Donnerstag, 10. August 2017

Kinder und Eltern in der Pubertät










Halt mal auf!“

Ich stehe mit der Mülltüte neben ihr, während sie sich eine Schale mit Joghurt, Apfel und Nüssen macht. Wie schön!
In der Hand habe ich die Schüssel mit ihrem Salat, mit Tomaten, Thunfisch und Gurke, die sie nicht mehr will:


„Willst du den noch, deinen Salat?“
 …

„Willst du den noch? Sonst schmeiß ich ihn weg…“
„Ne.“

„Ok.“


Und jetzt stehe ich hier, will ihn in die Mülltüte kippen, habe aber keinen, der diese für mich aufhält. Warte, gucke ihr zu, wie sie sich ihren Frühstücksjoghurt macht, sage:

„Oh, Apfel! Lecker Apfel!“

als wär ich behindert. Am Ende, als sie zwei Minuten lang einfach nicht reagiert hat, wie immer, schütte den Reis mit dem Thunfisch, dann selber weg, wobei mir der Löffel in die Tüte fällt.

„Scheiße, jetzt ist der Löffel da reingefallen…Scheiße!“ 

Verdammte Scheiße

Ich krame den Löffel aus der Mülltüte, gehe ins Bad und hole die Tüte mit dem Badezimmermüll (Klopapier vom Abschminken, Wattepads und Undefinierbares, über das ich besser nicht nachdenke), stopfe auch diese in die große blaue Restmülltüte, bringe sie runter. Gehe durch den Regen hin und wieder zurück. Kein Basketball heute…

Das ist vielleicht nicht ihre Aufgabe, ich weiß. Aber was ist denn ihre Aufgabe? Nichts zu tun, ein unbeschwertes Leben zu leben, bis…



Hinter passiv-aggressivem Verhalten steckt oft Wut. Wut. Wie bei dir, wenn du nicht mit deinem Chef redest. Weil du auf ihn sauer bist. Ist sie etwa auch sauer?! Wahrscheinlich, aber wie soll ich das denn verstehen, wenn sie nichts sagt?! Wenn sie nicht darüber spricht?! Wie soll dein Chef das denn verstehen, wenn du nicht drüber redest, wenn du nichts sagst?!

Aber du bist auch sauer. Du bist auch sauer. Obwohl du es dir nur ein bisschen anmerken lässt. Denn warum soll ich denn alles alleine machen. Mir hilft nie jemand, wenn ich darum bitte. Ich muss tausendmal bitte, bitte, bitte sagen und selbst dann reagiert man, sie immer nur widerwillig. In Zeitlupe. Verzögert. Immer mit einem „Nerv nicht!“, dass im Hintergrund, das im Untergrund mitschwingt, lauert, darauf, aus seiner Höhle schnellen zu können und mich zu beißen. In den Arm, ins Bein…nein, in die Seele.

Ich hingegen springe immer direkt, wenn „die“ was wollen.

Während…


Aber vielleicht bin ich auch einfach zu sensibel. Geradezu hypersensibel. Aber das ist echt so: Wenn ich was will, dann wird das gar nicht oder nur widerwillig gemacht…und sie was will, wollen, dann mach ich das direkt. 
Vielleicht bin ich ja selber schuld. Du musst dich einfach anpassen, an eine Welt, in der diese passiv-aggressiven Spielchen an der Tagesordnung sind. Du benutzt sie ja auch oft genug. Und sagst dann stolz zu deiner Tochter: „Das hab ich von dir gelernt…“

Du musst einfach mitspielen. Warum spielst du nicht einfach mit? Warum spielst du nicht auch Spielchen? Das Leben ist schließlich ein Spiel! Warum musst du immer querschießen? Gegen den Strom schwimmen? Gerade du, der du in einer Spielhalle arbeitest…

Sie kommt aus ihrem Zimmer an dir vorbei, sagt: „Musst du heute arbeiten?“ Dabei habe ich ihr diese Frage schon die letzten fünf Male diese Woche beantwortet. Ich habe Urlaub! Frei! Obwohl ich alles andere als frei bin… Eher schon vogelfrei.

Also sage ich diesmal, dieses eine Mal nichts. Verzögert Reaktion nennt man das. Und bei mir verzögert sich die Reaktion heute ins Unendliche. Ich kann auch Spielchen spielen. Es macht mich nur nicht glücklich…

Und weil ich so unglücklich bin, spiele ich dieses Video auf YouTube ab, diese Szene aus diesem Film über Hitler. Der Untergang des Bösen. Diese Szene, die ich so liebe. Wo Hitler über die Gleichgültigkeit in unserer, äh, in seiner Gesellschaft spricht:
…aber wir durchleben im Augenblick schwere Zeiten…aber nicht Armut…nicht Schwäche ist unser Problem…sondern Gleichgültigkeit! HÖRT HIER EINER ZU? DAS IST DAS PROBLEM UNSERER TAGE. ES IST ALLEN EGAL…

Das ist auch passiv-aggressiv, das weißt du, ne?! Das jetzt lautabzuspielen? Das ist dir schon bewusst?!


„Wann bist du fertig? Um drei?“, fragst du, eine Weile später.

„Mmh, ich glaub schon.“



„Ich koche heute…“

„Was denn?“

„Eine Überraschung… Ich esse auch dein Essen, also isst du auch meins…gefälligst!“