Montag, 6. März 2017

ORIGINAL Salsa Tanznacht














Es ist Samstagnacht. Er steht an der Bushaltestelle für den Nachtbus. Am Bonner Busbahnhof. Heute ist der erste Samstag im Monat. Das heißt, dass im Sofa, der kleinen Disko keine 20 Meter von wo er steht. So nah, dass er die Musik hören könnte. Wenn es nicht regnen würde. Nachts um halb zwei. Anders als sonst bleibt er ganz vorne an der Haltestelle stehen. Nur nicht zu nah an die Disko ran. Heute ist „Die ORIGINAL Salsa Tanznacht“. Bestimmt ist Nadine da. Hoffentlich steht sie nicht gerade draußen. Sonst könnte sie ihn nachher noch sehen. Und er weiß nicht, ob er das will. Ob er das wirklich will…

Aber vielleicht ist sie ja schon wieder draußen. Hat heute keinen Bock. Vielleicht steht sie ja hier irgendwo. Irgendwo in der dunklen, regnerischen Nacht. Er guckt sich um. Neben ihm steht ein Mädchen, eine Frau, keine Ahnung. Er sieht sie nur im Profil. Eine kleine Frau. Mit Kapuze. So einer Kapuze mit Fell, Haaren (?) an den Rändern. Eine Fellkapuze. Die ihr Gesicht fast vollständig bedeckt. Eine kleine Frau mit dünnen Beinchen. Wie Nadine. Auch von der Größe würde das hinkommen. Du guckst zu ihr rüber, aber diese große, deutsche, blonde Tante steht im Weg. In der Schusslinie. Scheiße! Nicht, dass die nachher noch denkt, dass du sie meinst. Was dich trotzdem nicht ganz davon abhält, immer wieder in ihre Richtung zu starren. Und immer wieder an der blonden Tante zu scheitern, die dich vage an eine deiner Schülerinnen erinnert. Jedes Mal. Jedes Mal bleibt dein Blick an der hängen. Das einzige, was du so von der kleinen Frau, dem kleinen Mädchen  sehen kannst, sind ihre Beine. Die sind ganz dünn, wie bei Nadine. Nadine hatte da am Schienbein so eine Narbe. Wo sie als Kind gefallen war und sich irgendwas in ihr Bein gebohrt hatte. Ein Stück Eisen, Holz? Du weißt es nicht. Sie hat es dir mal erzählt, aber du weißt es nicht mehr. Und fragen kannst du sie auch nicht mehr. Eine Narbe und kleine schwarze Härchen. Auch zwischen den Beinen…

Kleine schwarze Härchen.

Und wenn das jetzt Nadine ist. Die da hinter der Blonden steht und auf den Bus wartet?

Klar

Wenn sie gekommen ist, um dich zu überraschen. Weil sie dich immer noch liebt. Weil sie zu dir zurück will. Weil sie gemerkt hat, dass sie ohne dich nicht leben kann. Besser spät als nie! Und jetzt gekommen ist, um mit dir zu schlafen. Dich nachts in deinem Bett, in eurem alten Ehebett zu überraschen, zu überrumpeln und zu vergewaltigen. Von vorne und von hinten. Samstagabend. Weil sie weiß, dass du dann arbeitest. Dass du dann um 1:30 am Busbahnhof stehst und um 2 Uhr zu Hause bist. Wie früher immer


aber wie kannst du mit ihr schlafen, wenn du keine Kondome hast? Weil dein Liebesleben in letzter Zeit quasi, so gesehen, gewissermaßen nicht existent ist. Und ohne Kondom…keine Chance. Wer weiß, mit wem die alles geschlafen hat, in der Zwischenzeit. Du bist das Kind von Traurigkeit in eurer Beziehung…  Du würdest und könntest ihr nicht vertrauen. Nicht mehr. So einfach wär das nicht. Und dann müsstest du ihr erklären, warum du nicht mit ihr schlafen willst, schlafen kannst.

Und schon ist die Fantasie weg.

Aber die Frau, das Mädchen steht immer noch da. Mit dieser Kapuze mit Fellrand. Am Ende, als der Bus kommt siehst du sie sogar. Guckst ihr beim Einsteigen direkt ins Gesicht. Direkt in die Augen. In die Seele. Siehst, dass es nicht Nadine ist, sondern eine Asiatin. Eine Chinesin oder so. Da wohnen viele in Ippendorf. Du gehst in den Bus und setzt dich vorne auf einen Vierer. Lässt dich schwerfällig in den Sitz fallen und bekommst plötzlich dieses Gefühl. Und Gefühle, glauben Sie mir, sind nie gut. Dieses Gefühl, dass du sie immer noch, selbst heute noch vermisst. Dieses Gefühl, dass von deinem Bauch, deinem Solar Plexus direkt in deine Augen zu steigen scheint. Dieses Gefühl absoluter Verzweiflung, absoluter Resignation  Absoluter Traurigkeit. Bitter sweet. Dass du nie aufhören wirst, sie zu vermissen. Obwohl sie nie zu dir zurückkehren wird. Das du immer noch hast, selbst nach zwei Jahren noch.

Hey, heute ist der 4. März. Heute sind es fast auf den Tag zwei Jahre, dass du dich von ihr getrennt hast, dass sie sich von dir getrennt hat, dass sie gegangen ist. Das war an einem 28. Februar. Und am 1. März war sie weg. Das ist jetzt genau zwei Jahre und fünf Tage her. Aber egal: Das ist noch gar nichts. Wie war das noch mal bei Florentino Ariza aus Liebe in Zeiten der Cholera? Der musste 51 Jahre, 9 Monate und 4 Tage warten...