Samstag, 8. Juli 2017

Mordpläne und Bahngebete











  
Den ganzen Weg nach Bonn denkt er – halb im Spaß, halb todernst – darüber nach, was er dem Yasir denn nun in den Kaffee tun soll, damit er ihn endlich (oder endgültig?) nicht mehr nervt. Er denkt und denkt nach. Er könnte sich jetzt natürlich jetzt im Raum hinter dem Kassenhäuschen den Finger in den Arsch stecken und dann damit in die Tasse packen, bevor er ihm den Kaffee macht. Langsam die Finger über den Rand der Tasse gleiten lassen, wie die das immer in den Filmen machen…und dann damit den Löffel oben anpacken…falls der heiße Kaffee die Koli-Bakterien an seinem Finger doch abgetötet hat.

Aber das hat er schon mal gemacht und das funktionierte auch damals schon nicht zu seiner vollen Genugtuung. Außerdem sind seine Hände vom vielen Geldzählen und Wechseln dreckig, so dass er sich auf diese Weise ja vielleicht sogar ins eigene Fleisch schneiden würde, ins eigene Rektal-Fleisch. Ne, und dann stinkt sein Finger auch so, hinterher…und wenn er auf dem Laptop rumtippt hat er am Ende die ganze…Scheiße am Computer hängen… Ne, das ist zu kompliziert!

Vielleicht Schweinefleisch, fein zerrieben, oder Schweinefett oder Schmalz, im Kaffee aufgelöst. Aber was der Spacken nicht weiß, macht ihn sprichwörtlich nicht heiß – und nachher schmeckt ihm das Schweinefleisch im Kaffee so gut, dass er sich gleich noch einen Kaffee bestellt. So ein Schwein wie er ist, läge das durchaus im Rahmen des Möglichen.
Nein, es muss schon etwas, dass der spürt, körperlich, das körperliche Spuren bei dem hinterlässt. Wie zum Beispiel…

…Gift!

Aber man müsste irgendetwas haben, dass ihn zwar tötet, aber langsam…

…das es ihm nach dem Essen verabreichen, nach einer seiner viele Pizzen oder Döner, damit der nicht hinterher sagen kann, dass es der Kaffee war. Zumindest nicht eindeutig, damit der nicht direkt weiß, was es war, das ihm übel aufgestoßen ist, so wie mir seine Präsenz, jedes Mal, wenn er in seinem scheiß Anzug, mit seinen scheiß gefärbten Haaren die Halle betritt und schmierig lächelnd ihn und die anderen Spielgäste begrüßt.


Er denkt nach und nach, brütet förmlich über die Frage nach, was er Yasir in den Kaffee tun kann, in sein „Käffchen“, wie er es manchmal nennt (du wirst nie wie ein Deutscher sein, egal wie oft du“ Käffchen“ sagst!), um sich für die Erniedrigungen, die schmierigen Lächeln und die Anspielungen rächen zu können.

Und dann, nach einer halben Stunde hat er es…

…glaubt es zu haben…

Etwas, das ihm langsam, aber sicher schadet, aber nicht auf ihn zurückzuführen ist, auf seinen Kaffee…

Ja, das könnte klappen! Etwas, das ihn langsam TÖTET

So wie die russische Mafia das mit diesem Dissidenten in London getan hat. Wie hieß der noch mal? Irgendwas mit Lit. Litvinienko, glaub ich. Oder so ähnlich. Dem haben die radioaktives Material in den Tee getan. Oder haben die das in seinem Büro, unter seinem Schreibtisch platziert? Er weiß es nicht mehr. Aber er ist ja nicht die russische Mafia. Und er hat auch keinen heißen Draht zu Putin. Schön war’s. Es muss etwas sein, das langsam tötet. Über Wochen, wenn nicht sogar Monate. Nein, Monate halt ich den nicht mehr aus. Also Wochen. Etwas, das den nicht am ersten Tag gleich umhaut.

Nicht, dass die dir dann die Schuld geben. Dann wissen die direkt, wer das war. Und du musst es ihm nach der Pizza geben. Dann will er immer einen Kaffee. Und ein Wasser. Vielleicht tust du es auch ins Wasser. Das wär doch auch nicht schlecht… Auf jeden Fall darf er nicht gleich was spüren, geschweige denn direkt aus den Latschen kippen. Dann musst du ihn nachher noch wiederleben.

Bah, küssen tu ich den nicht! Echt nicht!

Deshalb ja!

