Sonntag, 28. Januar 2018

Atomkrieg, Bob Dylan und Selbstmord














Nachts fährt mich mein Kollege Sascha zum Bahnhof. Ich mag Sascha und Sascha mich glaub ich auch. Wir unterhalten uns, wie immer:

„Hast du das von Hawaii gehört. Mit den falschen Alarmmeldungen… Wo die dachten, die werden mit Atomwaffen angegriffen…“

„Ja, krass, ne?!“

„Nur weil da einer aus Versehen auf den Knopf gekommen ist… Dass so was überhaupt möglich ist… Dass so was überhaupt von nur einer Person ausgelöst werden kann… Boah, ich wär so ausgetickt…“


„Ich weiß auch nicht, was ich gemacht hätte…“


„Das ist schon krass. Das Schlimme ist ja, dass es genau diese Waffen sind, die uns seit 70 Jahren den Frieden garantieren. Das ist ja das Absurde… Vorher haben die sich ja hier 2000 Jahre die Köpfe eingeschlagen.“

„Stimmt. Das Schlimme sind aber Länder wie Indien…“

„Ich weiß nicht. Ich glaube, die sind nicht so gefährlich. Die haben ja auch schon seit ewigen Zeiten einen Konflikt mit Pakistan…und da ist auch noch keine Atomkrieg draus geworden…“

„Weil die auch Atomwaffen haben!“

„Ne, aber ich glaube eher, diese kleinen muslimischen Länder sind gefährlich…“

„Ja, stimmt. Aber vor den Indern habe ich irgendwie Angst… Die sind irgendwie…“

„Ach, meinst du das mit den Vergewaltigungen…“

„Ja, genau, diese Massenvergewaltigungen…“

„Stimmt. Das ist schlimm. Selbst wenn ich hier einen Inder sehe, muss ich manchmal daran denken. Obwohl die ja friedlich aussehen. Und mir ja nichts passieren würde, als Mann…“

„Außer die sind schwul, dann müsstest du an der Wand entlanggehen…“

Ich lache, sage: „Das ist wie bei Obama. Der verspricht die Atomwaffen abzuschaffen und kriegt dafür den Friedensnobelpreis… Quasi geschenkt…wo doch jeder weiß, dass man die Atomwaffen nicht abschaffen kann…“

„Ach, der Nobelpreis…“, sagt er leicht verächtlich.

„Stimmt. Da hast du Recht. Der ist echt nichts mehr wert. Wenn Leute wie Bob Dylan den gewinnen und da nicht hingehen. Sänger. Die schreiben doch alle gute Texte… Während Leute wie Irvine Welsh und Lucía Etxebarria jahrelang umsonst darauf warten. Weil sie einmal zu viel „fuck“ sagen. Bei denen wird dann jedes „fuck“ auf die Goldwaage gelegt. Wie bei James Kelman, der wirklich philosophische Texte schreibt, den Nobelpreis aber nicht bekommt. Während Bob Dylan…

…wer weiß, ob der die Lieder überhaupt selbst geschrieben hat…

…und der geht da einfach nicht hin…bei echten Schriftstellern wie Irvine Welsh oder Lucía Etxebarria wäre das nicht passiert…“

„Find ich gut, dass der da nicht hingegangen ist. Weil er weiß, dass er ihn nicht verdient hat.“

Echt? Meinst du das wirklich?

„Glaube ich nicht. Nein, der hat das aus irgendeinem 68er-Scheiß raus gemacht. Nicht, weil er den Preis nicht wollte…“

„Bob Dylan war nicht so schlecht. Ich habe den auch gehört…“

„Weiß ich nicht, kenn ich nicht, habe ich nie gehört…aber dann hätten die den auch Bono geben können…“


„Oder Kurt Cobain…“

„Ne, dem nicht!“

Ich denke einen Moment lang darüber nach, was er sagt und sage dann: „Warum nicht? Weil er sich erschossen hat?“

„Genau! Weil er sich voll Drogen gepumpt hat und dann depressiv wird und dann…“

„Vielleicht war er ja schon vor den Drogen depressiv. Der hatte auch eine schwere Kindheit…“, sage ich mit einem inneren Lächeln.

