Montag, 23. Oktober 2017

Gott einen guten Mann sein lassen...














Er steht in der Sonne am Meckenheimer Busbahnhof und wartet auf den Bus nach Bad Godesberg, als ihm plötzlich dieser Gedanke kommt: Vielleicht hast du ja jetzt, heute die Gelassenheit, die dir damals abgegangen ist. Als du noch jung warst und Angst hattest, für immer eine Jungfrau zu bleiben. Der Himmel außerhalb des düsteren Haltestellenhäuschens aus Backstein mit seinem Holzdach und seinen dunklen Balken im Inneren ist so blau, dass er schon fast unheimlich anmutet, zumindest für Deutschland, wo er ganz sicher nicht dem klassischen Herbstwetter entspricht. Es ist wirklich keine einzige Wolke zu sehen. Noch nicht mal am Horizont. Nirgends. Fast schon symbolisch, denkt er: So als hätte Gott…



Du kannst jetzt loslassen…

Vielleicht ist dir das ja sogar eine Lehre…, denkt er. Nicht immer alles erzwingen zu wollen. Anders als damals: Damals noch musstest du unbedingt eine Freundin haben, musstest unbedingt bis zu einem gewissen Alter mit einer Frau geschlafen haben. Mit 16, mit 17, mit 18 – wie, mit 18 immer noch nicht, warst du etwa mit 18 immer noch Jungfrau?! Und als es dann endlich doch passierte (mit Ende oder Anfang 19, so genau weiß ich das gar nicht mehr…), da warst du unendlich erleichtert…

…so wie jetzt, an diesem frühen Sonntag-Nachmittag, an dem du hier, in Meckenheim, am Busbahnhof in der Sonne stehst. Im T-Shirt (noch dazu in einem Bayern-T-Shirt, und das im Rheinland!), Mitte Oktober und den lieben Gott einen guten Mann sein lässt. Loslässt. Ihn machen lässt. Nicht alles zu kontrollieren, versuchst, nicht immer alles kontrollieren zu wollen…

I obsess on everything…

Noch nicht mal mehr auf María wartest, die jetzt vielleicht schon im Zug nach Meckenheim sitzt, um ihr Biologie-Buch bei dir abzuholen. Sagt sie. Dann soll sie doch kommen… Ich bin nicht da, gehe schon früher auf die Arbeit. Dafür hat sie ja schließich einen Schlüssel. Muss schon früher auf die Arbeit. Muss ich wirklich? Nicht unbedingt. Früher, am Anfang der Trennung, die später zu einer ausgewachsenen Scheidung wurde, wo das Wechselmodell noch frisch war, noch lange nicht so abgenutzt und holprig gut eingespielt wie heute, da hättest du gewartet, um sie zu sehen, deine einzige Tochter, deine Kleine, die du auf einmal nicht mehr sehen solltest, fast schon durftest, zumindest die halbe Woche nicht mehr. Die du 16 Jahre lang auf ihrem Lebensweg als treuer Vater begleitet hattest und die jetzt am Wochenende bei Mama war. Wie aus heiterem Himmel von Freitag-Morgen bis Montag-Abend nicht mehr da war, weg war. Einfach so

Verschwunden

Was natürlich deine ohnehin schon lange vor der Trennung vorhandene Angst, verlassen zu werden, die du aus frühester Kindheit unbewusst mit dir herumgeschleppt hattest, noch verstärkte.

Früher, ja früher, hast du „geklammert“ wie ein Bekloppter. Wie ein Besessener. Auch bei Nadine, wobei ich immer noch finde, dass das bei der Ehefrau okay sein sollte, das bisschen neediness…sonst ist es auch irgendwie keine Liebe…ansonsten können wir die Ehe als Institution ja gleich ganz einstampfen, wenn man nicht mal mehr ein bisschen klammern darf…

Diese Welt ist wahrhaft wunderlich, manchmal…die wollen Stabilität und Verlässlichkeit, aber nicht zu viel… Aber jetzt mal ernsthaft, ganz ernsthaft: Wer kriegt in diesem Leben, in dem wir alle sterben, in dem wir alle alles loslassen müssen, am Ende, schon den „goldenen Mittelweg“ zwischen absoluter Freiheit auf der einen Seite und „klammern“, oder noch schlimmer, absoluter Kontrolle hin?

Du sowieso nicht.

Das brauchst du jetzt auch gar nicht mehr!

Jetzt, wo du hier in der Sonne stehst, sie genießt, ganz still stehst, einen Moment lang, fast die Augen schließt, genau wie Nadine das früher immer gemacht hat, beim kleinsten Sonnenstrahl im Frühling. Sich in den Autohof neben eurer alten Wohnung in Duisdorf gestellt, die Augen geschlossen und einfach nur die Sonne genossen hat. Daher auch die Falten, das weißt du jetzt: weil sie gelebt hat! Das waren Lebensfalten, Falten voller Leben. Du vermisst sie immer noch. Aber du kannst loslassen, tigerst zwar immer noch zwischen Unterstand und Sonne hin und her, als hättest du immer noch Hummeln im Arsch, aber ruhiger. Nicht mehr so wie mit 16, 19 oder gar noch vor zweieihalb Jahren (über Alter redet ein Gentleman nicht!). Über langsam einsetzende Altersweisheit schon.

Vielleicht bist du wirklich gelassener geworden. Hast wirklich etwas gelernt, aus dieser ganzen Scheiße, dieser ganzen Hölle. Sollen sie doch denken, was sie wollen! Sollen sie doch denken, dass du kein Privatleben hast…und deshalb Tag und Nacht arbeiten gehst. Früher kommst, später gehst, sogar am Sonntag. Nur die Arbeit und das Internet hast. Keine Freunde. HAST DU JA AUCH NICHT!

Aber heute kannst du anders als früher sagen: NA UND! Mir doch scheißegal. Ich muss keinem mehr was beweisen. Freundin, Freunde, Frauen…brauche ich nicht! Wenn Gott, oder was für eine Macht auch immer hinter diesem Leben steht, dass ich Freunde, eine Freundin oder gar – Gott bewahre – eine neue Frau finde, dann gibt er mir sie schon. Ich mach mich deswegen nicht mehr bekloppt. Wenn es sein soll, dann soll es sein, wenn nicht, dann nicht… Eine Tochter werde ich immer haben. Obwohl ich sie versetzt habe, sie nicht unbedingt sehen muss, für diesen einen flüchtigen Moment am Sonntag-Nachmittag.

„Hi.“
„Hi!“
„Ciao.“
„Ciao.“
„Bis morgen.“
Bis morgen…

…ihr einen Korb gegeben habe. Ist vielleicht auch gut so. In diesem Leben bleibt uns eh nichts. Und selbst das ist vielleicht auch gut so.

Vielleicht bin ich ja wirklich ein bisschen gelassener geworden, habe meine Lehren aus der Vergangenheit gezogen, muss nicht mehr auf Teufel komm raus die Welt in den Arsch ficken…was ich sowieso nie richtig getan habe…wenn ich ehrlich bin…