Freitag, 17. Februar 2017

Roma 2012 (Teil II)





Just a perfect day
Drink Sangria in the park
And then later
When it gets dark, we go home

Just a perfect day
Feed animals in the zoo
Then later
A movie, too, and then home

(Lou Reed - Perfect Day)






Aber obwohl ich mich daran erinnere, dass ich in diesem Jahr, und vielleicht sogar in diesem Urlaub, angefangen habe, ernsthaft Rammstein zu hören, so war doch das Lied dieses Sommers nicht etwa Mein Teil, Dalai Lama, Los oder Keine Lust – obwohl du diese Lieder und besonders Los oder Keine Lust auch richtig geil fandest, während María mehr auf Amerika stand (bis heute kann sie sogar Du hast mitsingen, keine Ahnung warum…).

Rammstein war zwar cool unter der Sonne Italiens und im Supermarkt beim Pizza-Kaufen, aber das Lied dieses Sommers war eindeutig Tranquilize von den Killers. Das heißt, nicht nur von den Killers, sondern von dem Killers im Duett mit Lou Reed, von dem ich ebenfalls sein komplettes Best-of-Album auf meinem Mp3-Player hatte. Ein paar Jahre beziehungsweise bestimmt schon mehr als ein Jahrzehnt nach Trainspotting wollte ich in diesem Jahr wissen, ob alle Lieder von Lou Reed so geil sind wie Perfect Day, was, wie ich Nadine immer wieder versicherte, eins der vier Lieder war, die ich auf meiner Beerdigung hören wollte. Ok, vielleicht nicht mehr selber hören, sondern gespielt haben wollte.

„Dafür bist du dann zuständig. Zuerst will ich Everybody hurts von R.E.M. hören, dann November Rain von Guns N‘ Roses, dann Nightswimming (ebenfalls R.E.M.) und am Ende Perfect Day. Von Lou Reed, hörst du...?“ Nicht, dass sie Lou Reed oder irgendeine der anderen Gruppen kannte oder meine Begeisterung für Perfect Day jemals teilte, das ich manchmal sogar laut sang.

Aber Tranquilize hörte ich überall. Morgens auf dem Weg zum Strand in der U-Bahn, nachmittags auf dem Rückweg und abends im Dunkeln die lauen Straßen Roms entlang schlendernd. Immer und immer wieder. Manchmal sogar zweimal hintereinander. Keine Ahnung warum. Irgendwas gab mir dieses Lied. Das hatte irgendwas mit meinem Leben zu dem Zeitpunkt zu tun. Mit meiner Rolle als Vater und Ehemann, nicht nur hier in Rom, sondern auch in Deutschland. Das hatte so etwas Abgeklärtes, wie Lou Reed (und das ist hundertprozentig Lou Reed) die letzten Zeilen des Liedes singt):

'Cause I don't care where you been
And I don't care what you seen
We're the ones who still believe
And we're looking for a page
In that lifeless book of hope
Where a dream might help you cope
Where the Bushes and the bombs
Uh huh, tranquilize

Ich hatte diesen Traum auch noch, den Lou Reed da besingt, trotz meiner Erfahrung hatte ich diesen Traum noch. Aber es war ein vager Traum, ein Traum, der mehr ein Gefühl war als ein Ziel. Und natürlich dachte ich immer noch vage an damals, an Aberdeen, an Concha, Conchita, wünschte mir…keine Ahnung was…

Diesen Traum von…

…mehr Leben, mehr Liebe, mehr Geld, Mehrwert…keine Ahnung…

…oder überhaupt von leben. Leben können. Sein können…

…und dieses Lied und besonders seine letzten Zeilen drückten sowohl meine Hoffnungslosigkeit aus, diese Dinge jemals erreichen zu können (in diesem Leben, auf dieser Welt), geschweige denn festhalten zu können. Gleichzeitig drückte das Lied aber auch meine Sehnsucht aus, dass irgendwo, irgendwie, irgendwann ein anderes, möglicherweise besseres Leben möglich wäre…
Das war wie bei Perfect Day. Diese eigentümliche Mischung aus Depression und Sehnsucht, Traum und Wirklichkeit, die Lou Reed, zumindest in diesen beiden Liedern perfekt zum Ausdruck brachte

…und von der ich heute weiß, dass es sie nicht gibt. Depressionen sind nicht sexy und Angst hilft uns nicht, unsere Träume zu verwirklichen

Aber damals hatte ich den Glauben noch nicht verloren

Weil mir Nadine noch Hoffnung gab? Und María?

Aber egal: Ich wollte mehr als ich mit ihr und María hatte. Mehr. Ich wollte mehr. Ich war mit dem bisschen Hoffnung, das sie mir gab, dass sie mir gaben, nicht zufrieden. (Ich weiß, das hört sich scheiße an und ist es vielleicht auch, aber die Wahrheit ist halt oftmals nichts anderes als das: nämlich Scheiße).