Nachher wirst du noch wegen unterlassener Hilfeleistung verknackt. Weil du zuerst den Typen vom Wachdienst gerufen hast, damit er den küssend wiederbelebt. Ach, hättest du doch bloß radioaktives Material. Dann wär die Welt so einfach. Das würde ihn von innen zersetzen, ich meine, was noch nicht vom Dauerrauchen und Huren zersetzt ist. Bestimmt würde das nicht lange dauern. Du hast aber kein radioaktives Material.

Also schmink dir das ab. So tollpatschig wie du bist, würdest du am Ende selber wie ein Christbaum leuchten, im Dunkeln meine ich.

Vielleicht wär ja Rattengift etwas…

Aber du kannst das ja auch schlecht im Internet nachgucken, oder?! Nicht, dass die das dann hinterher feststellen. Die Polizei. Die brauchen sich nur deinen Suchverlauf angucken und schon wissen die, wo der Hase langläuft. Direkt ins Rattengift. Näh, das geht nicht. Chemiker müsste man sein. Oder Apotheker.

Moment mal, die eine Schülerin von dir, die hat doch eine Eins in Chemie.

DIE KANNST DU ABER NICHT FRAGEN! Dann ist die nämlich MITTÄTERIN!

Vielleicht ein bisschen Spiritus. Den hat die Gisela immer da.

Aber wie viel? Welche Dosis? Wenn du dich in der Dosis vertust, musst du doch noch mit dem in den Mund-zu-Aschenbecher-Clinch.

Näh, das ist keine gute Idee, du hast Recht. Schimmel?

Zu langsam! Und wo bekommt man Schimmel her?

Früher hattest du genug davon an der Wand…

Oder aufgelöste Tabletten.

Ja! Herztabletten! Davon hat er eh noch genug.

Davon kriegt er dann Herzklabaster!

Geil!

Aber die Dosis ist das Problem…wie viel brauch man für ernsthafte Probleme? Und, wirkt das auf Dauer? Verschlimmert das seinen Zustand auf Dauer? Oder rettet er ihm am Ende damit womöglich noch das Leben, weil er ohnehin schon ein schwaches Herz vom ganzen Rauchen, Huren und Spielen hat?

Hey, dann wär er ja ein Held!

Siehst du, er Weg in den Himmel ist mit bösen Vorsätzen gepflastert!


Und dann kommt ihm eine Idee. Eine Hammer-Idee. Eine seiner Hammer-Ideen. So wie die Yasir über den Kaffee zu vergiften. Hammer eben. Er kann ja so tun, oder gar bei der Polizei sagen, dass er für ein Buch im Internet recherchiert hat, wie man das am besten macht. Oder für seinen Blog. Ne, der ist so unerfolgreich, da werden die misstrauisch. Aber das ist es! Echt! Er brauchte das für eine Buchidee. Dann kann er sich in Ruhe im Internet informieren. Über die besten Methoden. Die besten Mittel und Wege.

Hey, Mittel ist gut! Mittel!

Selbst als er im Bahnhof aus der U-Bahn aussteigt und zur Voreifelbahn hochgeht, schmiedet sein Gehirn immer noch mehr oder minder unrealistische Pläne und er lacht sich innerlich ins Fäustchen. Bis morgen, Yasir! Auf ein Käffchen! Machst du mir einen Kaffee, bitte!

Klar! Sofort! Ich eile, ich fliege! Diesmal sogar ohne zuerst innerlich bis dreißig zu zählen. Kommt sofort! So kriege ich mehr von deinem Körper als du denkst…


Innerlich schon ruhiger steigt er in die Voreifelbahn ein. Ganz hinten, dann muss er in Meckenheim nicht so weit laufen. Er drückt auf den Knopf, um die Tür zu öffnen, doch dann hält er plötzlich inne…
…da kniet jemand in dem Gang auf einem dieser Gebetsteppichen. Mit Bild von Mekka. Im Eingangsbereich, im Gang vor der Toilette, direkt vor seinen Füßen. Versperrt den schmalen Gang, die kleine Treppe, die zu dem freien Vierer führt, den er von draußen schon mit Freude erspäht hat. Der Typ trägt eine dieser Mützen, die die tragen, diese runden Kappen, Mützen, was weiß ich…
Es ist ein Schwarzer, ein Afrikaner und ein anderer Typ, der eher nach Araber aussieht und neben der Tür steht, macht eine Geste mit der Hand in seine Richtung und sagt „Nein, nein, nein!“ So als wollte er sagen, dass er warten muss, dass er nicht über den Teppich steigt, der voll vor dem Aufgang zu den Sitzplätzen liegt.
Geht’s noch?!
Ich will mich da hinsetzen, auf den leeren Vierer am Ende des Zuges, ich warte jetzt nicht…
Also steigt er einfach über den Betenden, tritt dabei mit seinem rechten Schuh auf das Mekka-Bild, das in den Teppich eingewebt ist, keine zwanzig Zentimeter vom Kopf des Afrikaners. (Was wollen die eigentlich? Soll ich jetzt etwa mit Computertasche in der einen und Aldi-Stofftasche in der anderen Hand über den drüberspringen?! Schweben? Fliegen, wie auf einem fliegenden Teppich…?)

