Donnerstag, 23. März 2017

Bah, Liebe!















Und, was bekommt deine Tochter zum Geburtstag? Hast du dir schon was Besonderes überlegt?“, fragt dich Victorija, deine Schülerin.

Im ersten Moment weißt du gar nicht, wie du reagieren sollst. Stimmt, sie hat recht. Der ist ja am Sonntag, der Geburtstag deiner Tochter. Hatte ich ja fast schon vergessen, bei all dem Stress. Der 18. (!) Geburtstag deiner Tochter. Dann ist sie erwachsen, denkst du, und greifst auf eine Standard-Antwort zurück:


„Och, meine Tochter will Geld. Die ist Materialistin. Ich schenke ihr einfach Geld und gut ist's.“

Geld, das du nicht hast. Noch am Montag hast du ihr gesagt, hast du ihr sagen müssen: Dieses Jahr kann ich dir nicht so viel geben. Oder noch schlimmer: So viel kann ich dir nicht geben, dieses Jahr. So viel kann ich dir sowieso nicht geben, dieses Jahr. Horror, das war der Horror. Der eigenen Tochter so was zu sagen. Sagen zu müssen. Weil es nicht anders geht.

„Nein, aber das ist doch ihr 18. Da muss es doch etwas Besonderes sein…“, sagt sie, wenig überzeugt von deiner Standard-Antwort. Recht hat sie

„Ok, dann male ich ein Bild. Ja, genau, ein Bild!“

Sie und die anderen beiden Schüler in der Gruppe lachen.

„Ja, das ist es! Ein Bild mit einer Flasche Whisky…einer Packung Zigaretten…einem Führerschein…und einer Disko: all die Sachen, die die jetzt mit 18 machen darf.“

Deine Schüler lachen.

Aber Victorija fragt: „Geht ihr denn essen…? Geht ihr denn auch essen?“

Einen Moment lang denkst du, woher weiß die das überhaupt. Dass deine Tochter am Sonntag Geburtstag hat. Dann fällt es dir ein:

„Ach ja, du hast ja dann auch Geburtstag. Stimmt!“

Denn Victorija hat tatsächlich am gleichen Tag wie deine Tochter Geburtstag. Am gleichen Tag im gleichen Jahr. 1999. Das hast du damals bei einem flüchtigen Blick auf ihre Karteikarte festgestellt. Der **.**.1999. Genau wie deine Tochter. Nur nicht im gleichen Krankenhaus. Denn Victorija ist in der Ukraine geboren und erst mit zwei nach Deutschland gekommen. Aber trotzdem krass, ne?!

Und sie wartet noch auf eine Antwort, stellt die Frage sogar noch mal: „Geht ihr essen?“

Einen Moment lang guckst du sie verdutzt an. Wie denn? willst du sagen. Sagst du fast. Sonntag ist Mama-Tag. Nicht Papa-Tag! Da kann ich von Glück reden, wenn ich sie überhaupt sehe… Wenn sie überhaupt kommt. Was noch nicht feststeht. An ihrem 18. Ihrem 18. Geburtstag. Endlich erwachsen

Aber dann fängst du dich wieder, sagst, lügst: „Ja, gehen wir…“

„Echt?! Wir auch!“

Das gefällt ihr. Dass du essen gehst. Das ihr essen geht. Mit eurer 18-jährigen Tochter. Obwohl du schon seit über zwei Jahren getrennt und mittlerweile auch geschieden bist. Das weiß sie aber doch nicht. Warum solltest du deiner Schülerin auch erzählen, dass du geschieden bist?! Dass du mit deiner Frau – pardon: deiner Ex-Frau (das vergesse ich immer wieder) – die letzten zwei Jahre kein Wort mehr gewechselt hast, sie noch nicht mal mehr siehst. Scheidung kommt von Scheitern.
  
Plötzlich geht Frauke, deine andere Schülerin, ihrem Freund Richard, der auch in der Gruppe ist, während des Unterrichts zärtlich durchs Haar. Und Victorija sagt nur: „Bah, Liebe.“


Bah, Liebe. Das kann ich nur unterstreichen.