Sonntag, 19. Februar 2017

Glühwürmchen












Ich weiß noch, damals, als wir noch in Bonn-Hardtberg gewohnt haben (nein, nicht auf dem Brüser Berg, sondern in Finkenhof!), da haben wir im Sommer abends immer zusammen unsere Runde gedreht (mit wem drehst du eigentlich jetzt „unsere“, äh, „deine“ Runde?!). Hoch zum Verteidigungsministerium, am Hardtberg-Bad vorbei, durch den Wald um das Ministerium herum, an der Tennis- und der Basketshalle vorbei und wieder zurück. Zu uns nach Hause. So drei-, viermal in der Woche bestimmt. Um den Tag sacken zu lassen und ein bisschen Sport zu treiben (das dauerte schon immer so ne Stunde oder so). sich zu unterhalten. Sie über ihre señoras, ihre „Frauen“, bei denen sie putzte und ich über meine Schüler, meine Bücher und manchmal auch meine Filme. Manchmal, mitten im Sommer, wenn sie eins ihrer kurzen Röckchen trug, schweiften wir auch ein bisschen vom Weg ab und befriedigten unsere niederen Bedürfnisse entweder hinter dem Edeka neben der Basketshalle oder auf den Holzbänken neben dem großen Fußballplatz am Verteidigungsministerium. Ich hatte da so meinen Fimmel, was Sex im Freien anging – da konnte ich stundenlang in der Gegend rumlaufen und nach einem geeigneten Ort für unsere kleine sexuelle „Notdurft“ suchen. Aber nicht an diesem Tag. Glaub ich zumindest. An diesem Tag waren wir ganz gesittet in den Sonnenuntergang gelaufen. Und als wir auf der anderen Seite des Waldes wieder rauskamen, war es schon dunkel. Links des Weges lag die breite Umgehungsstraße, die am Verteidigungsministerium vorbeiführte und rechts war der Wald. Und auf einmal, ich weiß gar nicht mehr, wer sie zuerst bemerkte, sagte Nadine oder ich: „Guck mal da! Was ist das?“ Und wir guckten in den dunklen Wald hinein. Und dann sahen wir es. Ich hatte so was noch nie gesehen. Am Anfang war es auch gar nicht so leicht, etwas zu erkennen. Sie zu sehen. Aber dann, wenn man anhielt, innehielt und sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah man diese kleinen Lichtchen, diese kleinen Lichtpunkte zwischen den Ästen, Zweigen und Blättern. Überall. Da waren überall Glühwürmchen.

„Guck mal, da! Und da!“

„¡Mira! ¡Allí!“

„¡Qué bonito!“

„Sí, ¿¡no?!“

Und wir blieben stehen und sahen in der Dunkelheit den Glühwürmchen zu, wie sie aus und angingen. Sich bewegten. Fasziniert. Selbst Nadine. Die damals schon schwer zu faszinieren war. (Die Zeit, wo sie mir mit ihren kurzen, dünnen, in hautengen Leggings gekleideten Beinchen entgegengesprungen kam, waren lang vorbei.) Selbst ich, der sich schon damals für fast nichts mehr faszinieren konnte (außer vielleicht den Fick hinter Edeka im Sommer). Die hatten irgendwas, diese kleinen Lichtchen im Wald. Am Wegesrand. Irgendwie magisch. So als gäbe es eine andere Welt… Etwas anderes…

Wir machten sogar glaub ich ein Foto, das aber nicht gelang – diese Momente lassen sich nicht so einfach einfangen, lassen sich nicht so einfach in Pixel bannen. Sind nach dem Sommer viel zu schnell vorbei. Waren glücklich. Vielleicht nahm ich sogar auf dem Rückweg ihre Hand, ihre kleine, dünne Hand, küsste sie auf die Wange, tätschelte ihr auf den Arsch, packte ihr zwischen die Beine von hinten.

„Larson!“

„¡Mira, las lucecitas, Ahí!

„¡Mira, tu culo! ¡Sexy! Es que tienes el culo sexy…“

“Yo soy flaca…”

„¿¡Bonito, eh, las lucecitas?!“


Glühwürmchen habe ich seitdem nicht mehr gesehen. Sternchen schon, an ganz vielen Tagen, aber keine Glühwürmchen. Seit diesem, wie ich glaube unserem letzten Sommer. Es war uns nicht vergönnt, die Glühwürmchen im nächsten Jahr wiederzusehen.

Keine Glühwürmchen mehr. Es wäre auch nicht mehr dasselbe.



Heute, wo ich bei Nicholas Sparks etwas über die fireflies, also den Glühwürmchen, die  es in den Südstaaten der USA in Hülle und Fülle geben soll, gelesen habe, habe ich mich an diesen Tag erinnert. Diesen einen besonderen Tag damals. In einer langen Reihe (vermeintlich) grauer Tage. Diesen einen Tag als wir noch eine Familie waren. Ein Ehepaar.

Diesen Tag, an dem ich das Gefühl hatte, ihr einmal was bieten zu können. Was Besonderes. Was anderes als unseren im Gleichtakt mit unseren Haaren immer grauer werdenden Alltag. Und wenn es nur Glühwürmchen sind