Sonntag, 6. Dezember 2015

Saturday Night Fever



06.12.15
 




Als er den letzten Kunden rausgeschmissen, die Tür zur „Halle“ zugeschlossen und endlich Feierabend hat, denkt er: Das geht so nicht mehr weiter! Ich bin es so leid! So dermaßen leid! Diese Scheiße! So kann ich nicht mehr leben. So will ich nicht mehr leben. Ich will hier nicht leben, in diesem kalten, langweiligen Land. Ich muss auch an mich denken. Irgendwann muss ich ja damit mal anfangen. Anstatt immer an andere, die mich dann ja eh früher oder später wieder verlassen. Wenn sie die Nase voll haben. Das ist wie der Franzose das in Barcelona gesagt hat: „Du musst auch an dich denken!“ Mit einer Selbstverständlichkeit, die mich erschreckt hat.

Aber ich habe eine Tochter…

„Warte erst mal ab…später, wenn deine Tochter älter ist und studiert, wirst du dich vor ihr kaum retten können, wenn du in Barcelona wohnst…“

„Ich selbst schlafe lieber hier in Barcelona auf der Straße als in Paris eine Wohnung zu haben!“

Und der musste es wissen, der kam nämlich aus Paris, der Stadt der Liebe. Siehst du Nadine! Da wolltest du immer hin?! In die Stadt der Liebe, die du sowieso nicht für mich empfunden hast. Denn sonst wärst du ja nicht gegangen…oder zumindest wiedergekommen…

Aber dieser Satz des Franzosen, der ist irgendwie hängengeblieben. Wie er das so selbstverständlich gesagt hat: „Du musst auch an dich denken!“ (Aber der ist ja auch Franzose und kennt das deutsche Unterhaltsrecht nicht!)

Du musst auch an dich denken…

Du musst auch an dich denken…

Du musst auch an dich denken…

Du musst auch an dich denken.

Er gibt den Schlüssel in der anderen Spielhalle, den berühmten „Stadtspielchen Tannenbusch“, ab, redet kurz mit seinem Kollegen und geht dann in die U-Bahn runter. Auf dem Weg guckt er in alle Mülleimer, von denen es hier unten viele gibt. Eigentlich ist das peinlich, aber das hat er sich so angewöhnt. Als zwei Typen aus der U-Bahn hochkommen unterbricht er kurz seine Suche, nur um diese, nachdem sie endlich weg sind, fortzuführen. Wie ein Penner. Und das ist kein Witz: Denn es gibt echt viele Männer die durch eine Trennung am Ende auf der Straße gelandet sind. Und damit ihm das nicht passiert, sucht er hier nach Flaschen. Am besten die aus Plastik. Die sid 25 Cent wert, während Bierflaschen immer siffig sind und auch nur 8 Cent einbringen. Ungefähr ein Millionstel seiner bald anfallenden Anwaltsrechnungen. Heute hat er schon 16 Cent gefunden! Immerhin… Obwohl er eine weitere 8-Cent-Flasche im Gras am Waldrand hat liegen gelassen, weil gerade jemand guckte. Es ist all so auch so eine Art Mutprobe. Lachen Sie nicht! Das muss man sich erst mal trauen. Halbsiffige 8-Cent-Flaschen aus Mülleimern hervorzubefördern und dann diskret im Rucksack verschwinden zu lassen. So, dass es keiner sieht. Was sollen denn die Leute denken?! Er ist bestimmt der Einzige, der das mit einem Laptop in der anderen Hand tut. Keine Ahnung, warum? Weil er das Geld braucht? Weil ihm langweilig ist? Weil er nicht einsieht, dass das einfach so liegenbleiben soll? Weil es eine Mutprobe ist und er sich seinen Ängsten stellen soll? Keine Ahnung. Auf jeden Fall nicht nur wegen dem Geld. Ersatzbefriedigungen eben. Irgendwas muss man ja machen, wenn man keine Frau mehr hat.

Aber auch, und besonders, einfach so, weil er nichts Besseres zu tun hat.

