Er hat sich direkt unterm Fenster
An einem Balken aufgehängt,
Man kann die Kirchenglocken von hier hören,
Wenn man ganz leise ist
Man kann die Kirchenglocken von hier hören,
Wenn man ganz leise ist
Ein Tagebuch liegt auf dem Tisch,
Der letzte Eintrag ist noch frisch
Nur einen Satz schrieb er groß und breit
Der letzte Eintrag ist noch frisch
Nur einen Satz schrieb er groß und breit
„Ich bin hier und Bethlehem ist weit
Frohe Weihnacht, ich hoffe es geht euch gut,
Seid nicht böse über meine Flucht
Ich schau' euch trotzdem von hier oben beim Feiern zu“
Seid nicht böse über meine Flucht
Ich schau' euch trotzdem von hier oben beim Feiern zu“
(Die Toten Hosen - "Weihnachstmann vom Dach")
„Hast du Geld?“
Sie steht am Kühlschrank,
holt die Knusper-Gockelchen raus, die du so liebst. Die von Aldi. Deine
Knusper-Gockelchen. Um sie sich zu machen. Ok, sie hat gefragt, aber… Zwei
Stück! Dann ist gleich keiner mehr übrig für dich. Oder nur einer. Da lohnt
sich ja fast nicht, den überhaupt zu machen. Um eins, nachdem du die 16 Stunden
Intervall-Fasten hinter dich gebracht hast, um die Kilos zu verlieren, die du
dir in der letzten Zeit angefressen hast. Bestimmt bist du wieder über hundert
Kilo. Hundertpro. Vielleicht sogar über 110.
Du lässt das, was sie gesagt
hat, erst mal sacken, denkst, willst sagen: Nein, weiß du doch! Aber DU weißt,
dass das nichts bringt. Diskutieren bringt nichts. In einer anderen Welt
vielleicht, aber nicht in dieser. Das hast du gelernt, das hat die
Trennung/Scheidung dir beigebracht. Dass dies keine andere Welt ist. Das alles
hier verlogen, nur an Geld und an sich selbst interessiert, opportunistisch,
egoistisch ist. Und wenn du nur eine Minute länger hier überleben willst, du
genauso werden musst. Oder noch besser: Noch verlogener, noch stärker an Geld
und an dir selbst interessiert, noch opportunistischer, noch egoistischer. Aber
es zerreißt dir das Herz… Du kannst sie doch hier nicht betteln lassen, du
gibst ihr auch so schon viel zu wenig, bietest ihr nichts als Vater. Nicht wie
andere Väter. Andere Väter reißen sich den Arsch auf, für ihre Kinder. Nicht
wie du, du faules Arschloch. Du denkst an die zwei Zehner, die du noch in
deinem Portemonnaie hast. Einen könntest du ihr ja geben…
…aber etwas stoppt dich,
lässt dich innehalten…lässt dich nichts sagen…
…obwohl es dir das Herz
zerreißt…so kurz vor Weihnachten…
…obwohl du Angst hast, sie
zu verlieren, wie du alles in deinem Leben verloren hast…nicht gut genug zu
sein…dass sie zu ihrer Mutter geht…und da bleibt…für immer…weil du ein
Scheiß-Vater bist.
So kurz vor Weihnachten.
So kurz vor Weihnachten…
Also sage ich nichts.
Und dann doch: „Gib mir die
Nummer von deiner Mutter. Dann ruf ich die an und erinnere sie an das
Kindergeld. Was sie kriegt, ohne mir was abzugeben. Obwohl du öfters bei mir
bist als bei ihr. Obwohl ich am Wochenende auf deine Anwesenheit verzichten
muss, schon seit fast drei Jahren. Seit viel zu langen Wochen, Monaten, Jahren…
Und jetzt auch noch an Weihnachten. Nur einen halben Tag. Danach Wald im
Dunkeln...um zu vergessen. Ein Wildschwein vergewaltigen. Oder, was sehr viel wahrscheinlicher ist, das Wildschwein erwischt dich (ich weiß nicht, was besser wäre...) Aber du kannst nicht ewig durch den Wald laufen. Und
danach. Nach Hause. Fernsehen. Genau. Zum Glück arbeitest du am ersten
Feiertag. Und am zweiten auch, wenn du Glück hast.
