Ich weiß noch, wie wir damals beim Bund immer miteinander
telefoniert haben. Meistens hab ich sie angerufen, aber manchmal hat auch sie
mich angerufen, in der Telefonzelle in der Kaserne. Da muss so ungefähr im
September 1996 gewesen sein, wo ich in der Grundausbildung war und noch in
Koblenz stationiert war. In der Gneisenau-Kaserne war das glaub ich. Bei den
Panzergrenadieren. Ich weiß noch den Spruch, den die damals hatten: Du bist kein Mensch, du bist kein Tier, du
bist ein Panzergrenadier. Manche meinten das natürlich ironisch oder als
Witz, aber ich glaube manche von den Leuten da meinten das durchaus ernst. Waren
stolz darauf. Da war so ein türkischer, das heißt ein deutsch-türkischer
Feldwebel, der immer mit den Rekruten singend durch die Kaserne rannte. Wie in
Amerika. Wie in diesen Filmen. Keine Ahnung, was der sang, aber das machte
natürlich Eindruck.
Eigentlich hätte ich ja auch gar nicht dahin gemusst,
denn ich war eigentlich für Hamburg vorgesehen gewesen. Für die Marine. Und
zwar nicht nur für die Grundausbildung, sondern für meine gesamte
Bundeswehrzeit. Womöglich noch auf einem Schiff, keine Ahnung. Aber mein Vater,
der einen 2-Sterne-General kannte, dem er das Auto reparierte, hatte das so
eingerichtet, dass ich in Bonn bleiben konnte. As heißt, zuerst musste ich, wie
gesagt, nach Koblenz, denn in Bonn gab es keine Grundausbildung. Nur das Verteidigungsministerium
und die machten keine Grundausbildung. Worin auch? Nur eine Wachausbildung. Und
in Siegburg war das Wachbataillon. Was laut des Generals, der mich sogar in
meinem Aushilfsjob bei Deichmann extra anrief, nicht zu empfehlen war, weil die
Grundausbildung da um einiges härter wär als in Koblenz. Und man später noch
ohne Ende Wache schieben musste, was im Verteidigungsministerium nicht der Fall
war, denn – Sie ahnen es – da übernahm das Wachbataillon freundlicherweise die
Wache für uns. Also war die nächstgelegenere Lösung Koblenz für die
Grundausbildung und Bonn danach. Der wahre Grund, warum ich meinen Wehdienst in
Bonn ableisten wollte, war nicht etwa, weil ich so nah wie möglich an meiner
Heimatstadt oder an meinem Elternhaus sein wollte, sondern ein anderer: Denn
ich wollte nicht von Nadine getrennt sein, die ich ja erst Anfang des Jahres
kennengelernt hatte und mit der ich jede frei Minute verbrachte und
mittlerweile auch schon Spanisch sprach wie ein Südamerikaner. Warum mein Vater
dann trotzdem, obwohl er ganz genau gewusst haben muss warum, das so gedreht
hat, dass ich nach der Grundausbildung nach Bonn komme, weiß ich nicht, denn
eigentlich mochte er meine Freundin, meine erste Freundin nicht besonders (ich
kann mich immer noch an den Whiskey erinnern, den er trank, nachdem ich sie ihm
vorgestellt hatte – etwas, dass er sonst nie tat). Ich weiß nicht, was er in ihr
sah, was ich nicht sah und selbst letztes Jahr, als wir uns schon getrennt
hatten, drückte er sich nur sehr vage aus, als ich ihn einmal darauf ansprach,
was ihn denn an Nadine so gestört hatte.
„Die war doch sowas von falsch…“
Bis heute weiß ich nicht, was er mit diesem „falsch“
gemeint hat, aber ich glaube immer noch, dass er damals schon mehr wusste oder
ahnte als ich… Trotzdem ärgerte mich das irgendwie immer noch, denn ich habe
bis heute nicht begriffen, wie jemand „echt“ sein kann, der in seinem ganzen
Leben keine 10 Worte mit mir gewechselt hat und nicht einmal ein ernsthaftes
Gespräch über irgendetwas mit mir geführt hat. Keine Ahnung, aber irgendwas war
da – sonst hätte er den Whiskey nämlich im Schrank gelassen (bei den anderen
20-30 Flaschen Hochprozentiges, die ihm Kunden geschenkt hatten und die da
schon seit Jahren vor sich hingammelten; meine Mutter war dem Alkohol zwar
nicht ganz so abgeneigt, trank aber nur Bier, Wein und Sekt, den sie immer
dezent hinter dem Sofa versteckte).
Auf jedem Fall war ich aus Liebe zu meiner Frau in
Koblenz gelandet, von wo aus ich sie Tag für Tag von der einzigen in der Kaserne
vorhandenen Telefonzelle aus anrief. Wo ich jeden Tag, direkt nach
Dienstschluss, in einer langen Schlange von Soldaten wartete, um für ein paar
Minuten mit ihr sprechen zu können. Ihre Stimmt hören zu können. Natürlich auf
Spanisch, denn so verstand mich auch keiner. Nach einer Weile fingen die
anderen sogar an, mich den Spanier zu nennen, weil ich am Telefon mit meiner
Freundin immer nur Spanisch redete. Darauf war ich irgendwie stolz. Einer – ich
glaube, es war der Rechte aus Düsseldorf – glaubte mir sogar noch nicht einmal,
dass ich Deutscher bin und ich versuchte ihn mit einem Lächeln auf dem Gesicht
davon zu überzeugen, dass ich kein Spanier bin. In Bonn geboren bin (leider)
und da auch mein ganzes bisheriges Leben verbracht hatte (leider). Ich fand das
cool, weil es mich anders machte. Besonders. Heute – wo ich sicher geschieden
bin – und das Ganze mittlerweile über zwanzig Jahre her ist, kann ich mir kaum
noch vorstellen, über was wir damals so alles geredet haben. Keine Ahnung.
Haben wir uns etwa für Minuten nur te
quiero oder te amo gesagt?! Oder te quiero mucho, mucho, mucho… Kann ja
wohl kaum sein. Selbst wenn man noch ein paar te extraños dazu nimmt. Ich vermisse dich wirklich. Denn Männer
sind treuer als Frauen und ich war nicht einmal in Koblenz abends allein weg
(obwohl ich das wegen dem Zapfenstreich auch nicht gekonnt hätte). Über was
haben wir so viel und so lang geredet? All die Jahre? Ich weiß es nicht. Es ist
wie verflogen, wie weg, hat keine Spuren hinterlassen.
Te amo
Te quiero
Te extraño
¿Qué estás haciendo?
¿Estás pensando en mí?
El fin de semana vengo…
Ciao
Aber Inhalte? Wo sind die Inhalte hin? Ich finde sie
nicht mehr in den Bruchstücken meines Lebens, meiner Vergangenheit
sie sind weg
wie sie
für immer verloren
in der Zeit