Nachdem er sich in der U-Bahn-Unterführung von Abfalleimer zu Abfalleimer gehangelt hat (immer über Kreuz, von links nach rechts), setzt er sich auf eine dieser Holzbänke am Gleis. Wirft vorher noch einen Blick in den Abfalleimer neben dem Fahrkartenautomat und setzt sich dann hin. Knallt seine hoffentlich noch unter 100 Kilo auf die Bank. Die Beine nicht zu weit geöffnet, denn dann wird das Loch in seiner Hose sichtbar. Das Loch zwischen seinen Beinen. Egal, welche Hose er sich kauft, er kriegt sie alle durchgescheuert. Und das immer genau an dieser delikaten Stelle am inneren Oberschenkel. Zwischen den Beinen eben. Er hat zwar eine graue Shorts unter der Jeans an (dann fällt das nicht so auf!), aber das sieht man trotzdem. Wenn er das mit seinen schlechten Augen schon sieht…

Wenn man so drüber nachdenkt, ist essen das letzte Vergnügen, was dir noch geblieben ist seit der Trennung, denkt er an der U-Bahn-Haltestelle.

-       Sex hast du keinen mehr (und wenn du mitlesen solltest, liebste Nadine, dann hatte ich natürlich doch wilden Sex – und zwar jeden Tag – immer mit einer anderen, nie mit der Gleichen!, ungeschützt anal und oral und bondage…und…ach, leck mich doch… Hörst du, ich habe mehr Sex als vorher mit dir und schreibe das nur für meinen Blog so)

-       Alkohol trinkt er nicht (zumindest nicht Zuhause und rausgehen tut er eh nicht. Ergo: keinen Alk, obwohl das auch keine Lösung ist)

-       Drogen nimmt er auch nicht, hat er (leider) noch nie (nur einmal, einen Joint, mit Jaru, seinem Kollegen, aber das ist Jahre her…reicht also nicht für einen Entzug des Sorgerechts, falls du mitliest, du Galápagos-EXe, du!)

-       Freunde hat er auch nicht (die wenigen, die er hatte, hat er alle erfolgreich vergrault)
Drüben, also gegenüber von ihm auf dem anderen Gleis, kommt eine Bahn an.

"Scheiß auf Tannenbusch", ruft einer der ausgestiegenen Fahrgäste. Scheiß auf Tannenbusch!

Geil, denkt er. Jetzt werde ich auch noch das Opfer von Jugendgewalt. Das fehlte mir noch. Oder der, wenn er rüberkommt. Auf sowas warte ich nur, schon mein ganzes Leben lang. Nie ist einer rübergekommen. Eigentlich schade. So wie ich derzeit drauf bin wäre das auch echt nicht so gut. So eine kleine Anklage wegen Todschlags oder schwerer Körperverletzung, je nachdem wie viel Wut er um diese Uhrzeit noch von dem scheinbar unerschöpflichen Potential in seinem Inneren abrufen kann. Nur die Hälfte würde für zwei Morde reichen. 

Können Scheidungsanwältinnen einen eigentlich auch vertreten, wenn man in der Trennungszeit so einen kleinen Totschlag begeht? Ist das dann Totschlag im Affekt? Oder ab dem wievielten Monat gilt das nur noch Totschlag? Ist das individuell unterschiedlich? Gibt es Samstagnacht behindertere Fragen?

Aber der Typ auf der anderen Seite, vom anderen Ufer sozusagen, unterbricht jegliche weiteren Überlegungen in diese Richtung jäh. Indem er brüllt:

„WER SCHLECHT ÜBER MICH REDET, FICKE ICH SEINE MUTTER. UND WER NICHT SCHLECHT REDET, FICKE ICH SEINE MUTTER AUCH.

Das nenne ich Konsequenz! denkt er. Die arme Mutter. Warum sind es eigentlich immer die armen Mütter, die so behandelt werden? Die haben das gar nicht verdient, dieses ganze Rumgef*****. 

Oder? Oder doch? Wenn ich so darüber nachdenke: Die wissen schon, was die getan haben, die Mütter, was die all die Jahre falschgemacht haben…

Wenn es jetzt Zeugen gibt, die ihn das haben schreien hören, ist das dann Notwehr, wenn ich den erschlage? Notwehr im Affekt, wegen der Trennung! 9 Monate Trennung sind doch keine Zeit! Und als er einfach so geschwiegen hat, als er blutend am Boden lag, nachdem ich ihm den Tritt gegeben hatte, da hat mich das so an meine Frau und ihr Schweigen seit unserer Trennung erinnert. Ich hasse das, wenn ich das silent treatment bekomme…

Doch eigentlich denkt er: Wenn der jetzt rüberkommt, dann habe ich ein Problem. Ich, mit meinem Laptop. Und so sitzt er da, mit seiner kaputten Hose, nachts um eins, und denkt – neben Nadine, die natürlich immer noch eine Dauerpräsenz in seinem Kopf ist – über die Nudeln nach, die Zuhause auf ihn warten. Sehnsüchtig auf ihn erwarten. Wenn schon keine warme, kleine Frau mehr da ist, dann will ich wenigstens Nudeln haben, menno… Nudeln mit Bratwurstscheibchen und Sauce. Bratensauce aus der Packung, aber immerhin…Und ein Ei hat er auch noch. Ein gekochtes. Das neben der Spüle liegt.

