Be yourself. That's all you need
tae dae in life. Just be yourself.
Far from being an easy option, it
was the most difficult, challenging
thing anybody ever asked of me.
(Irvine Welsh, Glue)
Seine Tochter kommt rein,
geht wie ein Geist, wie ferngesteuert auf Klo.
Er sagt: „Pass auf: Das
Fenster ist auf! Mach das Fenster wieder zu!“
Sie sagt nichts. Und als sie
keine Minute später wieder aus dem Bad kommt, ist das Fenster wahrscheinlich
immer noch auf. Das Fenster, das in die dunkle Nacht hinausführt. Die dunkle
Venusberger Nacht. Die selbst hier, in dieser VIP-Gegend, pechschwarz ist. So
als wäre sie ein Wurmloch in eine andere Galaxie, in eine andere Dimension.
Sie seufzt auf dem Weg zur
Tür, auf dem Weg in ihr Zimmer. Es ist dieses typische Seufzen, das ihn immer so aufregt. Aber ist es das überhaupt?
Oder ist es ein Seufzen, weil sie weiß, dass heute Freitag ist? Und dass sie an
einem Freitag zu ihrer Mutter zurück muss? Gestern hat er noch ganz lange mit
ihr Topmodel geguckt. Da hat sie gesagt: „Besser wäre es, wenn wir gar keinen
Fernseher hätten. Dann müssten wir Brettspiele spielen...“ Oder: „Dann würden wir
Brettspiele spielen...“ Ich glaube Letzteres. Wie an Weiberfastnacht. Wo es
draußen so stürmte und sie tatsächlich am Abend Brettspiele gespielt haben
Das war schön
Das war tatsächlich richtig
schön
Aber dies ist keine Welt für
Schönes
Vielleicht seufzt sie ja gar
nicht, weil – wie er das immer denkt – er ihr auf die Eier geht, ihr Vater,
sondern weil sie weg muss, weil es ihr hier gefällt, bei ihm
schon mal drüber nachgedacht
Letztens hat er ihr gesagt:
„Das Einzige, was du wissen musst, ist, dass wir gar nichts wissen. Wir wissen
nichts…“ (wir sind in ein Universum geworfen, werden alt und sterben,
verschwinden wieder; und egal, wie viele Illusionen wir uns machen, wir wissen
nichts) „…keiner hat eine Ahnung, glaub mir das! Auch wenn die das sagen, wenn
die so tun als ob…die haben alle keine Ahnung“ (your guess is as good as mine).
Ich weiß nicht, warum er das gemacht hat, warum er das gesagt hat. Um ihr etwas
mitzugeben? Auf ihrem langen Weg durchs Leben? Ihrem langen, einsamen Weg
durchs Leben
Eine komische Lektion...
Um sie aufzubauen, ihr
Selbstvertrauen zu geben, für den Fall, dass sich mal wieder irgendein
Arschloch über sie stellt und ihr was erzählen will? Von Tuten und Blasen. Irgendein
Arschloch, von denen es so viele gibt, in diesem Land, in dieser Stadt, in
diesem Leben… Arschlöcher, die alles zu wissen scheinen…die alles besser zu
wissen scheinen…die alles zu wissen scheinen…aber im Endeffekt auch nur raten.
Auch nur wie die Kuh vorm Berg stehen.
Eine komische Lektion...
Wie die, die Carl Ewarts
Vater seinem Sohn in Irvine Welshs Roman Glue
erteilt. Wo er einfach nur sagt: „Be
yourself. That’s all ye need tae dae in life. Just be yourself…“
Und Carl Ewart, auf dem Weg
von Australien zurück nach Schottland, wo sein Vater im Sterben liegt, denkt: Far from being an easy option, it was the
most difficult, challenging thing anybody ever asked of me.
Sie kommt wieder rein,
wieder zurück aus ihrem Zimmer. Auf dem Weg ins Bad. Und sagt: „Was ist los?“
Mit dieser kleinen, schwachen, unsicheren Stimme...
Keine Ahnung. Ich hab doch
keine Ahnung, das weißt du doch.
Als sie wieder rauskommt,
aus dem Bad, seufzt sie noch mal, geht zum Schrank.
„Brauchst du was?“
…
„Soll ich dir helfen…bei
irgendwas…?“
„Nö.“
Sie geht an den Wäschekorb mit den Socken, nimmt sich ein Paar.
„Das sind meine Socken!“, sage ich lachend.
„Nein…“, sagt sie, ebenfalls mit einem Lächeln.
Ich werde dich vermissen,
denkt er einen Moment später, als sie wieder in ihrem Zimmer ist. Ich werde
dich vermissen. Wenn du am Wochenende bei deiner Mutter bist. Du mich auch,
vielleicht. Das Wechselmodell ist auch nicht das Wahre. Aber immerhin besser, als
sich nur am Wochenende zu sehen. Als Wochenend-Daddy zu sein. Und dann
irgendwann Einmal-im-Monat-Daddy. Und dann irgendwann nur noch jedes halbe
Jahr. Und irgendwann gar nicht mehr
So läuft das doch, in der
Regel. Da bevorzuge ich echt das Wechselmodell. Und erzählen Sie mir jetzt
nicht, dass es nur um das Kindeswohl geht…
„Hast du das Fenster
zugemacht, Schatzi?“, frage ich sie.
„Ja,“ antwortet sie.
„Dankeschön.“
„Die waren voll lecker
gestern…deine Wraps,“ sage ich.
„Mö…“
Ne?
„Ich seh die Doreen immer in
Poppelsdorf…“, sagt sie.
„Echt? Fährt die da auch mit
dem Bus?“, fragst du zurück.
„Ja, aber der ist immer so
voll. Ich glaub, die steigt da nie ein...“
„Wo wohnt die denn in
Poppelsdorf?“
„Weiß ich nicht. Ich war
noch nie bei der…“
„Ich geh jetzt, ne…“
„Ok. Schönes Wochenende.“
„Tschüss.“
„Tschö.“
Schönes Wochenende bei
deiner Mutter. Obwohl: Du willst ja, dass sie
ein schönes Wochenende hat. Du willst es ja. Wirklich