Mittwoch, 30. Dezember 2015

Lichtjahre entfernt



30.12.15

sie tippt in ihr Handy

ich in meinen Computer

es gibt

keine Kommunikation

kein Gespräch mehr

vielleicht auch besser so

das willst du doch

dass sie endlich merkt, dass das alles kein Witz mehr ist

trotzdem tut es so weh

ich wollte das nie

ich wollte das nicht

ich wäre nie gegangen

sie ist gegangen

hat klare Tatsachen geschaffen

hätt ich auch machen können, all die Jahre

sie hat die Eier

und ihr Ex-Mann und ihre Tochter leiden darunter

das Leben ist nicht fair

sie liegt keine zwei Meter von mir und ist doch Lichtjahre entfernt

sie spielt ihre Sprachnachrichten neben mir ab

ich verstehe nicht wirklich was, weil die alle so nuscheln

das klingt alles so verschlafen, fast bedrohlich

„…als ich in Marokko war…“

das hab ich jetzt verstanden

„das hab ich jetzt verstanden.“

sie lacht

wenigstens lacht sie

ist das so gut

du wolltest doch, dass sie merkt, dass die ganze Scheiße auch sie betrifft

ach, keine Ahnung, ich weiß eh nicht mehr, wie ich mit ihr umgehen soll

wenn ich fröhlich bin, bin ich ein Heuchler

wenn ich niedergeschlagen bin, bin ich genau so ein Heuchler

weil ich eigentlich froh bin, dass sie hier ist (an 4 Tagen die Woche)

wenn ich etwas sage, klingt es falsch

(weil ihre Mutter fehlt und mir meine ganze Freude ausgesaugt hat – wie ein Vampir)

wenn ich nichts sage und schweige, ist das genau so unnatürlich

was soll ich denn machen

was soll ich denn noch machen

wie ging dieser Satz aus American Beauty noch mal:

"Janey ist ein ziemlich typischer Teenager, zornig, unsicher, verwirrt. Wie gern würde ich ihr 
sagen, dass das alles vorbeigeht. Aber ich will sie nicht belügen."

so ungefähr fühle ich mich im Moment

oder so:

„Beide, meine Frau und meine Tochter, halten mich für einen totalen Verlierer. Und, sie haben recht. Ich habe etwas verloren. Ich bin mir nicht ganz sicher, was es ist, aber ich weiß, ich habe mich nicht immer so gefühlt. So betäubt! Aber wissen sie was? Es ist niemals zu spät, es sich zurückzuholen!"

ich hingegen weiß, was es ist: eine Frau, eine Familie, eine Tochter (an 3 Tagen), meine Eltern (von denen ich endgültig die Schnauze voll hab), unsere alte Wohnung, mein altes Leben, alles

aber sie lacht neben mir, jetzt immer häufiger

wenigstens habe ich das (noch) nicht verloren

aber da arbeitet Nadine auch fleißig dran

nach Neujahr kommt die Großoffensive

Anwalt, Störfeuer, das volle Programm

und von mir die Gegenoffensive

Anwältin, Verfügungen, Gericht, das volle Programm

will ich das

nein

aber was bleibt mir für eine andere Wahl

wenn jedes Wort eins zu viel ist

früher konnten wir stundenlang durchreden

immer weiter

ich frage mich manchmal, wo das alles hin ist

wo meine Frau hin ist

geographisch weiß ich es

sie lächelt noch immer

"boah, ich bin gar nicht müde

ich geh aber jetzt trotzdem ins Bett."

sie liebt ihre beiden Eltern