beinen.
Aber doch nicht im Dunkeln!
Nachts sind alle Katzen
grau. Hast du auch gedacht, als du Nadine kennengelernt hast. Das war ein Fehler
Es war ein Fehler.
Nächste
Haltestelle: Haus Venusberg.
Du mich auch.
Die Jugendherberge, an die
du so schöne Erinnerungen hast. Wie du in das Zimmer reinkamst und dieser fette
Typ mit der Behinderung nackt vor dir stand. Nichts gegen fette Typen (bin
selbst übergewichtig) mit Behinderungen, aber der hatte wirklich einen an der
Klatsche. Der hat nachts geschnarcht wie ein Walross und schlief immer
halbnackt mit einem Finger im Arsch steckend. Und das ist kein Witz! Das ist
traurig, aber wahr. Am Ende hattest du Streit mit ihm und er hat dich
angespuckt. War das der Tiefpunkt deiner Trennung? Vielleicht. Einer von
vielen. Es gab so viele Tiefpunkte, die sich wie die Glieder einer Kette
nahtlos aneinanderreihten.
Wenn man unten ist, ist man
ganz unten.
Aber das Wichtige ist (selbst
an diesem Salsa-Abend): Du bist nicht mehr ganz unten. Du hast dich gefangen –
egal, wie hart das war.
Nächste
Haltestelle: Jugendherberge.
Du musst nie wieder in die
Jugendherberge. Weil du bei deinen Eltern rausgeflogen bist. Nach einem Tag.
Kein Witz. Oder hören Sie irgendjemand lachen. Weil du keine Wohnung mehr hast,
nach der Trennung quasi obdachlos bist. 2015 war echt mein annus mirabilis. 2015 habe ich wirklich herausgefunden, wer zu mir
steht.
Niemand.
Die Engländerin ist jetzt
hoffentlich Zuhause. Macht die Tür zu. Zieht sich aus. Duscht ewig. Fällt ins
Bett. Wird…
„I’m
feeling so insecure…“
Cola hast du auch. Eine
ganze Flasche vol. Eisgekühlt. Die kleinen Dinge. Es sind die kleinen Dinge. Mir
geht es doch gar nicht so schlecht, denkt er. Es gibt noch mehr Verzweifelte.
Du bist nicht allein.
Doch, im Moment schon.
Aber du hast ja Nudeln mit
Bratwurst.
Du stellst dir vor, wie
deine Schwester zu ihrem kubanisch-amerikanischen Freund sagt: Latinas sind
verrückt, but my brother…
…he’s
so „labil“.
How do you say „labil“ in English?
I’m
a mental…
Was dich nicht umbringt…
Lo
que no mata engorda…