Last Christmas, I gave you my heart
But the very next day you gave it away
This year, to save me from tears
I'll give it to someone special…
But the very next day you gave it away
This year, to save me from tears
I'll give it to someone special…
(Wham! - Last Christmas)
Ich hätte richtig Bock an
Heiligabend ein bisschen Alkohol zu trinken. Um zu vergessen. Vergessen, dass meine
Frau nicht mehr da ist (Tschuldigung, meine Ex-Frau meine ich natürlich). Um zu
vergessen, dass sie, meine Tochter, nur den halben oder noch nicht mal den
halben Tag da ist, an Heiligabend! Dass sie später den Leuten ins Gesicht
lächeln wird, die deine Ehe auf dem Gewissen haben, die dich kaputtgemacht
haben und jetzt alles haben, während du nichts hast. Nur eine Tochter, und auch
die nur die Hälfte des Tages (wenn überhaupt). Dass die ihr schmierig, kokett
ins Gesicht lächeln werden, der Schwager zum Beispiel und wer weiß wer sich
sonst noch bei denen rumtreibt, an Heiligabend. Heiligabend. Ihre Familie war
ihr nicht heilig, soviel ist sicher. Obwohl: ihre Familie schon. Meine, unsere nicht… Und María liegt
dazwischen. Ich hätte echt Bock, aber ich kann nicht. Das kannst du nicht
bringen! Dir vor ihr an Heiligabend, diesem heiligsten Abend im Jahr, einen
anzuzwitschern. Obwohl du noch Alkohol da hast. Zwei Flaschen, die du seit
anderthalb Jahren nicht angerührt hast. Du bist also kein Alkoholiker. Du magst
die Scheiße noch nicht mal richtig. Alkohol schmeckt dir nicht. Du könntest nie
ein Alkoholiker sein, werden. Aber trotzdem wäre das ein Tabubruch…und würde
auch von deiner Tochter als solcher aufgenommen. Also wirst du nüchtern alles
ertragen und danach – wie jedes Jahr seit der Trennung – in den Wald gehen,
alleine, ganz alleine, der letzte Mensch auf der Welt…
Eigentlich wolltest du ja
gar nicht da sein, wolltest wegfahren…
…aber wohin, an
Heiligabend?!
Außerdem kostet das ja Geld!
Geld, das du nicht hast!
Also musst du bleiben, musst
in Deutschland bleiben, musst in Meckenheim bleiben, und dir das ein weiteres
Jahr antun.
Warum tue ich mir das
eigentlich alles noch an?!
Musst ein weiteres Jahr die
Schmerzen ertragen, den fast physischen Schmerz, wenn sie irgendwann am
Nachmittag oder frühen Abend zu ihrer Mutter fährt. Und weg ist.
„Komm doch mit!“, hat sie
vor Tagen zu dir gesagt, als ihr euch darüber gestritten habt, was sie an
Heiligabend macht.
Meinte sie das ernst. Könnte
ihre Mutter dich ertragen, deine Präsenz, in ihrer Wohnung, an ihrem Tisch, in
ihrer Küche, wie früher?! Wohl kaum. Mach dir doch keine Illusionen. Das hat
sie nur einfach so gesagt, um dich zu ärgern. Dich zu verarschen. Das war nicht
ernst gemeint.
Aber wenn doch…
Boah, nicht schon wieder. Du
glaubst wohl auch noch an den Weihnachtsmann?!
An den Weihnachtsmann nicht,
aber an Gott wieder. Noch immer…
Du kannst ja ein bisschen
was trinken. Nur ein Glas. Vielleicht merkt sie es ja nicht. Vielleicht reicht
ja ein Glas. Wo du seit Silvester 2015 (ihr habt euch an Silvester
kennengelernt) gekotzt und gekackt hast, bis es nicht mehr ging, bis nichts
mehr ging, bis nichts mehr kam, voll wie eine Haubitze. Du bist den ganzen Weg
von Poppelsdorf nach Ippendorf den Berg hochgelaufen, um vier Uhr nachts…und
kaum warst du zur Tür rein, da ging es schon los. Oben und unten. Fast
simultan. Das große Drücken und Würgen. Seitdem hast du keinen Alkohol mehr
angepackt. Schmeckt dir ja auch nicht…
Aber den Schmerz nüchtern ertragen…?
Ist das möglich? Lernst du
denn nichts aus den letzten Jahren? Aus all der Frustration, all dem
So-tun-als-ob. Als ob alles okay wär. Als ob du nicht leiden würdest, wie ein
Hund. Wie ein geprügelter Hund, den Schwanz zwischen den Beinen. Aber ihr geht
es bestimmt genauso. Sie hasst das bestimmt auch. So zu tun als ob. Als ob sie
glücklich wär mit dieser Situation. Vielleicht ist es sogar bei ihrer Mutter
das Gleiche… Aber die hat ja ihre Familie, ihren Schwager, ihren schmierigen
Schwager, mit seinem dicken, großen Schwanz, da wird die nicht lange trauern. Oder
einen neuen Stecher, mit einem ebenfalls größeren Schwanz als du. Was nicht
sonderlich schwer ist… Mit mehr Geld auf dem Konto als du. Jünger. Besser
aussehend. Mit Auto. Nicht so depressiv. Mit Familie.