Doch dann wird er schon wieder und genauso jäh wie eben in seinen Gedanken unterbrochen, von einem weiteren Jugendlichen, diesmal auf seiner Seite. Von diesem Ufer sozusagen.

„HALLO, HAST DEINEN ALKOHOL VERGESSEN?! JETZT TRINK!“


„JETZT TRINK MAL!“

Boah, hier geht’s ja ab. Das ist ja fast schon Nötigung. Da sag noch mal jemand, Bonn sei eine langweilige Verwaltungsstadt. Eine langweilige Vergewaltigungsstadt. Der muss nur Samstagabend mal in die Tannenbuscher U-Bahn kommen. Party ohne Ende!

„BIN NOCH KEINE 18!“

Auch noch Verführung Minderjähriger.


Ein Typ steht auf – ungefähr da, wo die Typen sitzen, die sich gegenseitig zum Alkoholgenuss nötigen – und kommt sicherheitshalber zum ihm rüber. Setzt sich neben ihm auf die Bank. Keine zwei Meter von ihm entfernt. Ein junger Schwarzer. Ein Schwatzer, wie seine Tante aus Hessen sagen würde. Ein Neger, wie sein sich schon vier Tage in Rente befindender Vater sagen würde. Viel zu viele Neger hier in Kessenich, ist einer seiner Lieblingssprüche.

„…Kondome mitgebracht…“ sagt der Schwarze.

Und du bist überhaupt, wirklich überhaupt nicht neidisch. Denn zum Wichsen braucht man keine Kondome. Und so spart man Geld, haha. Wenn man dann noch ein paar Flaschen findet…Du guckst runter zu dem Fässchen Bier, das neben deinen Füßen, halb versteckt unter der Bank steht. Ob da Pfand drauf ist. Vor deinem inneren Auge siehst du dich ein halbleeres Fässchen Bier in den Bus hieven, nur, weil du dafür 25 Cent kriegst. Wie verzweifelt muss man sein…

…sehr!

Eigentlich könntest du dich ja melden. Dem TRINK-MAL-Typen auf das Fässchen hinweisen. Aber ich glaube, es ist besser, nicht die Aufmerksamkeit dieser Typen zu erregen.

„Hast du die Sache da mit dem Geld noch mal geguckt?“ sagt der Schwarze.
Und wenn da eine Bombe drinnen ist?

Wenn jemand einen Anschlag auf die Samstagabend-Partygänger in der Tannenbuscher U-Bahn plant?

Geil, dann bin ich der Erste, der draufgeht.

„Stimmt! So ist das. Es gibt nix Neues.“

„Man lebt und das Leben ist eh Scheiße.“

Scheiße

Sagt der das gerade echt. Oder ist das eine Fata Morgana. Eine Fata Morgana in der Wüste seines Lebens. Und ichdachte, ich wäre der Einzige! Siehste mal!

„Ich bin nicht glücklich. Weiß auch nicht, warum. Nicht, dass die Leute mich abfucken. Ich fucke mich selbst ab!“

Das kann doch nicht wahr sein…du sprichst mir so aus der Seele. Scheiße, Mann. Das ist ja fast unheimlich. Kumpel, Bruder, mein Nigga, lass uns einen Verein gründen! Verein der unwissenden Unglücklichen. Der unglücklichen Unwissenden.

You’re not alone…

You’re not alone…

Aber am Ende sagst du nichts. Typisch. Jeder leidet für sich allein am besten. Außerdem kommt jetzt die Bahn. Aber Bruder, du weißt gar nicht, wie sehr ich dich insgeheim verstehe…

Drei Mädchen laufen an ihm vorbei. Sie sehen nicht schlecht aus, für Deutsche. Sind aber viel zu jung. Die wollen eh nichts von dir.

Er steht auf. Vielleicht findet er ja eine Flasche. Vielleicht sogar eine 25-Cent-Flasche. Er steigt in die Bahn ein. Ganz vorne, direkt hinter dem Fahrer. Verstohlen guckt er unter die Sitzbänke.