„Egal!“

„…da oben in Seattle. Da ist es dunkel. Der kommt fast von der kanadischen Grenze… Ds ist nicht Kalifornien!“

„Egal. Genau wie der Chester Bennington. Der hat sich auch umgebracht.“

„Ja, ich weiß, am Todestag seines besten Freundes, der ebenfalls ein Jahr zuvor Selbstmord begangen hat…“


„Oder Eminem…der ist ein guter Vater…“

Er guckt mich an, als wär ich vom Mars, sagt: „Eminem??? Klar… Der…

„Ja natürlich. Da kenne ich mich aus, mit Eminem. Das sagt der ja auch in den Liedern…“

„Die Frau von Eminem hat auch versucht sich umzubringen, vor einem Jahr. Die ist mit dem Auto gegen einen Strommast gefahren. Auf kerzengerader Strecke…“


„Ja, aber kannst du das nicht verstehen? Ich meine rational…“ Nicht wenigstens ein bisschen…?!

„Ne!“

„Wir müssen alle gehen, mein Freund. Ob du jetzt stirbst oder in dreißig Jahren, was macht das am Ende für einen Unterschied?!“

Das „mein Freund“ lässe ich natürlich weg. Das passt irgendwie heute nicht. Oder bei Sascha nicht? Keine Ahnung warum. Wir müssen alle gehen, mein Freund

Er sagt nichts, guckt mich nur an, guckt nur zu mir rüber... Während er fährt. Während wir nachts durch die Dunkelheit die B9 runterfahren.

„Du kannst dich auch nicht umbringen und einen Tag später über die Straße gehen und von einem Auto überfahren werden...“

„Dann akzeptiere ich das. Dann ist das ein Unfall.“

„Viele Unfälle sind  ja auch getarnte Selbstmorde… Es erfordert Mut zu altern… Oder wie heißt das?“

„Genau! Ich finde es cool, alt zu werden!“

Okay. Glaub ich dir nicht.

„Echt?“

„Kannst du das nicht verstehen, dass die keinen Bock mehr haben…“ Manchmal habe ich auch keinen Bock mehr, in letzter Zeit immer öfter… „Die haben alles erreicht, haben Geld, alles... Vielleicht hat er ja wirklich an das Nirwana geglaubt…“

„Bestimmt.“ Er lächelt ironisch.

Auch ich lache. „Das kann man nicht mehr toppen, wenn du alles erreicht hast…“

„Doch! Natürlich kannst du das toppen! Indem du deinem Kind hilfst, in die richtige Spur zu kommen!“

„Meine haut mir im Moment alles um die Ohren, was ich sage…“

Er lacht.

„Warte erst mal ab, wenn die erwachsen sind… Wenn dein Sohn älter ist…okay: Ich sag ja auch nicht, dass ich so denke… Dass ich mir eine Pistole in den Mund stecke (bei Kurt Cobain war das eine Schrotflinte!). Ich würd das auch nie tun…“ Denkt er etwa, ich wäre selbstmordgefährdet?! „…aber ich kann das verstehen… Wenn es nicht mehr geht, was willst du machen… Die Frau von Kurt hat sich ja nicht umgebracht!“

„Hole! Courtney Love! Der überlässt du doch nicht das Kind! Da musst du ein Gegenpol sein!“

„So schlimm war die doch gar nicht, oder?!“

„Die war Porno-Star…und hat Drogen genommen!“

„Na und… Die ist da auch nicht freiwillig reingeraten…“ Reingerutscht sozusagen.

Er verzieht den Mund, macht eine verächtliche Geste. So als wollte er sagen: „Der hat das bestimmt Spaß gemacht…“ Oder: „Die hat das wegen dem Geld gemacht…“

Aber mittlerweile sind wir schon am Busbahnhof angekommen und ich muss aussteigen. Kann nicht mehr weiter diskutieren, denke: Da müssen wir unbedingt noch mal drüber reden…