Sie ist so eine gute
Tochter. Sie geht sogar mit mir einkaufen. In ihrem Alter! Das hast du alles
nicht gesehen, die ganze Zeit über. Weil du nur eingesperrt warst, in deinem
Schmerz, deinem Leid. Sie ist ein gutes Kind. Weil sie dein Kind ist. Aber du
bist kein guter Vater. Du gibst ihr nicht das, was sie wert ist. Was sie
braucht. Diese verfickte Welt. Nein, DU! DU! DU musst was tun! Und was? Eine
Bank überfallen? Du musst den Arsch hochkriegen. Aber das ist so scheiß schwer,
wenn du keinen Bock mehr hast
Das kann es doch auch nicht
sein, oder?! Diese Scheiße. Hin und her jede Woche. Wir wollen sie doch beide.
Wir lieben sie doch beide. Kann man sich da nicht zusammenraufen? Ist das die
schöne, neue bunte Welt. Die Patchwork-Welt. Ich bin doch bestimmt besser als
irgendein neuer Stecher. Der noch nicht mal Maris Vater ist. Was für ein
Arschloch. Eier ab, sag ich nur. Das Einzige, was das macht, ist nur die
Gesellschaft kaputt. Kein Wunder, dass wir keinen Zusammenhang mehr haben in
Deutschland, keine Werte mehr. Wenn man bei den ersten Schwierigkeiten, beim
ersten Mal, wo es keinen Spaß mehr macht, direkt alles in den Wind schießt. Die
ganze Zeit nur Spaß geht sowieso nicht, das weiß doch jeder. Also…
Mir hängt immer noch dieser
Film nach. Dieser norwegische oder schwedische Film (macht ja keinen großen
Unterschied). Einer nach dem anderen. Wo
diese Mafia-Typen, diese Serben im Auto sitzen und den Sohn des anderen
einheimischen Mafiosi beobachten, der im Wechselmodell bei Mama und Papa lebt
und der eine sagt: „Die Leute hier teilen sich sogar ihre Kinder… Ihre Kinder!
Ein beklopptes Volk!“
Ich werde sie später mal
anrufen. Fragen, wie das Boxen war gestern. Da hast du sowieso keinen Bock mehr
drauf. Bei diesen ganzen Kriminellen. Aber egal: Was sollst du schon sagen?!
Sie ist 18. Du hast eh nichts mehr zu sagen. Aber sie wird immer dein Kind
bleiben. Deine kleine Tochter. Du klingst wie Eminem. Kein Wunder, dass du den
magst. Der böse Mann, der ein guter Vater ist. Aber ein schlechter Ehemann. Ach
diese ganze Fickscheiße
Vielleicht ist das wirklich,
weil du Depressionen hast. Weil du von klein auf denkst, dass dieses Leben es
nicht wert ist. Weil du sowieso irgendwann sterben wirst. Weil dir dieses Leben
nichts gibt. Außer langsames Altern und einen schmerzhaften Tod. Keine Ahnung,
wie die anderen das aushalten. Wie die das ertragen. Die Tatsache, dass sie
sterben werden, dass sie irgendwann sterben müssen. Die können sich besser was
vormachen. Aber am Ende ist es nur das. Dass sie sich was vormachen. Das ist
wie Zafón das sagt: Wenn wir die Realität unseres Leben nur einen Tag lang
sehen würden, würden wir durchdrehen oder von der Brücke springen. Recht hat
er. Wenn sie dir eh alles nehmen, wozu sich dann anstrengen?! Wenn dieses Leben
dir eh am Ende – oder ganz langsam – alles nimmt
Wie dich deine „Mutter“
dafür gehasst hat, als du das gesagt hast: Dass wir alle eh sterben müssen.
Sterben werden. Nach der Trennung. Dabei war es doch nur die Wahrheit. Die
Wahrheit, die du schon dein ganzes Leben lang mit dir herumgetragen hast. Das
wollte sie nicht hören, konnte sie nicht hören. Aber bist du deswegen verrückt,
wenn du etwas sagst, was nur der Wahrheit entspricht. Ach, diese hässlichen,
realitätsverweigernden alten Alt-68er…nichts ist schlimmer!
Ich muss unbedingt Kelman
lesen. Ich verstehe ihn jetzt, glaube ich
Mit seinen Sätzen ohne Punkt
Das hast du dein ganzes
Leben lang gedacht, seit du damals mit 15 nachts wach im Bett lagst. Dass das
Leben nichts wert ist. Wenn es dich sowieso nur tötet. Nur langsamer als ein
Killer, der dir einen Kopfschuss gibt. Obwohl: Manchmal auch schneller. Wie vor
Jahren, als du fast gestorben wärst. Mit 31. Deinen Geburtstag im Krankenhaus
verbracht hast. Und dachtest: So schnell kann das gehen
Kein Licht gesehen hast, als du denen in der Notaufnahme von der Liege gekippt bist
Nur lauter Ärzte um dich herum, lauter Ärzte um dein Bett herum (wie du im ersten Moment dachtest), was machen denn die ganzen Ärzte hier, bei dir zu Hause, um dein Bett herum
Kein Licht
Aber vielleicht warst du einfach noch nicht tot genug