Er steigt in
den Bus ein, setzt sich, weil alle anderen Sitze
besetzt sind, auf einen dieser drei seitlich angebrachten Sitze ganz hinten im
Bus, vor der Rückbank. Im 90-Grad-Winkel beziehungsweise quer zur Fahrtrichtung.
Will gerade sein Buch rausholen oder sein Hörbuch anmachen, als er von
der Seite angequatscht wird.
„Hola.“
Ach, du Scheiße… Ihm schwant
Böses, noch bevor er sich ihr zuwendet, der Frau, die da zwei Sitze weiter
sitzt. Auf demselben Dreier. Demselben Dreier wie er! Unglaublich. Und die
ihren Arm zum Gruß in seine Richtung bewegt, ihn fast berührt. Scheiße
„Ah, hola“, sagt er zurück und guckt sie an. Sieht…weiß jetzt genau,
wen er vor sich hat. Diese „Freundin“ von Nadine. Von früher. Aus ihrer
gemeinsamen Anfangszeit fast noch. Die…keine
Ahnung wie die hieß. Bella? Keine Ahnung. Irgend so etwas. Die sich immer ein
bisschen im Hintergrund gehalten hat, sich nie aufgedrängt hat, immer ein
bisschen zurückhaltend war, ganz anders als die anderen Latinas, fast schon ein
bisschen deutsch in ihrer ruhigen Art.
„Y
la… La… Und die…, die…?“ Sie
fuchtelt mental herum, findet aber den Namen nicht. Tut mir leid, dabei kann
ich dir leider nicht helfen, denkt er. Bei allem, aber dabei nicht… Stattdessen
zuckt er nur mit den Schultern. Woher soll ich das denn wissen…?
“No sé. Ya no estamos juntos.“ Ya no.
Fast will er sagen: Wie in
diesem Lied von… Aber in diesem Moment fällt ihm natürlich der Scheiß-Name
nicht ein. Der Name von dem Sänger, meine ich. Ich und Namen… Hinterher, keine
halbe Stunde nach dem Gespräch, als er sich wieder halbwegs beruhigt hat, weiß
er natürlich, wer das ist, der das singt, dieses Lied, „Ya no“, nämlich Manuel Carrasco, der aus
Huelva. Aber in der Hitze des Gefechts… Im Eifer der Gefechts…
Sie braucht einen Moment um
das zu verdauen. Sie scheint wirklich einen Moment zu brauchen, um das zu
verdauen. Fast
…aber er traut Latinas nicht
mehr. Nicht mehr, nicht nach ihr
„No me digas que no sabías nada… Du
willst mir doch jetzt nicht sagen, dass du nichts davon wusstest.“
„Yo no sabía eso“, sagt sie. „Das wusste ich nicht… De verdad no…
Echt nicht, wirklich nicht… Yo no tengo
tanto que ver con ella…ellas… Ich hab nicht so viel zu tun mit Nadine, mit
denen…“
Du willst es ihr glauben. Fast
„Pues, ya no estamos juntos. Wir
sind nicht mehr zusammen…” Schon lange nicht mehr
Seine Stimme hört sich fremd
an. So als wär es nicht mehr seine. Das ist das erste Mal, dass er wieder
Spanisch redet. Das letzte Mal war…mit Nadine. Als er sie das letzte Mal
gesehen hat, unten am Rhein. Da hatte er noch diesen ecuadorianischen Akzent.
Der jetzt halb weg ist. Nur halb. Aber auch nicht mehr ganz da. Er redet
anders, das fällt ihm direkt auf. Härter. Wie ein Spanier. Vielleicht schon wie
ein Spanier. So halb zumindest. Aber auch so ist seine Stimmte härter, rauer.
Wie die eines Mafia-Bosses. Eines Gangsters, denkt er, wie er sich so selbst
zuhört. Genau wie seine Gesten wilder sind. Das hört sich komisch an, fremd.
Aber auch gut…
Vielleicht sogar besser,
besser als früher, wo er noch diesen ecuadorianischen Akzent hatte, diesen
südamerikanischen Akzent
Der Scheiß-Name will ihm
einfach nicht einfallen. Also sagt er einfach nichts. Obwohl das so geil wär…
Jetzt zu sagen: Wie in diesem Lied. Ya
no…
Ach sind wir doch
friedlicher, temperamentvoller, können besser tanzen als der Rest der Welt…
So war die nie. Deswegen
mochtest du die auch schon immer ein bisschen, insgeheim. Gib’s wenigstens zu!