Ne, sieht nicht so aus…

Er setzt sich ganz vorne hin. Da ist er geschützter. Denkt er zumindest. Und dann sieht er sie…

Da steht eine Dose. Er überlegt einen Moment lang, guckt sich noch ein letztes Mal um und dann nimmt er sie. Schnell. Guckt sich noch mal um. Hat keiner gesehen. Sie ist matt und fühlt sich leicht rau in seiner Hand an. Angenehm rau. Auf ihr steht irgendeine Biermarke, die er nicht kennt. Und das Wichtigste: Sie ist 25 Cent wert! Da ist das Pfandzeichen! Geil!
„…der drogenabhängig ist…“ sagt das Mädchen das schräg hinter ihm sitzt. Gegenüber von ihrem Freund, der eine rote Wintermütze trägt.

Jetzt kriegt er den Wasserkasten bestimmt umsonst. Und kriegt noch was raus. Geil. Es sind die kleinen Erfolge, die das Leben lebenswert machen. die kleinen Frauen wie Nadine, die einen glücklich machen. Oder zufrieden. Glücklich wird er hier eh nicht mehr. Woanders vielleicht, aber hier nicht mehr. Und bald ist Weihnachten. Noch ein Grund, sich eine Kugel in den Kopf zu jagen. Eine silberne.

„…was soll ich da sagen…“

„…wenn du mich nicht liebst, kann ich nachvollziehen…“

„…ich versteh auch, wenn die Kinder noch klein sind…“

Hey, redet der über mich?! denkt er. Nicht, dass der über mich redet. Kenn ich den? Ich trau mich gar nicht, mich umzudrehen, um ihn mir ein bisschen genauer anzugucken. Aber nicht das ich wüsste.

„…hatte ein Haus, ein Auto…“ sagt die Alte.

Ne, ich bin es nicht! Puh, das war knapp.

„…hat den ja alles nicht…“

Oder doch?

Er traut sich gar nicht, sich umzudrehen.

„…ich hab den gesehen…“

„…so’n Macher…“

Bundesrechnungshof/Auswärtiges Amt

Am Bonner Hauptbahnhof steigst du aus, gehst müde durch das „Bonner Loch“ nach oben, zur Haltestelle, von wo dein Nachtbus um 1.31 Uhr abfährt. Früher bist du von woanders abgefahren, früher, als du noch in Duisdorf gewohnt hast. Mit ihr. So viele Jahre.
Du dachtest immer ihr würdet ewig zusammenbleiben.

Du guckst dich nach Pfandflaschen umdenkst darüber nach, warum du sie sammelst. Du sammelst Pfandflaschen, weil du dich deiner Angst stellen musst. Weil du dich dem aussetzen musst, was die Leute sagen könnten.

Flaschen am Hauptbahnhof lässt er natürlich stehen, egal wie viele da an einem Samstagabend rumstehen. Denn im „Bonner Loch“ weißt du nie, wer daraus getrunken haben könnte. Nicht, dass das irgend so ein Drogenabhängiger war mit Hepatitis A, B und C. Da hab ich echt keinen Bock drauf. Die nehm ich nicht mit. So verzweifelt bin ich dann doch noch nicht.

Oben ist der Bus – wie immer – noch nicht da. Nicht wie der N2-Bus nach Duisdorf. Den du früher immer genommen hast. Sehnsüchtig guckst du zur Haltestelle, von wo dein alter Bus immer abgefahren ist. Als Nadine noch da war. Der steht natürlich schon da.

„…weil das halt’n Waschlappen ist…“, hörst du einen jungen Typen mit Käppi zu seinem Kumpel sagen. So ein Dicker, der selber wie einer aussieht. Ein Waschlappen, mein ich.

„…dieses Mädchen, die vom Rudern. Die ist fünf Jahre jünger als ich…“

„Das geht einfach nicht vom Intellekt, von den Gesprächsthemen…“

Nadine war auch fünf Jahre älter als du. Lag es daran?

Als der Bus kommt, fällt dir ein Mädchen vor, das an dir vorbeitorkelt. Oder vielleicht nicht torkelt, aber zumindest leicht schwankt. Die hat bestimmt einiges intus. Einiges getankt. Sie ist ganz dünn, groß und blond und hat zerzauste Haare. Du guckst sie an, guckst ihr für einen Moment in die Augen und siehst, dass sie am heulen ist.

