Freitag, 9. September 2016

Alte Wunden
















In Letzte Spur Berlin läuft das Lied Hurt. Von Johnny Cash. Und reißt alles wieder auf. Alles. Die Folge handelt von einem Ehepaar, das nie über den Verlust ihres Sohnes während eines Ägypten-Urlaubs hinweggekommen ist. Das Lied beginnt als beide in ihrem Auto sitzen und mit einem Plastikrohr im Auspuff, das mit der Fahrerkabine verbunden ist, Selbstmord begehen wollen.

Ja, Verlust ist immer schwierig. Und wenn jemand von heute auf morgen nie wieder ein Wort mit einem redet, dann ist das wie der Tod. So als wär man gestorben, obwohl man noch lebt, das Leben tagtäglich an seinem Leiden spürt...vielleicht so stark wie noch nie zuvor

obwohl der andere noch lebt, keine fünf Kilometer von hier und doch so weit weg


Das Lied reißt alles wieder auf. Das hast du damals gehört. Als sie gegangen ist. Das weißt du noch. An dem einen Tag. Dem Montag. Dem Dienstag, wo María gekommen ist. Und bei dir in der alten Wohnung geschlafen hat. Das war das Lied aus dem Film La Colombiana. Wie das wohl auf sie gewirkt haben muss. Ihr Vater jenseits des Flurs im Schlafzimmer ihrer Eltern. Ihres Vaters. Sie in ihrem Kinderzimmer. Ihrem alten Kinderzimmer. Obwohl sie kein richtiges Kind mehr war. Jetzt, nach der Trennung ihrer Eltern. Wie sie sich wohl gefühlt hat. Wie du hat sie an ihrer alten Wohnung festgehalten. Trotz dauerndem Ärger mit ihrem Vater. Dauerndem Streit. Sie hat immer zu ihm gehalten. Danke. Obwohl ich zu schwach bin, dir das zurückzugeben. Wie sie sich wohl gefühlt hat? Ob sie auch geheult hat, heimlich in ihrem Zimmer, das bald nie wieder ihr Zimmer sein würde, abends im Dunkeln, ihr Vater am Schluchzen wie ein Schlosshund. Hinter der Tür. Dazu die Musik von Johnny Cash. Die er am Ende von dem Film Colombiana gehört hatte, schon eine Woche bevor Nadine endgültig weg war. Sie hat immer zu ihm gehalten, war da, als Einzige; und keiner hat es ihr gedankt. Er nicht, ihre Mutter nicht. Niemand. Mit gerade mal 16 musste sie erwachsener sein als sie war.

Sie wusste ganz genau, dass ihre Mutter nicht zurückkommen würde, egal wie viel ihr Vater heulte oder schrie oder schwieg.

Alles hatte sich für sie geändert. Und dabei war sie selbst gerade erst 16 geworden.

…als sie ihren Vater jenseits des Flurs heulen hörte. Das war überhaupt nicht zu überhören. Und richtig trösten konnte sie ihn auch nicht

Das konnte niemand.

Das kann niemand

Oder doch: Es gibt jemand, der das kann, aber der will nicht. Will nicht mehr

Du warst es nicht Tochter, tut mir leid, aber dafür kannst du ja nichts, wie du da lagst, in deinem alten Zimmer und nicht einschlafen konntest, weil dein Vater jenseits des Flurs schluchzte wie ein Schlosshund. Dich traf keine Schuld. Eher das Gegenteil


du hast uns vielleicht sogar all die Jahre zusammengehalten. Danke