Die war schon immer so eine Art lateinamerikanischer Senga. Mit mehr Wärme
natürlich.
„¿Y
la niña? fragt sie. „Und das Kind? ¿Está donde ella? Ist das bei ihr? Lebt das bei ihr?“
„No“, antwortest du. „La mitad
de la semana está donde mí y la otra mitad donde ella…Die Hälfte der Woche
bei mir, die andere bei ihr…“
„Ah…“, sagt sie nur. Das
muss man nicht mal übersetzen. Das ist international, haha. Kulturübergreifend.
Multi-Kulti
„¿O, qué crees? ¿Qué encima voy a perder a mi hija…? Glaubst du, dass ich Bock hab, auch noch
meine Tochter zu verlieren, oder was?!”
„No“,
sagt sie nur.
„Y a pesar de que esté la mitad de la semana donde mí y la otra mitad
donde ella, me manda una carta con el
abogado, diciendo que tengo que pagar 6000 euros para la niña. Así es…”
…
„¿¿Y si salto del puente…después de recibir esa carta?? Und was ist,
wenn ich nach diesem Brief von der Brücke springe?? Oder jemanden umbringe…¿¿o si mato a alguien?? Was ist dann?“
Eso
no piensa…darüber denkt die nicht nach, oder es interessiert sie
noch nicht mal, ist ihr egal, scheißegal.
Sie sagt nichts. Muss sie
auch nicht.
Una
casualidad, ¿eh? Ein Zufall oder, was?! Es gibt keine Zufälle,
hörst du Don Corleone in deinem Kopf sagen. Recht hat er, das muss man ihm
lassen.
Du fuchtelst wie wild mit
den Armen rum, während du redest. Gestikulierst wie ein wild gewordener
italienischer Mafiosi. Bei dem die Dinge weiß Gott nicht so laufen, wie sie
sollten
„¿Tú estás con otra? Hast du eine andere?“
Mein Gott, die kann Fragen
stellen. das hätte ich der gar nicht zugetraut. Denkst du hinterher und
antwortest: „Ja, klar…“
„Sí, claro…eso te voy a decir ahora. Ja, klar…das würde ich dir
jetzt auch sagen.
¿Qué
es eso? ¿Una investigación? ¿Una investigación policíaca? Was
ist das hier? Ein Verhör? Ein Polizeiverhör?“
Du guckst sie an, überzeugst dich aber selbst nicht.
„Pero quieres estar con ella, todavía quieres estar con ella…Aber
willst du denn noch mit ihr zusammen sein, du willst doch immer noch mit ihr
zusammen sein… ”, sagt sie. Fragt
sie?
„Eso te
voy a decir a ti. Das werd ich dir jetzt auch noch sagen.” Hier im Bus, vor
den ganzen Leuten. Auf der Rückbank sitzen zwei halbjunge Tanten, die
hundertpro auch irgendwo aus Lateinamerika sind. Und die tuscheln tatsächlich
auch schon. Vielleicht ist das auch nur, weil die nicht wussten, dass ich
Spanisch spreche. Aber wenn die gemerkt haben, dass ich Spanisch spreche, dann haben
die mich auch verstanden. Und dann…
Ich erhebe meinen
Zeigefinger, fuchtel ihr damit fast im Gesicht rum, sage: „Desde hace dos años… Ni una palabra. Ni sobre la niña, ni sobre su
educación, ni sobre nada…no es necesario hablar… Seit zwei Jahren. Kein
einziges Wort. Nicht über unsere Tochter, nicht über die Schule, über nichts…
Es ist ja nicht nötig, über irgendwas zu reden.“
Sólo por los abogados. Nur über die Anwälte.
„¿¡Ésa es la forma latina de resolver los conflictos?! Ist das die
Art wie Latinos Konflikte lösen?!“
Das oder eine Kugel in den
Kopf, oder was?!
Sie sagt nichts, also redet
er einfach weiter.
„Seguro ella tiene otro… Bestimmt hat sie einen anderen…“, sagst du.