Sie redet in ein Telefon, mit einer Stimme, die eine Mischung aus zu viel Alkohol und Verzweiflung ist. Sie spricht Englisch mit britischem Akzent, sagt: „…gonna ask if this is the right bus…“

„…I don’t know if this is the right bus…“

„…are you still there…?“

Besonders besoffen, denkt er. Vielleicht kannst du die ja rumkriegen, haha. Die ist eh halbwegs Engländerin.

Sie geht zum Busfahrer, fragt ihn, ob er zum Poppelsdorfer Platz fährt. Er sagt ja – was ja auch stimmt – aber sie traut dem Ganzen immer noch nicht. Die Arme. Die klingt eh leicht verwirrt. Und dann noch nachts allein unterwegs sein. Als Ausländerin. Ok, Bonn ist nicht Los Angeles, aber trotzdem. Du setzt dich ganz vorne hin. Auf den einzelnen Platz rechts vom Fahrer. Sie sitzt ein paar Plätze hinter dir, aber noch immer ziemlich weit vorne.

„I’m not entirely sure. I asked the bus driver…“

Zuhause warten Nudeln mit Bratwurst und Soße auf dich. Die Engländerin setzt sich

„Do you reckon…?“

„Shall I meet you outside…?“ Sie klingt total verzweifelt, die Arme.

„I’m going to bed…“

„I’m sure I need you…“

Dann ist das Gespräch zu Ende.

Oder doch nicht?

„I still want to meet you outside the door…“

„I’m gonna wait outside for you. Is that ok…?“
crying

„I’m not entirely sure…“
 
„What did you say…?“

Poppelsdorfer Platz. We can meet up…“

Ich bin auf dem Weg nach Hause. Ich bin nicht schwach geworden und zum Salsa gegangen. Ja! Noch ein kleiner Erfolg.

Was hätte mir das auch gebracht? Wenn sie nicht da gewesen wäre, wäre ich frustriert gewesen und wenn ja, dann erst recht. Mit ihren Freunden. Da hättest du eh keine Chance gehabt. Was stellst du dir eigentlich vor?! Dass sie dir um den Hals fällt, sobald sie dich sieht?! Eher das Gegenteil. Nachdem sie es noch nicht mal für María für nötig hält, mit dir zu reden. Neun Monate schon nicht.

Aber egal, jetzt bist du eh im Bus. Jetzt kannst du eh nicht mehr zurück. Jetzt gibt es eh kein Zurück mehr.

„…Poppelsdorfer Platz…“, sagt die Engländerin fragend zum Busfahrer. Sie ist wieder aufgestanden, nach vorne gekommen und steht jetzt leicht schwankend neben der Fahrerkabine.

„Wie viele Haltestellen?“ fragt sie auf Deutsch.

„Vier Haltestellen“, antwortet der Fahrer ruhig.

„Ich bin jetzt ein bisschen unsicher…“

Was der wohl passiert ist, dass die so von der Rolle ist. Das kann ja nicht nur der Alkohol sein. Da muss ja noch „irgendwas vorgefallen sein“, um deinen Vater zu zitieren, wie er deine Trennung kommentiert.

Ist auch. Bei mir, nicht bei ihr.

Die Arme. In einer fremden Stadt. Keine Ahnung, Mann. Ich kann dich verstehen, wie du dich fühlst, aber ich kann dir das nicht sagen. Ich werde dir das nicht sagen.

„Where are you?“ fragt sie um sichtlich Ruhe bemüht ins Telefon hinein.

„Where?“

Mädchen

…viele Menschen auch eigentlich

…vielen Menschen geht es eigentlich auch gar nicht so gut.

„Zwei Haltestellen?“

„Ja. Zwei.“

Sie versucht sich an irgendetwas festzuhalten

I’m feeling really insecure…“

Frag mich mal...!

„The bus driver reckons that Poppelsdorfer Platz….“

Aber wie kann man denn so aus der Bahn geworfen werden. Von ein bisschen Alkohol. Oder waren da Drogen im Spiel. Scheiße. Du weißt es nicht. Man weiß es nicht. Obwohl: Wie du damals in Aberdeen warst, hattest du auch solche Tage. Oder vielleicht sogar noch schlimmere. Ist lange her. Aus Liebeskummer. Wie dich damals Conchita verlassen hat, da ist für dich eine Welt zusammengebrochen. Da warst du auch so richtig am Arsch. Distressed, wie das die Kirchentante von Jonas ausgedrückt hat. Du weißt immer noch nicht, was das genau heißt. Und gleichzeitig weißt du es nur allzu gut. Und jetzt wiederholt sich der ganze Scheiß mit Nadine. Nur du bist hundertmal älter und hundertmal verheirateter und es ist noch hundertmal schlimmer als früher. Aber wie du siehst, bist du nicht der Einzige, der sich beschissen fühlt. Ist das ein Trost?