Ach, fick doch Weihnachten.
Denk lieber an das Geld, das du brauchst, an deinen eigenen Arsch und daran,
dass du es nur bekommst, wenn du gut genug lügst, andere verarschst, wenn du
opportunistisch und egoistisch genug bist…
…aber es gibt immer einen
der besser darin ist als du…
„Du musst mir Geld geben
heute?“, gibt sie nicht auf.
Muss ich.
Ich sage immer noch nichts.
Als ob die Scheiße davon
weggehen würde, diese ganze Scheiße…
Nein, ich habe kein Geld.
Aber sie gibt nicht auf,
kommt an dir vorbei, der du im Bett liegst, sagt im Vorbeigehen: „Ich gehe
heute raus… Heute Abend. Mit einer Freundin. Oder sagt sie „einem Freund“?
Du sagst immer noch nichts,
das hast du von ihr gelernt. Aber sie kann das besser. Es hilft ja eh nichts.
Du hast kein Geld, willst ihr kein Geld geben, hast kein Geld, auch wegen der
Scheiß-Scheidung. Für das Geld, für das Anwälte mit dir fünf Minuten vor
Gericht sitzen und du noch selber die Witze reißen musst, die die Gegenseite,
die verfickte Gegenseite zum Lachen bringen, vielleicht sogar den Richter (ich habe
das verdrängt), arbeitest du fünf Monate…
„Wann bin ich denn das letzte
Mal rausgegangen?! Seit zwei Jahren nicht mehr…
Geschweige denn mit einer Freundin. Oder einem
Freund.
Es zerreißt dir das Herz,
wie sie da sitzt, am Tisch, an eurem alten Esszimmertisch (Nadine hat Glück
gehabt, echt, dass sie nicht die alte Scheiße überall hin mitschleppen muss,
das weiß ich heute, dass sie von neuem anfangen konnte, sich nur den kleinen,
neueren Fernseher samstagsnachts in einer Nacht und Nebelaktion unter den Nagel
geschlagen hat…während du arbeiten warst! (Den Laptop wollte sie auch, hat sie
aber nicht bekommen, den hast du fürsorglich bei deinen Eltern untergebracht – zum
Glück)), über ihre Schulsachen gebeugt, mit ihren frisch getönten Haaren (du
liebst sie so sehr, dass du es ihr nicht sagen kannst, nie sagen könntest). Sie
ist so schön, jung, so eine tolle Tochter…natürlich braucht sie Geld… Kannst du
nicht?
Nein! Ich habe es nicht…
Soll ich ihr das etwa so
sagen?!
Will sie das hören?!
Willst du das hören?!
Ist es dann gut?
Haha
„Hast du dir jetzt zwei
gemacht?“, fragst du.
„Jaa! Und?“, fährt sie dich
an. Richtig sauer (ich weiß, das ist meine Schuld). Nerv nicht! Und du sagst
nichts. Nervst nicht. Du kannst sie ja verstehen. Du warst genauso
verschwiegen, genauso wütend damals… Aber Verständnis reicht in dieser Welt
nicht. Weiß Gott nicht. Und überhaupt. Wer hat das schon? Für andere. Hier musst
du…Sie wissen schon…
Noch lange nachdem sie
gegangen ist, fühlst du dich wie Scrooge. Fucking Scrooge. Ein Geizkragen, der
noch nicht mal drei Tage vor Weihnachten, drei Tage vor diesem verfickten,
frohen Fest (hey, eine Alliteration, eine verfickte Alliteration) seiner
Tochter Geld geben kann. Ein Geizkragen. So wird sie dich später auch mal
behandeln, wenn du alt bist, wird dir kein Geld geben. So wie du jetzt deine
Eltern ignorierst, jetzt, wo sie dich vielleicht brauchen würden, jetzt, wo sie
alt sind. Den Anruf deines Vaters ignoriert hast…
…weil er dir einen kalten
Schauer eingejagt hat.
