Es ist nie zu spät für eine Diät!
(meine Mutter)
Heute mache ich Diät! Heute
will ich es diesem Körper zeigen! Es kann ja nicht sein, dass mein Körper mich
kontrolliert. Die Kontrolle über meine Gedanken übernimmt. Mir sagt, dass ich
immer mehr essen soll. Nein, heute breche ich den Willen meines Körpers! Fange
schon um 14 Uhr damit an, nicht mehr zu essen. Heute werde ich den absoluten
Weltrekord an Stunden ohne Essen brechen! 17 Stunden 42 Minuten. Wenn ich ab
14:00 nichts mehr esse, erreiche ich das schon morgen um 8 Uhr Morgen früh! Und
wenn ich dann weitermache…
…dann kann ich auch später,
um kurz nach neun, wenn ich in Bonn ankomme, zu Mr. Baker gehen. Und diese
Laugenzunge, Laugenpizza oder wie das Ding auch immer heißt essen. Mit dick
Käse und Tomaten und Dill oder Kräuter und keine Ahnung, was sonst noch… Dazu
noch eine kleine Geflügelrolle im Käsemantel (also die Luxus-,
Extra-fettig-Version. Nach mehr als 16 Stunden Intervallfasten kann ich mir das
ruhig mal gönnen. Obwohl das dann manchmal auch zum Problem wird: Dann esse ich
nämlich so viel, dass das Fasten nichts bringt: Geflügelrollen, Nudeln ohne
Ende, Pizza, Wraps mit Käse, Fisch, Frikadellen (oh, ich liebe Frikadellen, die
kleinen, feinen, aber auch die großen, massigen!) und wieder Nudeln mit Spinat
und Tomatensauce…und spüle das Ganze mit Cola light runter (als ob der Zucker
bei der Menge an Fett und Zucker den Braten fett machen würde…). Aber ab jetzt
nicht mehr! Ich werde diesen Körper schon kleinkriegen!
(Obwohl: Gehört nicht das
Gehirn, was deine Gedanken steuert auch zu diesem Körper, ist es nicht am Ende
auch nichts anderes als Fleischmasse – wie die Frikadellen, die du so liebst?
Ach, scheiß drauf!)
Ich muss einfach abnehmen.
Am Anfang, direkt nach der Trennung, habe ich erstmal jede Menge Kilos
verloren, so schmerzhaft, wie das war. Danach aber ging es steil nach oben. So
steil, dass sogar Nadine das bei unserem einzigen, letzten Treffen bemerkt und
prompt auch erwähnt hat. Und jetzt, lange nach der Trennung, und noch dazu im
Winter, gehen die Kilos nur so nach oben, dass mir Hören und Sehen vergeht. Dazu
kam dann noch eine Erkältung, währen der ich natürlich nicht Laufen oder
zumindest Walken gehen konnte. Unmöglich. Und dann passen einem auf einmal die
alten Hemden nicht mehr… Und die Hosen kriegen Löcher zwischen den Beinen
(obwohl sie das ja schon dein ganzes Leben lang getan haben – kaum eine Jeans
hat länger als zwei Jahre gehalten…) und selbst die früher weiten Hemden
spannen an der Brust, so dass deine üppige Brustbehaarung zu sehen ist, sobald
du dich ein bisschen bewegst. Wie bei einer Presswurst!
Aber das hört jetzt auf!
Sonst kannst du dich bald gar nicht mehr bewegen! Du wirst diesen Körper
dominieren, kasteien, limitieren, bis er dir gehorcht.
(Obwohl: Gehört nicht das
Gehirn, was deine Gedanken steuert auch zu diesem Körper, ist es nicht am Ende
auch nichts anderes als Fleischmasse – wie die Frikadellen, die du so liebst?)
Aber jetzt gehst du erstmal
raus. Schnappst ein bisschen frische Luft in dieser kalten Dezembernacht. Aber
nix mit Kälte. Kaum bist du hinter der Halle in die dunkle Gasse getreten,
riechst du diesen trotz der Kälte (oder gerade wegen dieser) sehr intensiven
Bratengeruch und denkst: Scheiße, was ist denn das? Und dann: Scheiße, riecht
das gut!
Und gehst schnurstracks
wieder rein, wieder in die Halle zurück.
Aber morgen, morgen fährt
dich ja der Robert. Der jetzt fast dein Nachbar ist, in Meckenheim. Dann kannst
du ja gar nicht vor eurer Besprechung zu Mr. Baker!
Dir wird schon beim Gedanken
daran schwindelig – aber das kann auch an dem Stuhl und deiner bestimmt nicht
gesunden Sitzhaltung liegen (ebenfalls eine Konsequenz deines Übergewichts,
deines Adipositas – ja, sprich es ruhig aus, wie damals der Kardiologe, denn
das ist kein normales Übergewicht mehr!)
…und wenn der dich morgen fährt…und
du vor der Besprechung nicht mehr an einer Bäckerei vorbeikommst (was
wahrscheinlich ist)…dann wird das ja noch länger…dann werden das ja locker mal
eben zwanzig Stunden! Dann musst du dir danach in Meckenheim was holen. In
irgendeiner Bäckerei. Oder dir zu Hause was machen. Scheiße, nicht dass du das
nicht durchhältst…
Und plötzlich kriegst du
wieder Angst. Angst vor der eigenen Courage sozusagen. Denkst: Und wenn das
jetzt gefährlich wird? Wenn dein Blutdruck auf Grund des Nährstoffmangels massiv
absinkt? Und wenn du umkippst? Und stirbst?
Dann bist du tot…
Aber dann denkst du wieder:
Ach, scheiß drauf! Sagst sozusagen zu deinem Körper: Dann stirb doch! Mir doch
egal! Wenn du dich traust… Außerdem ist Übergewicht (Adipositas!) mindestens
genauso gefährlich! Ich werde dich schon kleinkriegen! Ich werde dich schon auf
Linie bringen! Auf eine schlankere Linie…