„Yo le vi en carneval. No estaba con nadie. Ich
hab sie an Karneval gesehen. Da war sie mit niemandem zusammen.”
Ja, klar, ich weiß. Damit
hat das alles angefangen. Mit Karneval. Oder war das schon der Anfang vom Ende?
Wahrscheinlich eher letzteres. Wo sie mit mir Streit hatte und ich später,
durch Zufall, rausgefunden hab, dass sie bei ihren Schwestern oder wo auch
immer fröhlich Karneval gefeiert hat, als Tsetsefliege verkleidet. Während ich
auf der Arbeit saß und über den Streit nachdachte. Das war nur wenige Tage vor
der Stunde Null.
Was, will sie uns jetzt etwa
wieder zusammenbringen, oder was?! An Nadines Geburtstag? Nadines 45.
Geburtstag. ¡Feliz cumpleaños! Cumpleaños
feliz…
Auf einmal kriegt sie einen
Anruf auf ihrem Handy, geht dran. Und komischerweise, obwohl er nicht mit der
reden will, überhaupt nicht mehr mit Latinos oder noch schlimmer Latinas reden
will, will er nichts mehr, als dass sie dieses Gespräch so schnell wie möglich
beendet. Mit wem auch immer sie da redet (es hört sich nach einem Kind an – hat
die Kinder?). Immerhin ist der Bus mittlerweile schon in Poppelsdorf und es ist
nicht mehr weit zum Hauptbahnhof, wo er aussteigen muss. Und ich muss noch so
einiges loswerden. Mir brennt noch so einiges auf der Seele, das ich loswerden
muss. Ich weiß, sie ist nicht Nadine, sie hat das nicht wirklich verdient, dass
er sie jetzt hier volllabert, mit seinem Scheiß, aber das merkt er natürlich –
wie alles andere im Leben – immer erst hinterher.
Obwohl du schon viel, viel
zu viel ohne deine Anwältin gesagt hast, willst du ihr immer noch sagen, dass du
„amargado“ bist, dass du bitter bist,
dass du immer noch bitter bist, erbittert, verbittert oder wie auch immer das
heißt. Aber du findest irgendwie nicht den Satz, wo das rein passt. Obwohl du
das unbedingt noch loswerden willst, schaffst du es bis zum Ende, bis du tschüs
sagst, nicht
Amargado.
Estoy amargado, ¿sabes?
Obwohl, ich glaube, das
merkt sie auch so. Das brauchst du ihr nicht wirklich noch extra sagen.
„Yo no he visto latinos desde hace
mucho tiempo… Ich hab schon lang keine Latinos mehr gesehen…“
Keine Ahnung, wo die sich alle verstecken, ist mir auch egal.
„Yo tampoco. Ich auch nicht. Sólo la Slainté. Nur die Slainté.“
„Ah, tendrás cuidado cuando hables
con ella. Es
una serpiente. Da musst du aufpassen, wenn du mit der
redest. Das ist eine falsche Schlange…“
…
„Hoy es su cumpleaños. Heute ist ihr Geburtstag. ¡En
serio! Echt! Puedes decirle cuando la ves. Saludos de mí… Kannst
du ihr sagen, wenn du sie siehst. Grüße von mir…“
Sie sagt nichts, guckt mich
nur an. Mit diesem immer leicht verzerrt wirkenden Gesicht, leicht schiefem
Gesicht, so als hätte irgendetwas ihr Gesicht aus der Bahn geworfen.
„Está con su gente. Está contenta
con su gente. ¿O qué pensarías tú? Apenas vuelve su hermana y de Barcelona, ya
estoy fuera. Die ist bei ihren Leuten, wieder vereint mit
ihren Leuten. Mit denen sie glücklich ist (glücklicher als mit mir zumindest).
Oder was würdest du denken: Kaum ist ihre Schwester wieder aus Barcelona da,
bin ich weg vom Fenster.“
Sie guckt dich nur an, ein
bisschen mitleidig, ein bisschen resigniert, ein bisschen traurig.
„Seguro que nunca me ha querido…bestimmt hat sie mich nie wirklich
geliebt–“
„Aber ihr wart doch so lange
zusammen…so viele Jahre…tantos años…wie
viele Jahre?“
„Ah, ¿qué importa? Seguro sólo se ha casado conmigo por los papeles…ach,
was macht das schon. Bestimmt hat sie mich nur wegen der Papiere geheiratet…”
Wir sind jetzt fast schon am
Bahnhof, aber eins will ich noch loswerden, will er noch loswerden.