Weil du wie Knausgard noch
immer Angst vor deinem Vater hast…wie er nach Hause kommt…du hörst das Auto
unten in der Einfahrt, das Geräusch könntest du heute noch von anderen Autos
unterscheiden, 25 Jahre danach! Nie Gewalt, 68er eben (ach, fickt euch doch
alle, die verlogenste Generation aller Zeiten), aber trotzdem Gewalt. Oder
warum hast du sonst so viel Angst vor ihm…?!
Weil du dazugelernt hast.
Weil du genauso verlogen, genauso…
…sein MUSST!!! Sonst wirst du gefickt!
Der Schmerz, das Leid, das
Ignorieren, das Abstrafen zieht sich immer weiter, von einer Generation in die
nächste, es wäre schön, wenn es anders wäre…
…IST ES ABER
NICHT!!!!!!!!!!!!!!!
In einer anderen Welt, in
einer besseren Welt…ach, fick dich doch, du Wassermann, du, du dummer,
leichtgläubiger, naiver Wassermann du, warte du liebe ewig auf dein
Wassermannzeitalter…
Vielleicht ist es ja der
Tod, die Tatsache, dass wir sterben müssen, dass wir alle irgendwann gehen
müssen, die dafür verantwortlich ist, dass die Welt so ist, wie sie ist. Aber
das will eh keiner hören, die halten sich die Ohren zu, jedes Mal, wenn du das
sagst, die schalten auf Durchzug, die machen dich…ohne sich die Ohren
zuzuhalten.
Da muss was dran sein, wenn
die so reagieren…
Das verstehst du,
instinktiv. Aber Verständnis…
Es ist der Tod, die
Tatsache, dass…das weißt du…
Sie geht und sagt sogar noch
„Tschüss“
„Tschüss“, sagst du wie belämmert.
Du fühlst dich beschissen,
denkst Frohe Weihnachten, und dann: Du musst das auch lernen. Wenn die Leute
dich nicht nett behandeln, darfst du sie nicht noch dafür belohnen. Das stand
doch auch so in diesem Buch, dieses Selbsthilfebuch. Wie man Frauen erobert. Das
du dir kurz nach der Trennung geholt hast. Um Frauen zu erobern. Dabei wolltest
du nur sie. Sie zurück. Hast ja auch keinen Erfolg gehabt. Zum Glück! Dass du
die Leute, die dich Scheiße behandeln nicht belohnen sollst. Nur die, die auch
gut zu dir sind (aber wer ist das schon, in diesem Leben, in diesem Land?!)
Aber dann denkst du wieder:
Ach, fick doch alle Selbsthilferatgeber! Noch gestern hast du No Country for Old Men geguckt. Mit Chigurgh. Der sagt: Wenn die Regel, nach der du lebst,
dich hergeführt hat, was ist diese Regel
dann wert? Ach, fickt euch doch alle…
Irgendwann später, viel
später, ein ganzes Eminem-Album (Revival,
das brandneue Album!) und mindestens zehn „Bad Husbands“ (…and good fathers) später,
schreibst du ihr eine SMS: Ich habe überreagiert…ich am Morgen…wie viel
brauchst du?
Obwohl du weißt, dass du das
Geld eigentlich nicht hast…
Wenn sie jetzt nicht
antwortet, dann scheiß doch drauf!
Du guckst immer wieder auf
dein Handy, aber da ist nichts… Keine neue Nachricht… Wir sind alles solche
verlogenen Manipulateure, alle miteinander, alle für sich…