Sonntag, 24. Dezember 2017

Einen Tag vor Heiligabend: Na dann Prost!



Last Christmas, I gave you my heart
But the very next day you gave it away
This year, to save me from tears
I'll give it to someone special…
(Wham! - Last Christmas)
  







Ich hätte richtig Bock an Heiligabend ein bisschen Alkohol zu trinken. Um zu vergessen. Vergessen, dass meine Frau nicht mehr da ist (Tschuldigung, meine Ex-Frau meine ich natürlich). Um zu vergessen, dass sie, meine Tochter, nur den halben oder noch nicht mal den halben Tag da ist, an Heiligabend! Dass sie später den Leuten ins Gesicht lächeln wird, die deine Ehe auf dem Gewissen haben, die dich kaputtgemacht haben und jetzt alles haben, während du nichts hast. Nur eine Tochter, und auch die nur die Hälfte des Tages (wenn überhaupt). Dass die ihr schmierig, kokett ins Gesicht lächeln werden, der Schwager zum Beispiel und wer weiß wer sich sonst noch bei denen rumtreibt, an Heiligabend. Heiligabend. Ihre Familie war ihr nicht heilig, soviel ist sicher. Obwohl: ihre Familie schon. Meine, unsere nicht… Und María liegt dazwischen. Ich hätte echt Bock, aber ich kann nicht. Das kannst du nicht bringen! Dir vor ihr an Heiligabend, diesem heiligsten Abend im Jahr, einen anzuzwitschern. Obwohl du noch Alkohol da hast. Zwei Flaschen, die du seit anderthalb Jahren nicht angerührt hast. Du bist also kein Alkoholiker. Du magst die Scheiße noch nicht mal richtig. Alkohol schmeckt dir nicht. Du könntest nie ein Alkoholiker sein, werden. Aber trotzdem wäre das ein Tabubruch…und würde auch von deiner Tochter als solcher aufgenommen. Also wirst du nüchtern alles ertragen und danach – wie jedes Jahr seit der Trennung – in den Wald gehen, alleine, ganz alleine, der letzte Mensch auf der Welt…



 Eigentlich wolltest du ja gar nicht da sein, wolltest wegfahren…

…aber wohin, an Heiligabend?!

Außerdem kostet das ja Geld! Geld, das du nicht hast!

Also musst du bleiben, musst in Deutschland bleiben, musst in Meckenheim bleiben, und dir das ein weiteres Jahr antun.

Warum tue ich mir das eigentlich alles noch an?!

Musst ein weiteres Jahr die Schmerzen ertragen, den fast physischen Schmerz, wenn sie irgendwann am Nachmittag oder frühen Abend zu ihrer Mutter fährt. Und weg ist.

„Komm doch mit!“, hat sie vor Tagen zu dir gesagt, als ihr euch darüber gestritten habt, was sie an Heiligabend macht.

Meinte sie das ernst. Könnte ihre Mutter dich ertragen, deine Präsenz, in ihrer Wohnung, an ihrem Tisch, in ihrer Küche, wie früher?! Wohl kaum. Mach dir doch keine Illusionen. Das hat sie nur einfach so gesagt, um dich zu ärgern. Dich zu verarschen. Das war nicht ernst gemeint.

Aber wenn doch…

Boah, nicht schon wieder. Du glaubst wohl auch noch an den Weihnachtsmann?!

An den Weihnachtsmann nicht, aber an Gott wieder. Noch immer…

Du kannst ja ein bisschen was trinken. Nur ein Glas. Vielleicht merkt sie es ja nicht. Vielleicht reicht ja ein Glas. Wo du seit Silvester 2015 (ihr habt euch an Silvester kennengelernt) gekotzt und gekackt hast, bis es nicht mehr ging, bis nichts mehr ging, bis nichts mehr kam, voll wie eine Haubitze. Du bist den ganzen Weg von Poppelsdorf nach Ippendorf den Berg hochgelaufen, um vier Uhr nachts…und kaum warst du zur Tür rein, da ging es schon los. Oben und unten. Fast simultan. Das große Drücken und Würgen. Seitdem hast du keinen Alkohol mehr angepackt. Schmeckt dir ja auch nicht…

Aber den Schmerz nüchtern ertragen…?

Ist das möglich? Lernst du denn nichts aus den letzten Jahren? Aus all der Frustration, all dem So-tun-als-ob. Als ob alles okay wär. Als ob du nicht leiden würdest, wie ein Hund. Wie ein geprügelter Hund, den Schwanz zwischen den Beinen. Aber ihr geht es bestimmt genauso. Sie hasst das bestimmt auch. So zu tun als ob. Als ob sie glücklich wär mit dieser Situation. Vielleicht ist es sogar bei ihrer Mutter das Gleiche… Aber die hat ja ihre Familie, ihren Schwager, ihren schmierigen Schwager, mit seinem dicken, großen Schwanz, da wird die nicht lange trauern. Oder einen neuen Stecher, mit einem ebenfalls größeren Schwanz als du. Was nicht sonderlich schwer ist… Mit mehr Geld auf dem Konto als du. Jünger. Besser aussehend. Mit Auto. Nicht so depressiv. Mit Familie.