Da kannst du „nein, nein, nein“ sagen so viel du willst, ich hab den ganzen Tag gearbeitet und will jetzt sitzen. Hier mitten im Zug beten, geht’s noch?! Auf einem eigenen Teppich?! Ich glaub, ich werd bekloppt! Mach ich das in Saudi Arabien im Zug?!Es ist zwar schon 1:30, aber auch Samstag...

Der Schwarze murmelt irgendetwas, vielleicht hat er meinen Fuß ja gar nicht bemerkt, so tief wie er in sein Gebet vertieft zu sein scheint, und ich setze mich auf den freien Vierer. Stelle die Tragetasche neben mir auf den Sitz und die Computertasche und den Rucksack zwischen meine Beine und gucke in Richtung Gang. Ein bisschen verstohlen. Der Typ, der neben dem Betenden steht, guckt in meine Richtung, starrt mich fast an, sucht meine Augen. Gut, dass ich eh halb blind bin, so kann ich in seine Richtung gucken, ohne ihm direkt in die Augen zu gucken. Trotzdem gucke ich einen Moment später schon wieder weg. Doch nach einem kurzen Blick aus dem Fenster und auf den grauen Bahnsteig, geht mein Blick wieder in seine Richtung. Er guckt noch immer zu mir rüber. Was für ein Arschloch, echt! Wenn der jetzt was von mir will, dann muss ich mich verteidigen. Wohl oder übel, ob ich will oder nicht. Mit der flachen Hand fahre ich über meinen Bizeps, wieder aufgepumpt vom vielen nach der Arbeit durch den Wald nach Hause laufen. Dann soll er doch kommen, denke ich einen Moment lang. Und dann: Scheiße, wenn der jetzt wirklich kommt, was machst du dann? Dich verteidigen! Mit dem kleinen Bronzekreuz von deiner Kommunion. Das hast du letztens nach dem Umzug gefunden und trägst es seitdem in deiner Jeanstasche mit dir rum. Aber da ist es nicht mehr, sondern in der Computertasche, weil es dir in der Hosentasche auf Dauer zu schwer war. 

Bis du das da raushast…. 

Aber das ist perfekt. Das lässt sich richtig gut zwischen Zeige- und Mittelfinger klemmen, dann wird das zur Waffe. Damit hättest du eine Chance. Ein Kreuz wäre vielleicht für die auch die richtige Waffe. Vom Kreuz erschlagen. Wie im Mittelalter. Davor hätten die bestimmt Angst. Das ist wie von einer Frau erschossen zu werden... Noch schlimmer wahrscheinlich. Ich gucke den Typen weiter mit kleinen Unterbrechungen an und lausche dem Gebet. Das hört sich irgendwie so an, als würde der kotzen, wie der betet. Vielleicht betet er ja auch deswegen direkt hier vor der Toilette. Vielleicht hat er ja zu viel getrunken…

Mannomann… Ich schüttle imaginär meinen Kopf.

Ich bin ja tolerant, aber das…

Kann der das nicht draußen machen?! Oder noch besser: im Gleisbett! Wenn dann ein Zug kommt, ist er auch umso schneller im Paradies…

Ich will nicht ins Paradies, wenn der Weg dorthin so steinig ist…

Du bist voll auf diese Abbildung von Mekka getreten. Der Kaaba. Geil!

Plötzlich streckt der schwarze seinen Finger zum Gebet aus. Den Zeigefinger, wie die das immer machen. Der andere, dünne, hellere hat aufgehört, in deine Richtung zu starren. Das will ich ihm auch geraten haben…! Aber dieser ausgestreckte, lange Zeigefinger macht mir doch schon irgendwie Angst: Scheiße, der will uns doch nicht in die Luft jagen?!

Scheiße, ich will noch nicht sterben! Dafür bin ich schon viel zu alt! Aber wenn Gott will, dann…

Welcher Gott?



Aber irgendwann rollt er seinen Teppich zusammen und fliegt von dannen: Puh, denke ich: Die Welt wird immer bekloppter... Echt…




Und hier geht es weiter mit Yasir:  Schwarzer Kaffee