Which should be already vor meiner Wohnung.“

„Dankeschön, dass Sie so viel Geduld haben.“

„…ich kannte ihn das erste Mal nur aus…hab ich halt…“

Sie sieht eigentlich richtig gut aus, in ihrem kurzen Rock, mit ihren langen, dünnen Beinen und den langen, leicht zerzausten, blonden Strähnen. Die Arme

Nächste Haltestelle: Poppelsdorfer Platz.

Endlich. Jetzt kann sie endlich nach Hause. Leicht unsicher auf ihren Beinen steigt sie vorne beim Fahrer aus.

Im Wingert

Nudeln mit Bratwurst und Soße.

Nächste Haltestelle: Marienhospital.

„…extreme Eifersucht…“, sagt der Typ auf dem 2er links von mir, direkt hinter dem Fahrer.

Nächste Haltestelle: Friedrichsruh.

Hoffentlich findet die Engländerin ihre Wohnung. Hoffentlich passiert ihr nichts. Noch mehr als ihr schon passiert ist.

Nächste Haltestelle: Casselsruhe.

Der Bus bahnt sich seinen Weg durch die Nacht. Links der Wald, rechts der Abhang.
Immer schneller.

Ich hab Hunger.

Nicht die Beine so weit auseinander machen. Dann sehen die das Loch in deiner Hose. Zwischen deinen Beinen.

Aber doch nicht im Dunkeln!

Nachts sind alle Katzen grau. Hast du auch gedacht, als du Nadine kennengelernt hast. Das war ein Fehler

Es war ein Fehler.

Nächste Haltestelle: Haus Venusberg.

Du mich auch.

Die Jugendherberge, an die du so schöne Erinnerungen hast. Wie du in das Zimmer reinkamst und dieser fette Typ mit der Behinderung nackt vor dir stand. Nichts gegen fette Typen (bin selbst übergewichtig) mit Behinderungen, aber der hatte wirklich einen an der Klatsche. Der hat nachts geschnarcht wie ein Walross und schlief immer halbnackt mit einem Finger im Arsch steckend. Und das ist kein Witz! Das ist traurig, aber wahr. Am Ende hattest du Streit mit ihm und er hat dich angespuckt. War das der Tiefpunkt deiner Trennung? Vielleicht. Einer von vielen. Es gab so viele Tiefpunkte, die sich wie die Glieder einer Kette nahtlos aneinanderreihten.

Wenn man unten ist, ist man ganz unten.

Aber das Wichtige ist (selbst an diesem Salsa-Abend): Du bist nicht mehr ganz unten. Du hast dich gefangen – egal, wie hart das war.

Nächste Haltestelle: Jugendherberge.

Du musst nie wieder in die Jugendherberge. Weil du bei deinen Eltern rausgeflogen bist. Nach einem Tag. Kein Witz. Oder hören Sie irgendjemand lachen. Weil du keine Wohnung mehr hast, nach der Trennung quasi obdachlos bist. 2015 war echt mein annus mirabilis. 2015 habe ich wirklich herausgefunden, wer zu mir steht.

Niemand.

Die Engländerin ist jetzt hoffentlich Zuhause. Macht die Tür zu. Zieht sich aus. Duscht ewig. Fällt ins Bett. Wird…

„I’m feeling so insecure…“

Cola hast du auch. Eine ganze Flasche vol. Eisgekühlt. Die kleinen Dinge. Es sind die kleinen Dinge. Mir geht es doch gar nicht so schlecht, denkt er. Es gibt noch mehr Verzweifelte.

Du bist nicht allein.

Doch, im Moment schon.

Aber du hast ja Nudeln mit Bratwurst.

Du stellst dir vor, wie deine Schwester zu ihrem kubanisch-amerikanischen Freund sagt: Latinas sind verrückt, but my brother…

…he’s so „labil“. How do you say „labil“ in English?

I’m a mental…

Was dich nicht umbringt…

Lo que no mata engorda…