Nachts fährt mich mein
Kollege Sascha zum Bahnhof. Ich mag Sascha und Sascha mich glaub ich auch. Wir
unterhalten uns, wie immer:
„Hast du das von Hawaii gehört.
Mit den falschen Alarmmeldungen… Wo die dachten, die werden mit Atomwaffen
angegriffen…“
„Ja, krass, ne?!“
„Nur weil da einer aus
Versehen auf den Knopf gekommen ist… Dass so was überhaupt möglich ist… Dass so
was überhaupt von nur einer Person ausgelöst werden kann… Boah, ich wär so
ausgetickt…“
„Ich weiß auch nicht, was
ich gemacht hätte…“
„Das ist schon krass. Das
Schlimme ist ja, dass es genau diese Waffen sind, die uns seit 70 Jahren den
Frieden garantieren. Das ist ja das Absurde… Vorher haben die sich ja hier 2000
Jahre die Köpfe eingeschlagen.“
„Stimmt. Das Schlimme sind
aber Länder wie Indien…“
„Ich weiß nicht. Ich glaube,
die sind nicht so gefährlich. Die haben ja auch schon seit ewigen Zeiten einen
Konflikt mit Pakistan…und da ist auch noch keine Atomkrieg draus geworden…“
„Weil die auch Atomwaffen
haben!“
„Ne, aber ich glaube eher,
diese kleinen muslimischen Länder sind gefährlich…“
„Ja, stimmt. Aber vor den
Indern habe ich irgendwie Angst… Die sind irgendwie…“
„Ach, meinst du das mit den
Vergewaltigungen…“
„Ja, genau, diese
Massenvergewaltigungen…“
„Stimmt. Das ist schlimm.
Selbst wenn ich hier einen Inder sehe, muss ich manchmal daran denken. Obwohl
die ja friedlich aussehen. Und mir ja nichts passieren würde, als Mann…“
„Außer die sind schwul, dann
müsstest du an der Wand entlanggehen…“
Ich lache, sage: „Das ist
wie bei Obama. Der verspricht die Atomwaffen abzuschaffen und kriegt dafür den
Friedensnobelpreis… Quasi geschenkt…wo doch jeder weiß, dass man die Atomwaffen
nicht abschaffen kann…“
„Ach, der Nobelpreis…“, sagt
er leicht verächtlich.
„Stimmt. Da hast du Recht.
Der ist echt nichts mehr wert. Wenn Leute wie Bob Dylan den gewinnen und da
nicht hingehen. Sänger. Die schreiben doch alle gute Texte… Während Leute wie Irvine
Welsh und Lucía Etxebarria jahrelang umsonst darauf warten. Weil sie einmal zu
viel „fuck“ sagen. Bei denen wird dann jedes „fuck“ auf die Goldwaage gelegt.
Wie bei James Kelman, der wirklich philosophische Texte schreibt, den
Nobelpreis aber nicht bekommt. Während Bob Dylan…
…wer weiß, ob der die Lieder
überhaupt selbst geschrieben hat…
…und der geht da einfach nicht
hin…bei echten Schriftstellern wie Irvine Welsh oder Lucía Etxebarria wäre das
nicht passiert…“
„Find ich gut, dass der da
nicht hingegangen ist. Weil er weiß, dass er ihn nicht verdient hat.“
Echt? Meinst du das
wirklich?
„Glaube ich nicht. Nein, der
hat das aus irgendeinem 68er-Scheiß raus gemacht. Nicht, weil er den Preis
nicht wollte…“
„Bob Dylan war nicht so
schlecht. Ich habe den auch gehört…“
„Weiß ich nicht, kenn ich
nicht, habe ich nie gehört…aber dann hätten die den auch Bono geben können…“
…
„Oder Kurt Cobain…“
„Ne, dem nicht!“
Ich denke einen Moment lang
darüber nach, was er sagt und sage dann: „Warum nicht? Weil er sich erschossen
hat?“
„Genau! Weil er sich voll
Drogen gepumpt hat und dann depressiv wird und dann…“
„Vielleicht war er ja schon
vor den Drogen depressiv. Der hatte auch eine schwere Kindheit…“, sage ich mit
einem inneren Lächeln.
