Wenn überhaupt, dann
kann man das nur als ein Gefühl der Dankbarkeit beschreiben. Er flog nach
Ecuador und heiratete sie, weil er ihr dankbar war. Das mag jetzt komisch
klingen, aber das ist, glaub ich, das, was einer echten Erklärung am nächsten
kommt. In Ermangelung einer echten Erklärung…
Dankbar wofür aber?
Ich weiß es auch nicht
genau. Weil sie mich liebte, obwohl mich noch nie jemand geliebt hatte, vorher…weil
sie die Einzige war, die jemals vermocht hatte, mir ein Gefühl der Liebe, der Geborgenheit,
der Zugehörigkeit zu geben…weil sie mich aus meinem Elternhaus befreit hatte,
rausgeholt hatte…weil ich selbst nicht die Kraft dafür gehabt hatte, hätte…oder
weil sie mir die schwere Last der Jungfräulichkeit von den Schultern genommen
hatte, die ich all die Jahre, seit ich 15 war und das erste Mal Sara in der
Schule in die Augen geguckt hatte, mit mir rumgetragen hatte…
Aurélie, so klappt das nie. Du erwartest viel zu viel.
Die Deutschen flirten sehr subtil.
Durch sie hatte es
bei dir am Ende doch noch geklappt…
Und manchmal denkst
du sogar: Weil sie dich vor dem Selbstmord bewahrt hat. So was Ähnliches hast
du damals echt gedacht, den sicheren Selbstmord wärst du weiter in dieser
Umgebung, diesem Umfeld geblieben. In diesem Elternhaus. Gefangen
Nicht so klar vielleicht,
aber das war schon die Richtung, in die du gedacht hast: Was hättest du
gemacht, hättest du sie nicht kennengelernt?
Also dachtest du, du
schuldest ihr was. Du bist ihr noch was schuldig. Weil sie dich wieder
aufgebaut hat, nachdem dich die Schule und die Familie so runtergerissen und
kleingehalten hatten, all die Jahre. Sie hat dir geholfen und jetzt musst du
ihr auch helfen. Jetzt, wo sie ein Problem hat, wo sie von der Polizei erwischt
und ausgewiesen wurde. Illegal in Deutschland. Kein Mensch ist illegal.
Was für ein heuchlerischer Slogan. Ich wette, die die das sagen, die sind noch
nie einem Illegalen begegnet. Aber du konntest etwas tun. Konntest sie heiraten
Obwohl du vorher, als
der Bundeswehr-Pfarrer da angerufen hatte, im Gefängnis, und dich gefragt
hatte, ob du sie heiraten wolltest, das sei die einzige Möglichkeit, nein
gesagt hattest.
Und jetzt sagt sie nein, in 7 Tagen. Noch nicht mal mehr
7 Tagen
„Wollen Sie sie
heiraten…?“
Du hattest sie
gehen lassen. Und später, keine zwei Monate später, bereutest du es schon
wieder. Hingst ihr immer noch im Gedanken nach. Hingst immer noch an ihr.
So wie jetzt.
Und bist nach Ecuador
geflogen…nachdem du „Zuhause“ rausgeflogen warst – wieder einmal – und bei
Rafael und Slainté untergekommen warst. (Das hast du auch später vergessen, jedes
Mal, wo du mal wieder eifersüchtig auf deinen Schwager warst, dass er dir
damals sein Zimmer zur Verfügung gestellt hatte…) Flogst also nach Ecuador und
überlegtest vier Wochen hin und her (das war auch unfair ihren Gefühlen
gegenüber, ihr gegenüber, das hatte sie auch nicht verdient, obwohl sie mit dem
Bruder ihres Schwager vor deinen Augen geflirtet hatte, auf dem Dorftanz, dem baile), überlegtest, ob du sie wirklich heiraten
solltest und sagtest schließlich drei Tage vor Abflug ja. Ja, ich will. Sí,
quiero.
Und heute will sie eben nicht mehr. Oder sagt sie auch
auf dem letzten Drücker noch ja? Sí, se
puede…sí, se puede…
Sagtest ja, noch
nicht mal für eine Hochzeit angemessen gekleidet, in einem schwarzen Polo-Shirt
und einer beigefarbenen Jeans. Mit zum Schwur erhobener Hand (auf dem Foto, das
deine Mutter dann fand).
Wie kann so eine Beziehung glücklich machen, wie kann aus ihr
jemals so was erwachsen wie Zufriedenheit? Eine Ehe, die auf so wackligen,
tönernen Füßen steht?
Kann sie nicht
Oder doch?
War sie aber doch
irgendwie. Glücklich. Mit einem Hauch Verklärung, Glorifizierung,
Idealisierung der Vergangenheit. War sie glücklich, war sie jemals glücklich… Oder
fühlte sie sich genauso benutzt wie du jetzt…?
Wie sehr sie doch irgendwie glücklich, das merkst du, das
merkt man immer erst hinterher. Jetzt, wo sie weg ist…
Wo sie für immer weg ist…
Wo die Scheidung in nicht mal mehr 7 Tagen ansteht…
Vielleicht hat sie ja jemand gefunden, der sie wirklich
liebt...so, wie sie ist…
Ein bisschen gönnst du es ihr vielleicht sogar, nach all
den Jahren mit dir, den neunzehn Jahren, um genau zu sein…
Für immer weg…
So ist das Leben. Wer zu spät kommt, wir gefickt. In den
Arsch und ohne Gummi. Oder mit Noppengummi. Mit dickem Gummischlauch, in den Arsch,
immer tiefer hinein in die Scheiße