Wir sind nie zufrieden mit dem, was wir haben. Und zufrieden war ich in diesem Jahr ganz sicher nicht. Das heißt, zufrieden war ich vielleicht, aber eben nicht glücklich (aber was ist schon Glück?). Zufrieden war ich, doch: Denn ich war nicht in Deutschland, was mich noch unglücklicher machte als ein Urlaub mit Nadine, in dem ich nicht leben konnte, nicht leben durfte, nicht zu leben wusste? Stattdessen Lou Reed hörte. Diese alten Drogenlieder, keine Ahnung aus welchem Jahr, ich glaube sogar fast noch aus den 70ern. Vielleicht sogar noch aus dem Ende der 60er. Ich weiß es nicht. Was ich weiß, ist, dass ich sogar das ganze Album hörte. Ein paar Mal. Nicht oft, denn das war dann doch zu…düster…exotisch…anders…unmodern als ich es von dem Sänger von Perfect Day (dem Schlusslied meiner Beerdigung – wer das dann da auflegt, jetzt, wo Nadine weg ist, ist eine andere Frage) erwartet hatte. Keine Ahnung warum. Ich mochte Drogen-Lieder, ich mochte Trainspotting, aber Lou Reed war schon…anders. Eine andere Generation als Irvine Welsh. Oder Welsh war jung geblieben, keine Ahnung. Auf jeden Fall hörte ich das, wie wir im Zoo waren. Im Zoo von Rom. Im Zoo der ewigen Stadt. Weil wir irgendwie nicht mehr wussten, was wir sonst noch machen sollten (nach Neapel wollte ich nicht und sie wollte nicht mehr an den Strand). Zusammen. Und doch nicht zusammen. Und weil wir was für María machen wollten. Etwas, das auch ihr gefiel. Und Tiere sind immer süß, für Kinder. Obwohl mir Zootiere noch nie gefallen haben: Wie sie in ihren Käfigen dahinvegetieren. Niemals den Duft der Freiheit riechen werden. Der freien Wildnis. Der freien Wildbahn. Mir hatten die immer leidgetan, diese Tiere. Ich hatte mir immer leidgetan. So eingesperrt wie die waren. So eingesperrt wie ich war. Mein inneres Tier. Ohne eine Chance jemals auszubrechen.

Aber komischerweise war das eigentlich ganz schön, an diesem Tag. Nicht nur für María. Auch für mich. Für uns. Für uns? Wir sahen sogar zwei Fütterungen. Erst die der Eisbären. Oder Braunbären? Die waren hinter einer dicken Glasscheibe und wurden mit Fischen gefüttert. Das war geil. Und dann am Ende noch die Fütterung der Robben. Ich mochte die Italiener. Die waren cool. So locker. So relaxed. Wie die alle „ecco!“ zu ihren Kindern sagten, als die Seerobben gefüttert wurden. Das erinnerte mich irgendwie…

…an meinen Schwager aus Ecuador (ja, ihren heimlichen Liebhaber) und sein dauerndes ¡héle! Der hätte sich da bestimmt wohlgefühlt, an der Seite von Nadine.

¡Héle! Meiner ist sogar größer als der der Robbe. Ach, was sage ich, ¡héle!, der des Elefanten…der Giraffe. Ich habe einen längeren als das Giraffenmännchen. Der Giraffenbulle. 






Und Nadine wär bestimmt auch froh über ein bisschen familiäre Unterstützung gewesen…

…sie hatte ja nur mich und María.

Egal: Später – und da hörte ich schon Lou Reed, das Drogenalbum, dieses Lied, wo die Kinder schreien, weil sie von ihrer heroinsüchtigen Mutter vernachlässigt werden –, später gingen wir noch in den Streichelzoo. Wo die Schweine alle faul in der Sonne lagen, die Armen. Auch mit den armen Schweinen hatte ich Mitleid

(schließlich war ich ja auch eins von ihnen, auch ein armes Schwein…nur wusste ich das damals noch nicht so klar wie heute)

Aber María gefiel der Zoobesuch. Wir kauften ihr sogar noch ein Plastiktierchen in dem Zoo-Shop. (Keine Ahnung, wo das heute ist. Ob sie das noch hat?)

Und abends bekam sogar ich Auslauf. Verschaffte mir ein bisschen Auslauf. Ich glaube zumindest, das war schon in diesem Urlaub, wo ich begann sie nachts zu verlassen. Sie im Hotelzimmer im warmen Bett zurückzulassen (bei der Rumänin!). Mich aus dem Zimmer zu schleichen wie ein Dieb, wie ein umgekehrter Einbrecher, ein Ausbrecher, der aus dem Gefängnis seiner Ehe, seiner Vaterschaft ausbricht, um in den dunklen Straßen Roms das Abenteuer zu suchen. Ganz leise. So, dass sie bloß nicht aufwacht. Und fragt: Was machst du da?

Ich brauche nur ein bisschen Luft. Es ist so heiß hier. So stickig. So eng. Ich komme gleich wieder. Aber du musst nicht warten…

Weit kam ich eh nicht, soviel kann ich schon mal vorwegnehmen. Denn schon als ich dir Tür mit meinen zwei Frauen, meinen zwei chicas hinter mir verschlossen hatte, bekam ich einen Anfall schlechten Gewissens, das mich fast daran hinderte, die Treppe zur Straße hinunterzugehen. Aber am Ende war – keine Ahnung was das für Kräfte waren, die sich da in meinem Inneren entfalteten – stärker und ich trat aus der Tür des Hauses, in dem sich die Pension befand. Eigentlich war es ja egal, was ich machte, ich war ja eh gefangen. Das bin ich heute übrigens immer noch, trotz vermeintlicher Freiheit. Obwohl María dieses Woche gesagt hat: „Was macht das schon aus, ob sie einen anderen hat?!“ Und deine Welt noch ein bisschen näher an den Abgrund gebracht hat…

…in den wir eh irgendwann alle blicken müssen


 To be continued...when the time is right...