Warum bist du eigentlich überhaupt noch hier.

Um ehrlich zu sein, das weiß ich manchmal auch nicht…

Jeder hat jemand an Weihnachten. Nur du nicht. Jeder hat Familie, nur du nicht.

Aber Moment mal: Das kann auch nicht sein. Da sind bestimmt noch mehr Leute wie du unterwegs…

Aber die schließen sich doch nicht zusammen. Die tun lieber so als ob. Als ob alles okay wäre. Alles gut. Wie du diesen Mode-Spruch hast. Früher hat das kein Mensch gesagt. Und heute sagen es alle, jung wie alt. Alles gut!

Du mich auch!

Bei jedem Arschloch ist ALLES GUT, nur bei dir nicht!

Jedes Arschloch hat Familie an Weihnachten, nur du nicht!

Depressionen sind eben nicht sexy, alles andere als! Da hört es mit dem Alles gut nun wirklich auf…bei Depressionen. Da hört der Spaß nun wirklich auf!

„Kein Mensch findet deine Geschichte interessant“, hat dein Vater immer gesagt, „Kein Mensch will das lesen!“ „Die wollen alle ein Happy End!“ Oder hat er es nur einmal gesagt, damals als ER im Krankenhaus lag? Oder gar nur impliziert? Egal, das hat auch schon gereicht. Er liegt im Krankenhaus und hat immer noch die Macht, dich fertig zu machen. Mit einem Satz. So leicht geht das…

Was für ein Lappen du doch bist!, würde deine Tochter sagen…wenn sie nicht deine Tochter wäre…

Depressionen sind weiß Gott nicht sexy…

Wenn das überhaupt Depressionen sind. Oder Aggressionen. Nur gegen dich selbst. Nicht gegen andere. Es wird Zeit, es wird langsam Zeit…

Obwohl, deinen Eltern hast du es ja schon gegeben. Durch den kompletten Kontaktabbruch. So unschuldig bist du ja auch nicht. Das tut denen auch weh, besonders an Weihnachten, wenn sie auf „heile Welt“ machen müssen. Nadine hat es da einfacher, die hat ihre Familie, ihren Schwager. Aber ich glaube, tief drinnen, unter all den Schichten Trotz und Wut, vermisst sie dich schon…ein bisschen, wenn sie nachts nicht schlafen kann…und ihr Schwager bei ihrer Schwester ist (wie bei den Meerschweinchen, den ecuadorianischen Meerschweinchen, die da gegessen werden…zu Weihnachten). Ihr tut das auch weh, ganz bestimmt. Keine steckt 19 Jahre Ehe einfach so weg. All die Hochs und Tiefs. Siehst du. Und war es nicht dein Vater, der dich letzten Monat angerufen hat. Den du ignoriert hast, ignorieren wirst – wenn er nicht gerade bei dir auf der Arbeit anruft. Der sich bei DIR gemeldet hat, keine Ahnung warum. Ist mir auch egal! Und steht nicht im Internet immer: Die Kälte eines Wassermanns, die dunkle Seite eines Wassermanns ist nur schwer zu ertragen… Vielleicht gewinnst du ja sogar bei eurer gegenseitigen Kontaktsperre.  Tief drin fühlt sie vielleicht noch viel für dich, hat dich nicht vergessen. Wie sie das früher immer so kryptisch gesagt hat: „Innen drin…ich mache mir Gedanken, ich habe Gefühle, aber die sind innen drin…“


Also, darauf muss ich morgen, heute (es ist schon nach zwölf!) erst mal einen haben! Prost! Prost Heiligabend! Möge Gott es dir verzeihen!

„Spotte nicht!“

(Du kannst ihr ja sagen, das sei noch Restalkohol von gestern, gestern Nacht, wo du deine neu gewonnene Freiheit ein bisschen begossen hast…wie ein begossener Pudel zwar, aber…)

Im Radio läuft Can we be friends…can we still be friends? Und du musst unfreiwillig lachen, lächeln, grinsen. Hämisch. Grinsen, lächeln, lachen… Mit diebischer Freude. Danach läuft So this is Christmas und am liebsten würdest du jetzt schon anfangen zu trinken…aber das kannst du ja nicht. Erst morgen um 9 Uhr, wenn die 16(!) Stunden Intervallfasten vorbei sind! So this Christmas…and a happy new year. A HAPPY NEW FUCKING YEAR!! AND SO HAPPY CHRISTMAS!!! Fast singst du es laut. Vielleicht morgen… aw, fuck you all, ye cunts, ya…!! Und es ist Heiligabend! 00:16!