„Si yo abriera la boca… Wenn
ich den Mund aufmachen würde…Yo sé mucho
sobre ella... Ich weiß viel über sie…“ Aber ich sage nichts. Wie immer. Und
deswegen werde ich gefickt. Und genau deswegen bin ich gefickt. Weil ich nie
was sage
Sie sagt mittlerweile auch
nicht mehr viel.
„Eso le puedes decir. Cuando la
ves… Das kannst du ihr sagen. Wenn du sie siehst, so durch
Zufall mal…“
Sie schüttelt den Kopf.
„…saludos desde el infierno…Grüße aus der Hölle…“
Hinter dem Bahnhof
angekommen, steigt er nach einem hastigen „Ciao“ in ihre Richtung aus. Dass er
nicht noch einen Sitz ausreißt und ihn samt Polster und allem verspeist, ist
eigentlich ein Wunder. Obwohl: Kurz bevor er aussteigt gibt er ihr noch etwas
mit auf den Weg, sagt: „Yo no digo nada,
nada de nada, de su cuñado que siempre querría hacer bicicleta con ella…Ich
sage nichts, nichts über nichts, über ihren Schwager zum Beispiel, der immer
mit ihr Fahrrad fahren wollte…“
Das musste noch sein, das
musste ich noch loswerden, das musste ich ihr einfach noch mitgeben
Er steigt aus und ist noch
nicht die Unterführung runter, die zum Bahnhof führt, als er schon beginnt,
darüber nachzudenken, was sie gesagt hat. Wenn man das Nachdenken nennen kann.
Bei all der aufgestauten Wut, all dem Adrenalin, von dem dein Körper immer noch
ergriffen ist. So sehr, dass du fast ein bisschen am Zittern bist, fast ein
bisschen innerlich zitterst, erschauderst. So als hättest du etwas falsch
gemacht.
Hinterher denkst du: Ist ja
auch verständlich. So wie du auftrittst. So ein Psycho wie du bist. Ich würde
auch kein Wort mehr mit dir reden. So aggressiv wie du bist…
So warst du schon immer.
Heißblütig. Südländisch. Temperamentvoll. Wir wollen ja positiv bleiben! Ja
genau: Das ist positive Aggression, animalische Aggression.
Aber da ist auch noch ein
anderes Gefühl. Was hat die noch mal gesagt? Du versuchst dich zu erinnern. Sie
hat sie gesehen, an Karneval und sie hat niemand bei sich gehabt. Keinen
„Neuen“. Ach, scheiß drauf, dann bumst sie eben ihren Schwager, was weiß ich.
Da war niemand bei ihr…
Und schon hast du wieder Hoffnung.
Obwohl du nach mehr als zwei Jahren Funkstille keine mehr haben solltest. Das
ist das Prinzip Hoffnung, das verfickte Prinzip Hoffnung. Das kriegt dich jedes
Mal
Das ist nicht klein zu
kriegen
Immer und immer wieder.
Immer und immer wieder fällst du darauf rein. Und jedes Mal wachst du schon
nach kurzer Zeit wieder auf, noch enttäuschter
Das fickt dich in den Arsch
und gibt dir dann wieder Hoffnung.
Das ist immer das Gleiche. Dabei
solltest du es eigentlich echt besser wissen, mittlerweile. Wir rennen immer
wieder gegen die gleiche Wand…
Einstein hat Unrecht: Das
ist nicht das Zeichen für einen Wahnsinnigen, sondern für den Menschen. Den Menschen an sich.
Ja, klar: Das ist alles eine
Verschwörung!, denkst du in der Stadtbibliothek. Eine gefickt eingeschädelte Verschwörung.
Die ist extra in deinem Bus gewesen. Um dich abzupassen. An Nadines Geburtstag.
Dich abzufangen, um dich zu fragen, ob du sie noch liebst, noch immer liebst.
Extra
Du bist extra hinten
eingestiegen
Aber so gut sie auch ist,
sie kann nicht zwischen den Zeilen lesen
Wenn sie das könnte…