Warum bist du eigentlich
überhaupt noch hier.
Um ehrlich zu sein, das weiß
ich manchmal auch nicht…
Jeder hat jemand an
Weihnachten. Nur du nicht. Jeder hat Familie, nur du nicht.
Aber Moment mal: Das kann
auch nicht sein. Da sind bestimmt noch mehr Leute wie du unterwegs…
Aber die schließen sich doch
nicht zusammen. Die tun lieber so als ob. Als ob alles okay wäre. Alles gut.
Wie du diesen Mode-Spruch hast. Früher hat das kein Mensch gesagt. Und heute
sagen es alle, jung wie alt. Alles gut!
Du mich auch!
Bei jedem Arschloch ist
ALLES GUT, nur bei dir nicht!
Jedes Arschloch hat Familie
an Weihnachten, nur du nicht!
Depressionen sind eben nicht
sexy, alles andere als! Da hört es mit dem Alles gut nun wirklich auf…bei
Depressionen. Da hört der Spaß nun wirklich auf!
„Kein Mensch findet deine
Geschichte interessant“, hat dein Vater immer gesagt, „Kein Mensch will das
lesen!“ „Die wollen alle ein Happy End!“ Oder hat er es nur einmal gesagt,
damals als ER im Krankenhaus lag? Oder gar nur impliziert? Egal, das hat auch
schon gereicht. Er liegt im
Krankenhaus und hat immer noch die Macht, dich fertig zu machen. Mit einem
Satz. So leicht geht das…
Was für ein Lappen du doch
bist!, würde deine Tochter sagen…wenn sie nicht deine Tochter wäre…
Depressionen sind weiß Gott
nicht sexy…
Wenn das überhaupt
Depressionen sind. Oder Aggressionen. Nur gegen dich selbst. Nicht gegen
andere. Es wird Zeit, es wird langsam Zeit…
Obwohl, deinen Eltern hast
du es ja schon gegeben. Durch den kompletten Kontaktabbruch. So unschuldig bist
du ja auch nicht. Das tut denen auch weh, besonders an Weihnachten, wenn sie
auf „heile Welt“ machen müssen. Nadine hat es da einfacher, die hat ihre
Familie, ihren Schwager. Aber ich glaube, tief drinnen, unter all den Schichten
Trotz und Wut, vermisst sie dich schon…ein bisschen, wenn sie nachts nicht
schlafen kann…und ihr Schwager bei ihrer Schwester ist (wie bei den
Meerschweinchen, den ecuadorianischen Meerschweinchen, die da gegessen
werden…zu Weihnachten). Ihr tut das auch weh, ganz bestimmt. Keine steckt
19 Jahre Ehe einfach so weg. All die Hochs und Tiefs. Siehst du. Und war es
nicht dein Vater, der dich letzten Monat angerufen hat. Den du ignoriert hast,
ignorieren wirst – wenn er nicht gerade bei dir auf der Arbeit anruft. Der sich
bei DIR gemeldet hat, keine Ahnung warum. Ist mir auch egal! Und steht nicht im
Internet immer: Die Kälte eines Wassermanns, die dunkle Seite eines Wassermanns
ist nur schwer zu ertragen… Vielleicht gewinnst du ja sogar bei eurer
gegenseitigen Kontaktsperre. Tief drin
fühlt sie vielleicht noch viel für dich, hat dich nicht vergessen. Wie sie das
früher immer so kryptisch gesagt hat: „Innen drin…ich mache mir Gedanken, ich
habe Gefühle, aber die sind innen drin…“
Also, darauf muss ich
morgen, heute (es ist schon nach zwölf!) erst mal einen haben! Prost! Prost
Heiligabend! Möge Gott es dir verzeihen!
„Spotte nicht!“
(Du kannst ihr ja sagen, das
sei noch Restalkohol von gestern, gestern Nacht, wo du deine neu gewonnene
Freiheit ein bisschen begossen hast…wie ein begossener Pudel zwar, aber…)
Im Radio läuft Can we be
friends…can we still be friends? Und du musst unfreiwillig
lachen, lächeln, grinsen. Hämisch. Grinsen, lächeln, lachen… Mit diebischer
Freude. Danach läuft So this is Christmas
und am liebsten würdest du jetzt schon anfangen zu trinken…aber das kannst
du ja nicht. Erst morgen um 9 Uhr, wenn die 16(!) Stunden Intervallfasten
vorbei sind! So this Christmas…and a happy new year. A HAPPY NEW
FUCKING YEAR!! AND
SO HAPPY CHRISTMAS!!! Fast singst du es laut. Vielleicht
morgen… aw, fuck you all, ye cunts, ya…!!
Und es ist Heiligabend! 00:16!