„Egal!“
„…da oben in Seattle. Da ist
es dunkel. Der kommt fast von der kanadischen Grenze… Ds ist nicht
Kalifornien!“
„Egal. Genau wie der Chester
Bennington. Der hat sich auch umgebracht.“
„Ja, ich weiß, am Todestag
seines besten Freundes, der ebenfalls ein Jahr zuvor Selbstmord begangen hat…“
…
„Oder Eminem…der ist ein
guter Vater…“
Er guckt mich an, als wär
ich vom Mars, sagt: „Eminem??? Klar… Der…“
„Ja natürlich. Da kenne ich
mich aus, mit Eminem. Das sagt der ja auch in den Liedern…“
„Die Frau von Eminem hat
auch versucht sich umzubringen, vor einem Jahr. Die ist mit dem Auto gegen
einen Strommast gefahren. Auf kerzengerader Strecke…“
…
„Ja, aber kannst du das
nicht verstehen? Ich meine rational…“ Nicht wenigstens ein bisschen…?!
„Ne!“
„Wir müssen alle gehen, mein
Freund. Ob du jetzt stirbst oder in dreißig Jahren, was macht das am Ende für
einen Unterschied?!“
Das „mein Freund“ lässe ich
natürlich weg. Das passt irgendwie heute nicht. Oder bei Sascha nicht? Keine
Ahnung warum. Wir müssen alle gehen, mein Freund
Er sagt nichts, guckt mich
nur an, guckt nur zu mir rüber... Während er fährt. Während wir nachts durch
die Dunkelheit die B9 runterfahren.
„Du kannst dich auch nicht
umbringen und einen Tag später über die Straße gehen und von einem Auto
überfahren werden...“
„Dann akzeptiere ich das.
Dann ist das ein Unfall.“
„Viele Unfälle sind ja auch getarnte Selbstmorde… Es erfordert
Mut zu altern… Oder wie heißt das?“
„Genau! Ich finde es cool,
alt zu werden!“
Okay. Glaub ich dir nicht.
„Echt?“
„Kannst du das nicht
verstehen, dass die keinen Bock mehr haben…“ Manchmal habe ich auch keinen Bock
mehr, in letzter Zeit immer öfter… „Die haben alles erreicht, haben Geld,
alles... Vielleicht hat er ja wirklich an das Nirwana geglaubt…“
„Bestimmt.“ Er lächelt
ironisch.
Auch ich lache. „Das kann man
nicht mehr toppen, wenn du alles erreicht hast…“
„Doch! Natürlich kannst du
das toppen! Indem du deinem Kind hilfst, in die richtige Spur zu kommen!“
„Meine haut mir im Moment
alles um die Ohren, was ich sage…“
Er lacht.
„Warte erst mal ab, wenn die
erwachsen sind… Wenn dein Sohn älter ist…okay: Ich sag ja auch nicht, dass ich so
denke… Dass ich mir eine Pistole in den Mund stecke (bei Kurt Cobain war das
eine Schrotflinte!). Ich würd das auch nie tun…“ Denkt er etwa, ich wäre
selbstmordgefährdet?! „…aber ich kann das verstehen… Wenn es nicht mehr geht,
was willst du machen… Die Frau von Kurt hat sich ja nicht umgebracht!“
„Hole! Courtney Love! Der überlässt
du doch nicht das Kind! Da musst du ein Gegenpol sein!“
„So schlimm war die doch gar
nicht, oder?!“
„Die war Porno-Star…und hat
Drogen genommen!“
„Na und… Die ist da auch
nicht freiwillig reingeraten…“ Reingerutscht sozusagen.
Er verzieht den Mund, macht
eine verächtliche Geste. So als wollte er sagen: „Der hat das bestimmt Spaß
gemacht…“ Oder: „Die hat das wegen dem Geld gemacht…“
Aber mittlerweile sind wir
schon am Busbahnhof angekommen und ich muss aussteigen. Kann nicht mehr weiter
diskutieren, denke: Da müssen wir unbedingt noch mal drüber reden…